Samstag, 31. März 2007

Wahlchancen für den Weiacher Peter Wild?

Die Kantonsratswahlen stehen vor der Tür. Und auch nach dem früh versandten, gemeinsamen Werbematerial-Couvert aller Parteien (Bild zum Vergrössern anklicken) ... ... gibt es etliche Damen und Herren Kandidaten, die es nicht lassen können, das Stimmvolk weiter mit ihrem Material zu bombardieren. Zu welcher Partei die Wahlmaterialspammer gehören, sieht man auf einen Blick: vor allem zur SVP, der mit Abstand stärksten Partei im Bezirk (vgl. nächstes Bild):

SVP mit Verlusten, ein Gewinn für die FDP?

Nun könnte man das mit der Angst der SVP vor einem Sitzverlust erklären. Nicht ganz unbegründet übrigens, wie der Tages-Anzeiger nach einem Blick auf das neue Wahlverfahren orakelt:

«Einen Strich durch die Rechnung der SVP könnte allerdings das neue Wahlsystem nach Pukelsheim machen. Denn von diesem werden vor allem die kleinen Parteien profitieren. So könnte es sein, dass die SVP sich vier Sitze teilen muss und es daher zu einem Verdrängungskampf zwischen den bisherigen Frei und Bosshard und dem wesentlich jüngeren Brechbühl kommen könnte.

Dank dem neuen Wahlsystem macht sich die FDP Hoffnung auf die Rückeroberung des vor vier Jahren an die SVP verlorenen Sitzes. Die bisherige Vertreterin der Freisinnigen, Gabriela Winkler, hat gute Chancen auf eine erneute Wahl. Ihr Resultat wird jedoch ein Spiegel dafür sein, wie ihr Engagement bei den Nationalratswahlen von den Wählern goutiert wurde. Aussichtsreichster neuer Kandidat scheint die Nummer zwei der Freisinnigen Liste, Peter Wild, zu sein. Er und die anderen Kandidaten der FDP haben sich durch die verweigerte Unterstützung der Initiative für eine Nordausrichtung des Flughafens im Bezirk Sympathien geschaffen.
»

Wenn die FDP wieder zulegt, dann könnte tatsächlich wieder einmal ein in Weiach wohnhafter Politiker in den Kantonsrat einziehen. An der Zeit wäre es. Und Wild ist zumindest in Sachen Fluglärm ein Direktbetroffener. Er verdient also in diesem Punkt unser Vertrauen.

Quelle

[Veröffentlicht am 17.4.07]

Freitag, 30. März 2007

Fluchen in der Stadt verboten

Vor etwas mehr als 325 Jahren, am 21. Januar 1681, sah sich der Rat des Städtchens Kaiserstuhl durch ein aussergewöhnliches Himmelsereignis veranlasst, wieder einmal rigoros gegen das Fluchen und Schwören vorzugehen. Der Beschluss wurde wie folgt im Ratsprotokoll festgehalten:

«Weilen der zeithen im firmament ein comet in teusch [teutsch-] und welschland gesehen wird und besorglich ein zeichen und straf unserer begangnen mißethaten sein möchte, damit aber durch unseres unnutzliches fluochen, schweren und anderen yebigkheiten der allmechtige gott nit erzürnet, sonder vilmehr die ehr gottes befürderet, dadurch der segen und alle wolfahrt befuörderet werde, also sollen alle übertreter deß schwerens und fluochens bei straf des thurnß 1 Pfund hlr. abgewert sein, möchten auch dermassen sich verhalten, daß ein mehres am leib und guoth verdienten, der obrigkheit ihre gebührende straf vorbehalten sein, auch den wirthen auferlegt sein, die übertreter anzeigen und umb 8 uhren oder bettgloggen die gäst zu rhuw wissen, daß bolderen, juzen, auch all andere nachboseiten und unnuzliche sachen auf der gassen in allweeg abgestelt und vermiten bleibe, den übertreteren an der straf nicht nachgelassen würt werden, darnach ein jeder ime vor schaden sein soll.»

Also Schluss mit Lärmen, Poltern, Juchzen und anderen «Nachtbosheiten» nach 20 Uhr. Die Wirte waren gehalten, ihre Gäste zur Ruhe weisen. Solche, die sich nicht gottgefällig still und des Fluchens enthielten, hatten sie zwecks Bestrafung den Stadtbehörden zu melden.

Unbekannt ist, ob auch Wirtshaus- und Marktbesucher aus den benachbarten Bauerndörfern Fisibach und Weiach zu den fluchenden und schwörenden Zeitgenossen gehörten, welche die gottesfürchtige Kaiserstuhler Stadtregierung zu obigen Massregeln veranlasst haben.

Quelle
  • Nr. 137. Verbot des Fluchens und Schwörens. 21. Januar 1681. StA Kaiserstuhl: Ratsprotokoll 1674-1689. In: Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. XVI. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Argau. Erster Teil: Stadtrechte. Dritter Band: Die Stadtrechte von Kaiserstuhl und Klingnau. Bearbeitet und herausgegeben von Dr. Friedrich Emil Welti. Aarau 1905 - S. 179-180.

[Veröffentlicht am 11.4.07]

Donnerstag, 29. März 2007

Strom über das genossenschaftlich-kommunale Netz

Am gestrigen Abend war im Gemeindesaal unter der Turnhalle Hochbetrieb: Gleich zwei Veranstaltungen - voneinander geschieden nur durch die verschiebbare Trennwand im Saal.

Klare Arbeitsteilung

Dieses Umstandes nicht bewusst, wäre der WeiachBlog-Schreiberling um ein Haar in der «falschen Abteilung» gelandet. Nicht, dass die Belange von Krankenpflege und Spitex völlig irrelevant und uninteressant wären. Der eigentliche Grund für mein Erscheinen war aber die Jahresversammlung der Elektrizitätsgenossenschaft Weiach (EGW).

Zu erkennen war der Irrtum allerdings leicht: im grossen Saal bei der Spitex massiver Frauenüberhang, die EGW-Veranstaltung im kleinen Saal klar männerdominiert. Die Vertreter des jeweils anderen Geschlechts konnte man an einer Hand abzählen. So sieht die dörfliche Arbeitsteilung aus: die Technik den Männern, das Soziale den Frauen.


Die 99. Generalversammlung der EGW

Das erste Jahrhundert der Genossenschaft wird zwar erst in fünf Jahren voll sein. Dank einiger ausserordentlicher Versammlungen steht der Zähler aber schon jetzt auf 99. Die EGW hat also schon einiges hinter sich, seit an Weihnachten 1912 erstmals elektrisches Licht die Weiacher Nacht erhellte.

Seit geraumer Zeit ist die Genossenschaft, der jeder Stimmbürger der Gemeinde Weiach automatisch angehört, nicht nur im Stromnetz präsent. Sondern mit Informationen in Form einer Website auch im anderen Netz. Die Aktualisierungsfrequenz ist zwar alles andere als berauschend - auch den Jahresbericht sucht man leider vergeblich. Aber immerhin ist die Website nicht veraltet und hat tatsächlich einen Informationswert. So zum Beispiel für den Kunden (und Genossenschafter), der sich über Tarifzeiten und Preise informieren will.

Nur 15 Anwesende

EGW-Präsident Marcel Griesser und seine Vorstandskollegen waren sozusagen en famille. Ganze 15 Anwesende konnte man zählen - für die Mehrheit von ihnen war das Erscheinen Pflicht, auch für den einzigen Nichtstimmberechtigten, Peter Giovanon, den man gleich zum Stimmenzähler ernannte.

Giovanon war bis 2005 Betriebsleiter der Licht- und Kraftwerke Glattfelden (LKWG), einer 1898 gegründeten Genossenschaft in unserer Nachbargemeinde, zu der die EGW enge Beziehungen unterhält. Im wahrsten Sinne des Wortes: der Unterhalt der Netzinstallationen wird zu einem guten Teil durch die LKWG sichergestellt. Kürzlich konnte das 25-jährige Jubiläum der Zusammenarbeit gefeiert werden - und seit neuestem ist die EGW nun auch selber Genossenschafter der LKWG.

Nur 9 Monate

Das Geschäftsjahr über das an der 99. GV berichtet wurde, dauerte lediglich neun Monate. Grund: die Umstellung auf das «Wasserjahr». Gemeint ist das «hydrologische Jahr». Was ist der Unterschied zum kalendarischen Jahr?

«Die Verkaufsmengen von Energie und Wasser, mit Ausnahme der Fernwärme, werden im hydrologischen Jahr erfasst. Ein hydrologisches Jahr dauert vom 1. Oktober bis 30. September. Diese Periode wird angewendet, weil sowohl bei den Energieträgern als auch beim Wasserverbrauch der natürliche Witterungsverlauf den Verbrauch beeinflusst». (Quelle: St. Galler Stadtwerke)

Der Kontenrahmen der Buchhaltung wurde im Hinblick auf die bevorstehende Öffnung der Strommärkte so angepasst, dass Durchleitungskosten nun separat ausgewiesen werden können. Ausserdem sei die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Stromdeklaration umgesetzt worden - und zwar mittels einer Rechnungs-Beilage an alle Bezüger.

Nur drei Neubauten angeschlossen

Über Neuinstallationen sei wenig zu berichten, meinte der Präsident. Man habe lediglich drei Neubauten angeschlossen. Erwähnenswert ist auch die neue Netzkommandoanlage. Die musste man ersetzen, weil die Wartung der alten Anlage immer schwieriger wurde: «Wir hatten zunehmend Mühe, Ersatzteile zu bekommen», sagte Griesser. Auch das von der Eidgenössischen Koordinationskommission für Arbeitssicherheit (EKAS) verlangte Sicherheitskonzept für eigene Arbeiten und solche von Drittfirmen wurde erstellt.

Ansonsten war der Betrieb wie immer weitgehend problemlos. Nur in einem Fall mussten die Spezialisten der LKWG ausrücken: ein paar Äste in der Freileitung zum Felsenhof. Andere für Reparaturen vorgenommene, kurze Netzunterbrücke waren planbar.

Cablecom-Misere weiterhin ungelöst

Für das Kabelnetz ist weiterhin keine Lösung des unbefriedigenden Zustandes in Sicht. Mit der ursprünglichen Idee, der Übernahme des Netzes und Ausbau besonders der Signalstärke durch die EGW, kann sich offenbar die heutige Besitzerin Cablecom nicht anfreunden. Und wenn man durch den Aufbau einer Parallelinfrastruktur Druck ausüben würde? Nein, eine Lösung des Problems via Netzzugang über die Steckdose werde nicht angestrebt, sagte der Präsident auf eine Frage von WeiachBlog.

Sich für die Marktöffnung wappnen

In der Rechnung fällt ein Tarifausgleichskonto auf. Um was geht es da? «Wir wissen nicht genau, was im liberalisierten Strommarkt passieren wird», erklärte Peter Giovanon. Deshalb habe man grössere Rückstellungen vorgenommen, um den Verteilungskampf besser zu bestehen. Sofern nicht das Referendum ergriffen werde könnten in fünf Jahren auch die kleinen Strombezüger selber entscheiden, von welchem Anbieter sie den Strom beziehen wollten. Da müsse man Geld zur Information der Leute auf der Seite haben.

Alles einstimmig angenommen

Bei den Schlussabstimmungen gab es keine Überraschungen. Die Verteilung des Reingewinns wurde wie folgt genehmigt: 20'000 Franken fliessen auf das Konto Tarifausgleich, 30'000 Franken werden zurückgelegt für die Installationen des Quartierplans Bedmen. Die restlichen 4470 Franken werden auf die neue Rechnung vorgetragen.

