Montag, 7. Juni 2021

Nur eine Mühle? Untervogt Bersinger als Grossgrundbesitzer

Über die ehemalige Mühle im Oberdorf zu Weiach und ihre Besitzer sind (im Gegensatz zur Mühle Otelfingen) bislang keine grossen Arbeiten erschienen. Es besteht noch etlicher Forschungsbedarf. Zu den bisherigen Erkenntnissen wird auf den WeiachBlog-Beitrag Nr. 203 vom 26. Mai 2006 verwiesen.

Vor einigen Tagen ist der Ortschronist nun über e-newspaperarchives.ch auf ein Inserat in der Zürcherischen Freitagszeitung N°. 23 vom 7. Brachmonat 1811 (also 7. Juni) gestossen. Darin bietet der damalige Eigentümer der Mühle, der frühere Weiacher Untervogt Bersinger, der während der Helvetik Richter am Distriktsgericht Bülach war, die jahrzehntelange Wirkungsstätte seiner Familie in toto zum Kauf an.

Mühlenbetrieb zwischen 1748 und 1752?

Nach einem Brand im Jahre 1748 war die Mühle neu aufgebaut worden. Ob mit einiger Verzögerung, wie das im Ortsmuseum Weiach aufbewahrte Deckentäfermittelstück mit der Jahrzahl 1752 nahelegt, oder nicht, ist eine offene Frage. 

Es ist durchaus möglich, dass die für den Mühlenbetrieb relevanten Teile sehr schnell wiederaufgebaut wurden, man sich jedoch mit der Einrichtung der Wohnräume noch Zeit liess. Denn eine Verzögerung von 3-4 Jahren hätte sich der einzige obrigkeitlich konzessionierte Mühlenbetrieb vor Ort nicht leisten können. Da wären die Weiacher Landwirte wohl auf die Barrikaden gegangen, v.a. wenn man bedenkt, dass zur Zeit des Ancien Régime in der Regel Mahlzwang herrschte. Das heisst: wer in Weiach Getreide anbaute, der musste es vom Weiacher Müller mahlen lassen. Dieser konnte im Gegenzug aber auch keinen abweisen. Da die Bezahlung in Form eines Anteils am Mehl erfolgte, dürften auch mangelnde Zahlungsfähigkeit oder -willigkeit keine Rolle gespielt haben.

Zum Verkauf stand der gesamte Betrieb

Wie dem auch gewesen sein mag: das technische Gebäudealter war zum Zeitpunkt des Inserats rund 60 Jahre und die Anlage dürfte damit in gutem Zustand gewesen sein. Doch lesen wir das Inserat. Da findet man nämlich mehr als nur die Mühle selber:

Züricher Freitags-Zeitung 1811 N°. 23, den 7. Brachmonat

«Zum Verkauf wird angetragen: Ein Haus samt Hofstatt, Kraut- und Baumgarten, benamtlich eine doppelte Behausung, worin die Mülle, 2 Mahlhäuffen und Rellen, eine Beymülle, ein Mahlhauffen und der Platz zu einem Stampferecht; eine doppelte Scheuer und Bestallung, samt einer Trotten, ein Holz- und Wagenschopf, nebst einem Beygebäud zu Weingeschirr, und ein s. v. Schweinstall mit 4 Abtheilungen, ein Waschhaus, zusammen circa 4 Juch. groß; ferner eine Trotten, samt Krautgarten und Hanfbündt, circa 2 Vierling groß; die Gebäude sind alle wohl gebauen und eingerichtet. 2 Juchart 2 Mäßli Reben, 23 dito 2 Vierling 3 Mäßli Heuwachs, 21 dito 1 Mäßli Ackerfeld, 93 dito Holz und Boden, der größten Theil mit bewachsenem Holz besetzt. Alle diese Stück und Güter sind allbereit von der besten Qualität und Zehenden frey, ausgenommen die Reben geben den Zehenden; Grundzinß ist wenig darauf. Kaufliebhabere können alles in Augenschein nehmen und alles sammethaft oder stückweis ankauffen. Die Bedingnisse wird man zu Gunsten des Käuffers so leidentlich als möglich machen, und ist sich zu erkundigen bey Hrn. Alt-Untervogt Bersinger zu Weyach.»

«s.v.» steht für «salva venia», was «mit Erlaubnis, mit Verlaub [zu sagen]» bedeutet. Die Abkürzung wird vorangestellt, wenn ein als unanständig geltendes Wort folgt.

 Was ist eine Relle? Kleine Mühlenkunde

Ein weiteres, inhaltlich gleiches, aber orthographisch durchaus verschiedenes Inserat erschien am 10. Brachmonat (10. Juni) 1811 im Zürcherischen Wochenblatt (vgl. Quellen). Interessant daran ist, dass der Begriff «Rellen» im Wochenblatt «Rendlen» lautet. 

Gemeint ist dasselbe, nämlich eine «Einrichtung zum Entspelzen oder Rellen von Dinkel», wie man im Mühleglossar der Otelfinger Kunsthistorikerin Erika Feier-Erni lesen kann. Diesen Arbeitsgang musste man natürlich dem eigentlichen Mahlen vorschalten. 

Der Mahlhaufen (auch Mahlgang oder Mahlwerk genannt) war die «Produktionseinheit zur Erzeugung von Mehl, mit den beiden Mühlsteinen und dem Getreiderumpf als Hauptbestandteilen». Als Mühlsteine dienten gemäss Feier-Erni: «Zwei runde Steine, zwischen denen das Korn zermahlen wird. Man unterscheidet den fest auf dem Boden verankerten Bodenstein und den beweglichen Läuferstein darüber». Als Getreiderumpf (auch Rumpf, Gosse oder Trichter genannt) wurde der «trichterähnliche Einfüllstutzen für das Getreide» bezeichnet.

Und was war eine Beimühle? Andreas Mahler erklärt es in einem Artikel in der Badischen Zeitung. Sie werde als solche bezeichnet, «weil sie zu einer bestehenden Hauptmühle hinzugebaut wurde». Und er erklärt auch weshalb: «Erst die Beimühle trug zu einer ganzjährigen Arbeitsauslastung des Müllers bei.» Andere Autoren (wie Feier-Erni) sehen das nicht ganz gleich:

In einer Stampfmühle (auch Beimüli genannt) konnten Knochen zu Knochenmehl verarbeitet, Hirse von ihrer Hülle befreit oder auch Hanf geklopft werden (Feier-Erni, S. 11 mit weiteren Angaben).

Unbestritten ist, dass eine Mühle in der Regel mehrere ineinandergreifende Betriebszweige umfasst hat. Das war auch in Weiach so. Im Inserat wird explizit ein Schweinestall mit vier Abteilen genannt. Die dort gehaltenen Schweine verwerteten die beim Mahlen anfallenden Nebenprodukte wie Spreu und Kleie, ein hochwertiges, praktisch kostenloses Tierfutter, was den Müller quasi automatisch auch zum Schweinemäster machte. Nicht für den Eigengebrauch bestimmte Tiere wurden an Dritte verkauft.

Beträchtlicher Land- und Waldbesitz

Eine Jucharte umfasste je nach der Art der Nutzung eine unterschiedlich grosse Fläche (vgl. dazu WeiachBlog Nr. 116). Gehen wir vom Kaiserstuhler Mass aus, dann sind es etwa 3600 Quadratmeter. Allein die Hausparzelle der Mühle umfasste also bereits rund anderthalb Hektaren. Als Vierling wurde eine Viertelsjucharte bezeichnet, also ca. 9 Aren, womit die Hausparzelle der separaten Trotte rund 1800 Quadratmeter (2 Vierling) umfasste.

Was im Zusammenhang mit einem Flächenmass unter einem Mässli zu verstehen ist, dazu schweigt sich Anne-Marie Dubler im Historischen Lexikon der Schweiz aus. Man darf aber annehmen, dass damit dasselbe wie ein Quärtli gemeint ist, also eine weitere Viertelung des Vierlings.

Die von Bersinger im Inserat genannten 2 Juchart 2 Mässli Reben würden dann (eine Kaiserstuhler Jucharte vorausgesetzt) rund 76.5 Aren entsprechen. 23 Juchart 2 Vierling 2 Mässli Heuwachs wären entsprechend rund 8.5 Hektaren Dauerwiesland. 21 Juchart 1 Mässli Ackerfeld sind umgerechnet ca. 7.6 Hektaren Ackerland. Das ergibt mit 16.85 Hektaren eigener landwirtschaftlicher Nutzfläche einen für damalige Verhältnisse ziemlich grossen Bauernhof. Dazu kommen noch die 93 Jucharten Holzboden, was rund 33.5 Hektaren Privatwald entspricht. 

Damit gehörte dem alt Untervogt rund 5 Prozent der in Privatbesitz stehenden landwirtschaftlichen Flächen sowie ca. 10 Prozent der gesamten Privatwaldfläche auf Weiacher Gebiet (berechnet aufgrund der Angaben in der Ortsbeschreibung von 1850/51).

Nach den heute üblichen agrarbürokratischen Berechnungsmethoden kumuliert der Aufwand für diese Flächen auch ohne jede Tierhaltung bereits auf rund 1 SAK (Standardarbeitskraft; vgl. Art. 3 LBV i.V.m. Art. 2a VBB für den Wald). Und das unter Berücksichtigung des heutigen Mechanisierungsniveaus.

Den Zehnten bereits abgelöst

Man darf den ehemaligen Untervogt angesichts der Angaben im vorstehenden Abschnitt somit ohne zu übertreiben als ziemlich wohlhabenden Zeitgenossen bezeichnen. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass er 1798/99 über genügend liquide Mittel verfügt hat, um die Feudallast des Zehnten auf seinem Land mit Ausnahme der Reben (nasser Zehnten) ein für allemal abzulösen, wie eine Bescheinigung vom 7. April 1799 ausweist (StAZH K II 85). Auf diesen Umstand weist er auch im Inserat explizit hin.

Trotten als weiteres Standbein. Gewissheit dank Brandassekuranz

Neben der Mühle verfügte Bersinger noch über Trotten zum Pressen von Trauben, eine davon in der Mühle selber und die zweite an der heutigen Trottenstrasse.

Man mag nun fragen, woher der Verfasser dieses Beitrags sich dessen so sicher ist, dass es sich tatsächlich um die Weiacher Mühle handelt, zumal ja nur der Standort des Verkäufers angegeben ist.

Die Antwort findet man in der Gesetzgebung von 1808 sowie in den danach erstellten sog. Lagerbüchern der Gebäudeversicherung des Kantons Zürich (für Weiach 1812 erstellt). § 9 des Gesetzes, betreffend eine allgemeine Brandversicherungsanstalt für die Häuser und Gebäude im Canton Zürich vom 16. Dezember 1808 (sozusagen die Geburtsurkunde der heutige GVZ) hielt fest:

«Sollten in der einten oder anderen Gemeinde noch nicht alle Häuser oder einzelnen Gebäude nummeriert seyn, so hat jeder Gemeindrath zu veranstalten, daß fördersammst jedes Haus mit der in der Ordnung fortlaufenden Nummer so bezeichnet werde, daß da, wo ein Eigenthümer mehrere Gebäude besitzen sollte, dieselben alle, gleiche Nummer, aber dabey abändernde Buchstaben, als z. B. No. 10.a, 10.b, 10.c erhalten.» 

Dank dieser Bestimmung darf man annehmen, dass auch zwei nicht unmittelbar benachbarte Gebäude desselben Eigentümers dieselbe Nummer mit Buchstabenindex erhalten haben, eine Usanz, die man 1895 bei der ersten Umnummerierung aufgegeben hat.

Das Gebäude mit der Nummer 1 war damals die Mühle (heute Assekuranznummer 305, Müliweg 7). Für weitere Bauten im Eigentum des Müllers wurden die Indizes A bis E vergeben. Für 1A und 1D wissen wir (noch) nicht, worum es sich handelte. Das Gebäude 1C (heute Assekuranznummer 303) ist die Scheune der Mühle, bei oder in der jeweils das Fischessen der Männerriege Weiach stattfindet (sog. «Mülischür» vgl. WeiachBlog Nr. 244). 

Trottenstrasse 7 wurde 1811 wohl nicht verkauft

Die Nummern 1B und 1E wurden für das seit 1955 mit der Assekuranznummer 289 bezeichnete Gebäude an der Trottenstrasse 7 vergeben, das als Trotthaus diente. Diese Baute war es wohl, die Ruth Schulthess, geborene Bersinger, in ihrem 1941 an der Bezirksschule Kaiserstuhl gehaltenen Vortrag gemeint hat (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 89, Gesamtausgabe S. 329). 

Da in diesem Vortrag erwähnt wird, diese Trotte sei nach wie vor in ihrem Familienbesitz und werde noch aktiv betrieben, sowie abgeleitet aus dem Wissen, dass die Mühle 1893 nachweislich nicht mehr einem Bersinger gehört hat (vgl. WeiachBlog Nr. 1662), kann man schliessen, dass diese Liegenschaft 1811 nicht verkauft (oder von einem anderen Bersinger aus der Untervogtsfamilie übernommen wurde).

Quellen und Literatur

Keine Kommentare: