Donnerstag, 17. Oktober 2024

Orgelrevision, mitfinanziert von der Glaubensgenossenschaft

Das erste fix in der Weiacher Kirche platzierte Instrument war ein Harmonium des süddeutschen Herstellers Trayser. Die im Jahre 1930 eingeweihte erste richtige Orgel hingegen war ein Werk der Firma Kuhn mit Sitz an den Gestaden des Zürichsees. 

Auf Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsschwankungen reagieren solche Instrumente teils höchst empfindlich. Töne bleiben hängen, wie Organisten das nennen, wenn sich im komplizierten Inneren einer Orgel etwas verklemmt. So einen Vorfall hört dann selbst der Laie. Deshalb muss man Orgeln regelmässig Pflege angedeihen lassen. Nebst dem Stimmen ist periodisch auch eine Revision fällig, die dann schnell einmal einige Prozente des ursprünglichen Anschaffungspreises kosten kann. 

Revision 1959

Anfangs des Jahres 1959 wussten die Weiacher noch nicht, dass sie wenige Jahre später im Rahmen der grossen Gesamtrestauration ihre im Chor platzierte Orgel herausreissen und durch ein neues, auf der Empore platziertes Instrument ersetzen würden:

«Die unterm 26.2. beschlossene Revision der Orgel wurde während des April durchgeführt und kostete gesamthaft Fr. 2'671.25, woran die Glaubensgenossenschaft Kaiserstuhl/Fisibach Fr. 500.- beisteuerte. Die Gottesdienste waren während dieser Zeit ins Oberschulzimmer verlegt worden.» (G-Ch Weiach 1959, S. 8)

Was schreibt der Chronist Walter Zollinger da? «Glaubensgenossenschaft»? Ja, keine Erfindung. Das war damals der offizielle Name der heutigen Evangelisch-Reformierten Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach. Bereits in der gedruckten Broschüre mit den Jahresrechnungen 1945 der verschiedenen Weiacher Gemeinwesen ist exakt diese Bezeichnung zu finden.

Mit dem «Oberschulzimmer» ist nicht etwa eine Räumlichkeit der Sekundarschule in Stadel gemeint, da geht es um Zollingers eigenes Klassenzimmer im Alten Schulhaus Weiach.

Quelle

  • Zollinger, W.: Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Hier: Chronik des Jahres 1959. Signatur: G-Ch Weiach 1959 – S. 8.

Dienstag, 15. Oktober 2024

Bombendrohung wegen Beschwerde ans Bundesgericht

Im September vor 25 Jahren wurde bekannt, dass mehrere von Fluglärm betroffene Gemeinden sich einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht angeschlossen hatten. Ziel war die Klärung der Frage, ob die Fünfte Ausbauetappe des Flughafens Zürich so wie geplant (und vom Kanton bewilligt) in die bauliche Wirklichkeit überführt werden dürfe.

Konkret ging es da um das Dock Midfield samt den dafür nötigen Tunnelbauten. Wer schon einmal von dort abgeflogen oder dort angekommen ist, der weiss: Um zu diesem Inselterminal zu gelangen, muss man als Passagier eine automatisch betriebene U-Bahn benutzen. Gebaut wurde also dann doch.

Vor einem Vierteljahrhundert verfügte die zuständige Kammer des Bundesgerichts allerdings erst einmal einen temporären Baustopp und verlangte, dass nur Arbeiten ausgeführt werden dürften, die leicht wieder rückgängig zu machen wären, sollte die Beschwerde gutgeheissen werden.

Nur Stadel und Weiach wurden zum Hassobjekt

Unter den beschwerdeführenden Gemeinden waren nebst anderen auch Stadel und Weiach. Diese beiden Gemeinden – und offenbar nur sie – wurden Zielscheibe eines Zeitgenossen, dem alle Sicherungen durchgebrannt sind. Verstieg sich diese Person doch zu einer veritablen Bombendrohung!

Wenn es um Sprengstoff geht, dann versteht der Bund bekanntlich keinen Spass. Und so wurde auch diese Nachricht schnell zu einer nationalen Angelegenheit, die in Form einer Kurzmitteilung der Schweizerischen Depeschen-Agentur selbst in regionalen Printmedien der Romandie abgedruckt wurde. Unter dem Titel: «Kloten. Deux communes menacées» steht die folgende Nachricht:

«Deux communes opposées à l'agrandissement de l'aéroport de Zurich ont reçu des menaces d'attentat à la bombe. Une lettre anonyme leur est parvenue fin septembre, quelques jours après l'annonce de leur recours auprès du Tribunal fédéral contre le début des travaux. La missive est considérée comme un dérapage. Ecrite à la main et dans un style maladroit, elle exigeait des communes de Weiach et de Stadel (ZH) qu'elles retirent leurs oppositions sous peine de voir une bombe exploser./ats»

Bei Zuwiderhandlung platzt die Bombe

Das handschriftlich abgefasste anonyme Schreiben, so die SDA-Journalisten, müsse als (verbale) Entgleisung betrachtet werden. Es verlange von den beiden Gemeinden (warum nur diese beiden versteht man nicht wirklich), ihre gegnerische Haltung aufzugeben, bei Strafe einer Bombenexplosion im Falle der Zuwiderhandlung.

Dass die Bundesanwaltschaft in dieser Angelegenheit tätig wurde, ist anzunehmen. Ob die Täterschaft je ermittelt wurde, das ist WeiachBlog zurzeit noch unbekannt. Affaire à suivre. Und vielleicht weiss die Leserschaft ja mehr darüber.

Quellen

[Veröffentlicht am 17. Oktober 2024 um 00:15]

Montag, 14. Oktober 2024

Walter Baumgartner. Nachruf auf eine Weiacher Velolegende

Es gibt nicht allzu viele Söhne und Töchter unserer Gemeinde, die die sogenannten Relevanzkriterien der deutschsprachigen Version der Online-Enzyklopädie Wikipedia erfüllen. Man kann sie an einer Hand abzählen.

Walter Baumgartner, genannt «Bäumli», war der erste Schweizer, der in der Disziplin Punktefahren an den Bahnradsport-Weltmeisterschaften eine Medaille geholt hat – die silberne. Ihm folgten so bekannte Grössen wie Urs Freuler (1981 bis 1987 ununterbrochene Gold-Serie) oder Bruno Risi (1992, 1994 und 1999 Gold).

Vier Kilometer. An der Weltspitze in Sachen Mannschaftsverfolgung

Insgesamt zweimal holte Walter Baumgartner für die Schweiz die Bronzemedaille in der Weltmeisterschaft der Mannschaftsverfolgung:

Sieger war in diesen beiden Jahren die DDR. Und wo wir schon eingangs die Wikipedia erwähnt haben, sei hier auch aus ihr zitiert, um zu zeigen, wie gross die Leistung dieser Viererteams war:

«Die Mannschaftsverfolgung gilt als „Königsdisziplin“ des Bahnradsports, weil neben der Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Mannschaftsmitglieds die perfekte Abstimmung aufeinander von entscheidender Bedeutung ist. Bis die Führungswechsel und das Hinterradfahren auf minimalem Abstand optimal durchgeführt werden [..], ist ein erheblicher Trainingsaufwand erforderlich. [...] Im Gegensatz zu Rennen mit Massenstart, bei denen die Fahrer mit einem Abstand von 30 cm bis zu über einem Meter am Hinterrad des Vorausfahrenden fahren, beträgt der ideale Abstand zwischen den Fahrern eines solchen „Viererzuges“ 15–20 cm. [...] Die Distanz beträgt 4000 Meter, die beiden Mannschaften starten an den gegenüberliegenden Geraden der Bahn an der Verfolgerlinie. Sieger ist, wer die Distanz als Erster bewältigt oder die gegnerische Mannschaft vorher einholt. Als Einholen gilt bereits die Annäherung auf einen Meter.»

Auf der Schlussetappe

Aber auch auf der Strasse war «Bäumli» präsent und mischte sowohl in Eintagesrennen (u.a. Tour du Nord-Ouest) als auch in Rundfahrten teils an vorderster Front mit. 1984 gewann er nach 1626.5 Kilometern die Schlussetappe der Tour de Suisse. Gestartet waren 109 Fahrer, im Ziel angekommen sind nur 77.

Nun hat «Bäumli» am 1. Oktober die Schlussetappe seines Erdengangs abgeschlossen, wie WeiachBlog erst gestern erfahren hat:

«Nach längerer Krankheit und doch so plötzlich» sei der Verstorbene von uns gegangen, schreibt die Trauerfamilie in der Todesanzeige. 

Ein stiller Schaffer im Hintergrund

Wer ihn näher gekannt hat, der weiss: Bäumli war nie einer, der sich in den Mittelpunkt gestellt oder grosses Aufheben um seine Befindlichkeit gemacht hätte. Noch letztes Jahr war er es, der viele Radsportgrössen an einem Tisch versammeln konnte, wie man dem Zürcher Unterländer entnehmen kann: 

«Auf Initiative des Ex-Radprofis Walter Baumgartner aus Weiach trafen sich kürzlich rund 30 ehemalige Radrennfahrer und ein paar Radsportfreunde im Restaurant Neuhof in Bachs zu einer Tavolata.»

An diesem Anlass konnten sogar Beat Breu (der «Bergfloh», der 1984 die Tour-de-Suisse-Etappe von Bürglen auf den Klausenpass gewann) und Godi Schmutz über die alten Zeiten ihrer Rivalitäten lachen.

Der Motor hinter dem Nationalen Kriterium Weiach

Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts (zwischen 2003 und 2012) fungierte der ehemalige Rennfahrer als Organisator des Kriteriums Weiach. Das war sozusagen die Strassenversion eines Bahnrennens. Je nach Kategorie galt es bis zu 90-mal, eine 1040-Meter-Runde durch Oberdorf und Bühl zu drehen. Was besonders im Jahr 2006 bei grosser Juli-Hitze eine ziemliche Herausforderung war (vgl. die vier WeiachBlog-Artikel aus dem Jahre 2006 in der Literaturliste). Die nahmen die Fahrerinnen und Fahrer aber gern auf sich, galt doch das Kriterium sozusagen als Meisterschafts-Revanche.

Im Dorf bleibende Erinnerungen hinterlassen

Noch vor wenigen Tagen, so hört man, sei Walter zu Fuss im Dorf unterwegs gewesen. Und vor nicht allzu langer Zeit habe er noch seine Reben gepflegt. 

Manch ein Weycher verdankt ihm und seinen Söhnen Spenglerarbeiten. Man findet sie auf und an Häusern quer durch das Dorf.

Zum Spielplatz-Hüsli auf der Wiese zwischen Gemeindehaus und Baumgartner-Jucker-Haus steuerte Bäumli den Güggel auf dem Dach bei (leider vor nicht langer Zeit einer Brandstiftung zum Opfer gefallen).

Und das sind nur ein paar wenige Eindrücke. Genauso knapp kommen die Medienberichte daher.

Die Schweizerische Depeschenagentur teilt mit...

«Die Radsport-Familie trauert um Walter Baumgartner. Er ist nach längerer Krankheit im Alter von 70 Jahren gestorben. Das Palmarès des Allrounders zieren unter anderem zwei WM-Bronzemedaillen mit dem Bahnvierer in den Jahren 1977 und 1978 sowie WM-Silber im Punktfahren 1978. 1984 gewann Baumgartner, der als Querfeldein-Fahrer seine Karriere lanciert hatte, die Schlussetappe der Tour de Suisse. (sda)»


Ein Cilo-Rennrad by Bäumli

Auch dem hier Schreibenden bleibt eine ganz handfeste Erinnerung an den von uns Gegangenen. Ein für heutige E-Bike-Zeiten schon fast unwirklich filigran wirkendes rotes Rennrad, Marke Cilo 240. Von der Velolegende im Herbst 1985 in seiner Werkstatt an der Bergstrasse höchstpersönlich aus Einzelkomponenten zusammengebaut.

Cilo, eine Schweizer Velomarke aus der Romandie, war damals in Helvetien sozusagen das fahrradmässige Nonplusultra. Wo andere sich von ihrem ersten Zahltag ein Töffli gekauft hätten, da leistete sich der junge spätere WeiachBlogger nach vielen Stunden als Fensterputzer im Bezirksspital Dielsdorf eine ganz besondere Anschaffung: Die heute noch fahrtüchtige Alltagsversion einer der Rennmaschinen, auf die Radprofis damals vertraut haben (mit Schutzblechen *hust*).

Quellen und Literatur

Freitag, 11. Oktober 2024

Die erste «Tusche» in Weiach? Eine Militärerrungenschaft

In der über 500 Seiten starken Sammlung der ausgehenden Meldungen des Stabs Grenzfüsilierbataillon 269 mit Kommandoposten in Weiach (vgl. WeiachBlog Nr. 2177) sind auch Trouvaillen versteckt wie das Dokument A  239 vom 11. Oktober 1939; ein Antrag an das vorgesetzte Kommando Grenzregiment 54 mit Kommandoposten im Gasthof Löwen, Glattfelden:

«Laut Befehl auf dem blauen Dienstweg soll die Trp. tuschen können. Die Kp. II. & III. können dies ohne grossen Zeitverlust im Schulhaus Glattfelden tun, was für die Kp. II bereits angeordnet ist.»

Man berücksichtige, dass die Truppe bereits seit Ende August im Einsatz war und beim Stellungsbau auch ordentlich ins Schwitzen gekommen sein dürfte. (Kp. = Kompanie)

Farbiger Dienstweg

Der erwähnte blaue Weg ist auch Dienstpflichtigen im 21. Jahrhundert keine Unbekannte. Gemeint ist der fachliche Befehlsweg des Sanitätsdienstes (blaue Kragenspiegel) von der Armeeführung bis hinunter zum Bataillon.

«Die übrigen Kp. in Weiach, Bachs, Fisibach und Kaiserstuhl haben einen zu weiten Weg dorthin. Daher soll zur abwechslungsweisen Benützung für diese Kp. oder Teile derselben zentral in Weiach eine einfache Douschgelegenheit geschaffen werden, laut beiliegendem Projekt. Wenn auch der Raum etwas eng ist, so eignet sich doch dieses Objekt. 

Eine Ab- und Ankleidemöglichkeit kann durch einen Vorbau aus Holz geschaffen werden.»

Anschliessend folgt die Berechnung der erforderlichen Materialien samt Antrag auf Genehmigung. 

Leider sind weder die Beilagen erhalten geblieben, noch wissen wir, wie die Antwort des Regiments-Quartiermeisters ausgefallen ist. Wir wissen auch nicht, in welchem Weiacher Gebäude diese Bataillonsdusche eingebaut wurde (denn dass sie bewilligt werden sollte, dafür sorgte schon der im Schreiben erwähnte Befehl).

Wie schreibt man dieses chätzers Wort?

Wie man den doch sehr kreativen Schreibweisen des Verbums «tuschen» und des Substantivs «Dousche» (samt durchgestrichenem s) entnehmen kann, war dem Tippenden die Orthographie dieser Begrifflichkeiten nicht so geläufig. Was wiederum darauf hindeutet, dass es sich bei Duschen damals noch um eine recht neue Errungenschaft gehandelt haben muss, zumindest für einige der Wehrmänner des Bataillons, die mehrheitlich aus dem Zürcher Unterland stammten.

Quelle

  • Tagebücher Stab Gz Füs Bat 269, 1939-1940, Bd. 1-5. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#1869*. Bild in Subdossier_0000004, Unterlagen_0000006, S. 623.
[Veröffentlicht am 14. Oktober 2024 um 22:36 MESZ]

Mittwoch, 2. Oktober 2024

Leuchtendes Glas feiert ganzjährig Erntedank

Seit August 1981 erfreuen die farbigen Chorfenster der evangelisch-reformierten Kirche Weiach die Besucher. Gestiftet wurden sie von der Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach. Für die Gestaltung zeichnete Ruth von Fischer, Zürich verantwortlich. Die Herstellung von Glas und Fassung besorgte Albert Rajsek, Boswil.

In der unteren Hälfte des Ostfensters ist sozusagen ganzjährig Erntedankzeit. Man sieht dort reife Kornähren, saftige blaue Trauben, bunt gemischte Blumen (laut von Fischer sind es Malven) und ganz rechts ein Früchtesortiment von Bäumen und aus Hausgärten.

