Sonntag, 18. September 2022

Den Handel dank Gesundheitszertifikaten wiederbelebt

Seit dem Sieg über die katholischen Stände im Zweiten Villmergerkrieg von 1712 waren die Reformierten die Herren über die Gemeine Landvogtei Baden, die aus staatsrechtlichen Gründen immer noch «Grafschaft Baden im Aargau» genannt wurde.

Damit oblag ihnen auch die Kontrolle über die Zurzacher Messe, einen weitherum bedeutenden Warenumschlagsplatz der damaligen Zeit. Dieser Marktplatz hatte aufgrund der seit 1720 grassierenden Pest, die in der südfranzösischen Hafenstadt Marseille ausgebrochen war, schon massiv gelitten. Sobald man also glaubte, es verantworten zu können, wurde der Markt wieder erlaubt. 

Vorsicht vorbehalten

Das hinderte allerdings die regierenden Orte nicht daran, ihren eigenen Untertanen aus Sicherheitsgründen zu verbieten, dorthin zu fahren, wie ein kurzfristig erlassenes Mandat der Zürcher im Fall des Pfingstmarktes 1722 beweist (vgl. WeiachBlog Nr. 1830, sowie zweitletzten Abschnitt unten).

Heute vor 300 Jahren wurden in der Kanzlei der Grafschaft Baden namens der drei regierenden Stände Zürich, Bern und Glarus, die Regelungen für den Herbstmarkt erlassen, den man unter Einschränkungen durchführen liess. Wie das auch in heutiger Zeit nicht anders ist: je nach Herkunft und Güterkategorien wurden für Einfuhr und Marktzulassung bestimmte behördliche Atteste verlangt.

Die Seuchengefahr hat nachgelassen, hurra!

«Nachdeme die der Grafschaft Baden im Ergäu regierende Lobl. Orth / Zürich / Bern und Glarus auf (Gott sey Danck) erhaltene gute und erfreuliche Zeitungen / wie daß die an bekanten Orthen in Franckreich / nun lange Zeit dahero grassierte leydige Seuche / zimlichre massen / ja vast allenklichen nachgelassen / zum besten und Wideräuffnung deß gemeinnützigen Commercii sich verglichen / daß der nun etlichmahl / während diser Contagions-Gefahren unterblibene Zurzacher-Marckt / hinfüro widerum solle gehalten werden:»

Es gelten strenge Vorschriften

«Als haben zu dem Ende ermelte [d.h. oben erwähnte] regierende Lobl. Orth zu annoch diß jähriger Haltung diseres Marckts / die Zeit von dem 19. bis auf den 26. könftigen Monats Octobris, da auf bedeuteten 26. Tag / der so genannte Marckts-Tag seyn solle / ausgesetzet : Sie wollen aber / daß hierbey hernachfolgende Precautiones und klahre Bedingnussen observiert werden. Benanntlichen»

«1mo» Ohngiftfähiges aus der Schweiz, Deutschland und Nordfrankreich

Waren, die als nicht heikel galten, durften zwar eingeführt und verkauft werden, allerdings, nur wenn sie von vertrauenswürdigen Frachtpapieren mit obrigkeitlichen Attesten begleitet waren:

«Sollen die Eydgenössische und Teutsche / wie auch / die auß denen Septentrional-Provintzen einführende Französische ohngifftfähige Waaren unter glaubwürdigen Certificaten und Sanitet-Scheinen / auf besagten Zurzacher-Marckt eingeführt und eingelassen werden mögen. Hingegen»

«2do» Pelze, Federn, Baumwolle und Wolle sind heikel, Seide ein Spezialfall

Bei diesen Warenkategorien waren die Behörden allerdings vorsichtig. Die hatte man ja auch schon im Weiacher Erlufftungshaus (vgl. dazu die weiterführenden Artikel unten) über mehrere Wochen hinweg dem Sauerstoff aussetzen müssen, da man glaubte, dass der Pesterreger auf diese Weise bekämpft werden könne. Für Waren direkt aus Frankreich galt ein Totalverbot. Bei anderen Waren kam es auf Herkunft, Handelsrouten und Behandlung an:

«Sollen die Französische in der Eydgnoßschaft und zugewandten Orthen sich befindende Beltz- Feder-Baumwollen- und andere Wullen-Waaren / sie seyen gleich außgepackt und verarbeitet in die Eydgnoßschaft gekommen oder nicht / auf besagten Marckt gar nicht; 

Was aber diejenige in der Eydgnoßschaft gelegene / daselbst gespunnene und ver[..]bricierte Baumwollen ansihet / mag selbige ohn Bedencken auf dem Marckt admittiert : 

So danne denen Beltz- und Baumwollen-Waaren / welche auß Canada über Rochelle etc. annoch möchten gebracht werden : wie auch aller Americanischen Baumwollen / so über Engel- oder Holland / oder auch über bemelte Septentrional-Provintzen Franckreichs ankommen / als Waaren von gesunden und ohnverdächtigen Or[..]en die Einlassung in Zurzach mit sicheren Sanitets-Zeugnussen gestattet ; 

Die Französische in der Eydgnoßschaft ligende Seyden-Waaren aber nicht anderst / als wann sie mit Oberkeitlichen Certificaten begleitet / daß sie daselbsten seyen außgepackt / und allbereit in denen Läden und Magazinen gelegen und erlufftet worden : eingelassen noch admittiert werden:

Die übrige in der Eydgnoßschaft gelegene Französische Waaren [..]nn / welche wollen den Zugang haben / sollen mit Oberkeitlichen Scheinen bey der Einfurh in Zurzach / versehen seyn / daß sie mit glaubwürdigen Sanitets-Scheinen bey ihnen ankommen seyen.»

«3tio» Waren aus Italien nur mit Zertifikaten

«So hat es derjenigen von denen Italienischen See-Küsten harkommenden Französischen Waaren halber / disere Meynung / daß die Einfuhr auf ermelten Marckt nicht solle gestattet seyn / sie habind dann glaubwürdige Attestata, daß sie schon vor Johanni 1721. [24. Juni; d.h. mehr als ein Jahr] allda gelegen seyen;

Hingegen sollen allen Italienischen Waaren so in Italien fabriciert, gewachsen und gefallen / in so sehr dieselbe ihre erforderliche und authentische Sanitets-Schein mitbringen / der Paß und die Einfuhr gestattet werden.»

Zürich, Bern und Glarus behalten sich für ihr jeweiliges Gebiet andere Regeln vor

«Bey welch allem dann die regierende Lobl. Orth einerseits ihre für [..]ro eigene Städt und Land / nach deroselben Convenienz errichtete besondere Veranstaltungen / sich hiemit vorbehalten thun / so daß disere des Zurzacher-Marckts halber überein gekommene Verordnung denenselben nichts derogieren noch benehmen solle;»

Strafandrohung für Umgehungsversuche

«Und anderseits in allen seinen Puncten und Articulen genau und beflissen statt gethan werde ; hierauf gehörige Acht zuhalten die erforderliche Aufseher bestelt haben / alles mit dem außtruckenlichen Anhang / daß wofehrn sich jemand hierüber gelusten liesse in ein ald anderen Weg hierwider zuthun oder zuhandlen / derselbe nach Gebühr und Beschaffenheit seines Verbrechens alles Ernsts abgestraft werden solle : Darnach sich Jedermänniglich zuhalten / und ihme selbst vor Straff / Schaden und Ungelegenheit zuseyn wol wüssen wird.»

«Urkund nachgesezter Signatur, so geben den 18. Septembris 1722.
Canzley der Grafschaft Baden im Ergäu.»

Quelle
  • Mandat der Städte Zürich, Bern und Glarus betreffend Wareneinfuhr zum Markt in Zurzach in der Grafschaft Baden wegen Seuchengefahren, 18. September 1722. Signatur: StAZH III AAb 1.9, Nr. 11  
Frühere Artikel zum Thema Marsilianische Pest
  • Mit Mörsern gegen die Pest. Das «Erlufftungshaus» von 1720/21 (Teil 1). Weiacher Geschichte(n) 9. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, August 2000 – S. 9.
  • Europäisches Handelshemmnis und lokale Einnahmequelle. Das «Erlufftungshaus» von 1720/21 (Teil 2). Weiacher Geschichte(n) 10. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, September 2000 – S. 13-14.
  • Die Pest aus Marseille. WeiachBlog Nr. 359 v. 14. Januar 2007.
  • COVID-19 und Marsilianische Pest. Ein kleiner Rechtsvergleich. WeiachBlog Nr. 1510 v. 18. Mai 2020.
  • Vom Leben mit dem zweiten Pest-Mandat, d.d. 9. September 1720. WeiachBlog Nr. 1599 v. 9. Oktober 2020. 
  • Vor 300 Jahren: Zürich sperrt Handels- und Reiseverkehr mit Genf. WeiachBlog Nr. 1606 v. 31. Oktober 2020.  
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  • Grenzkontrollen und sanitätspolizeiliche Massnahmen. WeiachBlog Nr. 1761 v. 26. Oktober 2021.
  • Zürcher Regierung verbietet Besuch des Zurzacher Pfingstmarkts. WeiachBlog Nr. 1830 v. 5. Juni 2022.
[Veröffentlicht am 19. September 2022 um 00:20 MESZ]

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