Interessante Fragerunde

Nach der abschliessenden Mitteilung, dass der neue Betriebsleiter des LKWG, Matthias Gut, ab nächstem Jahr auch für die Betreuung von Weiach zuständig sein werde, kam man zur Fragerunde. Das ist traditionell der weitaus spannendste Teil der Veranstaltung. Denn hier erfährt man, wo die Leute der Schuh drückt.

Urs Schenkel im Hasli sprach die Stromschwankungen an, die im Januar/Februar aufgetreten sind. Was da der Grund gewesen sei? Die Antwort gab Ernst Eberle: in einem Fall sei ein Vogel in eine Hochspannungsleitung in Deutschland geraten, was zu partiellen Netzabschaltungen und dadurch Spannungsschwankungen geführt habe.

Normalerweise verheizt es einen Vogel, Birkenreisig jedoch nicht

Einen anderen Fall erwähnte Giovanon: Im Ester habe es «einen Rutenbesen in die Leitung hineingehauen». Das habe die Spannung zusammengerissen. Wenn das passiere schalte man gleich wieder ein. Normalerweise sei der Vogel bzw. Ast dann verheizt. Wenn nicht müsse man vor Ort nachschauen gehen. Bei Birkenreisig sei das fast immer der Fall, denn das brenne nicht und deshalb verheize es das Ästchen auch nicht.

Übrigens sei die Freileitung im Ester «einewäg auf der Abschussliste». Im Zusammenhang mit dem Quartierplan Bedmen wolle man die Freileitung durch ein Kabel ersetzen, sagte Giovanon.

Mehr Ausfälle wegen Liberalisierung?

Die Frage, ob man wegen der Öffnung der Strommärkte mit mehr Ausfällen rechnen müsse, wurde salomonisch beantwortet: «Nein, nicht zwingend». Es laufe im Prinzip gleich weiter. An der Sicherheit werde kaum etwas Grösseres ändern.

Die Lampe mitten auf dem Parkplatz

Ein an der Oberdorfstrasse 6 wohnhafter Neuzuzüger wollte wissen, wieso die Lampe mitten in den Parkplatz gesetzt worden sei und «schräg in die Welt hinauszünde». Antwort: Diese Leuchte sei schon vor der Bauzeit an dieser Stelle gewesen. Ausserdem gehöre sie der Gemeinde. Wenn man sie versetzen wolle, müsse man mit der Gemeinde verhandeln. Das habe der Generalunternehmer seinerzeit offenbar versäumt.

Wie kann man Strom von verschiedenen Anbietern beziehen?

Es gibt zwar nur eine Leitung und die Elektronen sind auch nicht je nach Herkunft eingefärbt. Über die Einspeisungs- und Bezugszähler der grossen Stromhändler könne aber dennoch eine Abrechnung erfolgen, erklärte Giovanon. Wichtig ist vor allem, dass neu die Durchleitungsgebühr von den eigentlichen Stromkosten getrennt verrechnet werde. Die Leitungsgebühr und die Entschädigung für das Ablesen des Zählers gehöre der EGW, die Kosten für die durchgeleitete Elektrizität selber aber werden den jeweiligen Lieferanten weitervergütet.

Es versteht sich von selbst, dass diese schöne neue Welt eine riesige Bürokratie nötig macht. So erstaune es denn auch nicht, meinte Giovanon, dass beispielsweise der Industriestrom in Deutschland unter anderem wegen der neuen Abrechnungserfordernisse heute doppelt so teuer sei wie früher. Für einen normalen Haushalt werde sich der Wechsel auf andere Stromanbieter also dereinst kaum lohnen, gab sich Giovanon überzeugt.

Niedertarifbezüge nun höher als Hochtarifbezüge


Für die Statistik am interessantesten ist jeweils die Verbrauchsübersicht. In der Tendenz ist der Gesamtverbrauch immer noch leicht steigend. 4.5 GWh kaufte die EGW im vergangenen Jahr an (ob sich diese Zahl auf 9 oder 12 Monate bezieht geht aus der Übersicht leider nicht hervor). Auffallend ist vor allem, wie sich zwischen 2001 und 2003 das Verhältnis von Niedertarifstrom zu Hochtarifstrom völlig umgekehrt hat.
Das hänge vor allem mit veränderten Tarifzeiten zusammen, erklärte der Präsident. Statt um 22 Uhr werde neu schon um 20 Uhr auf Niedertarif umgeschaltet.

[Veröffentlicht am 11.4.07]

Mittwoch, 28. März 2007

Ist das Volk souverän oder eine willenlose Masse?

In wenigen Tagen stehen uns die Kantonsratswahlen ins Haus. Die Messer werden noch einmal gewetzt. Letzte Wortgefechte geführt.

Das war vor 141 Jahren nicht anders als heute. Speziell war damals aber, dass eine anonyme Flugschrift mit dem Titel «Die Freiherren von Regensberg» reissenden Absatz fand und die Gemüter erhitzte. Sie warf die Frage auf, wer eigentlich das Land regiere. Eine Oligarchie oder das Volk.

Im ersten Teil dieses Büchleins wurde die Geschichte der historischen Freiherren abgehandelt. Der zweite Teil machte die «Freiherren der Gegenwart» zum Thema, ganz besonders Statthalter Ryffel, Gerichtsschreiber Bucher und Verhörrichter Bader - alle hoch droben in Regensberg in Amt und Würden.

Das «System Escher» am Pranger

Mit spitzer Feder stellte der Autor Missstände in der Verwaltung und Gerichtspraxis des Bezirks Regensberg an den Pranger. Ryffel und seine Kumpanen seien Teil eines «Systems» an dessen Spitze der «Prinzeps» Alfred Escher stehe (vgl. auch WeiachBlog vom 16. Januar 2006: Alfred Escher, Mister Schweiz).

Der «Prinzeps», Eisenbahnkönig, Bankherr und Spitzenpolitiker besetze alle Posten mit seinen Günstlingen, klagte die Broschüre an. Diese Amtsinhaber von Eschers Gnaden würden nicht Recht sprechen, sondern nach Opportunität und Gutdünken richten. Prozesse seien daher zu nichts anderem als zu Lotterien geworden.

Verfasst hatte die Kampfschrift der Zürcher Advokat Friedrich Locher (1820-1910), der zwar aus einer alten Stadtzürcher Familie stammte, sich aber mit dem herrschenden Patriziat und dem «System Escher» nicht anfreunden konnte. Lochers Pamphlet war eine Sensation – da wagte es tatsächlich jemand, der Regierung öffentlich an den Karren zu fahren. Wagte zu schreiben, was viele dachten, sich aber kaum zu sagen trauten. Das Büchlein fand reissenden Absatz, nach wenigen Tagen war die Auflage von 1200 Exemplaren vergriffen.

Die Folgen? Bei den Nationalrats- und Grossratswahlen 1866 wackelten die Sitze der «neuen Freiherren» bedenklich. Trotz massiver PR-Kampagnen gelang es den «Gouvernementalen» (Vertretern der regierenden Liberalen) nicht, wiedergewählt zu werden. Ein zweiter Wahlgang wurde nötig.

Lokalzeitungen als Meinungsplattform

Die Gegner der Freiherren im Unterland, zu denen auch der Weiacher Gemeindeschreiber gehörte, witterten Morgenluft. Das konnte man auch in den Zeitungen der Region deutlich sehen. Am 16. Juni 1866 schrieb die Bülach-Regensberger Wochenzeitung im Lokalteil:

«Regensberg. "Also den Herren Ryffel und Stäubli haben nur wenige Stimmen zur Wiederwahl gefehlt! Da sieht man, daß sich der gesunde Sinn unsers Volks durch Broschüren und Zeitungsartikel nicht bethören läßt!" So jubeln jetzt wieder die Gouvernementalen durch's Land.

Das Volk hat bei den Großrathswahlen gesprochen. Es hat männlich gekämpft und gesiegt. Der Prinzeps und sein Hof haben eine Lektion bekommen, wie sie noch nie dagewesen ist.

"Und seine Alba’s sind nicht mehr!" hieß es durch den ganzen Bezirk. Sollen nun aber diese Alba’s einer nach dem andern zur Hinterthüre wieder hereinkommen? Soll jede ehrliche Bestrebung, insofern sie Nachdruck erheischt, zum Teufel gehen, und schliesslich doch wieder das Freiherrenthum Meister werden? Noch haben wir das Messer in der Hand, von uns hängt es ab, ob wir einen mächtigen, entscheidenden Schritt vorwärts thun, oder ob wir wieder für sechs volle Jahre dem alten Regiment den Nacken beugen wollen.
»

Die Legislaturperiode dauerte also damals sechs Jahre - nicht wie heutzutage vier.

Das sind faule Fische!

Herzog Alba unterdrückte 1567/68 im Auftrag des katholischen Herrschers von Spanien die reformierten Holländer (spanische Niederlande) mit brutaler Rücksichtslosigkeit und dem Einsatz von Folter und Mord. So schlimm haben sich die «neuen Freiherren» im Unterland natürlich nicht aufgeführt – die überschäumend agitatorische Wortwahl ist daher ein deutliches Zeichen für die explosive Stimmung bei den Meinungsmachern und der hiesigen Öffentlichkeit.

«Man sage nicht: "Die Lektion sei ertheilt, auf eine einzige Persönlichkeit komme nicht viel an, die Hauptschuldigen werden entfernt werden etc." Das sind faule Fische! Sobald wir nicht reinen Tisch machen, sobald wir dem Freiherrenthum einen Stützpunkt geben, so saugt es sich wieder fest, und sein Unkraut treibt neue Wurzeln und Schößlinge. Bald, nur zu bald, wird wieder Alles im Alten sein. Die Freiherren werden gestrenger regieren, als vorher – gestützt, wie sie sind, durch ihre Vorgesetzten – und mancher Ehrenmann wird seinen Patriotismus theuer zu büßen haben. Hört nur den Siegesjubel der "N.Z.Z.", welche jetzt schon annimmt, es sei Alles wieder im Alten!

Man sage auch nicht: "Die neuen Kandidaten taugen nicht viel, man kenne sie nicht, sie haben sich noch nicht bewährt sc." Was waren denn eigentlich unsere "Herren", bevor man Etwas aus ihnen gemacht hat? Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand. Fehler hat Jeder. Wer aber in amtlicher Stellung so zum Vorschein gekommen ist, wie unsere "Freiherren", der soll einem Andern Platz machen. Es wird sich dann zeigen, wie die Neuen regieren. Erfüllen sie ihre Pflicht, was will man mehr? Erfüllen sie dieselbe nicht, so sind wir wieder da und zuletzt wird sich der rechte Mann schon finden.
»

Willenlose Massen sollten nicht schimpfen

«Einstweilen soll das souveräne Volk eine Lektion ertheilen. Wir haben persönlich Nichts gegen den Hrn. Statthalter, Nichts gegen den Hrn. Gerichtspräsidenten, und es soll uns freuen, wenn Beide recht bald einen andern Wirkungskreis gefunden haben werden. Von ihren gegenwärtigen Stellen aber, in welchen sie sich schwach gezeigt, sollten sie weichen. Man vergesse auch nicht, daß die Bezirkshauptortfrage eine Personalfrage ist, daß es also in der That von der Person des Statthalters abhangt, ob der Hauptort auf dem verhaßten Buk [d.h. im Schloss Regensberg] bleiben oder in's bequeme Thal hinunter [nach Dielsdorf] verlegt werde!

Machen wir mit den Gegenkandidaten einen Versuch. Einigen wir uns vor Allem! Schlimmer wird und kann es nicht kommen. Entweder ist das Volk souverän, und alsdann erfülle es seine Pflicht, sowohl im Belohnen als im Strafen, oder es ist eine willenlose Masse, alsdann schimpfe es auch nicht, sondern falte die Hände und spreche: "Herr, wie du willst, nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe für weitere sechs Jahre! Amen".
»

Dass hier ein Wortspiel mit dem Herr(gott) und den kritisierten Herr(schaften) vorliegt ist eindeutig - und es wurde von der geneigten Leserschaft natürlich auch als solches erkannt.

Der Ausgang der ganzen Angelegenheit? Daran, dass der Bezirkshauptort bereits 1871 tatsächlich ins Tal nach Dielsdorf verlegt wurde, kann man erkennen, wer diesen Schlagabtausch letztlich gewonnen hat.

Weiterführende Literatur

[Veröffentlicht am 8.4.07]

Dienstag, 27. März 2007

Postkarte von 1933: Gruss aus Weiach

Die Online-Auktionsplattform Ricardo.ch behauptet von sich, sie sei das grösste Warenhaus der Schweiz. Und illustriert das werbemässig mit der Fotomontage eines riesigen Büroklotzes auf der Sechseläutenwiese - mit einem zwergenhaften Grossmünster im Vordergrund.

Ob die Behauptung stimmt, kann uns herzlich egal sein. Tatsache ist: Es lohnt sich für Weiach-Aficionados, regelmässig nicht nur bei Ebay, sondern auch bei Ricardo hineinzuschauen.

Gruss ohne ß

Besonders spannend wird es bei Postkarten, die einst von Weiach aus in die Welt verschickt wurden. Die von mir letzthin bei Ricardo entdeckte Karte ist ein klassisches Exemplar der Kategorie «Gruss aus ...».

Interessant ist die schweizerische Schreibweise mit Doppel-s. In der deutschen Standardorthographie müsste das scharfe s verwendet werden: Gruß. Offensichtlich war die etwa in den 30er-Jahren erfolgte Abschaffung dieses deutschspezifischen Buchstabens also bei den Kartendruckern bereits recht früh vollzogen worden.

Fünf Weiacher Gebäude einzeln abgebildet

Die Postkarte trägt auf der Vorderseite im oberen Teil eine Gesamtansicht von Westen mit dem Dorf im Vordergrund und dem Stein (Mitte) sowie dem Sanzenberg (rechts) im Hintergrund. Eine recht detailgetreue Zeichnung übrigens, was die Häuser betrifft.

Im unteren Teil sind in Einzelvignetten ein paar markante Gebäude abgebildet. Dazu gehören natürlich die Kirche, das (heute alte) Schulhaus - in der oberen Reihe - und in der unteren: die Wirtschaft zur Post (heute: Alte Post-Str. 2) links, das Haus Meierhofer (wohl die kürzlich abgebrochene Liegenschaft Winkelstr. 2) in der Mitte und der Gasthof zum Sternen rechts.

Falsche Ortsangabe

Auf der Rückseite fallen die beiden Stempel des hiesigen Postbureaus auf (1933 noch in der Wirtschaft z. Post domiziliert): «Weiach (Zürich)». Die Kantonszugehörigkeit musste man also schon damals angeben. Wenigstens auf dem Datumstempel. Sonst dachte der Empfänger wohl, weiss Gott wo dieses Weiach liege.

Adressiert ist die Karte an «Herrn Hans Meier, Dragoner» in «Adlikon, Ct. Zürich». Diese Ortsangabe ist leider zweideutig, trotz Kantonsangabe. Dass der Dragoner Meier sich damals eher im Weinland denn im Furttal (Adlikon b. Regensdorf) finden liess, das zeigt der Stempel «Watt bei Regensdorf» vom 9. Oktober 1933.

Achtung, Besuch!

Der Text auf der Postkarte lässt einen schmunzeln, zeigt er doch einen ganz typischen Zug der Schweizer. Besuchen lässt man sich gern, aber bitte mit Voranmeldung, sonst könnte man ja in der Verlegenheit sein, den Gästen nichts Rechtes anbieten zu können.

Und so liest man: «M.L. Muss Dir in Kürze mitteilen, dass ich Dir nächsten Sonntag einen Besuch abstatten werde. Natürlich in Gesellschaft! Freundlichen Gruss, Mina.

Und quer dazu noch hinzugefügt ein: «Gruss an Bertha»

M.L. (wohl «Mein Lieber») und Bertha waren also vorgewarnt. Selbst mit dem Umweg über Watt bei Regensdorf dürfte die am Sonntag (!) 8. Oktober abgestempelte Karte den Adressaten noch rechtzeitig erreicht haben.

[Veröffentlicht am 8.4.07]

Nachtrag vom 2. März 2021

Eine alternative Deutung wäre, dass der Stempel von Watt bei Regensdorf tatsächlich als Eingangsstempel zu verstehen ist. Eine postalische Praxis, die damals nicht unüblich war.

Bei der Absenderin und dem Adressaten scheint es sich um ein Liebespaar gehandelt zu haben. Denn sonst wäre der Zusatz «Natürlich in Gesellschaft!», mit dem die Begleitung Minas durch eine Anstandsperson aus ihrem Familienkreis angedeutet ist, nicht verständlich.

Selbst Mitte der 1960er-Jahre wurden die Eltern des WeiachBlog-Autors in den Ferien vor der Ehe noch von der älteren seiner späteren Tanten väterlicherseits begleitet. Damit ja nichts Unsittliches geschehe.

Montag, 26. März 2007

Märzwetter 1957

Dieses Jahr war der März ja etwas gar zu warm und zu trocken. Daran können auch die ergiebigen Schneefälle von letzter Woche wenig ändern (am 22./23. März verschwand die ganze Schweiz nochmals unter einer weissen Decke). Vor 50 Jahren war der Monat dann doch etwas weniger spektakulär:

«März: Er setzt in der ersten Woche das mit dem letzten Februartag begonnene schöne "Frühlingswetter" fort. Hie und da sind zwar die Morgen noch etwas kalt, einmal -5°C mit starker Reifbildung; die Nachmittage dagegen sind meist ordentlich warm, zwischen +10 und +15° zeigend. - Erst ab 7.3. beginnt wieder sehr "durchzogenes" Wetter, oft leicht regnerisch, bedeckt, neblig, kühl; dann ab mittags etwa wieder aufhellend und einigemale zu recht ordentlichen Abenden. Ganz schöne, sonnigwarme Tage mit Nachmittagstemperaturen von über 20°C verzeichnete ich im Notizheft nur deren sechs: 12.3./19.3./20.3./23.3./26.3. und 31.3.»

Das oben erwähnte Notizheft führte der Chronist Walter Zollinger übrigens während Jahren. Es enthält Wetterbeobachtungen für jeden einzelnen Tag und liegt heute im Archiv des Ortsmuseums Weiach.

Bereits im WeiachBlog erschienene Wetterartikel

Quelle

  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1957 – S. 4 (Original in der Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Signatur: G-Ch Weiach 1957)

[Veröffentlicht am 8.4.07]

Sonntag, 25. März 2007

«Mr. Big Food Imbiss» am Alten Bahnhof

Der Anspielung im Namen zum Trotz: auf grossem Fuss lebt der jüngste Gastro-Betrieb auf Gemeindegebiet nicht. Er ist ja auch gerade einmal ein paar Monate alt. Am 1. Dezember hätten sie ihr Lokal eröffnet, sagte mir die etwas kurz angebundene Bedienung, die mir einen Hamburger zubereitete - und sich dafür reichlich Zeit liess.

«Mr. Big Food Imbiss» ist nicht einfach ein Takeaway, der die Leute im Kalten stehen lässt. Seine «Höcklerstube» besteht aus zwei zusammengebauten und mit Isolierschaum abgedichteten Containern, die mit einer Durchreiche in die Küche versehen sind. Die Küche, das ist ein alter Verkaufsanhänger mit Kocheinrichtung und Bedienfront. Das WC-Häuschen der ehemaligen SBB-Station ist jetzt das WC von Mr. Big Food.

Ohne Wirtshausschild geht es nicht

Das Container-Verkaufswagen-Ensemble ist mit einem der üblichen von einer Brauerei gesponserten, beleuchtbaren runden Wirtshausschild versehen und steht auf dem früheren Vorplatz des Bahnhofs Weiach-Kaiserstuhl, zwischen WC-Häuschen und Hauptgebäude. Also direkt bei der ZVV-Haltestelle «Alter Bahnhof» und vis-à-vis des bis auf einige Party-Anlässe in der «Alibi-Bar» fast immer geschlossenen Restaurants Bahnhof.

Foto von Karfreitag, 6. April @ noon. Für grosses Bild: draufklicken!

Der neue Imbiss hat nur am Montag geschlossen. Sonst öffnet er um 08:30 bis 09:00 je nach Wochentag und schliesst nach 20 Uhr. Sie seien sicher bis 20:00 da, verspricht eine Tafel. Nach 20 Uhr, solange Gäste da seien.

Biker steigen hier ab - der Chef ist selber einer

Der dank Bart, Schnauz und Kopftuch von weitem etwas verwegen dreinschauende Patron des Hauses, entpuppt sich von nahem als ganz freundlich. Das Geschäft lasse sich gut an, meinte er. Wenn es dann wärmer werde, würden sie noch ausbauen (heisst wohl: Gartenwirtschaft aufstellen). Und nein, das «Wiesental» spürten sie nicht.

Kein Wunder. Das Restaurant Wiesental im Bedmen hat Samstag und Sonntag zu. Am Wochenende steht «the new kid on the block» an der Hauptstrasse deshalb (fast) konkurrenzlos da.

Erfreulicher Nebeneffekt des neuen Unternehmens: Der Dornröschenschlaf von Assekuranz-Nummer 696 (vgl. WeiachBlog vom 4. Dezember 2005) ist beendet. Oder wenigstens für den Moment unterbrochen.

[Veröffentlicht am 7.4.07]

Samstag, 24. März 2007

Strange Attractors. 25 Stunden Goatrance in Weiach

Von der Partyszene heutiger Tage habe ich - das sei hier offen zugegeben - etwa so viel Ahnung wie eine Kuh vom Tiefseetauchen. Aber wenn Weiach schon einmal über mehr als 24 Stunden hinweg zu einem Anziehungspunkt für die Anhänger moderner Rhythmen wird, dann kann das WeiachBlog nicht kalt lassen.

Der Anlass nennt sich STRANGE ATTRACTORS by DMT und ging, der Jahreszeit angepasst, indoor über die Bühne. Und zwar von «Sat, 10 Mar 07 22:00h - Sun, 11 Mar 07 23:30h» wie die Website Goatrance.de verrät. Also über mehr als 25 1/2 Stunden! Ein richtiger Musikmarathon. Zu moderaten Preisen: «Entry fee - Eintritt ist 15.- Fr. oder 10.- Euro. Members wie immer 5.- Fr. billiger».

Was um Himmels willen ist Goatrance?

Hab ich mich gefragt und glücklicherweise gibt es heutzutage Wikipedia. Da wird das so anschaulich erklärt, dass auch ein Laie schnallt, worum es geht:

«Trance (..) ist eine Form der elektronischen Musik, die sich in den 1990er Jahren vom härteren Techno abspaltete und sich mehr nach den der Harmonik entsprechenden Akkorden und Melodien bei rund 125-145 BPM richtet.» (Artikel Trance am 7. April)

Techno sagte mir noch knapp etwas. Bummbummbumm... und so. Auch das Kürzel BPM wusste ich gerade noch zu deuten: beats per minute. Also ungefähr der ideale Trainingsherzschlag eines Menschen mittleren Alters beim Joggen. Oder doch für Jüngere? Wenn man nach «Goatrance» sucht, dann wird einem nämlich erklärt:

«Die Musik setzt sich aus 4/4-Takten zwischen ursprünglich 130 und 150 BPM zusammen, mittlerweile werden auch Geschwindigkeiten bis zu 160 bpm und mehr erreicht. Die Kicks sind deutlich energischer und kompakter als bei anderen Trance-Richtungen. Darüber hinaus versteht sich die Musik recht experimentell. Beliebt sind Acidlines (ursprünglich durch den TB-303-Synthesizer) und andere organisch klingende synthetische Geräusche. Vocals wie zum Beispiel bei House finden seltener Verwendung, inzwischen werden jedoch mitunter gerne Vocoder-Stimmen und Gesang mit eingebaut. Ebenso werden gerne Samples aus Spielfilmen eingemischt.» (Artikel Goatrance, Abschnitt "Musikalische Eigenschaften", am 7. April)

Wer sich die Fachbegriffe erklären lassen will, muss halt in den Wikipedia-Artikel springen. Er ist auch sonst lesenswert und zeigt u.a. auch auf, woher der Name stammt:

«Psytrance (kurz für: Psychedelic Trance, auch: Goa-Trance oder einfach Goa) ist eine Musikrichtung und stellt ein Subgenre der Trance-Musik dar. Namensgebend waren Outdoor Trance-Partys der Neunziger-Jahre im indischen Bundesstaat Goa; jedoch wurde der Musikstil nicht ausschließlich dort erschaffen. Die Entstehungszeit der klassischen Ausprägung reichte bis etwa 1991. Gegenwärtig entwickelt sich der Musikstil unter der Bezeichnung Psytrance (kommerzielle Variante) weiter. Es gibt aber auch neue freie Goa Musik und Psytrance Netlabels die sich dem ursprünglichem Goa-Trance verschrieben haben.»

Viele Interpreten lösen sich ab

Schön. Da kann man sich wenigstens etwas drunter vorstellen. Unter der Liste der Auftretenden, Beteiligten, was-auch-immer schon wesentlich weniger:

«Live: GOE (Psychedelic System), DIGITAL SUN (DMT), DYNSOUND MARBLE, MAUA (DMT)

«DJs: PSYHIGH (Bionics rec.), GELFLING (Utopia rec.), TASSILI (DMT), C-MOHN (Kokopelli), IDEFIX (InDEX), MARKUS (DMT), CASSIOPEYA (DMT), URBAN TRIBE (DMT), BOOM SHANKAR (BMSS), KARMALAA (Psychedelic System), MOTTEDEI (DMT), ALEXSOPH (DE), COSMOPOR (GR)

Für Deko war ein «Jamas» zuständig, und als VJs fungierten «Juy» und «Chris».

Was ist DMT? Wenn man nach der Auflösung dieses Kürzels sucht, wird man beim Organizer fündig: «DMT Dancemusictribe prod.» figurieren dort.

Location? Wo die chose stattfand.

«Weiach ZH 10min von Bülach 100 Meter von Ortstafel Kaiserstuhl, folge den Zeichen. Die Location fasst 500 Personen, es gibt jedoch nur 250 Tickets damit alle genug platz haben.»

Hmmm... wo war das? In einer der Hallen von Holzhändler Benz wohl kaum. Die sind nämlich offen und in tiefer Nacht ist's da im Frühling doch etwas zu zugig. Am ehesten noch im Party-Teil des Restaurants Bahnhof (ehemals Party-Club «Payas»). Aber passen da 500 Leute hinein? Also doch in den früheren Hallen des Lederwarenherstellers Fruet? Alle drei Locations wären beim Alten Bahnhof. Und woanders kann es kaum gewesen sein. Die diversen Schützenhäuser sind nämlich viel zu klein für 250 tanzende Besucher auf's Mal.

Dass die Ortsangabe ohne Karte für Auswärtige ziemlich nebulös ist (jedenfalls wenn sie mit dem öV anreisen), zeigt sich an der Frage eines Partygängers mit dem Nickname Samarasli vom 8. März:

«Habt ihr eine Garderobe? Und welche Haltestelle aussteigen wenn man mit dem Zug/Bus kommt? Gemeindehaus, alter Bhf., oder Steinbruch? Thanks und die liebsten Grüsse. Ps. kann man Tickets reservieren?»

Was ist ein strange attractor?

Auch hier hilft Wikipedia weiter: «Seltsamer Attraktor: In seinem Endzustand zeigt das System ein aperiodisches Verhalten. Der Attraktor lässt sich nicht in einer geschlossenen geometrischen Form beschreiben und besitzt keine ganzzahlige Dimension, ist also ein Fraktal. Wichtiges Merkmal ist das chaotische Verhalten, d. h. jede noch so geringe Änderung des Anfangszustands führt im weiteren Verlauf zu signifikanten Zustandsänderungen. Prominentestes Beispiel ist der Lorenz-Attraktor, der bei der Modellierung von Luftströmungen in der Atmosphäre entdeckt wurde. Seltsame Attraktoren liefern die mathematische Grundlage zur Beschreibung chaotischer Vorgänge wie etwa turbulenter Strömungen.» (Artikel Attraktor am 7. April)

[Veröffentlicht am 7.4.07]

Freitag, 23. März 2007

Der Absturz auf Angstflug.de, ZRHwiki und Wikipedia

Vor 15 Jahren: Absturz Alitalia AZ 404. Das ist der Titel des am häufigsten abgerufenen WeiachBlog-Artikels (Nr. 15 vom 14. November 2005). Publiziert wurde er zum 15. Jahrestag der Tragödie.

