Donnerstag, 23. Juni 2011

Grosses Geläuf vor der Wahl von Pfr. Seeholzer

Während es heute mitunter schwierig ist, eine vakante Pfarrstelle zu besetzen und man die Pfarrer aus deutschen Landen importieren muss, gab es zu Zeiten des Ancien Régime mehr als genug Bewerber auf Zürcher Pfarrstellen. 

Die Anwärter, Exspektanten genannt, mussten deshalb in der Regel mehrere Jahre warten (zwischen 1651 und 1660 ca. 5 Jahre) und in dieser Zeit ihren Lebensunterhalt als Hilfspfarrer oder Lehrer verdienen - teils auch in Auslandeinsätzen, z.B. als Feldprediger bei zürcherischen Regimentern in Venedig oder Frankreich. Jahr für Jahr stiegen sie dafür auf der Warteliste nach oben. 

«Pfrunden lauffen» 

Einige angehende Pfarrer versuchten, in eine bessere Position zu kommen, indem sie sich an massgebende Personen der Wahlbehörde heranmachten. Sie betrieben nicht nur gezielt Networking, sondern wandten auch alle möglichen erlaubten und unerlaubten Tricks an, vom Einheiraten über das Angebot, einige Zeit ohne Lohn zu arbeiten bis hin zur eigentlichen Bestechung.

Über diesen Konkurrenzkampf berichtet Lorenz Heiligensetzer in seiner Dissertation «Getreue Kirchendiener - gefährdete Pfarrherren: Deutschschweizer Prädikanten des 17. Jahrhunderts in ihren Lebensbeschreibungen». Darin wertet er u.a. ein vom Pfarrer Peter Füssli verfasstes Manuskript aus, das in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich aufbewahrte «Memoriale pro Petro Fuesslino, V.D.M.» (Signatur: Ms. G 467). [V.D.M. steht für: Verbi Divini Minister, also: Diener des Gottesworts] 

Zustände wie bei den Katholiken 

Füssli war selber auf der Warteliste und fühlte sich ungerecht behandelt, da mehrfach weiter unten Platzierte als er frei gewordene und vom Zürcher Rat zu besetzende Pfarrstellen erhielten. Von der real existierenden Vergabepraxis hielt er daher nicht viel: 

«Sonst war es diser zeit ein ellend wesen in unserem Stand. Es gieng alles Simonisch zu. Die Pfrunden wurden gekaufft, erloffen, weybet, und weiß nit was alles. O seculum perditionis [= Jahrhundert des Verderbens]! Es gienge zu, wie mit der pfaffereyen im Pabstum.» (Füsslis Memoriale, fol. 69r, zit. n. Heiligensetzer) 

Dass es dabei wenig transparent zu- und herging, wird in obigem Zitat von Füssli heftig beklagt. Der Verweis auf Simon den Zauberer aus der Apostelgeschichte (Apg 8, 18) ist überdeutlich. Viele Pfarrstellen, so Füssli, würden ohne ordentliches Berufungsverfahren besetzt und das teils bereits vor dem Ableben des Vorgängers. 

[Nachtrag vom 23. April 2023: Letztlich impliziert Füssli mit dem Begriff «simonisch», dass im Hintergrund Simonie betrieben wurde, also Ämterkauf. Er könnte mit der Anspielung auch gemeint haben, dass Schmiergelder gezahlt wurden.]

Ein Pfarrer musste eigentlich aus mehreren Kandidaten gewählt werden. Und offiziell sollten der Dreiervorschlag (das, was man heute «short list» nennt) mit Kandidaten aus den am längsten auf der Warteliste stehenden Exspektanten besetzt werden. Auch Kirchendiener sind halt nur Menschen, wenn es um irdische Bedürfnisse geht. 

Gerangel um die Wahl des Weiacher Pfarrers, 1659

Füsslis Memoriale enthält ein Verzeichnis aller Pfrundvergaben und der Verfasser merkt dabei auch in einigen Fällen an, was unsauber gelaufen war: 

«So wurde Füssli zufolge Hans Jacob Meister (1631-1711) "heimlich" 1658 zum Nachfolger seines Vaters in Lufingen erwählt, während es bei der Wahl von Hans Rudolf Seeholzer (1630-93) nach Weiach 1659 ein "gar groß geläuff" gegeben habe, vgl. Füsslis Memoriale, fol. 69v und 70r.» (Heiligensetzer, S. 159, Fn-140) 

Selbst vergleichsweise wenig lukrative Pfarreien wie die von Weyach waren Mitte des 17. Jahrhunderts also trotzdem begehrt, denn da konnte man sich wenigstens durch gute Arbeit für besser bezahlte Pfründe empfehlen.

Literatur
  • Heiligensetzer, L.: Getreue Kirchendiener - gefährdete Pfarrherren: Deutschschweizer Prädikanten des 17. Jahrhunderts in ihren Lebensbeschreibungen. Band 15 von Selbstzeugnisse der Neuzeit. Verlag Böhlau, 2006.

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