Freitag, 7. April 2023

Ritten Weiacher Hexen auf Wölfen in den Karfreitag?

Ein Rudel Wölfe kann für Menschen gefährlich werden. Auch Geschichten über Wölfe können das. Dann nämlich, wenn man selber darin eine Hauptrolle spielt und sich andere Menschen zu Rudeln zusammentun, um einen deswegen zur Strecke zu bringen. 

So erging es Anna Winkelmann aus Mettmenstetten. Sie wurde 1494 der Hexerei verdächtigt, «weil Kinder behaupteten, sie sei auf einem Wolf über Wiesen, Häge und Gräben geritten und im Unwetter trocken angetroffen worden. Da aber erwachsene Zeugen den Wolf für einen Esel erklärten und überhaupt bezweifelten, daß es die Winkelmannin gewesen sei, war eine Verurtheilung ausgeschlossen (Nachgänge).» (Zitiert nach: Schweizer, P.: Der Hexenprozess und seine Anwendung in Zürich. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1902, S. 29) 

Ein Nachgänger tat in der Zeit vor 500 Jahren in etwa das, was heute die Staatsanwaltschaft tut: Die Durchführung einer Strafuntersuchung samt Zeugenbefragung. Das Verfahren gegen die Winkelmannin wurde damals eingestellt. Es hätte aber auch anders kommen können. Davon handelt dieser Artikel.

Die Kirche redet dagegen, aber der Volksglaube bleibt bestehen

Der Volksglaube an magische Kräfte, die in der Lage wären, Wölfe zu bannen und sie zu gehorsamen Reittieren zu machen, ist schon Jahrzehnte vorher nachzuweisen. So galt der Wolf anfangs des 15. Jahrhunderts im Südtirol und in Bayern gar einigen als Glücksbringer, was wiederum von der Kirche nahestehenden Kreisen als Aberglauben eingestuft wurde. 

Zwischen 1428 und 1430, als im Wallis bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten, wurde einer der Gruppierungen in dieser Auseinandersetzung Verschwörung unterstellt: sie habe durch zauberische Mittel derart viel Macht gewonnen, dass sie sich in Wölfe verwandeln und die Regierung an sich reissen könne.

Und wo kirchliche Würdenträger noch im Hochmittelalter jeden als ungläubig bezeichneten, der an so etwas glaubte, nämlich eine Verwandlung in eine andere Gestalt (also z.B. des Menschen in einen Werwolf), so macht dieser Volksglaube im Spätmittelalter eine unverhoffte Karriere. Daran konnten selbst aufklärerische Schriften nichts ändern. Im Gegenteil.

Die Macht der Bilder schlägt jeden Text

Der Konstanzer Jurist Ulrich Molitor sprach sich in seinem Werk De lamiis et phitonicis mulieribus (auch De laniis..., nach 1489 in vielen Auflagen erschienen, vgl. auch Weiacher Geschichte(n) Nr. 18) eigentlich gegen den Hexenglauben aus. Er war der Meinung, es gebe weder des Fliegens kundige Hexen, noch würden diese Hexensabbate veranstalten. Die unter Folter erpressten Geständnisse seien fragwürdig. Und trotzdem hat ausgerechnet sein im Original in Latein verfasstes gedrucktes Werk enorm dazu beigetragen, dass diesen Vorstellungen Vorschub geleistet wurde.

Denn das noch junge Druckereigewerbe, das seine Schrift gross herausbrachte, setzte auf eine höchst absatzfördernde Innovation: den Holzschnitt. Und diese Illustrationen machten viel grösseren Eindruck als alles, was der Gelehrte geschrieben hatte:

«Ganz gegen die Absichten des Autors verdichten die Bilder in Molitors Hexenbuch die konkretistischen Vorstellungen von wolfreitenden und tierverwandelten Hexen. Bilder haften tiefer im Gedächtnis als Worte. Sie liefern den Grund für die Annahme, dass etwas existiert, das dem gleicht, das darauf zu sehen ist.», schreibt Elmar M. Lorey in seinem Aufsatz Wie der Werwolf unter die Hexen kam.

