Montag, 25. April 2022

Radbandage gebrochen. Passagier schlägt in Panik Scheibe ein

Seit dem 1. August 1876 war die Linie Winterthur-Koblenz der Schweizerischen Nordostbahn (NOB) in Betrieb. Und seit dem 1. Juni 1897 war das Teilstück Bülach-Eglisau in Doppelspur ausgebaut. Also der heutige Ausbaustand, einfach noch ohne Elektrifizierung. Nicht immer lief auf der Strecke alles so, wie es sollte. 

Am 26. Februar 1898 ereignete sich ungefähr bei Kilometer 29, auf der Höhe des 1957 errichteten Lagerhauses der Landwirtschaftlichen Genossenschaft Weiach (heute Landi Weiach), ein Unfall:

«Auf der Bahnstation Weiach entgleiste am vergangenen Samstag vor Einfahrt in die dortige Station ein Personenwagen des in der Richtung von Winterthur kommenden Bahnzuges infolge Bruches einer Radbandage. Ohne weitern Unfall konnte der Zug zum Stehen gebracht werden, worauf die Insassen des betroffenen Wagens disloziert und dieser ausrangiert wurde. Die Passagiere kamen mit einiger Aufregung davon. Einer derselben schlug in seiner Angst eine Scheibe ein, um sich durch das Fenster zu retten und erhielt hiebei eine Verletzung an der einen Hand. Nach etwa anderthalbstündigem Unterbruch konnte der Zug seine Fahrt fortsetzen.»

Was ist eine Radbandage?

Zur Zeit der Kutschen zog der Wagner Stahlreifen auf Holzräder auf. Bei der Eisenbahn ist das nicht viel anders. Auch da wird ein stählerner Reifen erhitzt und auf einen Grundkörper aufgezogen.

Nun sind Bähnler ja bekanntlich etwas eigen. Und so haben sie auch ihre eigenen Begriffe. Sie nennen diesen stählernen Radreifen lieber Radbandage. Die Bandage ist also so in etwa das, was bei einem Auto der Pneu auf der Felge ist: Ein Teil, das besonders dem Verschleiss unterliegt und das man daher regelmässig neu aufziehen muss. 

Am Unterhalt gespart?

Da war also sozusagen ein Pneu während der Fahrt kaputtgegangen. So etwas sollte eigentlich nicht passieren. Hatte die NOB etwa am Unterhalt gespart? Und den Unfall in Kauf genommen? 
Diesen bösen Verdacht kann man nicht so einfach von der Hand weisen, denn die Geschäftsleitung der Nordostbahn war bekannt dafür, die Gewinnorientierung auf die Spitze zu treiben. 

Mit ihren 5000 Mitarbeitern sprang sie auch nicht pfleglich um, sodass diese 1897 einen grossen 41-stündigen Streik organisierten. Dieser Arbeitskampf war mitverantwortlich dafür, dass der Souverän in der Volksabstimmung vom 20. Februar 1898 die Verstaatlichung der fünf grössten Privatbahnen zu den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) bei 78 % Stimmbeteiligung mit Zweidrittelsmehrheit gutgeheissen hat.

Affaire à suivre

Den Bericht über diesen Vorfall habe ich übrigens erst vor kurzem in den jüngst digitalisierten Beständen des «Seeländer Boten» gefunden, also in einer bernischen (!) Regionalzeitung. Anhand des Datums wird man sich nun auch in Regionalblättern des Zürcher Unterlands auf die Suche nach Berichten zu diesem Unfall machen können.

Quellen 

  • Seeländer Bote, Anzeigen-Blatt für Biel und das Seeland. Band 49, Nummer 26, 1. März 1898, S. 1. [Link auf E-npa.ch]
  • Lämmli, B.: Rad oder Radsatz? In: www.lokifahrer.ch, Lupfig 2022.

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