Bei in Mitteleuropa geborenen Menschen kann man das Alter heutzutage anhand eines amtlichen Registereintrags (und dem daraus erstellten Geburtsschein) mit ausreichender Genauigkeit bestimmen. Bei Bauwerken älterer Jahrgänge – insbesondere solchen aus der Zeit vor der Gründung der kantonalen Brandassekuranz – ist das nicht so einfach. Da muss man vorher noch einiges definieren.
1. Wann ist ein Bauwerk ein Gebäude?
Zuerst sind die Kriterien zu erörtern, unter denen man ein Gebäude als solches anerkennen will. Genügt es, ein paar Fundamentreste vor sich zu haben? Wenn ja, dann sind die Fundamente der römischen Wachttürme aus dem ausgehenden 4. Jahrhundert n. Chr., die östlich der Einmündung des Dorfbachs in den Rhein (KGS-Nr. 11678) und mitten im Hardwald (KGS-Nr. 11679) am Rheinbord stehen, natürliche Anwärter auf eine Spitzenposition (Brandenberger 2008, vgl. Quellen). Nur die Wallanlagen unbekannter Zeitstellung auf dem Aebnet (KGS-Nr. 7738) und dem Wörndel (Leuenchopf; KGS-Nr. 7741) oder die schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts geplünderten Grabhügel im Hard dürften dann älter sein (Brandenberger 2006).
2. Alter eines Bauelements oder eines Ensembles von Konstruktionsteilen?
Bei noch als solchen zweifelsfrei erkennbaren Gebäuden mit mehr oder weniger vollständiger Konstruktion stellt sich die Frage, ob man auf das Alter einzelner Bauteile abstellen kann, oder doch eher ein Ensemble an Konstruktionselementen untersuchen sollte.
Dazu muss man wissen, dass in früheren Zeiten selbst ganze Häuser komplett abgebaut und an anderer Stelle wiederaufgebaut wurden (so z.B. das Tierarzt-Haus auf der Müliwis an der Stadlerstrasse). Häufiger kam es überdies vor, dass ein Bauelement oder Gebäudeteil wiederverwendet wurde, z.B. der Keller eines Speichers für ein Wohnhaus.
Letztere Vermutung hat die Bauernhausforschung im Falle des Gebäudes Oberdorfstrasse 27/29. Es steht auf einem Kellergeschoss, dessen Balken dendrochronologisch auf 1240d datiert wurden (Hermann 1997). Bei dieser Jahrzahl handelt es sich um den Fällzeitpunkt der verwendeten Bäume. Wenn Bearbeitungsspuren, die auf eine Wiederverwendung der Balken hindeuten, fehlen, dann darf man annehmen, dass der Keller spätestens in der Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden ist. Das darüber errichtete Gebäude ist wesentlich jünger. Es wurde ebenfalls mit dendrochronologischen Methoden auf 1647d geschätzt. Und ist somit gegen das Ende des 30-jährigen Kriegs (1618-1648) errichtet worden.
Bei einer Untersuchung der kurz nach dem Bau der Kirche im Bühl erstellten Pfarrscheune (1707d bzw. Baujahr 1708), die heute als Kirchgemeindehaus genutzt wird, hat man eine Fachwerkschwelle aus den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts gefunden (dendrodatiert auf ca. 1515, vgl. Denkmalpflege-Kommission 1999 und Brandenberger 2000). Dabei dürfte es sich um einen der oben erwähnten Fälle von Bauteilrecycling handeln. Die Schwelle aus Eichenholz stammt entweder von einem Vorgängerbau oder von ganz woanders. [Korrektur Türschwelle auf Fachwerkschwelle am 28.9.2020, vgl. WeiachBlog Nr. 1591].
3. Technisches Gebäudealter?
Die Gebäudeversicherung des Kantons Zürich führt in ihrer Objektdatenbank eine Angabe zum sogenannten technischen Gebäudealter. Darunter versteht man das Erstellungsjahr der tragenden Konstruktionsteile.