Das in Molitors Werk gedruckte Bild, das einen auf einem Wolf reitenden Menschen zeigt, ist ja wohl eindeutig, oder? Also muss es ja stimmen, was man sich erzählt, wenn sogar in hochgelehrten Büchern genau solche Abbildungen zu finden sind.

Die Verschwörung der drei Weiacher Hexen

Je weniger kirchliche Autoritäten vor Ort einwirken können, desto eher machen sich solche Vorstellungen selbständig und steigen in den Rang von Tatsachen auf. So war es in Weiach kurz nach der Reformation, in den 1530er-Jahren. Die Kaiserstuhler waren wieder zum katholischen Glauben zurückgekehrt (vgl. WeiachBlog Nr. 1543). Misstrauen keimte zwischen ihnen und den Weiachern auf. Die katholischen Priester und Kaplane hatten im refomierten Gebiet nichts mehr zu sagen und gleichzeitig war reformierte Seelsorgearbeit Mangelware. Gerade in Weiach. Vor 1540 hatten die Weiacher nicht einmal einen eigenen Pfarrer und auch danach wohnte er nicht im Dorf:

«1539 folgt plötzlich wieder eine große Scheiterhaufen-Exekution nach Reichs- und kaiserlichen Rechten (d. h. nach römischem Recht) gegen drei Hexen auf einmal, Anna Hämmerli, Schlotterelsi und Kilchhensin, alle drei von Weyach. Entscheidend sind hier wiederum nicht die wenig begründeten Anklagen, sondern die eigenen mit Hülfe der Folter erwirkten Geständnisse, so unglaublich und einander widersprechend sie auch erscheinen. Jede hat sich dem Teufel ergeben, der aber jeder in anderer Kleidung und mit anderm Namen, Arlibus, Belzibock und Karlifas erschien. Alle drei wollen auf Wölfen in der Charfreitagsnacht gegen Zurzach hin auf einen hohen Berg (welchen eine Steickhart, die andere Sanzenberg nennt; letzterer liegt südlich von Kaiserstuhl, noch im Kanton Zürich) geritten, daselbst mit ihren [Wechsel S. 39/40] drei Teufeln gegessen und getrunken und Landhagel gemacht haben, wie sie überhaupt seit zehn Jahren alle Ryffen und Hagelwetter der Gegend verursachten (Nachgänge, Richtbuch, Nr. 255, Fol. 45).» (Schweizer, ZTB 1902, S. 39/40)

Es dürfte wohl auch diesem Prozess geschuldet sein, dass die Zürcher Regierung 1540 zur Einsicht kam, es sei wohl unabdingbar, den Weiachern endlich einen eigenen Pfarrer zu spendieren.

Wolfsritte für ein paar hundert Meter Luftlinie? Lohnt sich das?

Was die per Wolf zurückgelegten Entfernungen betrifft, so waren die drei Weiacherinnen höchst bescheiden. Denn der bei Paul Schweizer «Steickhart» genannte Berg wird 1890 in der NZZ als «Schleikhard» bezeichnet. Die heutige Bezeichnung ist «Schleikert», ein Hügel auf dem Südufer des Rheins gegenüber der Burgruine Weisswasserstelz. 

Die NZZ erläutert die Örtlichkeit mit der Fussnote «Steil zum Rhein abfallender Höhenzug». Und der weiteren Erläuterung im Lauftext: «Damals führte noch keine Straße unten herum, dagegen war der heute noch begangene Weg über des Schleikhard's bewaldeten Buckel vorhanden, der auf der Morgenseite zum Tobel der „Hölle“ hinuntersteigt, durch welches der „Fisibach“ mühsam den Weg zum Rheine findet.» (E.M.: Historische Erzählungen. In: Neue Zürcher Zeitung, Nummer 199, 18. Juli 1890, Zweites Blatt, S. 2).

Vom Weiacher Dorfzentrum auf den Schleikert sind es gerade einmal dreieinviertel Kilometer. Und dass der Sanzenberg noch viel näher liegt, das muss einer Weiacher Leserschaft nun wahrlich nicht erläutert werden.

Geständnisse sind aktenkundig

Wie man in den Transkripten von Otto Sigg, alt Staatsarchivar, aus den Jahren 2012/13 sehen kann, haben diese drei Weiacherinnen ihr Todesurteil sozusagen selber geschrieben. [Die Zitate in diesem Abschnitt stammen alle aus dem Verhörprotokoll vom 26. Juni 1539 (StAZH B VI 255, fol. 45r ff.).]

Eigentlich war es wie noch zu Zeiten von Anna Winkelmann. Ohne Geständnis hätte man die drei Frauen aus Weiach nicht verurteilen können. Wie auch? Es gibt ja keine unwiderlegbaren Sachbeweise. 

Aber Anna Hämmerli gab halt eben zu, etwas mit Wölfen angestellt zu haben: 

«Item, so seien sie auch alle drei eines Males auf Wölfen geritten auf einen hohen Berg, haben also eine Wollust oder Kurzweil gesucht und seien auch miteinander zu Rat geworden, einen ganzen Landeshagel zu machen. Doch sei die Sache ihnen gefehlt [fehl gegangen] und habe der Hagel nun hin und her geschlagen.

Item, so habe sie, auch Els Kellerin, so man nennt Schlotter Elsi, und Kirchhensin, den ferndrigen [letztjährigen] grossen Reif in einer weiten Heide auf einem hohen Berg, so gegen Zurzach abhin liege, gemacht. Und nämlich, als der Böse gesagt habe, er wollte ihnen wohl dazu verhelfen, dass sie allen Wein in der Gegend um Kaiserstuhl verderbten: solchem bösen Eingeben haben sie abermals gefolgt und haben zwei Mal, nämlich am hohen Donnerstag in der Nacht früh und in der Nacht vor dem stillen Freitag, des Teufels Rat vollstreckt, daraus dann gemeldete Reife gefolgt seien.»

Da ist es also, das Geständnis, sie seien auf einen Berg nahe Kaiserstuhl geritten und hätten dort mit Hilfe ihres Geliebten, eines Teufels, um die Zeit des Karfreitags einen verheerenden Frosteinbruch verursacht. Die von Hämmerli beschuldigte Elsa Keller, genannt Schlotterelsi, bestätigte das auch noch (möglicherweise aufgrund von Suggestivfragen):

«Und hätten sie ein Reifli, doch nicht gross, gemacht auf einem Berg, so gegen Zurzach abhin liege und Steighart heisse. Welcher [dieser] Reif sei um die Stadt Kaiserstuhl gelegen und [sei] nicht über [den] Rhein gekommen.

Item, so ist sie gichtig [geständig] geworden, dass sie den ferndrigen [letztjährigen] Reif auf genanntem Berg der Kirchhennsin und der Hämmerlin habe geholfen zu machen. Und sie haben alle drei das zwei Mal, mit Namen an des hohen Donnerstags Abend [Vortag des hohen Donnerstags] in der Nacht auf dem Steighart Berg und an des stillen Freitags Abend [Vortag von Karfreitag] in der Nacht auf Legishalden, aus des Teufels Anrichten getan und gemacht.»

Sollte mit dieser Legishalden eine Flur auf dem heutigen Gemeindegebiet von Dübendorf, nördlich Gockhausen über dem S-Bahn-Tunnel Stettbach-Stadelhofen, gemeint sein, dann wäre die Benutzung eines Wolf-Taxis wenigstens etwas verständlicher.

Auch die Dritte im Bunde, Katrin Angst, genannt Kilchhensin, erzählte den Ermittlern etwas von Wolfsritten:

«Item, weiter hat sie gesagt, wie sie drei auf Wölfen auf den Happenstab geritten seien, [Wölfe], die ihnen der Teufel gebracht habe. Und [sie haben] darauf [auf dem Happenstab] gegessen und getrunken, und ihrer jede sei daselbst bei ihrem Buhlen gelegen.

Item, mehr hat sie gesagt, wie es sich gegeben habe fern [im letzten Jahr, d.h. 1538], da seien sie drei am Mittwoch zu Nacht vor dem Hohen Donnerstag auf dem Santzenberg zusammen gekommen, desgleichen am Hohen Donnerstag zu Nacht seien sie drei aber[mals] zusammen gekommen auf dem Stein oben. Da sei der Böse jederer Buhle zu ihnen gekommen und habe sie etwas [zu] stampeneien gelehrt. Das haben sie getan und also die zwei Reifen gemacht am Hohen Donnerstag und am Karfreitag.»

Wo sich dieser «Happenstab» befunden haben könnte, ist dem WeiachBlog-Redaktor nicht bekannt. Dafür aber weiss jeder Weycher und jede Weycherin ganz genau, wo sich der «Stein» befindet. Das war und ist nämlich neben dem Sanzenberg und dem Haggenberg einer der drei Hausberge des Dorfes.

Was sind Stampeneien?

Diesen Begriff findet man im Schweizerdeutschen Wörterbuch Idiotikon (Id. XI, 449): «Dann da [beim 'Besägnen und Lochßnen'] werden gebraucht der Phantaseyen und Stempeneyen, Worten und Zeichen von so seltzamer wunderlicher Art... Gwerb 1646.» Gemeint sind also Handlungen, die zu Unfug, Schwierigkeiten, Lumpereien, etc. führen.

Und dann wird im Wörterbuch explizit der Weiacher Kriminalfall herangezogen: «Bes. von Teufels- und Hexenwerk. "Etwan by zechen jaren hab sy ein kleins ryffli gemacht, und namlich iren der böß etwas stämpeneyen zetuon angeben, daruß gemelt ryffli erfolget.» 1539, Z RB. "Deszglychen am hochen dornstag [Anm. WeiachBlog: donnstag] znacht sygint sy dryg aber zuosammen kommen uffem Stein oben; da syge der böß jettlicher buol zuo innen kommen und sy ettwas stämpeneyen geleert.»

Das Kochrezept, einen Frost herbeizuhexen

Im Einvernahmeprotokoll (StAZH A 27.159), d.h. den Voruntersuchungen durch die Nachgänger, ist notiert, wie man sich solche Stämpeneien konkret vorstellen kann:

«[Erwirken eines Reifs, um die Reben in der Gegend um Kaiserstuhl zu verderben]: Der Böse [habe] sie [die drei Angeklagten] also geheissen, eine Pfanne [aufzusetzen] und darin Wein und Milch zu tun und demnach mit einer Rute darin, so sie es [den Wein und die Milch] über das Feuer haben, zu schlagen, also über aus ins Feuer zu spritzen und verbrennen zu lassen. Das haben sie zweimal, nämlich am Hohen Donnerstag in der Nacht früh und in der Nacht vor dem stillen Freitag, getan, und auch zu solchem Eis genommen und das zerschlagen, daraus dann gemeldeter Reif gefolgt sei.» (zit. aus Sigg 2012, S. 29/30)

Quellen und Literatur
  • Schweizer, P.: Der Hexenprozess und seine Anwendung in Zürich. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1902 - S. 1-63.
  • Lorey, E. M.: Wie der Werwolf unter die Hexen kam. Zur Genese des Werwolfprozesses. URL: https://www.elmar-lorey.de/werwolf/genesetext.htm  [Stand: Juli 2004, ca. 50 Druckseiten]
  • Sigg, O.: Hexenprozesse mit Todesurteil. Justizmorde der Zunftstadt Zürich. Vom bösen Geist in Stadt und Land Zürich und im aargauischen Kelleramt. Dokumentation zu den 79 mit Todesurteil endenden sogenannten Hexenprozessen im Hoheitsgebiet der Stadt Zürich 1487-1701. Auf Grund von Quellen des Staatsarchivs Zürich bearb. durch Otto Sigg. 1. Aufl., Druck: Buchmodul.ch, Frick 2012. 2. Aufl., Offizin Verlag, Zürich 2013.
[Veröffentlicht am 1. Juli 2023 um 00:32 MESZ]

Keine Kommentare: