Mittwoch, 30. Januar 2013

Januarwetter 1963: sogar die Laufbrunnen froren ein

Vor 50 Jahren wurde Mitteleuropa von einer Kältewelle überrollt. Besonders in der zweiten Monatshälfte wurde es sehr winterlich - mit sibirischen Temperaturen, wie Walter Zollinger in seiner Jahreschronik 1963 schreibt:

«Januar: Eine sauber-weisse Landschaft begrüsst uns am Neujahrsmorgen. Ist's wohl ein gutes Omen für die Witterung des ganzen Monats? - Schon am zweiten Tag aber wirds leicht regnerisch und der Schnee weicht wieder. Dafür bringen im Laufe des Monats verschiedene andere Tage neuen z.T. sogar reichlichen Schneefall, nämlich der 5. 8. 11. 12. 19. 27. und 30. Januar. So ist der ganze Monat, wie er's am ersten Tag anzeigte, für unsere Kinder wieder einmal ein richtiger Bringer von Winterfreuden.

Das erste Monatsdrittel ist nicht übermässig kalt, immer so zwischen -2° und +2°C; aber gegen die Monatsmitte wird es kälter: -8°, -12°, am 14. morgens sogar -23°! Jetzt heisst's heizen und aufpassen, dass die Wasserleitungen nicht einfrieren. Die Kälte nimmt nach dem 15.1. nur wenig ab, die Morgen zeigen immer noch so um -10° bis-12°C, vom 20.1. an sogar wieder -16°, -18°, -19° und auch tagsüber hält sich die Kälte immer erheblich unter 0°, durchschnittlich bei -7°. Die Dorfbrunnen überziehen sich einer nach dem andern mit einer dicken Eiskruste und fangen an langsamer und langsamer zu fliessen, bis die meisten überhaupt zu "streiken" beginnen. Bei unserm "Mühlebrunnen" musste ich vom 20.1. an die Eiskruste jeden Morgen mit einem Beil einschlagen, damit es den Trog nicht etwa versprenge. Er stammt nämlich aus dem Jahre 1790 (siehe 1952-er Chronik) und da wär's doch schade um ihn.

Im übrigen gab es neben ziemlich vielen Tagen mit trübem, nebligem Wetter, oder doch mit kompakter Hochnebeldecke, auch einige recht sonnige Nachmittage oder Abende, dazu vier ganze sonnige Tage. Allerdings blieb es trotzdem auch an diesen recht kalt; der Oberwind beherrschte das Feld. Also, der Jänner hat seine Sache fachgerecht gemacht, er soll ja beileibe nicht warm sein, denn: "Januar warm --- dass Gott erbarm!
»

Die Kälte führte übrigens zu einem der seltenen Fälle in denen grosse Seen im Schweizer Mittelland zufrieren - sie war die Voraussetzung für die Seegfrörni 1963 auf dem Zürichsee.

Quelle
  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1963 - S. 3. [Original in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1963].

Dienstag, 15. Januar 2013

Vier scharfe Schüsse in der Küche

Gestern und vorgestern standen in diesem Blog zwei Nachrichten im Fokus, die 1902 vom Berner «Intelligenzblatt» veröffentlicht wurden. Die sich im Untertitel «Tagesanzeiger für die Stadt und den Kanton Bern» nennende Zeitung existierte bis 1919.

Als dritter Beitrag mit Bezug zu Weiach steht heute eine Notiz vom Donnerstag, 27. Januar 1910 im Fokus (vgl. S. 3), die unter der Rubrik «Unglücksfälle und Verbrechen» zu finden ist:

«Zürich, 26. ds. Gestern stürzte in Zürich V ein Polier samt einer Ladung Holz infolge Bruches eines Seiles auf die Straße hinunter und war sofort tot.

In Weiach gab ein 27jähriger Schlosser in der Küche vier scharfe Schüsse auf seine Frau ab. Diese konnte sich ins Freie flüchten. Der Mann wurde verhaftet. Er scheint im Rausch geschossen zu haben.
»

Die Abkürzung «ds.» steht für «diess», gemeint ist der laufende Monat. In diesem Fall also der Januar. Ob der Polier im Zürcher Industriequartier vom Holz getroffen wurde? Als bequemen Aufzug hat er die Holzlieferung hoffentlich nicht missbrauchen wollen.

Wie mit dem Metallarbeiter aus Weiach weiter verfahren wurde, ist mir derzeit nicht bekannt. Ohne einen Gerichtsprozess und eine Haftstrafe dürfte er nicht davongekommen sein. Weitere Informationen müssten der regionalen Presse entnommen werden.

Montag, 14. Januar 2013

Obstsegen von über 10'000 Bäumen

Im gestrigen Beitrag war die Rede von abhanden gekommenem Geld, das unter den Kartoffeln gefunden wurde - eine der fünf Fundstellen des Namens Weiach in den jüngeren Ausgaben des Berner «Intelligenzblattes».

Heute nun die zweite Fundstelle aus demselben Jahr. Sie datiert vom Freitag, 7. November 1902. Auf S. 2 findet man den folgenden Text:

«Obstsegen. Einem Landwirt in Weiach (Zürich), der besonders auf edles Obst hält und sehr viele Edelobstbäume besitzt, wurden für den Gesamtertrag 3000 Fr. geboten. Er schlug nicht los, sondern verlangte 4000 Fr. Die obstreiche Gemeinde Weiach, die, wie kaum eine andere gute Sorten zählt, besaß schon im Jahre 1882 über 10,000 Obstbäume.»

Ist das nicht unglaublich? Auf weniger als 5 Quadratkilometern (von den 964 Hektar Gemeindefläche ist nämlich gut die Hälfte von Wald bestockt) fand man statistisch auf jeder Hektare 20 Obstbäume. Weil es ja auch noch viel Ackerland gab, war damit die Dichte an Obstbäumen in den Bungerten (Baumgärten) um das Dorf herum noch wesentlich höher.

Und heute? Welch kümmerliche Reste sind von der ganzen Pracht übrig geblieben? Wieviele Bäume sind rücksichtslos der Rationalisierung der Landwirtschaft und der Bauwut geopfert worden? Was für ein Verlust an genetischer Vielfalt ist da zu beklagen, zählte man doch im Weiach des 19. Jahrhunderts Dutzende verschiedener Sorten.

Die oben erwähnten 4000 Franken für den Gesamtertrag wären heute mit einem Erlös von rund 143'000 Franken zu veranschlagen (vgl. die Rechenbeispiele bei Swisstoval im Artikel von gestern).

Nur: Mit Papiergeld, das je länger je weniger Wertgehalt hat, sollte man das landwirtschaftliche Erbe nicht messen. Es ist unbezahlbar wertvoll.

Sonntag, 13. Januar 2013

Barschaft und Kassenbüchlein unter den Kartoffeln

Wo ältere Menschen grosse Geldsummen zur Verfügung haben, da finden sich unweigerlich Erbschleicher und andere zwielichtige Gestalten ein. Die berüchtigten Enkeltrick-Betrüger sind nur eine der bekannteren Spielarten.

Dass ein Betreuungsverhältnis auch früher schon zu zumindest heiklen Situationen führen konnte, zeigt der folgende Artikel aus dem Jahre 1902:

«Aargau. Eine schlimme Geschichte ist im Bezirk Laufenburg allgemeiner Gesprächsstoff. Eine Witwe S.H. von Kaisten war seit längerer Zeit Magd bei einem älteren, von seiner Frau geschiedenen Mann in Weiach (Zürich). Jüngst starb dieser, und die Angehörigen vermißten eine bedeutende Summe Geldes in seiner Verlassenschaft. Frau H. wurde deshalb in Weiach eingesteckt und gestand, das Fehlende (mit Einwilligung des Meisters) entwendet und ihrer Tochter in Kaisten zur Aufbewahrung übergeben zu haben. Mittwoch, den 19. März, wurde nun bei den hochbetagten, ledigen Tanten der Tochter, wo sie das Hauswesen führt, Haussuchung gehalten. Trotz beständiger Ableugnung des Besitzes fand man im Keller teils in Barschaft, teils in Kassenbüchlein 7000 Fr. unter den Kartoffeln versteckt. Natürlich wurde nun auch die Tochter in Laufenburg in Verwahrung genommen. Die beiden alten Tanten, deren Bruder jüngst gestorben, wußten gar nichts von dem verborgenen Schatze und waren höchst bestürzt, als sie ihre bisher durchaus unbescholtene und brave Nichte, welche zudem verlobt war, in einen so schiefen Handel verwickelt sahen. In wie weit Mutter und Tochter schuldbar sind, wird die Untersuchung zeigen.»

Diese Story findet man im Berner «Intelligenzblatt» vom Mittwoch, 26. März 1902 auf Seite 2. Diese Bezeichnung ist im Sinne des englischen Intelligence zu verstehen, also als Nachrichtenblatt (vgl. u.a. den Wikipedia-Artikel Intelligenzblatt).

Die Publikation war nach Einschätzung der Universitätsbibliothek Bern «lange Zeit die wichtigste Berner Tageszeitung». Die UB Bern hat die vollständigen Jahrgänge scannen lassen und macht sie unter intelligenzblatt.unibe.ch online zugänglich. Über die dort angebotene Suchmaschine findet man in insgesamt fünf Ausgaben den Ortsnamen Weiach.

Und um wie viel Geld ging es bei diesen 7000 Franken? Der spätere Nobelpreisträger Albert Einstein verdiente im Jahr 1909 als Mitarbeiter des Eidgenössischen Patentamts 4500 Franken. Der speziell zur Homogenisierung von Geldwertangaben geschaffene Historische Lohnindex (HLI) gibt für diese Summe umgerechnet auf das Jahr 2009 einen Wert von 161'508 Franken an.

Unter den Kartoffeln lag also nach heutigen Geldwerten gerechnet rund eine Viertelmillion!

Mehr zum Historischen Lohnindex und der Umrechnung von Einsteins Lohn unter http://www.swistoval.hist-web.unibe.ch

Hilfsmittel
  • Christian Pfister, Roman Studer: Swistoval. The Swiss Historical Monetary Value Converter. Historisches Institut der Universität Bern. http://www.swistoval.hist-web.unibe.ch (Zugriff am 13.01.2013)

Donnerstag, 3. Januar 2013

Was im März 1785 alles zum Wirtshaus zu Weyach gehörte

Im alten Stadtstaat Zürich gab es im 18. Jahrhundert wöchentlich erscheinende Publikationen, in denen neben amtlichen Verlautbarungen auch private Anzeigen veröffentlicht wurden, so das «Hoch-Obrigkeitlich bewilligte Donnstags-Blatt» (vgl. Bild)


In der Rubrik «Es wird zum Verkauf angetragen» der Ausgaben No.  XIII  vom 31. Merz 1785  [Nr. 10] und der No. XIV vom 7. Aprill 1785  [Nr. 30] wurde folgendes Inserat abgedruckt:

«Ein Tafernen-Wirthshaus zu Weyach, bestehend in 3 Stuben, 5 Kammern mit 4 Bettern, 2 Schüttenen, Freyheit zu backen, zu wirthen, zu mezgen, zum Schrepfen und Aderlassen, ein gewölbter Keller mit 100 Saum Faß, alle mit Eisen gebunden, auch eine Trotten, 100 Saum Träst zu behalten, item eine Scheuer samt einem Gast-Stall, ein Haus-Stall, Waschhaus, s. v. Schweinstall, ferner ein Krautgarten, samt 2 dabey ligenden Baumgärten mit vielen Bäumen, ungefehr 3 Vierling groß, 7 Juchart Acker in allen 3 Zelgen, 5 Vierling gute Wisen, eine halbe Juchart Reben nahe bey dem Haus, ein Vierling Farb. Reben, eine Juchart Bauholz, 4 Juchart Holz und Boden, und ein grosser Platz vor dem Haus, Bau zusammen zu schorren

Umfassende Konzession

Unter einer Taferen oder Taverne verstand man zu dieser Zeit eine auch als ehaftes Wirtshaus bezeichnete Gaststätte, die - im Fall von Weiach als einzige - staatlich konzessioniert war und daher exklusiv das Recht auf umfassende Dienstleistungen für Gäste besass (vgl. auch den Wikipedia-Artikel Tafernwirtschaft).

Was im Fall der 1785 in Weyach zum Kauf angebotene Taferen alles zu den Rechten gehörte, wird im Inserat anschaulich beschrieben: der Wirt durfte eine Bäckerei, eine Metzgerei, eine Baderei (Schröpfen und Aderlassen) betreiben sowie Gäste über Nacht unterbringen. Für die Pferde, das Fortbewegungsmittel des Gastes, gab es einen eigens dafür vorgesehenen Stall (heute wäre das eine Tiefgarage).

Mit der eigenen Trotte konnte der Wirt auch selber Traubensaft pressen und daraus Wein keltern. Der Keller fasst immerhin Fässer mit einem Gesamtvolumen von 15'000 Litern (1 Saum = 150 Liter), wofür seine eigenen Reben kaum ausreichten.

Der dazugehörende Umschwung (Krautgarten und zwei Baumgärten, ca. 2700 Quadratmeter) waren aber für die Selbstversorgung gut geeignet und die rund zweieinhalb Hektaren Ackerland, eine halbe Hektare Wiesen und anderthalb Hektaren Wald auch nicht zu verachten.

Was ist ein Vierling? Vorsicht mit Flächenmassen!

Eine Jucharte unterteilte sich in 4 Vierlinge oder 16 Quärtli (vgl. Artikel Juchart im Historischen Lexikon der Schweiz). Der Einfachheit halber wird bei obigen Berechnungen davon ausgegangen, dass 1 Jucharte rund 36 Aren entspricht, ein Vierling wäre demnach etwa 9 Aren gross.

Zu beachten ist aber, dass eine Juchart je nach Bodennutzung (Äcker, Wiesen, Wald oder Rebgelände) durchaus unterschiedlich gross sein konnte. So waren Waldjucharten eher grösser, Rebjucharten hingegen kleiner. Der Grund für diesen Unterschied: mit dem Begriff der Jucharte wurde der Zeitbedarf für die Bewirtschaftung gemessen (vgl. unten Weiterführende Artikel).

Wo stand die ehafte Taverne damals?

Aufgrund eines in den 1820er-Jahren gezeichneten Plänchens (vgl. WeiachBlog Nr. 944) darf man annehmen, dass das Wirtshaus damals auf dem Platz der heutigen Liegenschaft Oberdorfstrasse 7 stand - an der Verzweigung von Oberdorfstrasse und Winkelstrasse, d.h. am Nordende des alten Hauptplatzes im Dorfzentrum. Das Südende besteht aus der Gabelung Oberdorfstrasse - Alte Poststrasse (ehemals Zürcherstrasse genannt, die über die Bergstrasse nach Stadel Richtung Zürich führte).

Weiterführende Artikel

Mittwoch, 2. Januar 2013

«Könnints nit hungers sterben lasßen». Auswanderungsgründe 1653

Gestern war die Rede davon, wieviele Bürger der Gemeinde Weiach in aller Welt leben - und die Heimatgemeinde kaum noch kennen. Die grosse Anzahl auswärts lebender Bürger ist ein deutliches Indiz dafür, dass in früheren Jahrhunderten viele Weiacher aus wirtschaftlicher Not ihr Auskommen anderweitig finden mussten. Viele davon für immer.

Denn in der Regel ziehen die Menschen nicht weit von ihrem Elternhaus weg - das ist selbst heute nicht anders. Wohl geht man gern weiter weg in die Lehre, studiert gar im Ausland, aber die Mehrheit wird später wieder in dem Gebiet sesshaft, wo die Wurzeln der eigenen Familie seit jeher zu finden sind. Dieser Effekt kann anhand von Telefonbucheinträgen bestimmter Namen gut belegt werden: die Wohnorte clustern auch heute noch ziemlich nahe um die ursprünglichen Bürgerorte herum.

