Kaum hatte sich die Eidgenossenschaft 1848 im Bundesstaat neu formiert, musste sie sich gegen aussen verteidigen. Heute vor 175 Jahren war die Kriegsgefahr an unserer Nordgenze gross.
Die Zürcher Regierung hatte daher in eigener Kompetenz kantonale Truppenverbände mobilisiert und liess sie entlang dieser Linie Stellung beziehen. Die in Zürich erscheinende Eidgenössische Zeitung vom 11. Juli 1849 schrieb darüber wie folgt:
«Gestern Abends noch sind die beiden aufgebotenen Infanteriebataillone Ginsberg und Bantli an die zürcherische Grenze nach Marthalen, Benken, Rheinau und Eglisau, Glattfelden, Weyach sc. abgegangen, das erstere auf Wagen; ferner die Artilleriekompagnie Zeller und 1/2 Kavalleriekompagnie Bluntschli. Es ist nicht zu zweifeln, daß der Bundesrath diese Truppen in eidgenössischen Dienst nehmen werde; wenn dieß aber auch nicht der Fall sein sollte, so ist die Maßregel schon für den eigenen Kanton durchaus nothwendig. Die bisher angelangten, großentheils pfälzischen Flüchtlinge machen in ihrer Mehrzahl auf unsere Bevölkerung keinen günstigen Eindruck; die badischen Soldaten, welche auf so unerhörte Weise ihre Fahne kompromittirten, werden ebenfalls wenig Sympathie erregen. Im Volke spricht sich allgemein der Wunsch aus, daß von den eidgenössischen Behörden nicht gesäumt werde, die ungehinderte Rückkehr dieser Masse von unbeschäftigten Leuten in ihre Heimatländer einzuleiten.»
Der Regierungsrat des Kantons Zürich sah also die innere Sicherheit gefährdet. Einerseits aufgrund der Zivilflüchtlinge, andererseits wegen bewaffneter Verbände, die der Grenze gefährlich nahe gekommen waren. Wie kam es zu dieser brenzligen Situation?
Die Ursachen einer zur Explosion gekommenen Entwicklung
Dass der Sonderbundskrieg vom November 1847 eine rein schweizerische Angelegenheit geblieben ist, verdanken wir nicht zuletzt der quer durch Mitteleuropa herrschenden revolutionären Stimmung bei weiten Teilen der Bevölkerung. Auch die Garantiemächte des Bundesvertrags von 1815 mischten sich nicht in die inneren Streitigkeiten ein, da sie ihre Truppen für allfällige Aufstandsbekämpfung selber in ihren eigenen Ländern viel dringender brauchten.
Das ab der Mitte des 18. Jahrhunderts u.a. wegen der Einführung der Kartoffeln einsetzende starke Bevölkerungswachstum und die damit nicht Schritt haltende Entwicklung industrieller Verdienstmöglichkeiten hatte in Europa zum Phänomen des Pauperismus geführt, einer weit um sich greifenden strukturell bedingten Armut entwurzelter Massen (vgl. den Artikel Vormärz für die Auswirkungen in der Zeit zwischen 1830 und 1848).
Auch nördlich der Schweiz heizte sich die Stimmung zusehends auf. Der Schlesische Weberaufstand von 1844, die Kartoffelrevolution vom April 1847 (eine Hungerrevolte in der preussischen Hauptstadt Berlin), oder der Tübinger Brotkrawall vom Mai desselben Jahres sind nur drei Beispiele. Mit Pressezensur und Verhaftung von Personen mit unliebsamen Ideen konnten die Obrigkeiten der Lage nicht mehr Herr werden.
Die Revolution im Badischen mündet im Krieg
Ab Februar 1848 fanden grosse Volksversammlungen statt, auch im Gebiet unseres nördlichen Nachbarn, des Grossherzogtums Baden. In anderen deutschen Fürstentümern gärte es nicht weniger. Im März fegte dann eine Welle von Revolutionsaktivitäten quer durch die deutschen Lande (vgl. den Artikel Badische Revolution für einen Überblick), die sich im Verlauf eines Jahres zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen regulären Truppen der bedrängten Landesfürsten und Aufständischen ausweiteten.
Die eingangs von der Eidgenössischen Zeitung wenig schmeichelhaft bezeichneten Aufstandstruppen hatten im Juni 1849 entscheidende Gefechte verloren, wichen nach Süden aus und kamen in die Nähe der Schweizer Grenze. Im heutigen Landkreis Waldshut traten vor allem die Heerführer Franz Sigel, Johann Philipp Becker und August Willich mit ihren Verbänden in Erscheinung.
General Sigel will mit der Schweiz gemeinsame Sache machen
Sigel war mit einer grösseren Abteilung über Stühlingen, Lauchringen und Griessen nach Baltersweil gezogen, also genau zwischen die Gebiete der Kantone Schaffhausen und Zürich, an die Engstelle, die in den Jestetter Zipfel führt.
Warum sie das taten, erklärt der Wikipedia-Artikel Rückzug der badischen Revolutionsarmee in die Schweiz wie folgt:
«Die Revolutionäre waren sich bewusst, dass ihre Situation in Baden prekär war, aber man beobachtete die noch andauernden Auseinandersetzungen in Ungarn und Italien und erhoffte sich, dass von dort nochmals ein Aufschwung der revolutionären Bewegung in Europa erfolgen könnte. Insbesondere setzte man aber auf einen Kriegseintritt der Schweiz. Einerseits gab es dort auch Stimmen, die eine Unterstützung der Republikaner forderten und andererseits hielten sich bei den preußischen Truppen wie auch in der Schweiz Gerüchte über einen Einmarsch der Preußen in die Schweiz, da es nicht nur um die Beseitigung eines Rückzugsorts für die deutschen Republikaner, sondern auch um die preußischen Ansprüche auf das ehemalige Fürstentum Neuenburg ging.»
In der Eidgenössischen Zeitung wird erläutert, was den Heerführern vorschwebte:
«Sigel hat dem eidgenössischen Brigadekommandanten eine Art Kapitulation vorgeschlagen, wonach sich die schweizerischen Behörden verpflichten sollten, alle in gehöriger Ordnung den Schweizerboden betretenden Korps mit Waffen und Gepäck aufzunehmen und zu verpflegen; die Waffen der Infanterie und die Kriegskasse würden abgeliefert, dagegen blieben Artillerie und Kavallerie selbstständige Korps; Anführer und Truppen würden sich verpflichten, im Falle eines Krieges der Schweiz zu dienen und keine willkürlichen Ausfälle auf außerschweizerisches Gebiet zu machen. Es versteht sich wohl von selbst, daß auf solche Unterhandlungen nicht eingetreten werden kann.»
Unter einer Kapitulation verstand man damals einen Vertrag eines Militärunternehmers mit einem Staatsoberhaupt, wonach dessen Truppen in Dienste besagten Staates gestellt werden.
Hoffentlich greift Preussen die Schweiz an!
Was sich Sigel von diesem Schachzug erhoffte und welche sinistren Absichten andere Revolutionäre hatten, erläutert wiederum der obgenannte Wikipedia-Artikel:
«Vor diesem Hintergrund sind die Versuche Blenkers und Sigels zu sehen, die vor dem Übertritt in die Schweiz mit den dortigen Behörden über einen Beitritt ihrer bewaffneten Einheiten zur schweizerischen Armee verhandeln wollten. Die Schweizer bestanden jedoch auf ihrer Neutralität und der bedingungslosen Entwaffnung der Revolutionäre. Der Zürcher Verhandlungsführer Rudolf Benz drohte Sigel gar mit der Verweigerung des Asyls, sofern dieser in der Nähe der Schweizer Grenze noch ein letztes Gefecht mit dem Neckar-Korps anzetteln sollte. Während Sigel seinen Plan angesichts dieser Drohung schnell aufgab, wollte August Willich dies mit seinem Freikorps noch erreichen. Willichs Adjutant Friedrich Engels schrieb in seiner Schrift zur Reichsverfassungskampagne: „Hier, die Flanken an Schweizer Gebiet gelehnt, konnten wir mit unsrer bedeutenden Artillerie noch ein letztes Gefecht versuchen. Man konnte es sogar abwarten, ob nicht die Preußen das Schweizer Gebiet verletzen und dadurch die Schweiz in den Krieg hineinziehen würden.“»
Und ja, das war derselbe Friedrich Engels, der 1848 zusammen mit Karl Marx das Kommunistische Manifest verfasst hatte. Er ist nach der am 12. Juli beim Grenzübertritt in die Schweiz erfolgten Entwaffnung der badischen Truppen wie viele andere Revolutionäre nach England ausgewandert und sollte in späteren Jahren zu einer Ikone der marxistisch-leninistischen Ideologie werden.
Die deutschen Bundestruppen unter General von Peucker (d.h. obgenanntes Neckar-Korps) waren allerdings, wie sich schnell zeigte, nicht im Geringsten geneigt, es auf einen Kampf mit der Eidgenossenschaft ankommen zu lassen. Auch der sogenannte Büsingerkrieg, bei dem deutsche Truppen am 21. Juli 1849 unter Verletzung des Schweizer Staatsgebiets (und damit der eidgenössischen Neutralitätserklärung) von Konstanz kommend per Schiff auf dem Rhein nach Büsingen eingedrungen waren, wurde letztlich ohne jeden Schusswechsel am Verhandlungstisch bereinigt.
Quelle
- Bülletin von heute morgen. Schweizerische Eidgenossenschaft. In: Eidgenössische Zeitung, Nummer 190, 11. Juli 1849, S. 759.
- Burlet, J.: Badischer Rückzug in die Schweiz. Blog Nationalmuseum, 9./11. Juli 2024.
- Burlet, J.: Der Büsinger Handel. Blog Nationalmuseum, 11. Juli 2024.
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