Auf den Skizzenblättern von Fischers, die in Schachteln im Gosteli-Archiv schlummern, sind die Entwürfe erhalten geblieben:


Im selben Dossier findet man auch eine offizielle Aufnahme der drei Fenster zur Einweihung (hier der entsprechende Ausschnitt):


Wie unterschiedlich die Farben je nach Tageslichtqualität aufleuchten, zeigt dieser Ausschnitt einer Aufnahme der Weycherin Johanna-Jessica OFS vom Juli 2018:


Quelle und Literatur
  • Dossier «Weiach Glasfenster 1981». Gosteli-Stiftung, Archiv Ruth von Fischer; Faszikel Weiach. Signatur: AGoF 605.11
  • Brandenberger, U.: Die Sprossenteilung schützt gegen das «Auslaufen» des Raumes. WeiachBlog Nr. 1446, 20. Dezember 2019.
  • Brandenberger, U.: Ruth von Fischer zur Entstehung der Weiacher Chorfenster. WeiachBlog Nr. 1447, 21. Dezember 2019.
  • Brandenberger, U.: Die profanen Hintergründe eines Kunstwerks. WeiachBlog Nr. 1448, 22. Dezember 2019.
[Veröffentlicht am 16. Oktober um 21:33 MESZ]

Montag, 30. September 2024

Unser Zuchtstier Bismarck wird prämiert, September 1924

«Noch bis in die 1860er Jahre waren die beiden Hauptrassen Braun- und Fleckvieh ziemlich getrennt. Während im Zürcher Oberland und in der Seegegend Braunvieh vorherrschte, hielten das Wehntal und die Bezirke Bülach, Winterthur und Andelfingen mehr Fleckvieh. Im Allgemeinen war der Viehstand aber buntscheckig, von allen möglichen Farben standen in demselben Stalle. Zuchtstiere hatte es viel zu wenig und zumeist minderwertige Ware. Man hielt das Vieh meist so lange, als es irgend möglich war.» (Der Freisinnige, 11. Oktober 1924)

Etwas mehr als ein halbes Jahrhundert später konnte man den Erfolg der Landwirtschaftlichen Vereine sowie grosser Züchter (Maggi-Gutsbetrieb Kemptthal, Kloster Einsiedeln, Strafanstalt Regensdorf, etc.) anlässlich verschiedener grösserer und kleinerer Viehschauen begutachten. 

Simmental rules!

Vor 100 Jahren war Weiach nicht zuletzt dank seiner Viehzuchtgenossenschaft (V.Z.G.) eine Fleckvieh-Gemeinde, die immer wieder Blutauffrischungen aus dem Bernbiet zugekauft hat. Dafür sorgte die 1909 gegründete V.Z.G. Weiach, die explizit den Zweck verfolgte, die «Simmenthaler Fleckviehrasse» voranzubringen (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 117).  

Im September 1924 wurde in Winterthur eine grosse kantonale Landwirtschaftsausstellung ausgerichtet. Aufgeführt wurden sowohl Braunvieh wie Fleckvieh, da beide Schläge im Zürichbiet ihre Anhänger hatten.

Die dort preisgekrönten Fleckvieh-Zuchtstiere trugen mehrheitlich traditionelle Männernamen wie Felix, Ferdi (Ferdinand), Franz (2x), Gerold, Hans/Hansli, Köbel (Jakob), Ruedi oder Sepp (Josef). Aber es gab auch ungewöhnlichere, wie Amor, Cyrus, Hektor, Mäder, Nero, Regent und Sultan. 

Bismarck und Hindenburg

Und wo wir schon bei mächtigen Männern sind, da konnten damals auch die Schwergewichte aus dem Deutschen Reich nicht fehlen: die Viehzuchtgenossenschaft Weiach führte ihren Stier «Bismarck» nach Winterthur und die Eglisauer VZG ihren «Hindenburg». Ob man in Grenznähe wohl auf Kundschaft aus dem Süddeutschen gehofft hat?

Jedenfalls hatten die Weycher und Eglisauer sich politische Schwergewichte ausgesucht: Otto von Bismarck (1815-1898), mit vollem Namen Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen, ab 1865 Graf von Bismarck-Schönhausen, ab 1871 Fürst von Bismarck, ab 1890 auch Herzog zu Lauenburg. Und Paul von Hindenburg (1847–1934), mit vollem Namen Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg, deutscher Generalfeldmarschall und Reichspräsident.

Und dann sind da noch unspektakulärere, aber schweizerischere Namen wie «Demokrat» (VZG Brütten) und «Egal» (was uns die VZG Weiningen damit wohl sagen wollte?).

NZZ, 30.9.1924

Hauptsache kräftige Namen

Bei den Braunvieh-Zuchtstieren waren ebenfalls Bezeichnungen Trumpf, die Macht, Kraft und Herrschaft transportieren:  Attilla, Goliath, Hauptmann, Herold, Herzog, König, Prinz (2x), Sultan und Zar (2x). Die ganz konventionellen Männernamen sind ebenso gut vertreten: Noldi (Arnold), Egon, Frank, Hans, Joggi (Jakob), Kilian, Leo (2x), Max oder Willi.

Für heutige Ohren eher ungewöhnlich: Apollo, Bur, Dingo, Ebro, Falk, Fink, Fino, Hektor, Jodler (2x), Landenberg, Lenz, Liliput, Luchs, Madi, Mozzo, Naranco, Nelson, Nolli, Nudri, Pius, Roggen, Vebo und Wallo. Ganz unerwartet auch Namen, die man eher bei Kühen erwarten würde: Fortuna oder gar Venus.

2024 sind laut der Tierverkehrsdatenbank des Bundes übrigens die nachstehenden zehn Namen für Stierkälber schweizweit am häufigsten (in dieser Reihenfolge): Max, Leo, Bruno, Anton, Sämi, Hans, Paul, Fritz, Sepp, Emil.

Jeder Rasse ihre eigenen Kategorien-Grenzen

Wer sich den Bildausschnitt oben etwas näher angesehen hat, wird ob der Kategorien schon etwas ins Grübeln kommen. Wo für Braunvieh-Zuchtstiere noch folgende nachvollziehbaren Grenzen galten:

geb. nach 28. Februar 1923  
geb. vor 1. März 1923 und nach 31. Juli 1922
geb. vor 1. August 1922 und nach 30. Sept. 1921
geb. vor 1. Oktober 1921

da war (laut NZZ) für Fleckvieh-Zuchtstiere etwas Unordnung zu verzeichnen:

geb. nach 31. Dezember 1922 [wäre nach 1. Juni 1923 korrekt?]
geb. vor 1. Juni 1923 und nach 31. Oktober 1923 [recte: 1922]
geb. vor 1. Nov. 1922 und nach 28. Febr. 1921
geb. vor 1. März 1921

Es handelt sich wohl um ein Versehen, ob des Autors oder der Schriftsetzer sei dahingestellt.

Quellen

[Veröffentlicht am 8. Oktober 2024 um 23:55 MESZ]

Sonntag, 29. September 2024

Als das Weiacher Postbüro zum Bataillons-KP wurde

 Am Freitag, 1. September 1939 äusserte Adolf Hitler vor dem Reichstag die welthistorischen Worte: «Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen. Seit fünf Uhr fünfundvierzig wird jetzt zurückgeschossen!» (O-Ton des US-Senders CBS)

Da schon seit Wochen und Monaten gezündelt worden war und es nur eines Funkens bedurfte, um die hochbrisante Konstellation zur Explosion zu bringen, war auch dem Schweizer Bundesrat und der Armeeführung der Ernst der Lage nur allzu bewusst. 

Am 28. August 1939 ordnete der Bundesrat daher die Mobilmachung des Grenzschutzes (80'000 Mann) für den nächsten Tag an. 

Und da Weiach bekanntermassen direkt an der Grenze zu Deutschland liegt, war der Dienstag, 29. August, somit der erste Aktivdiensttag, den die Weycher Bevölkerung hautnah mitbekommen hat.

Frontrapport bitte!

Der Adjutant im Stab Grenzfüsilierbataillon 269 liess noch am selben Tag obigen Befehl (der erste erhalten gebliebene in einer ganzen Serie von über 500 Dokumenten aus den ersten drei Monaten Aktivdienst) an sämtliche Einheiten des Bataillons abgehen:

«Das Rgt. [Grenzregiment 54] resp. die Br. [Grenzbrigade 6] verlangt sofortigen genauen Frontrapport, mit allen Détails gemäss Frontrapport-Formular. Hilfsdienst (Mineure) separat. Den gleichen Rapport jeden Abend auf 1900 an Bat. Kdo.»

In diesem Bericht zuhanden der vorgesetzten Stelle waren die genaue Mannschaftsstärke zum Stichzeitpunkt (i.d.R. 14:00 Uhr des laufenden Tages), die Anzahl kranker und verletzter Wehrmänner, sowie die Anzahl an Karabiner und Maschinengewehre mitzuteilen. Diese Rapporte dienten den vorgesetzten Stellen als Überblick und Planungsgrundlage.

Dank Verstoss gegen TOZZA wissen wir's

In die Schreibmaschine getippt wurden diese Zeilen, wie aus der Ortsangabe hervorgeht, in der «Post Weiach». In den Räumlichkeiten der Posthalterfamilie Meierhofer (Alte Post-Strasse 2) war also der erste Aktivdienst-Standort des Kommandopostens des Grenzfüsilierbataillons 269.

Es sollte der letzte Befehl gewesen sein, der den Abgangsort nennt. Denn ab sofort galt aus Sicherheitsgründen: Keine Ortsangaben über Truppenstandorte! 

Diese Vorschriften sind auch heutigen Soldaten der Schweizer Armee wohlbekannt. Das Merkwort lautet TOZZA: Truppen (Wer?), Orte (Wo?, Wohin?), Zeiten (Wann?), Zahlen (Wieviele?), Absichten. All diese Informationen unterliegen der Geheimhaltung.

Quelle

  • Tagebücher Stab Gz Füs Bat 269, 1939-1940, Bd. 1-5. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#1869*. Bild in Subdossier_0000004, Unterlagen_0000006, S. 1089

[Veröffentlicht am 7. Oktober 2024 um 00:20 MESZ]

Freitag, 27. September 2024

Ungefähr 40 Imbenstöcke. Bienenhaltung Mitte des 19. Jahrhunderts

Hans Conrad Hirzel, Weiacher Pfarrer von 1843 bis 1855, hat sich um seine Gemeinde nicht nur als Seelsorger, sondern insbesondere auch im Bereich der «Hebung der landwirthschaftlichen Verhältnisse» verdient gemacht. Er hat die sogenannte Ortsbeschreibung 1850/51 über Weiach verfasst, die mit folgenden Worten endet:

«Und schliesslich hat auch die hiesige Bienenzucht noch ein Anrecht auf diese Beschreibung; denn obschon nicht sehr bedeutend, kann doch der Erfolg als ein ziemlich günstiger bezeichnet werden, wozu Lage und Umgebung das meiste wohl beitragen mögen, da das nahe Wiesenthal auf der Einen und die waldigen Anhöhen auf der andern Seite nebst dem Eichen-Hochwald reichliche Ausbeute für die geschäftigen Sammler liefern. Man zählt gegenwärtig in der Gemeinde ca. 40 Imbenstöcke von verschiedener Güte und Schwere. –

Den Bienenfleiss indess pflegt man noch mehr an Menschen-Händen zu achten und will dabei gerne des Honigseims entbehren u. man thut auch daran nicht unrecht; denn noch keiner hat es hier bereut, dem Mutterwort gefolgt zu sein: „Seid fleissig wie die Bienen“!» (Wiachiana Fontes Bd. 3, S. 52)

Hier sieht man den Lokalbezug noch deutlich, indem Hirzel den Flurnamen Wiesental explizit erwähnt. Gemeint ist das Areal der ehemaligen Wässerwiesen westlich des heutigen Verlaufs des Dorfbachs. Interessanterweise erwähnt er keine ausgedehnten Obstbaumkulturen, wie sie noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein den Ortskern umgeben haben. Deren Ertrag steigt natürlich auch an, wenn man für eine genügende Anzahl an Bienen sorgt, die ihre Tracht in unmittelbarer Nähe finden.

Imben? Honigseim? Ein sprachlicher Exkurs

Laut dem Schweizerischen Wörterbuch Idiotikon (Id. Bd. 1, Sp. 233) stehen die Worte «Imb, Imbeⁿ,​ Imbi,​ Imd,​ Imi,​ Imm,​ Immeⁿ,​ Impeⁿ» für: «1. Bienenschwarm und -stock; 2. einzelne Biene; 3. «Imbeli», Bienenragwurz, ophrys apifera». 

Im Mittelhochdeutschen Handwörterbuch von Matthias Lexer (Bd. 1, Sp. 1421) findet man den Eintrag: «imbe-banc stm. bienenstand Gr.W. 5,105.»

Im Etymologischen Wörterbuch des Deutschen (das von der Akademie der Wissenschaften der DDR angestossen wurde) kann man folgende Zusammenhänge bis zurück an die indoeuropäischen Sprachwurzeln finden:

«sämig Adj. ‘dickflüssig’. Im 19. Jh. wird nd. sēmig ‘(von flüssigen Dingen) dick und aneinander hängend’ in die Literatursprache aufgenommen. Es handelt sich um die genaue lautliche Entsprechung von (heute unüblichem) nhd. seimig Adj. ‘dickflüssig’ (18. Jh., vgl. seimichte Brühe, um 1700), einer Ableitung von Seim m. ‘dickflüssiger Saft, Honig’, ahd. seim ‘Nektar, Honig (wie er aus der Wabe fließt)’ (9. Jh.; vgl. dazu die frühe, sich nicht fortsetzende Ableitung ahd. seimīg ‘wie Nektar, wie Honig’, 11. Jh.), mhd. seim, sein, asächs. mnd. sēm, mnl. seem, nl. zeem, anord. seimr, norw. (mundartlich) seima ‘Schleimschicht, zähe Flüssigkeit’ (germ. *seima-). Verwandt sind (mit m-Formans) kymr. hufen (aus *soimeno-) ‘Rahm’ und vielleicht auch griech. há͞ima (αἷμα) ‘(flüssiges) Blut’, (mit l-Formans) mir. silid ‘tropft, fließt, läßt fließen’, lit. séilė ‘Speichel, Geifer’, (älter, mit u̯-Formans) sývas ‘Saft’. Angesetzt werden kann eine Wurzel ie. *sē(i)-, *sei- ‘tröpfeln, rinnen, feucht’, zu der auch Seife, Sieb und seihen (s. d.) gehören. – Honigseim m. ‘ungeläuterter Honig’, mhd. honecseim, -sein.» (Pfeifer et al. 1993)

Rezeptionen der Weiacher Ortsbeschreibung

Johann Michael Kohler aus Thalheim (im heutigen Landkreis Sigmaringen, Baden-Württemberg) rezipiert diese Vorlage Hirzels mit nur wenigen Modifikationen:

«In Weyach stehen etwa 40 Bienenstöcke, und es finden diese fleißigen Thierchen im blumenreichen Wiesenthal und in den bewaldeten Anhöhen eine fette Weide. Der Erfolg der Bienenhalterei wird als ein ziemlich befriedigender bezeichnet.» (Kohler 1852, S. 147)

Fast acht Jahrzehnte später hat Gottlieb Binder, ein aus Windlach stammender Lehrer, diesen Abschnitt aus der Weiacher Ortsbeschreibung so formuliert: 

«Die Bienenzucht ist nicht von Belang. Sie wird nach uralter Methode betrieben, obgleich sie durch zweckmäßige Neuerungen schöne Erträgnisse abzuwerfen vermöchte. Weiach besitzt gegenwärtig 40 Bienenvölker in Körben, die im blumenreichen Wiesental, auf den sonnigen Bergwiesen und in den nahen Wäldern Blütenstaub und Honig in Menge finden.» (Binder 1930, BDW Nr. 89, 4. November)

Binder will also wissen, dass es sich um Körbe gehandelt hat! Walter Zollinger hingegen, der die Ortsbeschreibung transkribiert hat, zitiert sie wörtlich und schreibt in seinem blauen Büchlein mit dem Rückentitel Chronik Weiach:

«Es muss, wie aus einem Bericht der Gemeinnützigen Gesellschaft des Bezirkes Dielsdorf zu ersehen ist, der Bauernschaft in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nicht allzugut ergangen sein, sondern geradezu eine gewisse Notlage bei den Kleinbauern geherrscht haben. Deshalb wohl die geschilderten Bemühungen, um durch Nebenbeschäftigungen aller Art zusätzliche Verdienstmöglichkeiten zu schaffen. Die Haltung von Bienen war ebenfalls dazu angetan, und es gab im Dorfe zu jener Zeit ungefähr «40 Imbenstöcke».» (Zollinger 1972, S. 59-60)

Imbenstöcke, Bienenstöcke, Bienenkörbe

Wir sehen hier bei jedem dieser Autoren eine begriffliche Weiterentwicklung, bei der nicht ganz ausgeschlossen ist, dass Interpretationen eingeflossen sind, die die damalige Wirklichkeit verfälschen.

Ob die Imbenstöcke so ausgesehen haben wie auf dieser Druckgraphik aus der Zeit des 30-jährigen Kriegs, die im Hintergrund zufälligerweise eine Darstellung von Eglisau zeigt, können wir nicht sagen. 


Wenn es Körbe aus geflochtenem Stroh waren, dann ist allerdings die Platzierung in Schutzunterständen oder unter dem Dachvorsprung von Bauernhäusern anzunehmen. 

Über die bereits im 18. Jahrhundert bekannten Haltungsformen und Versuche berichten Johann Georg Krünitz (1774) und Jonas de Gélieu (1796), vgl. unten.

Quellen und Literatur

  • Aliter sentit, aliter loquitur. Eglißaw im Zürcher gebiet. [Frankfurt a. M.] : [Eberhard Kieser], [ca. 1626]. Zentralbibliothek Zürich. STF II, 38 [e-rara.ch 41434]
  • Krünitz, J. G.: Das Wesentlichste der Bienen-Geschichte und Bienen-Zucht für den Naturliebhaber, Landmann und Gelehrten. Berlin 1774. [e-rara.ch 23961]
  • Gélieu, J. de: Herrn J. von Gelieu Pfarrer der Gemeinden Colombier und Auvernier in der Grafschaft Neuenburg, der Oeconomischen Gesellschaft in Bern Mitglied &c. &c. Beschreibung der Cylinderförmigen Bienenkörbe von Stroh und der hölzernen mit doppeltem Boden. Aus dem Französischen übersetzt von Johannes Rißler. Basel 1796. [e-rara.ch 114088]
  • Kohler, J. M.: Landwirthschaftliche Beschreibung der Gemeinden Dettenriedt, Höngg, Thalweil-Oberrieden, Uitikon, Wangen, Weyach, bearbeitet nach den von genannten Orten eingegangenen Ortsbeschreibungen von J. M. Kohler, Seminarlehrer, und als Beitrag zur Kenntniß des Landbaues im Kanton Zürich, herausgegeben von dem Vorstande des landwirthsch. Vereines im Kanton Zürich. Druck von H. Mahler. Zürich 1852. [e-rara.ch 30931]
  • Lexer, M.: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872–1878.
  • Binder, G.: Die landwirtschaftlichen Verhältnisse der Gemeinde Weiach um 1850. In: Bülach-Dielsdorfer Wochen-Zeitung, 1930, Nr. 86-89 (5 Teile).
  • Zollinger, W.: Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach. (Chronik Weiach. 1271-1971). 1. Aufl. 1972, 2., ergänzte Aufl. 1984.
  • Pfeifer, W. et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache.  
  • Ortsbeschreibung Weiach Anno 1850/51. Weiacher Turmkugeldokumente Teil C. Historisch-kritische Ausgabe von Ulrich Brandenberger. Wiachiana Fontes Bd. 3. Quellenedition, 2. Aufl., V2.01, Juli 2024. (Kapitel IX  Ref. C. Hirzel). [PDF, 8.90 MB]

Dienstag, 24. September 2024

Der finanziell transparente Weycher, Anno 1945

Wieviel verdient mein Nachbar? Wieviel der hier stationierte Kantonspolizist? Was kassiert der Herr Pfarrer? Und wer hat das höchste steuerbare Vermögen in der Gemeinde?

Auf all diese Fragen war die Antwort einst einfach erhältlich. Man konnte sie Mitte der 1940er-Jahre dem Anhang zu den gedruckten Jahresrechnungen der verschiedenen Gemeinwesen auf dem Gebiet der Gemeinde Weiach entnehmen. 

Da gab es nicht nur volle Transparenz über alle Ausgaben und Einnahmen auf kommunaler Ebene, nein, hier war der Bürger in finanzieller Hinsicht bezüglich der Steuerfaktoren völlig gläsern, denn diese Steuerdaten waren öffentlich.

Lokaler Krösus war man bereits mit fünfstelligem Jahreseinkommen

In der Nationalbibliothek ist aus unerfindlichen Gründen die gedruckte Jahresrechnung 1945 verfügbar. Diesem Büchlein kann man entnehmen, dass es gerade einmal drei Steuerpflichtige mit einem Jahreseinkommen über 10'000 Franken gab:  

  • Meierhofer Robert, Sager: 14400
  • Landw. Genossenschaft: 12400
  • Baumgartner Hans, Metzger: 11200

Und nur eine Weiacher Steuerpflichtige verfügte über ein Vermögen im sechsstelligen Bereich, alle anderen hatten weniger bis gar nichts: 

  • Willi Albertina, zahlte bei 152'000 Fr. Vermögen und 4900 Fr. Jahreseinkommen insgesamt 321 Franken Staatssteuern.

Vergleichsweise hohe Einkommen von Staatsbediensteten

  • Hauser Theodor, Pfarrer:   7100      
  • Bill Otto, Polizist:   7600      
  • Zollinger Walter, Lehrer:  7400      
  • Vollenweider Luise:  6700  [Lehrerin, vgl. WeiachBlog Nr. 370]

Indexiert nach dem Landesindex der Konsumentenpreise auf heutige Geldwerte ergibt das nicht gerade berauschende Zahlen. Die 7600 Franken des Kantonspolizisten Bill entsprechen heute rund 40'000 Franken. Also hatte auch Sägereiunternehmer Robert Meierhofer (heutiges Holz Benz/Ärztehaus-Areal) nur gerade 75'000 Franken Jahreseinkommen. Man kann sich denken, wie tief die Kaufkraft der weniger auf Rosen gebetteten Weiacherinnen und Weiacher war.

Druckerei nur einen Katzensprung entfernt

Für die Produktion der 68-seitigen Broschüre musste der Gemeindeschreiber übrigens nur wenige Meter zurücklegen: vom Alten Gemeindehaus an der Friedhofmauer auf die andere Seite des Kirchenbezirks: Die Druckerei Kleiner befand sich im Erdgeschoss der Liegenschaft Winkelstrasse 7 (heutiges Wohnhaus von Willi Baumgartner-Thut).

Quelle und Literatur

  • Gemeinde Weiach (Hrsg.): Oeffentliche Guts-Rechnungen mit Steuerregister vom Jahre 1945. Buchdruckerei W. Kleiner - Weiach. Signatur: SNB OP 2214 (Schweiz. Nationalbibliothek, Bern) –  Staatssteuer-Register 1945 der Gemeinde Weiach, S. 59-67.
  • Öffentlichkeit der Steuerregister. Steuerinformationen herausgegeben von der Schweiz. Steuerkonferenz SSK, Januar 2019.
  • Audit Zug AG: Wie öffentlich sind Steuerdaten?  audit-info 87, 01.01.2022.
  • Aschwanden, E.; Fumagalli, A.: Mehr Steuerehrlichkeit oder billiger Voyeurismus? Wie unsere Steuerdaten zur Geheimsache wurden. Neue Zürcher Zeitung, 24. Mai 2022.

Sonntag, 22. September 2024

Im grossen Njet-Ozean mitgeschwommen

Heute war wieder einmal einer dieser Abstimmungssonntage, an denen Weiach nicht wirklich aufgefallen ist. In der Kantonsrangliste der Wahlkreise steht die Gemeinde zumindest nicht auf dem obersten Treppchen. Bei der kantonalen Vorlage aber immerhin auf dem Podest. Dieser Umstand hat auch für die Kommunalpolitik Gewicht.

Gesamtzahl hat Plafonds erreicht

Von insgesamt 1247 Stimmberechtigten (auf fast exakt demselben Wert wie schon letztes Jahr bei der immer noch vor Bundesgericht hängigen Infrastruktur-Abstimmung) haben sich gerade einmal 468 (37.53 %) dazu aufgerafft, ihre Stimmunterlagen bei der Gemeinde einzureichen. Damit ist Weiach zwar nicht das kantonale Schlusslicht, liegt aber auch deutlich unter dem nationalen Durchschnitt von rund 45 % Beteiligung.

Der Stadt-Land-Graben bei der Biodiversitätsinitiative
(Quelle: Statistisches Amt des Kantons Zürich)

Parteiparolen sind Nebensache

Die sog. Biodiversitätsinitiative wurde bei uns mit 362 Nein zu 105 Ja (77.52 % Nein-Stimmen) bachab geschickt. Im Njet-Gürtel zwischen tiefstem und höchstem Punkt des Kantons (Schnebelhorn, Gemeinde Fischenthal) belegt Weiach allerdings nur Platz 9 in der Nein-Anteil-Rangliste. – Eine Ohrfeige für die Linken und Grünen.

Auch die Reform der beruflichen Vorsorge fand bei den sich beteiligenden Weycherinnen und Weychern keine Gnade: 340 Nein zu 118 Ja ergibt immer noch einen Nein-Anteil von fast drei Vierteln. Und in der Wahlkreis-Rangliste Platz 4 beim Neinstimmen-Anteil. Bemerkenswert, wie hier das von den Grünen und Sozialdemokraten favorisierte Nein gegen die vereinigte bürgerliche Phalanx der Ja-Parolen so deutlich obsiegt hat. Denn immerhin ist Weiach nach wie vor eine SVP-Hochburg. – Eine Ohrfeige für die Bürgerlichen.

Überdeutliche Asylkritik

Bei der kantonalen Vorlage, einer Änderung des Bildungsgesetzes, wo es um Stipendien für vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer ging, folgten die 463 Stimmberechtigten deutlich der SVP-Parole: 369 Nein zu 94 Ja. Diese 79.70 % Nein ergeben Platz 3 auf der Nein-Rangliste der Wahlkreise.

Heisst: rund 30 Prozent aller Stimmberechtigten (also inklusive die Stimmabstinenten!) sind zumindest asylkritisch, wenn nicht gar -feindlich eingestellt. Im Hinblick auf die immer noch obschwebende Frage, wo und wie die unserer Gemeinde zugeteilten Asylanten untergebracht werden sollen, ist das ein Widerstandspotential, das der Gemeinderat auf der Rechnung haben muss.