Montag, 30. April 2018

Erste oder zweite Auflage der «Chronik Weiach»?

Das unten abgebildete Büchlein wird von den Weiachern nach seinem Rückentitel auch als «Chronik» bezeichnet. Viele wissen nicht, dass es zwei Auflagen gibt. Rein vom Äusserlichen her ist es schwierig, diese zwei Auflagen voneinander zu unterscheiden. Dieser Beitrag erklärt, wo die Unterschiede liegen.

Die beiden ersten Auflagen der ersten – und bisher einzigen – mit Hardcover versehenen Monographie zur Geschichte der Gemeinde Weiach wurden 1972 bzw. 1984 publiziert: «Zollinger, W.: Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach. (Chronik Weiach. 1271-1971). Hrsg.: Gemeinderat Weiach. 1. Auflage 1972; 2., ergänzte Auflage 1984» ist eine mögliche bibliographische Angabe.



Beide Auflagen sind – nach so langer Zeit wenig verwunderlich – nur noch antiquarisch erhältlich. Das abgebildete Exemplar beim Antiquariat Heinz Ballmert in Krauchenwies (Baden-Württemberg, Deutschland). Handelt es sich da um die erste oder die zweite Auflage?

Zweite Auflage mit eingefaltetem Planblatt

Die 2. Auflage ist fast textgleich mit der 1. Auflage und unterscheidet sich rein äusserlich durch nichts von ihr. Man erkennt die zweite Auflage am angereicherten Inhalt: über das Buch verteilt sind Zeichnungen von Hans Rutschmann sowie drei weitere Luftaufnahmen eingefügt worden. Vor dem hinteren Umschlag gibt es zudem einen eingefalteten Übersichtsplan der Gemeinde (1:5000) sowie einen Ausschnitt des Dorfkerns.


Aufgrund dieser Angaben war das Antiquariat Ballmert in der Lage, festzustellen, dass es sich beim oben abgebildeten Exemplar um die 2. Auflage handelt. Entsprechend ist auch der Eintrag auf zvab.com angepasst worden.

Nur indirekte Angaben im Buch selber

Wie die erste Auflage, so weist auch die zweite, erweiterte Auflage nur indirekte Angaben zum Erscheinungsjahr auf. Aber beide dieselben. Nämlich die - irreführende - Angabe «Dielsdorf, an Ostern 1971» (vgl. S. 8 sowie WeiachBlog Nr. 19):



Bibliothekaren und Antiquaren blieb daher bis vor wenigen Jahren nur die naheliegende Annahme, dass es a) nur eine Auflage gebe und b) diese 1971 publiziert worden sei.

In diese Richtung geht auch die auf den am 16. April 2012 datierte Erklärung des Inhabers des Antiquariats Marco Pinkus in Zürich, Götz Perll auf meine Anfrage per e-mail, ob es sich bei dem feilgebotenen Exemplar um die 1. oder die 2. Auflage handle (Perll verfügte über die 1. Auflage):

«Normalerweise verwenden wir für die Angabe des Erscheinungsjahr die Angabe, die auf dem Titelblatt steht oder im Impressum. Wenn an beiden Stellen keine solche Angabe gemacht wird, benützen wir ein "Hilfsjahr" und setzen das in Klammer. Im vorliegenden Fall benützten wir das am Schluss des Vorwort gesetzte Datum, eben, 1971. Hätte dort kein Datum gestanden, hätten wir, ebenfalls in Klammern gesetzt, das im Titel verwendete 1971 verwendet. Das ist nicht etwa ein von uns willkürlich gewähltes Vorgehen, sondern wird so auch von Bibliotheken und/oder Landesbibliotheken gehandhabt - es gibt hierfür genau definierte ISO-Normen, die allerdings nicht überall genau gleich konsequent eingehalten werden.

P.S. Dass die von Ihnen erwähnte zweite Auflage von 1984 weder von der Landesbibliothek noch den Zürcher Bibliotheken und der deutschen Nationalbibliothek verzeichnet wird, ist sicher darauf zurückzuführen, dass es die Gemeinde, respektive der Verlag oder die Druckerei versäumt haben, bei Erscheinen die notwendigen Exemplare dahin abzuliefern.
»

Mit diesem Postscriptum hat Perll zweifellos recht. Wobei man auch darauf verweisen muss, dass es - im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich hierzulande bis heute keine gesetzliche Verpflichtung zur Ablieferung von Belegexemplaren an die Nationalbibliothek gibt.

Publikationsort Dielsdorf oder Weiach?