«Die Angaben [...] sind mit grosser Vorsicht zu geniessen, da nicht klar ist, wie diese Daten zustande kamen. Für viele Gebäude konnten wir bereits feststellen, dass die dortigen Angaben nicht korrekt sind.» (Mitteilung A. Kerstan, Mitarbeiterin der Kunstdenkmäler-Inventarisation, 22. Oktober 2018).
Mit anderen Worten: die auch in der Gebäudenummernkonkordanz der Gemeinde Weiach (Erstellung im Sommer 2002) aufgeführten Jahrzahlen (insbesondere die vor 1809, dem Jahr als die Ersterfassung der Gebäudeversicherung erfolgte), dürfen nicht einfach für bare Münze genommen werden (wie das in einigen Artikeln der Weiacher Geschichte(n) der Fall war). So ist beispielsweise völlig unklar, worauf die Angabe «1580» für das Gebäude Trottenstrasse 7 fusst – das nach der Liste der Gebäudeversicherung des Kantons Zürich älteste Haus in Weiach.
4. Ankerpunkt Dendrochronologie
Die Idee, ein technisches Gebäudealter zu ermitteln ist, ist an sich ein Schritt in die richtige Richtung: Bei den obgenannten Zweifeln ist es allerdings (gerade bei alten Häusern) unabdingbar, eine separate Methode zur Anwendung zu bringen, die bei allen Unsicherheiten doch eine gewisse wissenschaftliche Grundlage aufweist. Eine häufig gewählte Methode ist die dendrochronologische Datierung. Bei ihr ist entscheidend, dass genügend regionale Referenzwerte vorliegen, denn das Baumwachstum variiert je nach Gegend und Bodenbeschaffenheit ziemlich stark, auch wenn die daraus resultierenden Jahrringe in ein und demselben Jahr entstanden sind. Das muss man nämlich zuerst einmal einigermassen zweifelsfrei feststellen.
Aktueller Stand des Irrtums
Zum heutigen Zeitpunkt darf man unter Beiziehung von dendrochronologisch ausgewerteten Proben des Dachstuhls des Weiacher Pfarrhauses annehmen, dass die Balken und Sparren dieser Dachkonstruktion im Jahre 1564 dem Wald entnommen wurden. Fehlende auf Wiederverwendung hindeutende Bearbeitungsspuren legen nach Ansicht der Kantonalen Denkmalpflege (Böhmer und Müller) den Schluss nahe, dass sich dieser Dachstuhl seit ca. 1565 in situ verbaut im heutigen Pfarrhaus befindet. Nach diesem aus den Punkten 2 und 4 destillierten Methodenmix ist das Pfarrhaus mithin das älteste Gebäude in Weiach.
Quellen
- Isabell Hermann (Hrsg.): Die Bauernhäuser des Kantons Zürich, Bd. 3. Basel 1997 – S. 274.
- Denkmalpflege-Kommission des Kantons Zürich (Ed.): Erläuternder Bericht zum Gutachten Nr. 19/1998 vom 6. März 1999 (Abschnitt Baugeschichte)
- Brandenberger (2000): Der Kirchhof zu Weyach: ein wehrhaftes Ensemble… Weiacher Geschichte(n) Nr. 4. Erstmals veröffentlicht in: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, März 2000 – S. 22.
- Brandenberger (2006): Wie alt sind die Wallanlagen im Ebnet und auf dem Wörndel? Teil 1: Die Helvetier-Hypothese. Weiacher Geschichte(n) Nr. 76 (In: MGW, März 2006). Teil 2: «Unbekannte Zeitstellung». Weiacher Geschichte(n) Nr. 77 (In: MGW, April 2006).
- Brandenberger (2008): «Verfluchter Platz». Liess ein römischer Wachtturm ihn bei den Weyachern in Verruf geraten? Weiacher Geschichte(n) Nr. 108. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, November 2008 – S. 10-14.
- Brandenberger (2018): Weiach – Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes. Sechste, erweiterte Auflage von Walter Zollingers «Weiach. 1271-1971. Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach». Ausgabe V6.03, Juli 2018 – S. 74-75.(pdf, 14.95 MB)
[Veröffentlicht am 14. Juni 2019 um 02:35 MESZ]
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