Samstag, 24. September 2022

Konkubinatsverbot aufheben? Aber scho sicher nöd!

Vor 50 Jahren stellte sich noch eine satte Mehrheit der Weiacherinnen und Weiacher einer Abstimmungsvorlage entgegen, die den Einzug von Verhältnissen wie in Sodom und Gomorrha bedeuten würden. Jedenfalls drohten solche nach Meinung wohl doch so einiger konservativ denkender Stimmberechtigter, wenn man das Konkubinat, das Zusammenleben von Mann und Frau ohne Trauschein (auch «wilde Ehe» genannt), für zulässig erklärt:

«Am 24. September fand im Kanton eine fünffache Abstimmung statt, wobei schliesslich alle Vorlagen mit bedeutendem Ja-Stimmen-Mehr angenommen wurden. Immerhin gab es zwei Vorlagen, die eine recht kräftige Zahl von Nein-Stimmen auf sich vereinigten: die Erhöhung der Strassenverkehrsgebühren um 25 Prozent, anderseits die Aufhebung des sogenannten Konkubinatsverbotes.  [...]  Anders lagen die Verhältnisse beim Konkubinatsverbot. Hier haben die Bezirke Zürich, Affoltern, Meilen, Hinwil und Uster überhaupt keine Nein-Mehrheiten aufgebracht. Im Bezirk Horgen war es einzig Hirzel, das verwarf. Nein-Mehrheiten brachten im Bezirk Pfäffikon 2, im Bezirk Winterthur 5, im Bezirk Andelfingen 8, und im Bezirk Bülach 6 Gemeinden, während im Bezirk Dielsdorf einzig Weiach eine ablehnende Mehrheit aufwies. Insgesamt 23 Gemeinden waren für Weiterbestand des Konkubinatsverbotes.» (Quelle: Neue Zürcher Nachrichten, Band 67, Nummer 245, 19. Oktober 1972; Kasten Wer stimmte Nein?)

Die Gemeinde Hirzel (seit 1.1.2018 Teil der Stadt Horgen) sieht man auf den – auf aktuellen Gemeindestand gebürsteten – Karten des Kantons leider nicht. Mit Historisierung hat es das Abstimmungarchiv nicht so. Das kann die Detailanalyse behindern.

62.66 % Nein, kantonaler Rekord?

So sieht es aus, wenn man die Karte auf der App von Statistik Zürich anschaut: 59 Ja zu 99 Nein lautete das Verdikt in Weiach. Geht es nur nach den heute noch bestehenden Gemeinden, dann hat Weiach die höchste Ablehnungsquote im Kanton.

Kein Problem, es gibt ja noch das Amtsblatt des Kantons Zürich. Bedauerlicherweise fehlen in der Beschlussfassung, die für das Abstimmungsarchiv von Statistik Zürich digitalisiert worden ist, ausgerechnet die vier entscheidenden Seiten, auf denen bspw. Hirzel oder Sternenberg aufgeführt wären. Die sind nur im Amtsblatt drin (wenn der Fehler nicht bereits damals in der Druckerei gemacht wurde). Und da könnten die Nein-Mehrheiten noch höher gewesen sein als in Weiach.

Heisst: Affaire à suivre. Zum Beispiel in der Nationalbibliothek. Die haben das kantonalzürcherische Amtsblatt ebenfalls in gedruckter Form. Der Jahrgang 1972 ist unter der Signatur OP 1335 zu finden.

Nachtrag vom 26. September

Christian Sieber antwortete auf Twitter: «Im Excel gibt es die Daten auch im historischen Bestand der Gemeinden. Weiach bleibt beim Nein an der Spitze, gefolgt von Oberstammheim, Sternenberg und Truttikon. Auch wenn im PDF vier Seiten fehlen, sind die Daten vollständig. @statistik_zh». 