Auch denkbar - und in diesem Falle bezüglich des Jahres richtiger - wäre die Angabe «Dielsdorf o.J.» für Druckort und Erscheinungsjahr gewesen, wie sie von der Kantonalen Denkmalpflege in ihrem 9. Bericht verwendet wurde («Literatur: W. Zollinger, 1271–1971 Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach, Dielsdorf o.J., S. 32 f.»; vgl. Quellen), wobei man sich auch über die korrekte Ortsangabe streiten kann. Gilt der Sitz des Herausgebers, d.h. der Gemeinderatskanzlei, dann wäre es Weiach. Gilt der Sitz der Druckerei Akeret, bzw. der Wohnsitz von Zollinger zum Publikationszeitpunkt, dann bleibt es Dielsdorf.

Folgt man der Darstellung im Wikipedia-Artikel Erscheinungsort, so ist die aus der Zeit der Druckerverleger (wie Froschauer in Zürich im 16. Jahrhundert) stammende Ortsangabe eigentlich ein Verlagsort (und nicht der Druckereiort). Aus diesem Grund ist ab der 3. Auflage auch konsequent der Verlagsort angegeben: 3. Auflage Weiach 2003 (Gemeindekanzlei), 4. Auflage 2004-2011 Weiach, 2012-2016 Trub (Wohnort des Verfassers und Verlegers), 5. Auflage 2017 Trub (Sitz des Wiachiana-Verlags).

Quellen
[Veröffentlicht am 10. April 2019 um 03:10 MESZ]

Montag, 2. April 2018

Eine Zürcher Trommel in Hohentengen

Wer die Werbetrommel rührt, der will Kriegsknechte anwerben. So war das früher. Denn Trommeln und Pfeifen bildeten die Begleitmusik auf dem Marsch in den Kampf.

Es versteht sich von selbst, dass die Obrigkeiten schon vor Jahrhunderten sehr genau darauf achteten, wer in ihrem Herrschaftsbereich Soldaten anwarb. Denn in der Regel hatte die Inhaberin der hohen Gerichtsbarkeit auch das Mannschaftsrecht inne, konnte also auf ihrem Gebiet die Militärdienstpflicht durchsetzen.

Da wirft der obige Titel natürlich Fragen auf. Was hat die süddeutsche Gemeinde Hohentengen am Hochrhein, unmittelbar nördlich von Weiach im baden-württembergischen Landkreis Waldshut gelegen, mit dem Mannschaftsrecht der Zürcher zu tun?

Eine Erklärung liefert Gerold Meyer von Knonau (1843-1931) im Anzeiger für Schweizerische Geschichte von 1877 unter Pt. «107. Kleinere Mittheilungen» in einer sogenannten Miszelle, also einem kurzen Beitrag, den er mit seinem Kürzel MvK zeichnete. Wir drucken ihn hier integral ab, da ein direkter inhaltlicher Zusammenhang mit dem Artikel Weiacher Geschichte(n) Nr. 87 sowie dem Beitrag WeiachBlog Nr. 504 besteht (vgl. Quellen):

Eine zürcherische Trommel im Gemeindehause von Hohenthengen.

«Als ich im Januar dieses Jahres vor der Section Uto des Alpenclub einen Vortrag über unsere schweizerischen Grenzen hielt, welcher nächstens im Jahrbuche des S. A.-C, XII. Jahrgang, erscheinen wird, theilte mir nachher ein Mitglied eine Notiz mit, welche als eine Hinweisung auf eine rechtshistorische Curiosität hier als Miscelle einen Platz verdienen mag. Der Herr, welchem ich die Mittheilung verdanke, hatte wenige Tage vorher im Gemeindehause des gegenüber Kaiserstuhl auf dem rechten Rheinufer liegenden Dorfes Hohenthengen - dessen Kirche ist die Mutterkirche von Kaiserstuhl - dem Acte einer Civiltrauung als Zeuge beigewohnt und war als Zürcher nicht wenig durch den Anblick einer grossen Kriegstrommel mit den zürcherischen Farben in Erstaunen gesetzt worden, welche da, wie es schien, wohl geehrt, innerhalb der gelbrothen Grenzpfähle des grossherzoglich badischen Gebietes gewissermassen an officieller Stätte aufbewahrt wird. Zwar wusste schon der Ortsvorsteher zu sagen, dass die Hohenthenger vor der Staatsumwälzung militärisch zu Zürich zählten und 1814 gerne zürcherisch geworden wären: aber Bürgermeister Reinhard habe sie nicht gewollt, um nicht katholische Kantonsangehörige zu bekommen. Indessen liegt doch die Sache noch etwas anders, wenn auch jene Angaben in der Hauptsache richtig waren.

Gleich den Nachbarorten Lienheim und Herdern stand Hohenthengen unter der Landeshoheit der fürstlich Schwarzenberg'schen Regierung in der gefürsteten Landgrafschaft Klettgau, welche zu Thiengen ihren Sitz hatte; die niederen Gerichte verwaltete der bischöflich Constanz'sche Obervogt, auf Schloss Rötteln bei Kaiserstuhl. Die in der gemeineidgenössischen Herrschaft Grafschaft Baden regierenden Kantone hinwieder übten das Schutzrecht über diese drei Dörfer - 1733 ist von eidgenössischen «Salve-Garda-Stühden» zu Hohenthengen die Rede - ; sie verlegten im Nothfalle Schutzwachen dahin und übten im Namen der Eidgenossenschaft daselbst das Mannschaftsrecht aus.

Von diesen durch die Erschütterungen der Napoleon'schen Zeit mit allen anderen feudalen Einrichtungen hinweggeräumten verwickelten Beziehungen ist die alte zürcherische Trommel zu Hohenthengen ein kleines Denkmal.

Als Illustration aus dem 16. Jahrhundert sei hiezu noch auf Folgendes (Abschiede, Bd. IV, Abtheil. 1 a, p. 800 und 801) hingewiesen. Nach der Niederwerfung des Bauernaufstandes im Klettgau durch den Grafen Rudolf von Sulz, Ende 1525, schrieb der Landvogt zu Baden, der Urner Türler, an die Luzerner Regierung und die eidgenössischen Boten am 4. November, dass nach dem Kampfe viele Bauern nach Kaiserstuhl entronnen seien, auch wehklagende Weiber und Kinder: «die man nun inglan hat, das ich nun da nit han mögen erweren, denn sy under einandern gefründt sind, dessglichen ir kilchgnossen und nachburen, dass sy sy nit hand wellen usschlachen». Am 9. meldet Türler, er sei auf Rudolfs Einladung auf Schloss Küssenberg geritten, wo er auch «von wegen den dryen dörfern, so in siner grafschaft ligen und aber minem herren von Kostenz zuogehörig sind und mit einer grafschaft Baden reisen müessend» gesprochen und beruhigende Zusicherung erhalten habe, dass der Kaiserstuhler Vogt auch künftig im Namen von Constanz den Eid empfangen solle ohne Nachtheil für die Eidgenossen, die Grafschaft Baden oder die von Kaiserstuhl. M.v.K.»

Der im Abschnitt über den Bauernkrieg von 1525 genannte Graf von Sulz war damals Inhaber der hohen Gerichtsbarkeit im Klettgau, die 1687 nach dem Aussterben im Mannesstamme über eine Heirat an das Haus Schwarzenberg gelangte.

Eidgenössischer Schutz für das Amt Rötteln

Meyer von Knonau hat in seiner Miszelle nicht erläutert, aus welchem Rechtsgrund die Eidgenossen das Mannschaftsrecht nicht nur in den linksrheinischen (heute aargauischen) Teilen der fürstbischöflich-konstanzischen Herrschaft Kaiserstuhl (auf den Sitz des Obervogts bezogen auch Amt Rötteln genannt) ausübten, sondern auch in den fürstbischöflichen Besitzungen rechts des Rheins (heute Deutschland).

Dieses Mannschaftsrecht dürfte mit den mittelalterlichen Abmachungen zusammenhängen, welche nicht nur das am nördlichen Brückenkopf bei Kaiserstuhl thronende Schloss Rötteln zum für die Eidgenossen «offenen huß» erklärten, sondern auch den Rest des fürstbischöflichen Gebietes deren Schutz unterstellte.

Damit ist Hohentengen nicht schlecht gefahren. Die in der Miszelle erwähnten Unverletzlichkeits- oder Neutralitäts-Zeichen, genannt «Salva Quardia», machten nämlich jedem Eindringling klar, unter wessen (militärischem) Schutz das Gebiet stand (Bild aus Fuchs 1992).
 

Die Dorfschaft Hohentengen erhielt zwischen 1618 und 1798 mehrmals das Recht, ein solches bemaltes Schild aus Blech an ihren Grenzen aufzustellen. Dadurch blieben sie bei Plünderungen oft verschont – im Gegensatz zu anderen sulzischen Klettgauern (u.a. in Griessen, Stetten, Günzgen und Bergöschingen). Als beispielsweise im Dreissigjährigen Krieg eine kleine Abteilung Schweden Proviant zu erpressen versucht, musste sie auf Druck der Eidgenossen bald aus dem fürstbischöflich-konstanzischen Amt Rötteln abziehen.

Diese enge Verbindung zur Eidgenossenschaft hat die Hohentengemer vor 200 Jahren ganz von selbst dazu gebracht, sich ernsthaft um einen Beitritt zur Schweiz zu bemühen. Auch wenn ihnen das als Verrat ausgelegt wurde.

Quellen
[Veröffentlicht am 28. März 2019 um 11:45 MEZ]