Lärmbräuche sind über den Jahreswechsel an vielen Orten in der Schweiz gang und gäbe. An einigen wird zum Beispiel auch am Bächtelistag (2. Januar) Feuerwerk gezündet, mit Geisseln geklöpft und mit Treicheln Radau gemacht. Diese Aktivitäten werden vor allem von den schulentlassenen, noch ledigen jungen Männern betrieben - in einigen Orten (so z.B. im bernischen Sigriswil) steht organisatorisch sogar der Knaben-Verein dahinter.
In Weiach gibt es keine solche Tradition. Mit einer Ausnahme. Bis vor wenigen Jahren war das der Schulsilvester. Neben den wirklich gefährlichen Streichen, wie gesprengten Briefkästen und auf die Hauptstrasse gerollten Abfallcontainer waren da auch die harmloseren. Beispielsweise Autos mit WC-Rollen und Rasierschaum «verzieren». Und natürlich alle möglichen Formen der Belärmung.
Die Spätaufsteher herausschellen
Solche und andere Aktivitäten der Schuljugend haben so manchem älteren Einwohner am Schulsilvestermorgen (traditionell am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien) den Kamm schwellen lassen.
Zu der Zeit als der Schreibende im Weiach der 1970er-Jahre noch selber zur Schule ging, war eine besonders beliebt: in aller Herrgottsfrühe an den Türglocken Sturm zu läuten. Vorzugsweise dort, wo noch kein Licht brannte.
Nur die ganz Verwegenen trauten sich, bei einer bestimmten Adresse in der Chälen die Einwohner aus dem Schlaf zu schellen. Denn dort musste man damit rechnen, umgehend mit Kübeln voll kaltem Wasser traktiert zu werden. Verabreicht aus dem Obergeschoss, wo sich die erboste Hausfrau jeweils hinter einem der lichtlosen Fenster postierte. Man wusste natürlich nie hinter welchem. Dieses Katz-und-Maus-Spiel - vor allem aber die lautstarken Unmutsbekundungen der Dame als Zugabe - machten den Reiz der Sache aus.
Wo bleibt die Kontrolle?
Auch Walter Zollinger, ehemaliger Dorfschullehrer und Ortschronist von 1952 bis 1967 war schon vor 50 Jahren der Meinung, die Jungen würden es übertreiben (vgl. dazu die Chronik des Jahres 1964):
«
Am 23. 12. war der Schulsylvester. Er artet aber m.E. leider in den letzten Jahren aus! Früher war’s einfach ein lustiger Morgen, an dem die Schüler mit mögl. originellen Lärminstrumenten frühzeitig (meist ab 5 Uhr) durch’s Dorf zogen, ohne grosse Belästigung der Dorfbewohner. Und jetzt: ----- die halbe Nacht vorher wird schon (vor allem von den Oberstüflern) in selbstgebauten „Waldhütten“ gefestet, wobei Alkohol und Rauchzeug mittun, und zwischenhinein wird im Dorf herum rumort und allerhand unangenehmer Unfug getrieben: Gartentore wegtragen, Fässer fortrollen, Bauernwagen oder Mistkarren verstellen, ja sogar demontieren etc., alles Streiche, die ehedem nur von schulentlassenen Burschen und am eigentlichen Sylvester (31.12. nachts) verübt wurden. Wo bleibt denn die Kontrolle der Eltern und Erzieher über diese Jugend?»
Diese Art Kritik ist aus der Feder Zollingers nicht neu. Er war generell der Meinung, die Jugend sei vor dem Zweiten Weltkrieg weniger unflätig gewesen (vgl. z.B. den
WeiachBlog-Beitrag Nr. 1062, wo er die Ursache im Auseinanderfallen der Familien ortet).
Lange bekämpft – heute vielerorts abgeschafft
Trotz alljährlicher Kritik überlebte der Brauch die Jahrhunderte, wie man dem Hundertundachtundsechzigsten Neujahrsblatt der Allgemeinen Musikgesellschaft Zürich von 1984 entnehmen kann. Brigitte Bachmann-Geiser schrieb da unter dem Titel «Der Zürcher Schulsilvester»:
«
Einstweilen gilt der Zürcher Schulsilvester noch als eine Selbstverständlichkeit, die sich nicht abschaffen lässt, obwohl dies immer wieder – unseres Wissens 1775 zum ersten Mal – von erzürnten Bürgern gewünscht wurde.»
Heute haben all diese Klagen Wirkung gezeigt. Den Weiacher Schulsilvester gibt es seit Jahren nicht mehr, wie der Gemeindeschreiber Wunderli auf Anfrage bestätigte. Auch viele andere Gemeinden im Züribiet haben seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts die traditionellen, von den Schülern selbst bestimmten Aktivitäten mittels organisierter Events kanalisiert und domestiziert. Und letztlich ganz abgeschafft.
Die moderne Zeit hat auch diesem aus grauer Vorzeit stammenden Brauch den Garaus gemacht.
Aber nicht überall: im Raum Winterthur und am Zürichsee gibt es ihn bis heute. Wenn auch in der gezähmten Form, wie die Zürichsee-Zeitung meldet. Im Gegensatz zu anderen Gemeinden dürften «
die Uetiker Schulkinder am Schulsilvester noch immer lärmend durchs Dorf streifen.» Denn dies habe in Uetikon Tradition. «
Die Zeiten, als die Gemeindepolizei am Schulsilvester noch ausrücken musste», seien so gut wie vorbei.
Quellen
- Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1964 – S. 15. [Original in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1964].
- Bachmann-Geiser, B.: Der Zürcher Schulsilvester. In: Neujahrsblatt der Allgemeinen Musikgesellschaft Zürich, Nr. 168, 1984
- Primarschüler beenden das Jahr mit Streichen und viel Lärm. In: Zürichsee-Zeitung, 20. Dezember 2014