Mittwoch, 25. Juli 2018

Wie liefert man 28 3/4 Eier? Partizipationsscheine anno dazumal

Am 14. Februar 1610 tauschte «Heinerich Werdmüller der elter, burger zu Zurich» seine zwei Grund- und Bodenzinse von 5 Mütt ein Viertel Kernen, ein Fasnachthuhn, zwei Herbsthühner und 60 Eier vom Hof, genannt «des Pfiffers güetter» zu Weyach, und von vier Mütt minder drei Mässli Kernen, 9½ Viertel Haber, 19 Zürcher Schilling, zwei Herbsthühner, ein Fastnachthuhn und 28¾ Eier vom Meierhof zu Weyach mit Schultheiss und Rat von Kaiserstuhl gegen eine andere Kernengült. (Vgl. Aargauer Urkunden, Band XIII, Die Urkunden des Stadtarchivs Kaiserstuhl, Nr. 368.)

Hinweis auf eine Teilung?

Da ging es also um einen Handel mit Partizipationsscheinen zwischen einem Wohlhabenden aus der Stadt Zürich und der Stadt Kaiserstuhl als Gemeinde. Denn eine Gült war eine Schuldverschreibung, d.h. ein Wertpapier, das untrennbar mit dem Grundstück, auf das es ausgestellt wurde, verbunden war - und nicht etwa mit dem jeweiligen Eigentümer oder Pächter (Vgl. Brandenberger, U.: Eine Gült wechselt die Hand. Der Bauernhof der Familie Ringli – vor 600 Jahren eine Kapitalanlage. Weiacher Geschichte(n) 112. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, März 2009 – S. 10-12.).

Was hat es mit dieser seltsamen Zahl 28 ¾ auf sich? Die Stückelung von Partizipationsscheinen kann bekanntlich frei gewählt werden. Und diese Zahl könnte ein Hinweis darauf sein, dass es sich  bei dieser auf dem «Meierhof zu Weyach» lastenden Kernengült um eine von vier gleichlautenden Gülten gehandelt hat. Die zweimalige Verdoppelung ergibt nämlich eine gerade Zahl: 115 Eier.

Je nachdem wie alt die Gült zu diesem Zeitpunkt bereits war, entsprach dieser Viertel vielleicht tatsächlich noch einem der vier Bauernhöfe zu dem der einstige Meierhof aufgeteilt wurde. Oder bereits mehreren solcher Wirtschaftseinheiten. Den Rechteinhabern konnte das egal sein, denn das Inkasso war nicht ihr Problem.

Das Problem des Tragers

Für das Einkassieren des Coupons, also des in der Gült erwähnten Zinses, wandte sich der jeweilige Inhaber der Gült an den sogenannten Trager. Der war für's Einkassieren der fälligen Erträge zuständig (und haftbar). Damit lösten die Grundherren das Problem, dass immer häufiger ehemals grosse Einheiten (mit oder ohne ihr Einverständnis) durch Erbteilung zerstückelt wurden. In diesem Fall musste der Trager dann eben 4 x 28 ¾ Eier (oder deren Gegenwert) einsammeln.

Und wie soll man nun die in der zweiten Gült genannten ¾ eines Eies abliefern? Aus dieser Schwierigkeit ergibt sich, dass diese Eier zumindest entsprechend monetarisiert bzw. in andere Sachwerte umgerechnet wurden. Je näher wir unserer heutigen Zeit kommen, wurden die Zinsen solcher Gülten jeweils in eine Geldschuld umgewandelt.

Mütt, Viertel, Mässli?

Wer sich mit der Frage befassen will, welche Grössenordnung die obgenannten Getreidehohlmasse Mütt, Viertel und Mässli hatten, der sei auf das Historische Lexikon der Schweiz (e-HLS) und dort auf die Artikel von Anne-Marie Dubler verwiesen, so z.B. Dubler, A.-M.: Artikel Mässli. Historisches Lexikon der Schweiz (Stand 29.10.2009).

Da Masse, Gewichte und Geldeinheiten vor 1877 eine höchst lokal geprägte Angelegenheit waren und daher bspw. ein Mütt je nach Zeitraum und Landesgegend sehr unterschiedlich viel fassen konnte, müssen alle Umrechnungsergebnisse mit grösster Vorsicht behandelt werden. Gerade bei solchen Wertpapier-Tauschgeschäften mit Gülten wie dem von 1610, wo Erstellungsjahr und Ausstellungsort der Gülten nicht genannt sind, kann man lediglich von Bandbreiten ausgehen, vgl. dazu Wiachiana Dokumentation Nr. 2: Masse und Gewichte im alten Weiach.

[Veröffentlicht am 8. November 2018 um 10:59 MEZ]

Freitag, 13. Juli 2018

Ortsmuseum Weiach vor 50 Jahren eröffnet

Heute vor 50 Jahren hat unser Ortsmuseum zum ersten Mal seine Türen für das interessierte Publikum geöffnet. Im Eröffnungsjahr sind in zürcherischen Zeitungen mindestens fünf Artikel erschienen, die in der Zeitungsartikelsammlung des Staatsarchivs des Kantons Zürich verfügbar sind (StAZH III Pz Weiach):

  • Furrer, G.: Das Ortsmuseum Weiach stellt sich vor. In: Zürichbieter, 13. Juli 1968.
  • Furrer, G.: Eröffnung des Ortsmuseums Weiach. In: Zürichbieter, 18. Juli 1968.
  • Furrer, G.: Ein Weiacher Ortsmuseum. In: Neue Zürcher Zeitung, Mittwoch, 24. Juli 1968, Mittagausgabe Nr. 450 – S. 3.
  • Altes und Modernes im Ortsmuseum Weiach, dem «Liebert-Haus. Ausstellung Fritz Schmid in der «Galerie Liebert». In: Neues Bülacher Tagblatt, Nr. 232, 5. Oktober 1968.
  • Ortsmuseum und Galerie Weiach unter einem Dach. In: Tages-Anzeiger, 11. Okt. 1968.

Aus diesen greifen wir den NZZ-Artikel heraus, der damals in der Mittagausgabe (!) erschienen ist. Man stelle sich das einmal vor: drei Ausgaben pro Tag! Die Autorin, Gertrud Furrer, hat bereits 1967 im Zürichbieter über die Kirchenrenovation und den damit verbundenen Dokumentenfund in der Turmkugel berichtet (Zürichbieter, 8. August 1967).



«Bülach, 16. Juli. G. F. Nach jahrelangen Vorbereitungsarbeiten konnte am 13. und 14. Juli das Ortsmuseum Weiach der Bevölkerung vorgestellt werden. Noch kann die Sammlung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, doch verband die Kommission für das Ortsmuseum mit der ersten Besichtigung den Wunsch und die Hoffnung, aus Kreisen der Bevölkerung all das zu erhalten, was noch fehlt, um das Museum zu einer Quelle des Studiums von Weiachs Vergangenheit zu machen.

Das Haus, eines der ältesten Gebäude im Oberdorf von Weiach, konnte im Jahre 1966 durch die Gemeinde erworben werden. In unzähligen Frondienststunden wurde es im Innern soweit renoviert, daß die gesammelten Gegenstände ausgestellt werden können. Aus der ehemals rauchgeschwärzten Küche und den vernachlässigten Zimmern sind wohnliche Räume geworden, die zum Teil schon möbliert sind. Auf dem Bord in der Küche sind verschiedene Haushaltsgeräte aufgestellt. Der geschweifte Herd ist mit Kupferpfannen bestückt; neben dem Backofen stehen Geräte zum Brotbacken. In der Schlafkammer befinden sich Betten, Kleidungsstücke und Windlichter. Die Wand eines schmalen Gangs zieren Fruchtsäcke, landwirtschaftliche Geräte, ein Kuhjoch und vieles mehr. Auch der Tüchel aus Föhrenholz, Teil einer früheren Wasserleitung, der bei Grabarbeiten zum Vorschein gekommen ist, hat hier Platz gefunden.

In der Wohnstube befindet sich eine Sammlung alter Schriftstücke, unter anderem auch jene aus der Turmkugel, die bei der Renovation entdeckt wurden. Alt Lehrer W. Zollinger, Präsident der Ortsmuseums-Kommission, hat sie bereits ausgewertet. Anläßlich der offiziellen Eröffnung dankte er dem Gemeinderat von Weiach für den weitsichtigen Kauf des Liebert-Hauses, das als Ortsmuseum der jungen Generation vor Augen führen soll, wie es in früheren Jahrhunderten im Dorf ausgesehen hat. Gemeindepräsident Ernst Baumgartner sprach der Kommission im Namen der Gemeinde für ihre unermüdliche Sammeltätigkeit und die glückliche Renovation der Räume den herzlichsten Dank aus.

Viele Bewohner Weiachs haben dem Museum bereits einen Besuch abgestattet. Auch der Platz vor dem Haus war in die Ausstellung miteinbezogen worden. Hier standen drei alte Zifferblätter der Weiacher Kirche, die bei Restaurierungen entfernt worden waren, eine prächtige Kutsche, eine Sämaschine und eine Windfegemaschine, mit der die Spreu vom Weizen getrennt wurde. Ein halbfertiger Mühlstein, beim Straßenbau ans Tageslicht befördert, hat auf dem Hausplatz seinen festen Standort.

Nachdem das Ortsmuseum gewissermaßen offiziell aus der Taufe gehoben worden ist, werden die Schriften und Dokumente zur Restaurierung nach Zürich gegeben. Später hofft die Kommission, das Museum an einem bestimmten Sonntag im Monat regelmäßig öffnen zu können. Bis dahin wird die Sammlung wohl wesentlich erweitert sein.
»

Der im Februar 1967 von der Ortsmuseumskommission per Rundschreiben verbreitete Aufruf zur Mitarbeit am Ortsmuseum Weiach (vgl. WeiachBlog Nr. 1336 v. 1. Februar 2017) hatte erste Früchte getragen. Wie man den Zeilen Furrers ebenso entnehmen kann, ist das Ziel, das mit dem Ortsmuseum verfolgt werden sollte, heute nach wie vor dasselbe wie zu Gründungszeiten.

Nur die etwas zu ambitionierte Vorstellung, das Museum einmal pro Monat den Besuchern öffnen zu wollen, ist aufgegeben worden. Und das völlig zu Recht. Denn wie soll man die Besucher anlocken, wenn nicht regelmässig etwas Neues geboten und gezeigt wird. Die dem Leben früherer Zeiten nahen Themen, die Jahr für Jahr mit Liebe zum Detail kuratiert wurden und werden, machen den speziellen Charakter unseres Ortsmuseums aus. Sie sind das Erfolgsrezept, das sich wie ein roter Faden durch ein halbes Jahrhundert zieht.

Ebenfalls von Anbeginn an sind Kunstausstellungen, Vorführungen alten Handwerks in Feld, Wald und Küche ausgerichtet worden. In den letzten Jahren sind Stubeten hinzugekommen, für die das Ortsmuseum auch ausserhalb der traditionellen, herbstlichen Themenausstellung geöffnet wird: Museumskafi, Museumsfondue, Musikdarbietungen, Geschichtenerzähler, etc.

Dazu kommt 2017 und 2018 ein mehrteiliger Kurs im Weidenflechten. Er beginnt Anfang Januar mit Weidenschneiden rund um Weiach, führt über das Weidenputzen im Februar bis zu den Flechtarbeiten im Ortsmuseum im Monat Mai.

[Veröffentlicht am 31. August 2018 um 20:30 MESZ]