Sonntag, 2. November 2025

Weshalb geht bei der Weycher Müli ein Geist um?

Alt Gemeindepräsident Gregor Trachsel, einer der drei Architekten, die in den 1970ern die ehemalige Weiacher Mühle (Müliweg 7) am Südende des Oberdorfs gekauft und umgebaut haben, wohnt dort zwar seit Jahrzehnten, hat ihn aber noch nie gesehen oder gehört. 

Und doch soll er noch herumspuken, der Geist eines wohlhabenden Müllers und einflussreichen Untervogts unserer Gemeinde. Eine Geistergeschichte zu Allerseelen.

Halloween – Allerheiligen – Allerseelen

Am heutigen Tag, dem 2. November, wird nach dem römisch-katholischen Kalender das Fest Allerseelen begangen. Durch das Anzünden von Kerzen auf den Gräbern und durch Gebete gedenken die Angehörigen ihrer Toten. Besonders gedacht wird der Armen Seelen, die in einer Zwischenwelt feststecken, da sie ihre Anhaftung ans Irdische noch nicht ablegen können bzw. dürfen.

Die Zeit vom 31. Oktober (Halloween), 1. November (Allerheiligen) bis 2. November war früher auch magisch aufgeladen. So wollte der Volksglaube wissen, dass Verstorbene besonders an diesen Tagen als Geister umherwandern und ihre Angehörigen aufsuchen. Umstritten ist der Bezug zum keltischen Neujahrsfest Samhain. Dieses wurde anfangs November begangen und hatte möglicherweise ebenfalls einen Bezug zum Gedenken an die Toten und die Anderswelt.

Frl. Liebert erzählt von einem besonderen Geist

In einem der Schulhefte aus dem Zollinger'schen Nachlass im Archiv des Ortsmuseums Weiach findet sich ein Eintrag zum 16.4.41, notiert wohl vom Primarlehrer Adolf Pfister, der von 1936 bis 1942 in Weiach tätig war. Als Quelle wird «Frl. Liebert» genannt. Bei dieser unverheirateten Frau handelt es sich um Luise Liebert, die 1965 verstorbene letzte Bewohnerin des Ortsmuseums (Lieberthaus am Müliweg 1). Der Eintrag lautet:

«Untervogt Bersinger kam zurück + geistete auf der Winde der Mühle. Da wurde er von einem Kapuziner – den man gerufen hatte – in einen Ankenhafen verbannisiert. Ein Mädchen, das im Keller zu tun hatte, deckte den Hafen ab + heraus war der Vogt. Er soll noch heute in der Brunngasse oben zu sehen sein.»

Unklar, welcher Untervogt

Ein Untervogt ist in diesem Zusammenhang der oberste durch die Landesherrschaft, d.h. Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich, eingesetzte Gemeindevorsteher, in etwa vergleichbar mit einem heutigen Gemeindepräsidenten. Im 18. Jahrhundert standen über längere Zeiträume mindestens drei Angehörige der Müllerei-Dynastie der Bersinger in dieser Funktion (vgl. u.a. WeiachBlog Nr. 990). 

Diese Bersinger waren so etwas wie Dorfkönige, die sich entsprechend selbstbewusst verhielten und ihre politische wie wirtschaftliche Macht (vgl. WeiachBlog Nr. 1666) gegenüber ärmeren Dorfbewohnern möglicherweise nicht immer mit lauteren Methoden in die Waagschale warfen – und sei es auch lediglich in deren subjektiver Wahrnehmung. Das wäre eine Erklärung, wie die mündlich überlieferte Vorstellung aufgekommen ist, eine dieser mächtigen Figuren müsse nun für ihre Taten im Diesseits büssen.

Die Kapuziner holte man für die gröberen Probleme 

Walter Bär-Vetsch berichtet von Hausbesitzern aus dem Urnerland, die den bei Abbruch eines alten Hauses jammernden Armen Seelen erlaubt hätten, mit ins neu errichtete Haus einzuziehen. Allerdings nur unter der Bedingung, dass sie sich ruhig verhielten und den Lebenden nicht schadeten.

Zu diesen pflegeleichten Armen Seelen hat der Untervogt Bersinger offensichtlich nicht gehört. Jedenfalls störte er die Lebenden so sehr, dass man die Spezialisten aus der katholischen Welt beizog. In unserem Fall, um den Vogt in einen Ankenhafen zu verbannen, den man dann im Keller aufbewahrte.

Die Kapuzinerpatres standen nämlich beim Volke im Ruf, selbst mit dem absolut Bösen (Dämonen und Teufeln) und andern Phänomenen aus der Anderwelt souverän umgehen und dadurch Schaden abwenden zu können.

Sie wurden aber auch bei niederschwelligeren Problemen konsultiert. Der mittlerweile emeritierte Basler Weihbischof Martin Gächter (* 1939) erzählte einer kath.ch-Journalistin jedenfalls eine Episode, die aus derselben Zeit stammt, in der Frl. Lieberts Aussage verortet wird:

«Als drei- oder vierjähriger Bub war ich nachts sehr aktiv und habe meine Mutter nicht schlafen lassen. Sie hat mich zum Kapuzinerkloster nach Dornach gebracht. Der Pater hat einen Segen über mich gebetet. Darauf soll ich in der Nacht ruhiger geworden sein.» (Straub 2022)

Ein gwundriges Meitli und schon geistet es wieder 

Der vermeintlich sichere Lagerplatz im Keller der Mühle war allerdings, so die Geschichte weiter, nicht sicher vor Familienangehörigen oder Hausangestellten, die aus Versehen oder Gwunder – wohl trotz Verbot – in den ominösen Ankenhafen schauen wollten.

Die Bannisierungskünste des Kapuziners scheinen aber gewirkt zu haben, denn sie konnten – das kann man bei Bär-Vetsch nachlesen – zwar einen solchen Geist mit einem Hausverbot belegen. Darüber, dass er draussen weiter sein Unwesen treibt, hatten sie aber auch keine Gewalt.

Und deshalb geht der Geist des unseligen Untervogts vielleicht bis heute um. Nicht mehr auf der Winde der Müli. Aber laut Frl. Liebert in der Brunngasse, was zwar nahe an der Mühle ist, jedoch mit einem gehörigen Sicherheitsabstand versehen. Das Rayonverbot für Geister wirkt offenbar.

Ausschnitt aus dem Plan der Amtlichen Vermessung (ARV Zürich)

Die Brunngasse kann als Fortsetzung des Müliweg-Abzweigers zur Stadlerstrasse verstanden werden. Sie verbindet die Bergstrasse (Einmündung nahe dem Wasserreservoir Berg) mit der Stadlerstrasse.

Quelle und Literatur

  • Schulheft Nr. VI «Pfister» (aus mind. 4 unterschiedlichen Schreibblattbogen zusammengestelltes und fadengeheftetes Schulheft) – S. 22. [Archiv des Ortsmuseums Weiach; noch ohne Signatur]
  • Brandenberger, U.: Diener zweier Herren: Untervogt und Dorfmeier in Personalunion.  WeiachBlog Nr. 790, 11. März 2010.
  • Brandenberger, U.: Gemeindepräsidenten-Dynastie: Sohn folgt auf Vater. WeiachBlog Nr. 990, 23. März 2011.
  • Bär-Vetsch, W.: «Und d'rnah haiget sy's am-mana Kapuzyyner z'Altdorf gsäit». In: ders.: Kraft aus einer andern Welt. Zeichen und Handlungen des Volksglaubens und der Volksfrömmigkeit in Uri. Altdorf 2019  S. 793. Separatdruck des Kapitels und vollständiges Werk auf urikon.ch abrufbar.
  • Brandenberger, U.: Nur eine Mühle? Untervogt Bersinger als Grossgrundbesitzer. WeiachBlog Nr. 1666, 7. Juni 2021.
  • Straub, J.: Weihbischof Gächter über seinen einzigen Exorzismus: «Der Dämon schrie: Das brennt!». In: kath.ch; Katholisches Medienzentrum, 25.4.2022.

Keine Kommentare: