Ein Rudel Wölfe kann für Menschen gefährlich werden. Auch Geschichten über Wölfe können das. Dann nämlich, wenn man selber darin eine Hauptrolle spielt und sich andere Menschen zu Rudeln zusammentun, um einen deswegen zur Strecke zu bringen.
So erging es Anna Winkelmann aus Mettmenstetten. Sie wurde 1494 der Hexerei verdächtigt, «weil Kinder behaupteten, sie sei auf einem Wolf über Wiesen, Häge und Gräben geritten und im Unwetter trocken angetroffen worden. Da aber erwachsene Zeugen den Wolf für einen Esel erklärten und überhaupt bezweifelten, daß es die Winkelmannin gewesen sei, war eine Verurtheilung ausgeschlossen (Nachgänge).» (Zitiert nach: Schweizer, P.: Der Hexenprozess und seine Anwendung in Zürich. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1902, S. 29)
Ein Nachgänger tat in der Zeit vor 500 Jahren in etwa das, was heute die Staatsanwaltschaft tut: Die Durchführung einer Strafuntersuchung samt Zeugenbefragung. Das Verfahren gegen die Winkelmannin wurde damals eingestellt. Es hätte aber auch anders kommen können. Davon handelt dieser Artikel.
Die Kirche redet dagegen, aber der Volksglaube bleibt bestehen
Der Volksglaube an magische Kräfte, die in der Lage wären, Wölfe zu bannen und sie zu gehorsamen Reittieren zu machen, ist schon Jahrzehnte vorher nachzuweisen. So galt der Wolf anfangs des 15. Jahrhunderts im Südtirol und in Bayern gar einigen als Glücksbringer, was wiederum von der Kirche nahestehenden Kreisen als Aberglauben eingestuft wurde.
Zwischen 1428 und 1430, als im Wallis bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten, wurde einer der Gruppierungen in dieser Auseinandersetzung Verschwörung unterstellt: sie habe durch zauberische Mittel derart viel Macht gewonnen, dass sie sich in Wölfe verwandeln und die Regierung an sich reissen könne.
Und wo kirchliche Würdenträger noch im Hochmittelalter jeden als ungläubig bezeichneten, der an so etwas glaubte, nämlich eine Verwandlung in eine andere Gestalt (also z.B. des Menschen in einen Werwolf), so macht dieser Volksglaube im Spätmittelalter eine unverhoffte Karriere. Daran konnten selbst aufklärerische Schriften nichts ändern. Im Gegenteil.
Die Macht der Bilder schlägt jeden Text
Der Konstanzer Jurist Ulrich Molitor sprach sich in seinem Werk De lamiis et phitonicis mulieribus (auch De laniis..., nach 1489 in vielen Auflagen erschienen, vgl. auch Weiacher Geschichte(n) Nr. 18) eigentlich gegen den Hexenglauben aus. Er war der Meinung, es gebe weder des Fliegens kundige Hexen, noch würden diese Hexensabbate veranstalten. Die unter Folter erpressten Geständnisse seien fragwürdig. Und trotzdem hat ausgerechnet sein im Original in Latein verfasstes gedrucktes Werk enorm dazu beigetragen, dass diesen Vorstellungen Vorschub geleistet wurde.
Denn das noch junge Druckereigewerbe, das seine Schrift gross herausbrachte, setzte auf eine höchst absatzfördernde Innovation: den Holzschnitt. Und diese Illustrationen machten viel grösseren Eindruck als alles, was der Gelehrte geschrieben hatte:
«Ganz gegen die Absichten des Autors verdichten die Bilder in Molitors Hexenbuch die konkretistischen Vorstellungen von wolfreitenden und tierverwandelten Hexen. Bilder haften tiefer im Gedächtnis als Worte. Sie liefern den Grund für die Annahme, dass etwas existiert, das dem gleicht, das darauf zu sehen ist.», schreibt Elmar M. Lorey in seinem Aufsatz Wie der Werwolf unter die Hexen kam.
Das in Molitors Werk gedruckte Bild, das einen auf einem Wolf reitenden Menschen zeigt, ist ja wohl eindeutig, oder? Also muss es ja stimmen, was man sich erzählt, wenn sogar in hochgelehrten Büchern genau solche Abbildungen zu finden sind.
Die Verschwörung der drei Weiacher Hexen
Je weniger kirchliche Autoritäten vor Ort einwirken können, desto eher machen sich solche Vorstellungen selbständig und steigen in den Rang von Tatsachen auf. So war es in Weiach kurz nach der Reformation, in den 1530er-Jahren. Die Kaiserstuhler waren wieder zum katholischen Glauben zurückgekehrt (vgl. WeiachBlog Nr. 1543). Misstrauen keimte zwischen ihnen und den Weiachern auf. Die katholischen Priester und Kaplane hatten im refomierten Gebiet nichts mehr zu sagen und gleichzeitig war reformierte Seelsorgearbeit Mangelware. Gerade in Weiach. Vor 1540 hatten die Weiacher nicht einmal einen eigenen Pfarrer und auch danach wohnte er nicht im Dorf:
«1539 folgt plötzlich wieder eine große Scheiterhaufen-Exekution nach Reichs- und kaiserlichen Rechten (d. h. nach römischem Recht) gegen drei Hexen auf einmal, Anna Hämmerli, Schlotterelsi und Kilchhensin, alle drei von Weyach. Entscheidend sind hier wiederum nicht die wenig begründeten Anklagen, sondern die eigenen mit Hülfe der Folter erwirkten Geständnisse, so unglaublich und einander widersprechend sie auch erscheinen. Jede hat sich dem Teufel ergeben, der aber jeder in anderer Kleidung und mit anderm Namen, Arlibus, Belzibock und Karlifas erschien. Alle drei wollen auf Wölfen in der Charfreitagsnacht gegen Zurzach hin auf einen hohen Berg (welchen eine Steickhart, die andere Sanzenberg nennt; letzterer liegt südlich von Kaiserstuhl, noch im Kanton Zürich) geritten, daselbst mit ihren [Wechsel S. 39/40] drei Teufeln gegessen und getrunken und Landhagel gemacht haben, wie sie überhaupt seit zehn Jahren alle Ryffen und Hagelwetter der Gegend verursachten (Nachgänge, Richtbuch, Nr. 255, Fol. 45).» (Schweizer, ZTB 1902, S. 39/40)
Es dürfte wohl auch diesem Prozess geschuldet sein, dass die Zürcher Regierung 1540 zur Einsicht kam, es sei wohl unabdingbar, den Weiachern endlich einen eigenen Pfarrer zu spendieren.
Wolfsritte für ein paar hundert Meter Luftlinie? Lohnt sich das?
Was die per Wolf zurückgelegten Entfernungen betrifft, so waren die drei Weiacherinnen höchst bescheiden. Denn der bei Paul Schweizer «Steickhart» genannte Berg wird 1890 in der NZZ als «Schleikhard» bezeichnet. Die heutige Bezeichnung ist «Schleikert», ein Hügel auf dem Südufer des Rheins gegenüber der Burgruine Weisswasserstelz.
- Schweizer, P.: Der Hexenprozess und seine Anwendung in Zürich. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1902 - S. 1-63.
- Lorey, E. M.: Wie der Werwolf unter die Hexen kam. Zur Genese des Werwolfprozesses. URL: https://www.elmar-lorey.de/werwolf/genesetext.htm [Stand: Juli 2004, ca. 50 Druckseiten]
- Sigg, O.: Hexenprozesse mit Todesurteil. Justizmorde der Zunftstadt Zürich. Vom bösen Geist in Stadt und Land Zürich und im aargauischen Kelleramt. Dokumentation zu den 79 mit Todesurteil endenden sogenannten Hexenprozessen im Hoheitsgebiet der Stadt Zürich 1487-1701. Auf Grund von Quellen des Staatsarchivs Zürich bearb. durch Otto Sigg. 1. Aufl., Druck: Buchmodul.ch, Frick 2012. 2. Aufl., Offizin Verlag, Zürich 2013.
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