Montag, 7. Juli 2025

Die Binätsch-Affäre – Anlass einer Feindschaft

Salat, Binätsch und Chruutstiel. Dieses erntefrische Gemüse wurde laut der in Weiach aufgewachsenen US-Autorin Louise Patteson (geborene Luisa Griesser) von den Hausfrauen an den Dorfbrunnen gewaschen.

Patteson schrieb autobiographisch über die Mitte des 19. Jahrhunderts, die letzten Jahre vor der Installation der ersten Haus- und Löschwasserversorgung (1877 errichtet). Luisa wurde 1853 in Weiach geboren und zog im Oktober 1867 mit ihrer Familie nach Amerika.

Binätsch war und ist eines der beliebtesten Gemüse und daher auch ein geläufiges Zürcher Wort (vgl. Idiotikon 4, 1308). So sagte man laut Idiotikon früher: «In Binätsch übere (gleichsam in das Beet des Nachbarn) luege» bzw. schielen. Oder: «Der Binätsch ist em nüd ufg'gange» in der Bedeutung, sein Plan sei zunichte geworden. Spinat kam auch in Auseinandersetzungen durchaus zu Ehren: «Eim de Binätsch erlëse» bedeutete, jemandem «alle seine Fehler vorhalten».

Wenn's am Brunnen knallt

Nachdem wir im gestrigen Beitrag das Wohnhaus der Näherin Barbara kennengelernt haben, sei hier nun endlich der Mitte April 2020 in WeiachBlog Nr. 1490 versprochene Zwistigkeitsgrund zwischen Barbara und ihrer Schwägerin nachgereicht. Wie man aufgrund des Titels und des vorstehenden Absatzes unschwer erraten kann, ging es um Spinat:

«About this time I began to do little chores around the house, such as bringing wood into the kitchen and carrying water from the village fountain. I had a tiny copper gelte about the size of a wash-bowl, and I always went with Mother to the fountain and carried some water home. The village housewives washed all such vegetables as lettuce, and spinach and chard at the fountain, each always using two geltes so as to change from one to the other. This sometimes made it rather crowded, and often the women got in each other’s way. I remember once seeing one shove her neighbor’s gelte full of spinach off the trough. The spinach lay there until evening when the cattle came to water and ate it. One of those women was Barbara, the seamstress, and the other her sister-in-law. After that they were no longer friends.» (Patteson 1921, S. 42-43)

Da Luisa und ihre Familie mitten im Büel vis-à-vis des früheren Näpferhüsli gewohnt haben, dürfte sich diese dramatische Auseinandersetzung auch in diesem Teil des Dorfes abgespielt haben. 

Aus irgendeinem Grund war Barbara (eigentlich wohnhaft in der oberen Chälen) also wohl an einem der Brunnen eines anderen Dorfteils zugange. Entweder im unteren Oberdorf (dem beim Baumgartner-Jucker-Haus) oder im Büel (vor dem Eingang zum Friedhof; heute verschwunden; bzw. dem Privatbrunnen nahe der Liegenschaft Büelstrasse 1). Ihr oder ihrer Schwägerin hatte dabei offensichtlich etwas nicht in den Kram gepasst, was in der doch ziemlich destruktiven Bestrafungsaktion mündete.

So kann schlussendlich von Rindviechern gefressener Spinat zu lebenslanger Feindschaft führen. Und im Tode liegt man dann trotzdem sozusagen Schulter an Schulter. Wie es eine höhere Fügung eingerichtet hat.

Quelle und Literatur

  • S. Louise Patteson: When I Was a Girl In Switzerland. Lothrop, Lee & Shepard Co., Boston 1921 [Elektronische Fassungen auf archive.org: PDF, 11 MBweiteres Exemplar] – S. 42-43.
  • Brandenberger, U.: Freund und Feind im Tod vereint. WeiachBlog Nr. 1490, 16. April 2020.

Sonntag, 6. Juli 2025

Zu Besuch im letzten Weiacher Strohdachhaus

Es kommt nicht allzu häufig vor, aber es gibt Momente in der Ortsgeschichtsforschung, in denen zwei Mosaiksteinchen sozusagen wie Schlüssel und Schloss zusammenpassen. Einen solchen hatte ich jüngst dank der folgenden Literaturstelle im Werk der aus Weiach stammenden US-Autorin Louise Patteson (1853-1922; vgl. WeiachBlog Nr. 1487):

«Another of my friends was Barbara, the seamstress. She lived in a house that was thatched with straw, and not tiled like the other houses. The straw thatch hung so far over the windows that it made the rooms dark, and it was not pleasant there. But Barbara made my dresses, and I had to go there to have them fitted.» (When I was a Girl in Switzerland, Boston 1921, S. 15)

Das Haus von Barbara, der Näherin, war ein Strohdachhaus. Das Wort «thatch» trägt an sich schon die Bedeutung «Dachstroh», sodass wir es beim «straw thatch» mit einem Pleonasmus zu tun haben, der als hübsches Stilmittel eingesetzt wird, um das Zuviel an Stroh zum Ausdruck zu bringen. Ein Zuviel, das die Räume dunkel und den Aufenthalt in ihnen unerfreulich gemacht habe.

Die anderen Häuser, so Patteson, seien mit Ziegeln gedeckt gewesen. Und es scheint, als ob es an diesem Ort sonst nur Ziegeldächer und keine weiteren Strohdächer gegeben hat. Die Rede ist von Weiach und der Zeitraum, um den es geht, liegt zwischen 1853 und 1867, dem Jahr der Abreise in die Neue Welt.

Es stellt sich also die Frage, ob es sich tatsächlich um das einzige Strohdachhaus in Weiach gehandelt hat und wo im Dorf dieses zu finden war.

«oben in Kellen. N°. 95.»

Wenn man das älteste Lagerbuch der Brandassekuranz, das im Archiv der Politischen Gemeinde Weiach erhalten geblieben ist (PGA Weiach IV.B.06.01; Bild S. 111 s. unten), systematisch durchblättert, dann ist sozusagen auf den ersten Blick zu erkennen, welches Material auf dem Dach war.

Vergleiche dazu die vierte Spalte «Bauart» des Vordruckformulars mit den Unterkategorien «Gemauert», «Riegel» und «Holz» für den Baukörper (links) sowie «Ziegel», «Holz» und «Stroh» für die Bedachung (rechts). Wenn unter «Stroh» kein Eintrag mit einer Zahl 1 zu finden ist, dann war es eben kein Strohdach. 

In diesem Fall hier weist das Nebengebäude Nr. 95b (ab 1842 als «Tenn & Brügi» bezeichnet) ein Ziegeldach auf. 

Das mit einiger Sicherheit aus dem 18. oder einem noch früheren Jahrhundert stammende Wohngebäude Nr. 95 im Eigentum von Jacob Meÿerhofer (zu 6/8 in Riegelbauweise) verfügte hingegen nach wie vor über ein Strohdach:


Für das Jahr 1863 ist es als Wohnhaus, Scheune & Stall mit Strohdach erfasst. Und assekuriert für 1500 Franken. Darunter mit der Jahrzahl 1864 ohne Versicherungssumme der Vermerk, das Gebäude sei «geschlissen» und als Ersatz dieselbe Konfiguration «neu erbaut» worden, jetzt aber mit Ziegeldach. Und mit dem massiv höheren Zeitwert von 8500 Franken.

1864 erfolgte also ein kompletter Neubau am selben Bauplatz. Bei diesem Gebäude Nr. 95 (später, 1895, mit der Nr. 155 bezeichnet und seit 1955 nach aktueller Gebäudeversicherungsnummerierung mit Nr. 508) handelt es sich um das Haus Chälenstrasse 24, ehemals im Eigentum von Robert Bersinger, beim oberen Chälenbrunnen.

Das letzte Strohdachhaus in Weiach ist demnach 1863 oder 1864 aus dem Ortsbild der hinteren Chälen verschwunden.

Natürlich hätte man den Standort des letzten Weiacher Strohdachhauses auch ganz ohne den Hinweis in Pattesons Autobiographie finden können, rein durch systematische Auswertung des Lagerbuchs. Aber die Kombination dieser beiden Belege gibt der Trouvaille ihre besondere Note. 

Quellen und Literatur

  • Lagerbuch Gebäudeversicherung Kt. ZH, Expl. Gemeinde, 1834-1894. Signatur: PGA Weiach IV.B.06.01.
  • S. Louise Patteson: When I Was a Girl In Switzerland. Lothrop, Lee & Shepard Co., Boston 1921 [Elektronische Fassungen auf archive.org: PDF, 11 MBweiteres Exemplar] – S. 15.
  • Brandenberger, U. (Bearb.): Gebäudenummernkonkordanz der Gemeinde Weiach 1809-1895-1955-1992, nachgeführt bis 31.12.2024; in Verbindung mit der Gebäudealterkarte sowie der Eigentümerauskunft des Geoportals des Kantons Zürich (maps.zh.ch).
  • Brandenberger, U.: Die Weiacher Autobiographie einer amerikanischen Tierbuchautorin. WeiachBlog Nr. 1487, 13. April 2020.
  • Zur Näherin Barbara, vgl.: Brandenberger, U.: Freund und Feind im Tod vereint. WeiachBlog Nr. 1490, 16. April 2020.