Dienstag, 22. Mai 2018

Gemeindepräsident Lenisa im Interview, Mai 1983

In den ersten Jahren der «Mitteilungen für die Gemeinde Weiach» (MGW) erschien «Unter uns», eine Interviewserie mit Personen des öffentlichen Interesses aus unserem Dorf (vgl. den Einführungsartikel WeiachBlog Nr. 784 vom 5. März 2010).

Dem letzten Interview (mit dem in Weiach stationierten Kantonspolizisten, erschienen am 6. März 2010) folgt nachstehend das erste Interview der Reihe.

Befragt wurde Mauro Lenisa, der Begründer der MGW und erste Gemeindepräsident von Weiach, der nicht von Geburt weg Gemeindebürger war. Lenisa wurde damit quasi zum Trendsetter, denn seit seiner Amtszeit ist das Präsidentenamt bis auf eine Ausnahme (Paul Willi) immer von Hierhergezogenen bekleidet worden, die gleich ihm bei Amtsantritt das Bürgerrecht erhielten.

Lesen Sie, was die Lokalpolitik damals vor 35 Jahren umgetrieben hat:

UNTER UNS...

In lockerer Folge wird auf dieser Seite berichtet werden aus unserer Gemeinde.

Heute z.B. über
Herrn Mauro Lenisa
Gemeindepräsident

23. Mai 1983
R. Brandenberger

R.B. - Herr Lenisa, wie kommt jemand mit Berner Mundart und einem italienischen oder romanischen Namen in eine Zürcher Gemeinde?

M.L. - Ich bin Berner Bürger und dort aufgewachsen - daher das Berndeutsch. ich kann aber auch Zürichdeutsch, wenn es gewünscht wird! Die Herkunft meines Namens wird noch von der Heraldischen Gesellschaft abgeklärt; das Wappen weist eher nach Norditalien. - In Bern machte ich den Abschluss als Elektroniker, kam dann nach Zürich zur Swissair und absolvierte noch das Abendtechnikum. Anstatt eines kleineren älteren Heimwesens mit Umschwung fanden wir hier schliesslich Bauland und eine neue Heimat. Nach Amtsantritt habe ich noch das Weiacher Bürgerrecht bekommen und bin sehr stolz darauf!

R.B. - Seit etwas mehr als einem Jahr sind Sie nun Gemeindepräsident. Würden Sie immer noch Ja sagen, wenn man sie nochmals anfragen würde, oder müssten Sie sich geraume Bedenkzeit erbitten?

M.L. - Ich würde ganz sicher wieder Ja sagen. Dieses Amt ist etwas vom Interessantesten und Erlebnisreichsten, was ich schon je getan habe. Es ist anregend der vielen Bereiche wegen, mit denen ich mich jetzt beschäftigen muss.

R.B. - Danke! Das hört man heutzutage nicht oft. Und für uns ist es ein grosser Vorteil!

M.L. - Ich weiss nicht...

R.B. - Doch, sicher! Eine positive Einstellung und Freude an der Arbeit beeinflusst doch immer deren Qualität und Ergebnis! -- Betrachten Sie die Tatsache, dass Sie im Dorf relativ "neu" sind, als Vorteil oder als Nachteil?

M.L. - Als Vorteil. Ich bin weniger an gewisse Randbedingungen gebunden. Bedürfnisse kann ich aus der Gemeinde heraushören, aber im Gemeinderat doch so entscheiden, wie ich es für richtig halte. Beispiel: hätte ich auch eigenes Land, wäre die Melioration für mich auch schwieriger. Ich kann auch Dinge aufgreifen, die für die Leute im Dorf längst selbstverständlich geworden sind, an die sie deshalb gar nicht mehr denken.

R.B. - In letzter Zeit denke ich oft, hätte ich doch nur besser gelernt auf der Schreibmaschine zu schreiben. Bringt Sie Ihre jetzige Situation auch auf ähnliche Gedanken?

M.L. - Das Maschinenschreiben ist für mich gottlob kein Problem, denn erstens habe ich eine Frau, die es gut kann, und zweitens eine Kanzlei, die sofort alles zackig erledigt. Als politischer "Nicht-Profi" kann ich natürlich nicht auf allen Gebieten "in" sein; dafür gibt es aber Kurse, z.B. über Nutzungsplanung und Bauwesen, über die Finanzen. Keine Kurse existieren über Melioration, dafür sehr viel Literatur. Der kantonale Gemeindepräsidentenverband organisiert sehr aktiv in eigener Regie Kurse ganz verschiedener Art, z.B. über das Leiten komplizierter Gemeindeversammlungen.

R.B. - Besteht vom Staat her ein Angebot an Kurs- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Gemeindeväter und Gemeinderäte?

M.L. - Eigentlich nicht; Zürich hat zwei Schulen, ferner die Handelshochschule St. Gallen (für finanzielle Belange), die regelmässig ihr Angebot präsentieren.

R.B. - Sind Sie der Ansicht, unsere staatsbürgerliche Ausbildung im Laufe verschiedener Schulen (inkl. RS) sei genügend?

M.L. - Nein, eindeutig nicht. Da Sie die RS erwähnen: Gerade dort liesse sich in dieser Hinsicht viel mehr bieten. Zu diesem Thema habe ich schon viel Material gesammelt und habe vor, künftig im Gemeindeblatt periodisch zu informieren über verschiedene staatsbürgerliche Einrichtungen.

R.B. - Wahrscheinlich ist es fast unmöglich, Ihre zeitliche Belastung durch die Gemeinde genau anzugeben. Wie liesse sich das umschreiben?

M.L. - Da sind zunächst die fixen Daten: Jeden 2. Dienstag Gemeinderatsitzung, mit Protokoll, Beschlüssen und Anträgen, dazu meist jede Woche am Montag Vorbereitungssitzung (ohne Protokoll und Beschlüsse) zur Information, Diskussion und Meinungsbildung. Ferner Kommissionsarbeiten und -sitzungen. Also: tägliches Arbeitspensum 3-4 Std. Ich achte darauf, nach Möglichkeit den Freitagabend frei zu haben. Samstag- und Sonntagmorgen sind meistens für Büroarbeiten, nachmittags frei; es sei denn, ich sei beansprucht von behördlichen Anlässen.

R.B. - Könnten Sie sich vorstellen, dass allenfalls [Ihre] Kinder unter Ihrem Amt zu leiden hätten? Und Ihre Frau?

M.L. - Ich glaube nicht, dass meine Frau unter dem Amt zu leiden hat - so schlimm ist es noch nicht! Ich glaube, auch die Kinder müssten es nicht, da ich ja mittags meistens heimkomme und abends erst an Sitzungen muss, wenn die Kinder ohnehin ins Bett müssen.

R.B. - Wenn Sie Zeit haben für sich, für ein Hobby - für welches dann?

M.L. - Da sind zunächst einmal verschiedene Hausvaterpflichten, z.B. Gartenarbeiten. Dann bin ich Mitglied des Schiessvereins; ich gehe auch ab und zu fischen. Neben Weiterbildung bleibt auch etwa Zeit für ein Konzert (klassische Musik). Walter Minder und ich haben schon an Quartalskonzerte in der Kirche gedacht, bei denen man z.B. Musikstudenten Konzertmöglichkeiten anbieten könnte. Bedenken habe ich etwas vom Interesse her; versuchen können wir es ja trotzdem einmal!

R.B. - Wieder zurück zu den Amtsgeschäften: Von mir aus gesehen dürften die Nagra, die Melioration und der Zonenplan Ihre grössten Sorgen sein. Und von Ihnen aus?

M.L. - Von mir aus auch. Der Prioritätenplan sieht so aus: 1. Nagra, 2. Melioration, 3. Nutzungsplan. 

Die Melioration ist nun gerade an erster Stelle, da die beschlussfassende Versammlung unmittelbar bevorsteht. Beim Nutzungsplan sind zuerst die Probleme der zukünftigen Landwirte zu überdenken, vor allem jener Jungbauern, die in der Kernzone wohnen, oder Landwirtschaftlich genutztes Land innerhalb der Bauzone besitzen, und deshalb durch das Erbrecht, beim Generationenwechsel, die Gefahr des Aufgebens des Betriebes besteht.

Bei der Nagra ist das Hauptproblem, dass so schnell wie möglich wieder alles abgeräumt und normalisiert wird. (D.h. bis auf jene 1-2 m2, wo die Uni und die ETH noch ihre Messungen vornehmen wollen).

R.B. - Besteht ein Zeitplan?

M.L. -  Jawohl. Da die Granitschichten ca. 500 m tiefer liegen, geht die Bohrung schneller voran. Da wir bereits gut die Hälfte der Bohrung erreicht haben, könnte sie vermutlich im September fertig sein.

R.B. - Dann wird sofort abgeräumt?

M.L. - Ich hoffe es; das muss an der nächsten Sitzung der Aufsichtskommission abgeklärt werden. Das Bohrwerk kommt ohnehin sofort weg, da es andernorts wieder gebraucht wird.

R.B. - Sie sagten, Aufsichtsbehörde. Wie setzt sich diese zusammen?

M.L. - Sie ist vom Bundesrat bestimmt worden und wird auch von ihm beaufsichtigt. Sie besteht aus Vertretern der Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen, Bundesamt für Energiewirtschaft, Sektion Grundwasserschutz Bundesamt für Umweltschutz, Eidg. Fachkommission für die Nutzung geothermischer Energie Institut für Geophysik ETH Hönggerberg, Sektion III der Schweiz. Naturforschenden Gesellschaft, Leiter der Abteilung für Energiewirtschaft und öffentlicher Verkehr, Direktion der Volkswirtschaft des Kantons Zürich und dem Gemeinderat K. Griesser und ich. Weitere Teilnehmer werden nach Bedarf eingeladen. Diese Sitzungen sind in der Regel monatlich.
Im September wird der Gemeinderat nach Bern reisen. Wir konnten mit Herrn Bundesrat Schlumpf ein Treffen vereinbaren. Unter Anderem werden wir auch das Thema Energiepolitik anschneiden.

R.B. - Das tönt tatsächlich beruhigend: sozusagen postwendend Antwort aus dem Bundeshaus! -- Zum Schluss noch einige kleinere Fragen: Es ist bedauerlich und beschämend, dass seinerzeit versäumt wurde, unseren alten Presi öffentlich, mit allen Ehren zu verabschieden und ihm wenigstens symbolisch für die vielen Jahre treuer, grosser Arbeit zu danken. Ich erinnere mich nämlich, dass es seinerzeit binnen Stunden möglich war beispielsweise, für einen kaum flüggen Sportler ein Freudenfest zu organisieren... Das heisst nichts gegen den Sportler!

M.L. - Der Gemeinderat hat die Arbeit des alten Präsidenten gewürdigt und ihm jenes Bild geschenkt als anerkennendes Andenken, das er sich schon lange gewünscht hatte.

R.B. - Werden die beiden kleinen Weiher links und rechts der Raater Strasse tatsächlich trockengelegt? Und der Radweg bis hinauf nach Raat?

M.L. - Beide Weiher sind in Privatbesitz. Aus Haftpflichtgründen (Schadenforderungen) hat der Besitzer das Wasserrecht löschen lassen. Den unteren kleineren Weiher möchte der Gemeinderat auf alle Fälle erhalten. Es muss nun erst der Meliorationsentscheid abgewartet werden. ev. könnte die Gemeinde beide Mühliweiher erwerben und sanieren, aber das gäbe eine teure, umfangreiche Aktion. 

Ähnlich liegt das Problem beim Sagiweiher; eine Kommission klärt nun die Möglichkeiten ab, damit der Weiher ev. auch öffentlich zugänglich gemacht werden könnte. Diese Kommission stellt dann einen Antrag an den Gemeinderat. 

Aus Kostengründen wurde seinerzeit auch von einer Sanierung des alten Schwimmbades abgesehen; ich sähe jedoch die Möglichkeit, dass die geplante Schwimmbadanlage unter der Turnhalle entweder zu einem Saale und das Becken zu einem Zivilschutzraum (Lagerraum für Notverpflegung, Trinkwasser, Kommandozentrale) oder aber zum Sommer-Hallenschwimmbad würde, wenn die Fensterfront geöffnet und die Wiese davor benützt werden könnte.

Was den Radweg entlang der Stadlerstrasse betrifft, so wurde dieser anlässlich der Richtplanung festgelegt. Die Projektierung ist Sache des Kantons, ebenfalls der Landerwerb. Eine elegante Lösung wäre via Melioration, da hier auf Realersatz plädiert werden könnte!

R.B. - Welches war in Ihrem Amte bisher das schönste Erlebnis?

M.L. - Die Einweihung des Krankenheims in Dielsdorf: sie hat mich sehr gefreut und beeindruckt. Vor allem jene alten Frauen (z.T. in Rollstühlen), die zusammen noch ein Liedlein gesungen haben! - erfreulich ist auch immer wieder der Kontakt im Dorfe, obwohl meist Probleme dazu Anlass geben. - Schön und sehr eindrücklich war jener Besuch im grossen Gemeindewald mit dem Ober- und Gemeindeförster und die Feststellung, dass unser Förster sozusagen jeden Baum kennt und von ihm etwas zu berichten weiss! Einziger Nachteil: unser Wald ist überaltert. Das z.T. da oft die Besitzer jener Waldparzellen auch zur älteren Generation zählen und somit ihren Besitz unmöglich noch pflegen können. Bestünde hier nicht die Möglichkeit, dass Einwohner ohne Waldbesitz (aber Brennholz brauchen) bei jenen älteren Waldbesitzern Holz kaufen und holen würden? Dann wäre allen 3en geholfen: dem Wald, dem Besitzer, und jenem, der Brennholz braucht! Me müessti eifach rede mitenand...

R.B. - ... und im Gemeindeblatt kommt eine entsprechende Anregung! - 

M.L. - Damit wären wir auch beim schlechten Erlebnis: die schlechte Stimmbeteiligung. Beim letzten Wahlbericht habe ich oben eine persönliche "Widmung" angebracht; ich weiss nur nicht, ob sie auch beachtet wurde ...

R.B. - Sie würden also sagen, grössere Stimmbeteiligung sei Ihr grösster Wunsch an unsere Gemeinde?

M.L. - Ja, sicher, rede mitenand, guter Dorfgeist, und aktivere Stimmbeteiligung! - 

Quelle
  • Brandenberger, R.: Unter uns... Mauro Lenisa, Gemeindepräsident. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Juni 1983 – S. 29-32.

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