Freitag, 14. August 2020

Fasnachtflue. Falsche Geolokalisierung mit Folgen

Im Rahmen des von 2016 bis 2022 laufenden Projekts Die Siedlungsnamen des Kantons Zürich (TopZH) wird an einem Weiacher Beispiel ein praktisches Problem der Kartographie offensichtlich.

Es geht um die Frage, wie man einen Flur-, Siedlungs- oder Ortsnamen auf dem Kartenblatt korrekt platziert. Dabei hat der Zeichner der Karte ein Optimierungsproblem: soll er/sie versuchen, möglichst wenig dargestellte Information zu verlieren, oder soll versucht werden, einen Flurnamen gegen alle Regeln der Ästhetik und gegen Kriterien der Lesbarkeit (also notfalls auch über Signaturen von Häusern hinweg) historisch korrekt zu verorten?

Wo zum Kuckuck setze ich den Namen auf die Karte?

Das Problem tritt vor allem dann auf, wenn gebaut wird, wenn also z.B. Strassen neu ein bisher kartographisch unzerteiltes Gebiet durchschneiden. Dann muss der Flurname in die Lücke zwischen die neuen Strassen platziert werden. So geschehen im Hasli nach dem Bau der neuen Flurstrassen. Ein ähnliches Problem trat in der Chälen auf, als die zunehmende Überbauung des westlichen Teils der Geländemulde, in der der Weiacher Dorfkern liegt, den Flurnamen «Chrieg» auf eine der wenigen noch landwirtschaftlich genutzten Parzellen nahe der Riemlistrasse verwies. Und damit noch weiter weg von seiner historischen Verortung im 19. Jahrhundert (gemäss Topographischer Karte des Kantons Zürich, sog. Wildkarte).

In all diesen Fällen ist für Betrachter einer neuen Karte nicht ersichtlich, dass da eine Verschiebung erfolgt ist. Und folgerichtig wird er/sie dann annehmen, dass der Schwerpunkt der Bezeichnung auf der Karte auch der tatsächlichen Lage dieser Flur entsprechen müsse.

Im Gebiet des ehemaligen Bahnhofs Weiach-Kaiserstuhl sieht man die Diskrepanz zwischen der Lokalisierung eines Flurnamens und der Namensgebung einer neuen Strasse: Der Schwerpunkt des Flurnamens ist kartographisch nach wie vor korrekt platziert. Die Namensgebung «Im See» für die neue Sackgasse auf dem Areal des früheren Restaurants Bahnhof erweckt durch die Präposition den Eindruck, der See sei exakt dort zu finden gewesen, wo sich heute die gleichnamige Überbauung befindet. Hier hat die Gemeinde geschnitzert. In den obigen Fällen die Swisstopo.

Zu entschärfen ist das Problem wohl nur dadurch, dass man einem Flurnamen eine Koordinate (oder ein von einem Polygonzug umgrenztes Gebiet) zuordnet, die der Darstellung hinterlegt ist und in Zweifelsfällen abgerufen werden kann (vgl. das Beispiel des Ortsteils Chälen).

Fasnachtflue falsch geolokalisiert

Im Falle «Fasnachtflue» handelt es sich um einen offensichtlichen, in neuerer Zeit aufgetretenen Zuordnungsfehler, wie man anhand der verfügbaren Quellen belegen kann.

Die abgebildete Karte zeigt, wie der Flurname Fasnachtflue auf die Karte gelegt wurde:


Das Lokalisierungssymbol steht auf derjenigen Koordinate (675600/267850), die indirekt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (vor 1958) von Prof. Bruno Boesch ermittelt wurde. Er hat Karteikarten für jeden Flurnamen angelegt (vgl. die Karten 11 und 20 für Weiach; vgl. StAZH O 471.1 Sammlung der Orts- und Flurnamen des Kantons Zürich, Belege 1951-1977):



Weiter hat Boesch diese Weiacher Flurnamen 1958 auf einem Plan im Massstab 1:5000 lokalisiert (Ausschnitt für die obigen Namen; StAZH O 471.2; Flurnamenpläne):


Wie man sieht, zieht Boesch die Fasnachtflue sozusagen halb auf das Plateau hinauf, was Alteingesessene (wie auch der hier Schreibende) allerdings anders sehen. Unklar ist jedenfalls, ob Boesch den Plan auch seinem Gewährsmann Alb. Meierhofer (vgl. Belegkarte 1; mutmasslich der damalige Gemeindepräsident Albert Meierhofer-Nauer) vorgelegt hat.

Unabhängig davon ist folgende Feststellung: Bei einem Vergleich mit dem auf dem GIS des Kantons Zürich (maps.zh.ch) hinterlegten Plan zur Karte der Landestopographie 1956/65 wird klar, dass die Höhenkurve, die Pt. 504 umschliesst, eindeutig ausserhalb der Boesch'schen Fläche «Fasnachtflue 11» liegt.


Der Schwerpunkt dieser Fläche «Fasnachtflue 11» dürfte auf die im ZHbr-Datensatz (auf ortsnamen.ch) angeführte Koordinate zu liegen kommen:


Aus dem Eintrag auf dem Reiter ZHbr geht klar hervor, dass es sich bei diesem Flurnamen nach Meinung der Gewährsperson(en) um den Hang östlich oberhalb des Ortszentrums von Weiach handelt. 

Diese Flur liegt eindeutig unter dem Gipfelpunkt und schliesst diesen nicht mit ein, sonst würde es nicht heissen «I de Fasnachtflue», sondern «Uf de Fasnachtflue». 

In die gleiche Richtung verweist der am Jahr 1560 verankerte Beleg «wÿngarten ... an der Faßnacht fluo» aus StAZH F II a 318 (einem Urbar des Amtes Oetenbach). Denn Rebberge setzt man in aller Regel an Hänge, nicht auf Hügel.

Kongruent dazu äussert sich Walter Zollinger, Ortschronist und langjähriger Weiacher Lehrer (1919 bis 1962) in seiner 1972 erschienenen Monographie zur Ortsgeschichte (vgl. S. 85):

«Ebnet»: «oberhalb Büchlihau, rechts der Strasse»
«Fasnachtflue»: «unterhalb Ebnet»

Wie in alten Zeiten üblich werden die Flurnamen in ihrer relativen Lage zueinander eingeordnet. Vom Dorfzentrum aus gesehen liegt der Ebnet tatsächlich rechts der Büechlihaustrasse. Auch der Niveauunterschied zwischen Fasnachtflue und Ebnet wird eindeutig betont. Die Flue liegt «unterhalb» des Plateaus.

Die Landestopographie war früher anderer Meinung

Dazu passt auch die Angabe auf alten Karten der Landestopographie, die auf map.geo.admin.ch über die «Zeitreise» verfügbar sind:

Von 1882 bis 1955 war die Fasnachtflue auf den offiziellen Karten des Bundes noch als «Fastnachtflue» verzeichnet, erst seit 1956 in der heutigen Schreibweise ohne «t». Unabhängig von der Schreibweise war die Platzierung an der korrekten Stelle, nämlich im Bereich des Abhangs. Das blieb so bis 1993.

Beim Wechsel auf 1994 wurde der Ortsname «Weiach» vom Osten des Dorfzentrums in den Süden desselben verschoben und der Flurname «Fasnachtflue» hüpfte gleichzeitig Richtung Norden. Gut möglich, dass der Kartograph sich einerseits an der Platzierung über der Rebensignatur gestört hat und sich andererseits durch die Bezeichnung «Flue» dazu animiert sah, einen (seiner Meinung nach durch die Positionierung des Ortsnamens Weiach entstandenen) Fehler zu korrigieren.

Unter «Flue» wurde also in Wabern primär die Erhebung verstanden (wie das an vielen anderen Orten auch der Fall ist). Und eben nicht wie in Weiach in erster Linie der Abhang darunter. Konsequenterweise ist jetzt auch die Georeferenzierung in swissNAMES3D eine, die eindeutig auf den Punkt 504 verweist und die Objektart «Huegel» zuordnet:


Die von swisstopo angegebene Koordinate (675749/267826) ist exakt dieser Punkt 504.

FAZIT: Wie an alten L+T-Karten, der Historischen Belegsammlung von Flurnamen (Fundstelle von 1560; vgl. StAZH O 471.3-4), sowie der ortshistorischen Literatur (Zollinger 1972) aufgezeigt werden kann, ist diese neue Lokalisierung jedoch eindeutig falsch. Und sie hat bereits zu sekundären Fehlinterpretationen geführt.

Fehlinterpretationen folgen auf dem Fuss

Ohne die Umfunktionierung der Fasnachtflue zum Hügel wären die Bearbeiter/innen des Projekts Siedlungsnamen des Kantons Zürich in der Beschreibung zum Ortsnamen Weiach nicht auf die folgende Interpretation gekommen: «Auf dem Gemeindegebiet finden sich Überreste prähistorischer Siedlungen (Fasnachtsflue, Winkelwiesen), [...]» (Hervorhebung: WeiachBlog).

Bislang war in allen Publikationen (auch den neueren der Zürcher Kantonsarchäologie) klar, dass die Wallanlagen auf dem Hügel unmittelbar oberhalb des Dorfkerns den Flurnamen «Ebnet» tragen. Die noch weiter östlich gelegene Felsformation mit der besser erhaltenen Wall-Graben-Anlage wird «Wörndel», wahlweise auch «Leuenchopf» genannt.

Konzediert werden muss allerdings, dass die Kantonsarchäologie (in Archäologie im Kanton Zürich 2001-2002, Band 17 (2004) – S. 40) auch schon folgenden Titel gewählt hat: «Weiach. Fasnachtsflue, Leuenchopf/Wörndel. Prähistorische Siedlungsplätze. Geländebegehungen.» Mit Blick auf die Karte von Boesch (v. 1958) war diese Flurnamenzuordnung zu erwarten.

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