Bevölkerungsboom und Wirtschaftskrise

Was waren also die Gründe, dass man von hier weg musste? Im 17. Jahrhundert erlebte Weyach einen Bevölkerungsboom. Noch 1637 zählte der Pfarrer im Auftrag der Regierung 392 «Seelen in der Gmeind», also tatsächlich dort lebende Einwohner. 1650 waren es bereits 483. Innerhalb von nur 13 Jahren war die Bevölkerung um 23 Prozent gewachsen. Ein enormes Wachstum - für die damalige Zeit sowieso.


Damit einher ging 1648 mit dem Westfälischen Frieden das Ende von dreissig Jahren Kriegswirren gleich ennet der Grenze. Für die Schweiz veränderte sich die wirtschaftliche Lage rasant. Schweizer Agrarprodukte waren in der Folge nicht mehr derart gefragt wie in den Kriegsjahren. Die Preise kamen unter Druck. Und damit auch die landwirtschaftlichen Strukturen.

Der Bevölkerungsboom kombiniert mit der Wirtschaftskrise nach 1648 dürfte in Weiach sehr stark zu spüren gewesen sein. Das kann man erahnen, wenn man die folgende Beschwerde zweier Abgeordneten aus unserem Dorf liest, die 1653 einer Kommission aus der Stadt Zürich vorgelegt wurde. Die Regierung des Stadtstaates Zürich befürchtete Unruhen wie im Bernbiet und wollte daher herausfinden, ob man den Untertanen auf dem Land das Leben in gewissen Punkten erleichtern könne, damit sie nicht ebenfalls Umsturzgedanken in die Tat umsetzen wollten.

Keine Unterstützung von der Regierung

Die Beschwerde (das sog. Gravamen Nr. 7) liest sich im Original wie folgt:

«Wylen sich die zeithar an etlichen orthen und sonderlichen zu Wejach frömb[d]e lüth befinden lasßen, die daß junge volckh mit versprëchung, jnnen dienst und gute glegenheiten zu zeigen, uß dem land hinweg führint, und die eß wehrint, werdint nur verhaßt und jnen geantwortet, sy müßint woll hinweg lasßen, könnints nit hungers sterben lasßen, wylen jnnen uß der stat nützit vorgesetzt werde. [...].»

Aus diesen Worten ist ganz deutlich die Kritik herauszuhören, dass die Regierung nichts unternehme, um die Notlage der Bevölkerung (z.B. in Weiach) zu lindern. Insbesondere scheinen auch nicht genügend Lebensmittelhilfen angekommen zu sein, so dass man im Dorf nur allzu gern den Versprechungen des Anwerbungspersonals fremder Fürsten Glauben zu schenken bereit war - Fürsten, die Kolonisten für ihre kriegsbedingt entvölkerten Gebiete oder schlicht Soldaten suchten. Das waren schliesslich nicht gerade risikofreie Alternativen zum Leben in der Heimat.

Es ist jedenfalls bezeichnend, dass diese Abwerbungen offensichtlich einigen Personen, die im Dorf etwas zu sagen hatten, missfielen, sonst würde nicht davon berichtet, dass diejenigen die dagegen redeten oder gar handelten, sich bei den Jungen verhasst machten.

Quellen und weiterführende Literatur

Dienstag, 1. Januar 2013

Mehr als doppelt so viele Bürger wie Einwohner

Am 3. Dezember 2012 hat sich der Nationalrat mit 94% Ja für die Abschaffung der Rückerstattungspflicht des Heimatkantons ausgesprochen.

Was der Entscheid bewirken soll, erklärt die Schweizerische Depeschenagentur wie folgt:

«Für die Sozialhilfe ist künftig in allen Fällen der Wohnsitzkanton von Bedürftigen zuständig. Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat einer entsprechenden Gesetzesänderung zugestimmt. Schon heute sind in der Regel die Wohngemeinden für die Sozialhilfe zuständig. Lebt ein Bedürftiger aber weniger als zwei Jahre in seinem Wohnkanton, muss der Heimatkanton für die Kosten aufkommen. Nun haben die Räte diese Rückerstattungspflicht des Heimatkantons abgeschafft. Auch im Nationalrat war unbestritten, dass die heutige Regelung veraltet ist. Umstritten ist, ob die Verliererkantone entschädigt werden sollen. Der Nationalrat hat sich dafür ausgesprochen. Nun muss noch der Ständerat entscheiden.» (Zitat nach politnetz.ch)

Diese Berücksichtigung im nationalen Finanzausgleich wurde selbentags unter dem Titel Abschaffung der Rückerstattungspflicht des Heimatkantons in der NFA berücksichtigen mit 71% Ja-Stimmen angenommen.

Wenn der Ständerat den beiden Vorlagen in seiner nächsten Session ebenfalls zustimmt, ist der so genannte Heimatort noch ein Stückchen mehr zur Folklore und Traditionspflege geworden. Einen wirtschaftlichen Sinn macht er je länger je weniger.

Wohnortsprinzip als Glück für ehemals kinderreiche Landgemeinden

Würde der Heimatort immer noch für alle seine Armengenössigen finanziell aufkommen müssen, dann sähe es in den Kassen mancher Gemeinde sehr schlimm aus. Dies kann man sich nur schon daran veranschaulichen, dass beispielsweise die Oberemmentaler Gemeinde Trub mit rund 1373 Einwohnern (Stand vor einem Jahr, 31.12.2011) insgesamt gut 50'000 Bürgerinnen und Bürger zählt.

Grad so extrem ist das Verhältnis der Bürger zu der aktuellen Einwohnerzahl im nördlichen Züribiet nicht, wie der «Zürcher Unterländer» in einem Artikel mit dem Titel «567 Einwohner – 1847 Bürger» (ZU, 19. November 2012, S. 3) darlegt. Der Titel steht für Bachs, den Extremfall im Zürcher Unterland.

«Neben Bachs haben Weiach, Hüntwangen,Wasterkingen,Wil, Oberembrach, Schleinikon und Regensberg deutlich mehr Heimatort-Bürger als Einwohner», schreibt Caroline Bossert, wobei der Heimatort-Bürger das Äquivalent eines weissen Schimmel ist. Schon allein diese Wortschöpfung einer jungen Journalistin zeigt, wie lebensfern das Konzept des Bürgerorts mittlerweile geworden ist.

Die Zahlen zu den Bürgern sind denn auch nicht so weit verbreitet wie die Einwohnerzahlen. Sie müssen auf den Zivilstandsämtern dem informatisierten Standesregister Infostar entnommen werden.

Tiefer als Faktor 1.5 geht es kaum

Weiach ist also nach Bachs die Nummer zwei im Verhältnis Bürger- zu Einwohnerzahl. Bei 1029 Einwohnern (Stand Ende 2011) und 2128 Weiacher Bürgern ergibt sich ein Verhältnis von 2.06 - also etwa doppelt so viele Bürger wie Einwohner.

Mit dem Bau und Bezug neuer Wohneinheiten im Quartierplangebiet See/Winkel dürfte diese Zahl auch in Weiach deutlich unter 2.0 sinken. Bei rund 1.5 ist aber ziemlich sicher Schluss, denn mehr als den Wohnraum für etwa 1500 Einwohner geben die noch erschliessbaren Bauentwicklungsgebiete nicht her.

Vorausgesetzt, dass im äussersten Nordwestzipfel des Kantons künftig durch Wohnungsnot oder Finanzknappheit nicht eine massive innere Verdichtung (mehr Personen pro Wohneinheit) Platz greift, bleibt Weiach auch damit ein Exot. Die Mehrheit (31 von 43 erfassten Unterländer Gemeinden) weist heute nämlich mehr Einwohner als Bürger auf.