Mittwoch, 20. April 2022

Das «Bärenloch» auf dem Wörndel

«Warum wird ein Loch im Wald, etwa einen Meter breit und vielleicht dreissig bis vierzig Zentimeter tief, als Kulturgut von kantonaler Bedeutung angesehen? Was ist so besonders toll an dieser Vertiefung östlich von Weiach auf dem Wörndel, einem Hügel, der von den Einheimischen auch «Leuenchopf» genannt wird?» (ZU, 23. Juli 2015; mit Bild des Loches)

Das fragte sich Manuel Navarro, Redaktor des Zürcher Unterländers, als er für die Serie Unterland Kurios zum publizistischen Sommerloch 2015 passende Beiträge suchte. Und stiess im Archiv der Artikel-Serie Weiacher Geschichte(n) auf die Nummern 76 und 77 über die Wall-Graben-Anlagen auf dem Leuenchopf (frühere Bezeichnung: Wörndel) und der Fasnachtflue (frühere Bezeichnung: Ebnet).

Jugenderinnerungen alter weisser Männer

Tiefe Bodenlöcher, gar veritable Höhleneingänge, sind immer ein Faszinosum gewesen, zumal für abenteuerlustig-gwundrige Knaben. Ganz besonders, wenn sie in unmittelbarer Nähe auffallender Wall-Graben-Anlagen zu finden sind.

So verwundert es nicht, dass sich ein Jörg Schwendener auch noch nach Jahrzehnten an die Spielplätze seiner Weiacher Jugend erinnern kann. Unter einem Bild vom Aussichtspunkt Türmli (ob der Buhalde), am Nachmittag des Ostermontags von Urs Wiesendanger in der Facebook-Gruppe «Du bisch vo Weiach, wenn...» gepostet, fragte Schwendener nach dem bekannteren Weiacher Aussichtspunkt Leuenchopf. Besonders nach dem dortigen Loch im Boden:


Die Antwort Wiesendangers bestätigt Text und Bild aus dem «Unterländer» vor rund sieben Jahren zum damaligen (und mutmasslich auch heutigen) Zustand: Nichts wirklich Spektakuläres. – Oder doch?

Da war ein Eingang! In eine Höhle!

WeiachBlog Nr. 1224, die gleichentags publizierte Replik auf Navarros Artikel, kann noch um eine mittlerweile auch schon im AHV-Alter stehende Notiz ergänzt werden. Sie stammt von Marcel Hintermann, der in den 1950ern in der Zurzacher Volksblatt eine Artikel-Reihe über Gemeinden am Hochrhein (darunter auch Weiach) publiziert hat:

«Beim Wörndel ist das sogenannte Bärenloch. Die Frage ist, ob es als eigentliche Höhlenöffnung oder als eingesunkene Stelle eines unter dem Waldboden durchgehenden Ganges zu betrachten ist, nachdem, daß der Volksmund diesen Ort mit der Zweidlerhöhle verbunden wissen will. Der heute zwei Meter tiefe Einstiegkamin soll früher doppelt soviel gemessen haben. Es wäre zu gefährlich, den bestehenden, anfänglich gegen Osten abfallenden Teil tiefer hinein zu verfolgen. Die Männlihöhle unter dem Stein soll seinerzeit mit dem Bärenloch in Verbindung gewesen sein. Es wird behauptet, ein Knabe aus Weiach hätte den fraglichen Durchgang seinerzeit erprobt.» (Hintermann 1955, S. 44)

Viel mehr lokalhistorische Informationsverdichtung als auf diesen wenigen Zeilen ist kaum möglich.

Unterirdische Verbindungen in den Tiefen des Ämpergs?

Schon Hintermann hält also fest, dass dieses Bodenloch einst (d.h. vor 1950) wesentlich tiefer gewesen sein muss. Daher auch die Bezeichnung als «tiefes Bodenloch» im KGS-Inventar. Und eigentlich müsste diese archäologische Fundstelle von kantonaler Bedeutung (Codierung «102LOCH00001») somit den Namen «Bärenloch» tragen. 

Der oben abgebildete Ausschnitt des Digitalen Terrainmodells 2017 Bund (DTM; https://maps.zh.ch/s/2yliud3x) zeigt den Standort des nun verstürzten Lochs. Er liegt ausserhalb der beiden sich deutlich abzeichnenden Wall-Graben-Strukturen auf dem Sporn des Leuenchopfs.

Mit der Zweidlerhöhle dürfte der vom Leuenchopf mind. 800 m Luftlinie in östlicher Richtung gelegene, ehemalige Steinbruch auf Glattfelder Gemeindegebiet (https://maps.zh.ch/s/sfrdnsxb) gemeint sein: 

«Im Areal Zweidlerhöli finden sich Überreste eines Bergwerks, in dessen Stollen in der (Frühen) Neuzeit Sandstein gebrochen wurde. Ein Teil der unterirdischen Kavernen sowie grosse Aushubschüttungen im unmittelbaren Vorfeld sind noch erhalten.» (Inventarblatt Kulturerbelandschaft Nr. 6005 Ämperg)

Die Männlihöhle (auch «Männliloch» genannt) ist in der markanten, von Nordwest nach Südost verlaufenden Nagelfluh-Abbruchkante des «Stein» zu finden. Um vom Leuenchopf unterirdisch dorthin gelangen zu können, müsste ein Tunnelsystem von mehr als 500 Metern Länge existieren.

Haben wir es bei diesen sagenhaften Durchgängen mit Prahlerei oder doch mit einem wahren Kern zu tun? Wer weiss...

Spannend ist die Geschichte allemal. Zumal das Männliloch geradezu sagenhafte Wirkungen auf die menschliche Fruchtbarkeit haben soll. Aber das ist Stoff für einen weiteren Beitrag.

Quellen

  • Hintermann, M.: Rund um Kaiserstuhl. Kaiserstuhl – Fisibach – Bachs – Weiach – Hohentengen – Herdern – Günzgen – Stetten – Lienheim. [SA der Artikelserie «Von Rheinau bis Waldshut» in der Beilage «Grenzheimat» im «Zurzacher Volksblatt» 1952-1953]  Oberglatt ZH, 1955.
  • Navarro, M.: Ein schützenswertes Loch im Boden. In: Zürcher Unterländer, 23. Juli 2015 – S. 3 [Link zum Bibliothekseintrag; Link zum ZU-Artikel (Paywall)]

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