Replik WeiachTweet: «Tatsächlich. Gut versteckt im «Datenexport» (bei Downloads) und dort im zweiten Tab «Vorlage 1595 - historisch». Merci! -- Visualisierung auf Karte ist trotzdem etwas irreführend. Weil historische Daten auf aktuellen Gemeindestand umgelegt. Diesbezügl. Hinweis wäre ein Desiderat.» (s. Abstimmungsarchiv Kt. ZH)

Im Aargau war es erlaubt

«Im Gegensatz zu anderen Kantonen wird im Kanton Aargau das Konkubinat geduldet. Im Nachbarkanton Zürich zum Beispiel ist diese Unsitte gesetzlich verboten. Dies hat zur Folge, dass in Regionen, die an den Kanton Zürich grenzen, die Konkubinatsfälle im Zunehmen begriffen sind. Diese Zustände erwecken immer grösseres Ärgernis und bringen den lokalen Behörden vor allem dann viel Unannehmlichkeiten, wenn sich unmündige Kinder getrennter oder geschiedener Ehen in solchen Milieus aufhalten müssen. Ich frage deshalb den Regierungsrat an, welche Möglichkeiten er sieht, um diesem unerfreulichen Zustand wirksam zu begegnen.»  

Diese sog. Kleine Anfrage richtete der Gemeindeammann von Spreitenbach und sozialdemokratische Grossrat Robert Locher am 2. Mai 1967 an die Aargauer Regierung. Selbst ein SP-Mitglied bezeichnete das Zusammenleben ohne Trauschein also noch als «Unsitte», wenn ihm wohl auch eher die «Familienverhältnisse» solcher wilder Beziehungen bedenklich erschienen. Stichwort: Kindeswohl!

Zölibat durchsetzen

Das Konkubinat war ab dem 15. Jahrhundert insbesondere in der Eidgenossenschaft mit hohen Strafen belegt worden, nicht zuletzt auf Betreiben der katholischen Kirche, die dem Zölibat Nachachtung verschaffen musste. Unter Klerikern war es damals nämlich eine weit verbreitete Unsitte, mit einer Frau mehr oder weniger offen zusammenzuleben. In einigen Bistümern regelte man solche Fälle mit Bussgeldern und sah dann darüber hinweg. 

In reformiert gewordenen Kantonen behielt man das Verbot vor allem als Instrument zur Verhinderung von Nachwuchs bei Paaren bei, die wirtschaftlich nicht in der Lage waren, für Kinder angemessen zu sorgen. Das Konkubinat war juristisch denn auch explizit als das Zusammenleben von Mann und Frau ohne kirchlichen (und damit staatlichen) Segen definiert.

Kanton Zürich: Wo kein Kläger, da kein Richter

Noch 1971 war das Zusammenleben von Mann und Frau ohne Trauschein nur in der Westschweiz, im Tessin, sowie im Aargau und im Kanton Schaffhausen generell erlaubt. In den beiden Basel, den beiden Appenzell, im Wallis, im Thurgau, in Graubünden sowie in den Kantonen Zürich, Zug, Glarus und Luzern galt ein Verbot. Die Strafverfolgungsbehörden gingen der Sache allerdings nur auf Antrag nach. Ein Offizialdelikt hingegen (wo die Behörden von sich aus ermitteln müssen), war das Konkubinat hingegen in den Urkantonen (Uri, Schwyz, Obwalden und Nidwalden) sowie im Kanton St. Gallen.

Quellen

  • Liebeskarte der Schweiz. Die freien, halbfreien und verbotenen Gebiete des unverheirateten Zusammenlebens (Aus: Wochenzeitschrift «Sie+Er», Nr. 34/1971), Abb. vgl. Zehnder, P.: Zur «Unsitte der Konkubinatsfälle» 1967. Zeitgeschichte Aargau. Online-Angebot.
  • Head-König, A.-L.: Konkubinat. In: Historisches Lexikon der Schweiz (e-HLS), Version vom 10. September 2007, übersetzt aus dem Französischen.
[Um zwei Abschnitte erweitert am Veröffentlichungstag um 14:31 MESZ]

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