Mittwoch, 30. Januar 2019

Landrecht für die Lieberts

Landrecht? Das war früher die Bezeichnung für das Kantonsbürgerrecht:

«Ein gemeinsames Bürgerrecht gab es nicht. Die Landleute besassen das sog. Landrecht, das im 16. Jh. aus der hoheitl. Schirmgewalt entstanden war und durch die Land- und Obervögte, im 18. Jh. durch den Kl. Rat erteilt wurde. Der Besitz des Landrechts war Voraussetzung, um auf der Landschaft Gemeindegenosse zu werden. Die Stadtbürger besassen ihr eigenes Stadtbürgerrecht.» (Suter 2017)

Es war vor dem Ende des Ancien Régime also anders als heute, wo zwar die Gesetze die Voraussetzungen festlegen, aber formell der Erwerb des Gemeindebürgerrechts das Kantonsbürgerrecht und auch die Staatsbürgerschaft als Schweizer begründet.

Der Kleine Rat wurde seit der liberalen Staatsreform von 1831 als Regierungsrat bezeichnet. Ihm kam dieses Recht auch in den Jahrzehnten darauf zu.

Ein Handwerker aus dem Süddeutschen

Die Familie der letzten Eigentümerin des Ortsmuseums Weiach, Luise Liebert, stammt ursprünglich aus Süddeutschland. Heute vor 150 Jahren erteilte der Regierungsrat des Kantons Zürich das Zürcher Landrecht an: «Liebert, Vater nebst Ehefrau u. Jb. Liebert, Sohn v. Schneitheim». Jakob Liebert jun. war der Vater von Luise und wurde erst im Alter von über 35 Jahren eingebürgert.


Der vollständige Protokolleintrag lautet wie folgt:

«Die Bürgerversammlung der Gemeinde Weiach hat unterm 15. November v. Js. dem Jb. Liebert, Vater, seiner Ehefrau u. seinem majorennen unverehelichten Sohn Jb. Liebert, Geschirrhändler, von Schneitheim Kgrch. Württemberg, welche sich schon seit dem Jahr 1834 in der dortigen Gemeinde als Niedergelassene aufgehalten haben, das Gemeindsbürgerrecht ertheilt.

Der Gemeindrath Weiach stellt nun mit Zuschrift vom 25. Januar d. Js. das Gesuch, daß denselben das Landrecht ertheilt werden möchte, indem er erklärt, daß die gesetzlichen Ausweise geleistet worden seien, namentlich, daß die Familie Liebert sich immer unklagbar betragen habe u. daß die gesetzliche Einkaufsgebühr bezahlt worden sei. Dem Gesuche ist eine Urkunde beigelegt, woraus sich ergibt, daß die Familie Liebert aus ihrem heimatlichen Bürgerrechtsverbande entlassen worden sei.

Der Regierungsrath, auf den Antrag der Direktion des Innern, beschließt:

1. Sei den beiden Jakob Liebert, Vater u. Sohn das Landrecht ertheilt u. deren Aufnahme in das Bürgerrecht der Gemeinde Weiach bestätigt, in der Meinung, daß von den Petenten innert Monatsfrist eine Landrechtsgebühr von Frk. 200 bezahlt werde.

2. Sei nach Erfüllung dieser Bedingung von der Staatskanzlei die Landrechtsurkunde auszufertigen.

3. Mittheilung an die Finanzdirektion im Auszuge, an den Gemeindrath Weiach, an die Gesuchsteller, sowie an die Direktion des Innern.
»


Man beachte, dass die Ehefrau Lieberts nicht einmal namentlich erwähnt wurde, denn ihr neues Bürgerrecht war von dem ihres Ehemannes abhängig. Umgekehrt war das auch bei Frauen so, die einen Ausländer heirateten. Sie verloren mit der Heirat ihr Landrecht und auch das Gemeindebürgerrecht. Waren also keine Schweizerinnen mehr.

Kriegerische Umstände in der alten Heimat

An diesem 30. Januar 1869 also wurden die Lieberts auch mit offiziellem Segen aus Zürich zu Schweizern – und hörten auf Württemberger zu sein. Schneitheim wird heute übrigens Schnaitheim genannt und gehört zur Stadt Heidenheim an der Brenz in Baden-Württemberg, ca. 30 km nördlich von Ulm nahe der bayrischen Grenze.

Die Lieberts schätzten sich wohl doppelt glücklich, Schweizer geworden zu sein. Denn noch 1866 führte ihre alte Heimat Württemberg zusammen mit Nassau und Hessen und in einer Koalition mit Österreich-Ungarn Krieg mit Preussen, was dazu führte, dass die Württembergische Armee bei Tauberbischofsheim (drei Wochen nach der kriegsentscheidenden Schlacht bei Königgrätz) eine empfindliche Niederlage erlitt.

Ausländische Handwerksmeister hatten ein Problem

In Weyach hatte sich Jakob Liebert sen. als Hafner betätigt. 1835, 1841 und 1845 wurde seine Niederlassungsbewilligung vom Regierungsrat bestätigt, ebenso 1848 und 1850, allerdings nur unter der Bedingung. dass ihm die Ausübung eines selbstständigen Handwerks verboten sei und bei Zuwiderhandlung der Entzug der Niederlassung drohe. Bemerkenswert ist unter diesen Umständen, dass es in der Sammlung des Ortsmuseums eine Ofenkachel von 1834 mit Lieberts Namen gibt. Waren die Vorschriften 1834 noch liberaler? Man muss es annehmen. Und versteht, warum sich die Lieberts auf den Handel mit Geschirr verlegt haben. Nun, mit dem Bürgerrecht in der Tasche, war ihnen auch die volle Gewerbefreiheit gegeben.

Quellen
  • Regierungsrat des Kantons Zürich: Landrechtsertheilung, 30. Januar 1869. Signatur: StAZH MM 2.183 RRB 1869/0171 - S. 176-178.
  • Suter, M.: Artikel «Zürich (Kanton)». Kapitel 2.3.1 Das Zürcher Regiment, der Staat und die Staatsverwaltung. In: Historisches Lexikon der Schweiz (e-HLS), Version vom 24.08.2017.
  • Brandenberger, U.: 50 Jahre Ortsmuseum Weiach. Wiachiana Dokumentation Nr. 4, September 2018 – S. 28. (Bild des Grabsteins von Jakob Liebert jun. oben)
[Veröffentlicht am 16. Juni 2019 um 18:54 MESZ]

Keine Kommentare: