Montag, 14. November 2005

Vor 15 Jahren: Absturz Alitalia AZ 404

CFIT. Vier Buchstaben für eine Tragödie in der Luftfahrt. Heute abend vor genau 15 Jahren spielte sich ein solch fatales Ereignis auf Weiacher Gemeindegebiet ab.

CFIT bedeutet in der Fliegersprache "Controlled Flight Into Terrain". Die Passagiere der DC 9-32 der Alitalia mit Kursnummer AZ 404 ahnten bis kurz vor ihrem Tod nicht, in welcher Gefahr sie schwebten.

Den beiden Piloten erging es kaum anders. Ihnen war ein fataler Fehler unterlaufen. Sie waren zwar auf der richtigen Anflugachse zur Piste 14 des Flughafens Zürich-Kloten, nur eben 300 Höhenmeter zu tief. Einer der beiden Höhenmesser zeigte falsche Werte an - und der Captain entschied sich fatalerweise dafür, das zweite, korrekte Angaben liefernde Gerät auszublenden. Ob der Copilot etwas geahnt hat? Wenige Sekunden vor dem Crash leitete er ein Durchstart-Manöver ein, wurde jedoch vom Captain zurückgepfiffen. Eine Verkettung unglücklicher Umstände.

Um 19:11:18 Uhr Lokalzeit [Nachtrag vom 30.6.2015: Korrekt wäre «19:11:18 UTC», also 20:11:18 Lokalzeit] kam es im Gebiet Surgen südlich des Dorfkerns von Weiach zum Zusammenstoss mit dem Terrain. Bäume splitterten. Das Flugzeug wurde zerrissen. Ein Feuerball stieg zum Himmel. Das Inferno. Innert weniger Sekunden starben alle 46 Menschen, die an Bord waren.

Ausnahmezustand

Die Explosion, der Feuerball, der ganze Schrecken dieser Unglücksnacht sind allen damaligen Einwohnerinnen und Einwohnern von Weiach bis heute in Erinnerung geblieben. Die Kirchenpflege tagte an diesem Abend, der Pfarrer wunderte sich, dass "das Militär schiesse" und kurz darauf ging die Feuersirene.

Von da an war nichts mehr wie vorher. Es herrschte der Ausnahmezustand - für Tage. Der Name "Weiach" lief über die Ticker der Weltpresse. Ganze Horden von Medienleuten und Gaffern machten sich bereits in der Unglücksnacht auf den Weg in die Nordwestecke des Zürcher Unterlandes - frei nach dem Motto "gemma Katastrophe schauen".

  • Alitalia DC-9 Crashes into Swiss Hillside, Burns; 46 Dead. In: The Associated Press , 14 November 1990.
  • Survivors unlikely in Italian Air Crash near Zurich. In: Reuters News, 14 November 1990.
  • 46 die after jetliner crashes into hillside. In: The Pantagraph Bloomington, IL , 15 November 1990.
  • World Briefings. In: Chicago Sun-Times , 15 November 1990.
  • Jetliner crash kills 46 in Switzerland. In: Houston Chronicle , 15 November 1990.
  • Alitalia Jet crashes near Zurich, killing all aboard. In: Los Angeles Daily News , 15 November 1990.
  • Crash near Zurich kills all 46 aboard Italian airline flight from Milan goes down in flames; cause sought. In: The News & Observer Raleigh, NC , 15 November 1990.
  • Jetliner Crashes Into Swiss Hillside, Killing 40 Aboard. In: Tulsa World , 15 November 1990.
  • Italian jet crashes near Zurich airport; 46 killed. In: Chicago Tribune , 15 November 1990
  • Alitalia Airliner said to have been on fire before crash. In: Reuters News, 15 November 1990.
  • Pilot error may have caused Zurich air crash, airport spokesman. In: Reuters News, 15 November.
  • Plane disintegrated in Zurich air crash, bodies unidentifiable. In: Reuters News, 15 November 1990.
  • Crashed Italian Airliner was flying too low - airport official. In: Reuters News, 15 November 1990.
  • Italian Airliner crashes at Zurich, killing all 46 on board. In: Reuters News, 15 November 1990.
  • 46 feared dead in Zurich air crash. In: The Times, 15 November 1990.
  • Italian jetliner crashes in Switzerland; all 46 aboard killed. In: The Dallas Morning News , 15 November 1990.
  • Italian DC-9 Jetliner Crashes and Burns in Switzerland; 46 Aboard Die. In: Los Angeles Times , 15 November 1990.
  • 46 Die as Italian Jet Crashes Near Zurich. In: Newsday , 15 November 1990.
  • Jet crash kills 46 near Zurich. In: St. Louis Post-Dispatch, 15 November 1990.

Bis nachts um 2 Uhr bewachte die Ortsfeuerwehr Weiach die Zufahrtsstrassen aus dem Dorfkern zum Unglücksort. Dann wurde sie von einer Armeeeinheit abgelöst. Kantonspolizei und Militär sperrten danach noch über Tage hinweg das ganze Gelände hermetisch ab. Die Kantonspolizei errichtete einen mobilen Kommandoposten ausserhalb von Raat.

In den Nächten brannten vor und in vielen der zur Absturzstelle gerichteten Fenstern im Dorf Kerzen. Die Betroffenheit, das Entsetzen über die unfassbare Katastrophe waren gross. Und allen wurden die Risiken des unfreiwilligen Lebens in der Anflugschneise erneut vor Augen geführt. So etwas vergisst man nicht.

Auch nach 15 Jahren nicht vergessen

Längst herrscht wieder business-as-usual auf dem Flughafen. Der Wald ist wieder über die von der Maschine geschlagene Schneise gewachsen. Nur ein schlichter Gedenkstein und ein Holzkreuz an einer Forststrasse im Wald oberhalb der Verbindung Weiach-Raat erinnern die Nachwelt an das Unglück. Die Angehörigen der Toten haben aber nicht vergessen, was vor 15 Jahren geschah. Viele besuchen in diesen Tagen den Absturzort, beten und entzünden Kerzen zum Gedenken - Jahr für Jahr.

Aber auch die Einheimischen haben das Ereignis nicht vergessen. Praktisch jede(r) weiss, was er/sie damals gemacht hat, als das Verhängnis, der CFIT, das Gemeindegebiet traf. Auch wir gedenken heute der Unfallopfer. Möge so etwas nie wieder geschehen.

Quellen und Literatur
  • 91990E2922 - Schriftliche Anfrage Nr. 2922/90 von Frau Cristiana Muscardini an die Kommission. Flugzeugkatastrophe von Stadel Weiach Celex, 8 July 1991, 116 words, (German) Publikationsreferenz: EU-Amtsblatt NR. C 177 vom 08/07/91 S. 0013.
  • Lawton, R.: Captain Stops First Officer's Go-around, DC-9 Becomes Controlled-flight-into-terrain (CFIT) Accident. In: Accident Prevention, Vol. 51, No. 2, Februar 1994
  • Kreuzer, H.: Absturz. Die tödlichen Unfälle mit Passagierflugzeugen in Deutschland, Österrreich und der Schweiz (seit 1950). Erding, 2002. [Kapitel über DC-9 I-ATJA s. S. 221-232]
  • Flugzeugabsturz vom 14. November 1990 in der Wikipedia

Spätere Medienberichte

  • Aviation World Insurance Report. In: Financial Times Business Information Ltd., 31 January 1992, 14.11.90.
  • Schweizer Fernsehen (Hrsg.): Flugzeugabsturz der DC-9-32, ALITALIA, Flugnr. AZ 404, I-ATJA, am Stadlerberg, Weiach/ZH, vom 14.11.90. Sendung DOK am Fernsehen DRS vom 19.3.1992. Dauer: 60 min. Zürich, 1992.
  • Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (Hrsg.): Schlussbericht der Eidgenössischen Flugunfall-Untersuchungskommission über den Unfall des Flugzeuges DC-9-32, ALITALIA, Flugnr. AZ 404, I–ATJA am Stadlerberg, Weiach/ZH, vom 14. November 1990. Nr. 1990/57 – 1457. Bern, 1993.
  • TRIBUNAL FÉDÉRAL - ALITALIA N'OBTIENDRA PAS SES MILLIONS. Aiguilleurs du ciel blanchis. En novembre 1990, un DC-9 italien avait raté son atterrissage à Kloten. Bilan: 46 morts. Erreur des pilotes ou des contrôleurs aériens au sol? In: 24 Heures und Tribune de Genève, 4. Juni 1999.
  • Zürcher, P.: Die Urne ist in Amerika, das Grab am Stadlerberg. Weiach / Vor zehn Jahren stürzte eine DC-9 der Alitalia am Stadlerberg ab – für die Angehörigen begann damit eine schwere Zeit. In: Zürcher Unterländer, 17. November 2000.
  • Gedenkfeiern für die Stadlerberg-Opfer. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit am Stadlerberg und in Kloten. In: Neues Bülacher Tagblatt, 20. November 2000.
  • Der Lotsen-Mord Skyguide (ehemals Swisscontrol) - Das Unheil begann am Stadlerberg. Blick, 26 February 2004.
  • Heute vor 15 Jahren. Tödlicher Irrtum am Stadlerberg In: Der Landbote (Winterthur), 14. November 2005 - S. 36 (vom Redaktor fast wörtlich aus der Wikipedia übernommen - so begegnet man seinen eigenen Texten wieder)

8 Kommentare:

nie aufgeben! hat gesagt…

Hallo Ueli!
Der 14. November 1990. Ein Blick in meine damalige Agenda - nichts Aussergewöhnliches eingetragen - ausser vielleicht, dass der 14.11. für mich noch sonst eine spezielle Bedeutung hat - aber das tut hier nichts zur Sache. Ein paar Tage zurückgeblättert - ohje...
7. November 1990: Flug Hawai-San Francisco
8. November 1990: Flug San Fran - Chicago - Zürich
9. November 1990: Ankunft in ZRH-Kloten 11.20h
Das waren meine ersten, völlig unbeschwerten USA-Ferien - 2 Wochen per Wohnmobil durch CA + 1 Woche Hawaii...
Manchmal denke ich, wir haben im Leben öfters Glück als wir es uns bewusst sind.
Danke für den Artikel - hoffentlich hat sich der Landbote-'Journi' ebenfalls bei dir bedankt...?
Und was hast du damals gerade gemacht?

Wiachiana-Verlag hat gesagt…

Was ich damals gerade gemacht habe? Das war ein ganz normaler Tag eines Studenten. An diesem Abend war ich zuhause in meinem Zimmer am Lernen - bis um 19:11 jedenfalls.

Wiachiana-Verlag hat gesagt…

Beim Bericht des Büros für Flugunfalluntersuchungen handelt es sich selbstverständlich nicht um einen Pressebericht.

Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (Hrsg.): Schlussbericht der Eidgenössischen Flugunfall-Untersuchungskommission über den Unfall des Flugzeuges DC-9-32, ALITALIA, Flugnr. AZ 404, I–ATJA am Stadlerberg, Weiach/ZH, vom 14. November 1990. Nr. 1990/57 – 1457. Bern, 1993.

Man kann das Dokument auch online abrufen unter: http://www.bfu.admin.ch/common/pdf/1457l

Wiachiana-Verlag hat gesagt…

Auch im ZRHWiki gibt es einen Artikel über den Absturz.

Wiachiana-Verlag hat gesagt…

Siehe auch den Beitrag «Der Absturz auf Angstflug.de, ZRHwiki und Wikipedia», der weitere Überblicksartikel zum Thema vorstellt.

frank huibers hat gesagt…

i was sceduled on that flight but decided in milan to reroute and fly directly to brussels, without my usual stops.
Extreme weird experience when you find out at home that your intended flight crashed without survivers!!

The Perfect Getaway hat gesagt…

Ich war bis 1980 Stationierter der KAPO in Weiach. Zur Unglueckszeit wohnte ich in Oberglatt. Ich hatte am Abend des 14.11.1990 mein Funkgeraet eingeschaltet und empfing deshalb die allerersten Meldungen ueber die Katastrophe. Als Diensthundefuehrer wurde ich vorerst zu Ueberwachungsaufgaben aufgeboten. Durch meine Verbindungen zur Heerepolizei wusste ich, dass sich das HP Battalion im Dienst befand und machte die Einsatzleitung darauf aufmerksam. Promt wurde die HEPO zur Verstaerkung der KAPO angefordert. Mich hat die Einsatzleitung dann damit beauftragt, in Weiach die Underkunft der Heerespolizei zu organisieren. Ich kann mich nicht mehr an Details erinnern aber ich erinnere mich noch sehr gut wie alle Beteiligten Behoerden und deren Vertreter ausgesprochen hilfsbereit und gastfreudlich reagierten um den Soldaten bestmoeglichste Bedingungen zu bieten.

Anonym hat gesagt…

Hörte auf dem Weg nach Hause plötzlich Sirenen für einen allgemeinen Alarm, diese kamen vom Gebäude der Bülacher Feuerwehr. Daheim schaltete ich das Radio ein, die Sendung wurde unterbrochen mit der Mitteilung, dass bei Weiach eine Maschine abgestürzt sei. Ich informierte meine Nachbarn, die wenige Sekunden danach von der Kapo Zürich zum Einsatz aufgeboten wurden.
Viele Jahre später erzählte mir ein junger Italiener aus Nassenwil, dass seine Eltern auf diesem Flug gebucht hatten - doch sie verpassten in Mailand das Einchecken...

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