Mittlerweile existieren gleich drei lexikon- bzw. archivartige Internetpräsenzen, die diesem Absturz vom 14.11.1990 einen Kurzbeitrag widmen: angstflug.de (jüngster Spross), ZRHwiki und die deutschsprachige Wikipedia.

1. Der Eintrag auf Angstflug.de lautet:

300 Höhenmeter zu tief

14.11.1990

Die Piloten einer DC 9-32 der Alitalia mit der Flugnummer AZ 404 wähnten sich beim Landeanflug auf den Züricher Flughafen sicher auf dem Leitstrahl und ahnten nichts über den fatalen Defekt ihres Höhenmessers. Zwar befand sich die Maschine auf dem Leitstrahl des Flughafens, dies jedoch 300 Höhenmeter zu tief. Alle 46 Insassen der DC 9 fanden den Tod, als das Flugzeug am Stadlerberg südlich des Dorfes Weiach zerschellte und in Flammen aufging.

Den Aufzeichnungen zufolge zeigte nur einer der beiden sich an Bord befindlichen Höhenmesser einen falschen Wert an. Kurz vor dem Crash versuchte der Co-Pilot die Maschine durchzustarten, wurde aber vom Flugkapitän zurückgehalten.

Tags: Alitalia, DC 9, Höhenmesser, Zürich

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This entry was posted on Thursday, March 8th, 2007 at 10:46 am and is filed under Zivil.



2. Der Eintrag auf ZRHwiki enthielt am 22. März folgenden Text:

Flugzeugabsturz am Stadlerberg

Beim Flugzeugabsturz am Stadlerberg am 14. November 1990 prallte eine McDonnell Douglas DC-9-32 der italienischen Fluggesellschaft Alitalia mit der Immatrikulation I-ATJA kurz vor der geplanten Landung auf Piste 14 (5,2 nautische Meilen vor der Pistenschwelle) am Flughafen Zürich um 19.11 Uhr in den Wald am nördlichen Stadlerberg. Die Absturzstelle findet sich im Gebiet Haggenberg/Surgen südlich von Weiach und westlich von Raat auf einer Höhe von rund 510 m über Meer (Koordinaten: 675 900/266 600 beziehungsweise 47°32'50" N 8°26'51" E) [1].

Beim Absturz kamen alle 46 Personen an Bord des Flugzeuges mit der Flugnummer AZA 404 ums Leben. Absturzursache war ein Instrumentendefekt, der dazu führte, dass sich die Piloten beim Anflug auf dem korrekten Gleitpfad des Instrumentenlandesystems wähnten, in Wahrheit aber über 300 m zu tief flogen. In der Luftfahrt wird das als Controlled Flight Into Terrain (CFIT) bezeichnet. Nach dem Flugzeugunglück wurde auf dem Stadlerberg eine Hindernisbefeuerung erstellt. Heute erinneren ein schlichter Gedenkstein und ein Holzkreuz an der Absturzstelle an das tragische Ereignis am Stadlerberg.

Weblinks


[Obiger Text stammt aus dem ZRHwiki und unterliegt dessen Lizenzbestimmungen (vgl. Kommentare)].

3. Und schliesslich haben wir noch den dritten und ältesten Eintrag, einen Unterabschnitt im Artikel über die Gemeinde Weiach in der deutschsprachigen Wikipedia (Stand ebenfalls vom 22. März):

Flugzeugabsturz vom 14. November 1990

Am 14. November 1990 prallte eine Douglas DC-9-32 der italienischen Fluggesellschaft Alitalia während des Landeanflugs auf die Piste 14 des Flughafens Zürich im Gebiet Surgen auf 520 m ü. M. in den Haggenberg. Alle 46 Flugpassagiere und Besatzungsmitglieder des Fluges AZ 404 fanden den Tod. Es handelt sich um das schlimmste Unglück auf Gemeindegebiet seit Menschengedenken. An der Absturzstelle erinnert ein schlichter Gedenkstein an die fatale Novembernacht. Die Absturzursache war ein Instrumentendefekt, der dazu führte, dass die Piloten sich auf dem Leitstrahl wähnten, in Wahrheit jedoch über 300 Meter zu tief anflogen.


[Obiger Text stammt aus der deutschsprachigen Wikipedia und unterliegt daher den Lizenzierungs-Bestimmungen der GNU-FDL (vgl. Kommentare)].

Donnerstag, 22. März 2007

Raserquote: 7 Prozent

Dies gelesen (in den Gemeinde-Mitteilungen des laufenden Monats unter der Rubrik «Verkehrspolizei»):

«Die Behörde nimmt Kenntnis von der durch die Kantonspolizei am 26. Januar 2007 durchgeführten Geschwindigkeitskontrolle an der Kaiserstuhlerstrasse. Gemessene Fahrzeuge 429; Übertretungen 31; gemessene Höchstgeschwindigkeit 80 km/h (signalisiert 60 km/h)».

Und das gedacht:

Auf der Hauptstrasse Nr. 7 Basel-Winterthur wird oft mit höheren Tempi gefahren als den signalisierten. Sieben Prozent sind deshalb eigentlich ein niedriger Wert, wenn man bedenkt wie häufig man auf dieser Strasse überholt wird, wenn man sich an die mittels Tafel oder gesetzlicher Höchstgeschwindigkeit festgelegten Limiten hält.

Fragt sich nur: Warum ist es so schwer, sich an eine signalisierte Höchstgeschwindigkeit zu halten? Weil es eine Hauptstrasse ist und keine klar erkennbare Häuseransammlung die Reduktion von 80 auf 60 km/h gebietet?

Warum dann das Reizwort «Raserquote» im Titel? Ist ja keiner dabei, der mit 100 Sachen durchgerast wäre. Ja, stimmt. Aber seien Sie ehrlich, hätten Sie einen Artikel mit dem Betreff «7 Prozent der Autofahrer zu schnell unterwegs» o.ä. auch gelesen?

Quelle
  • Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, März 2007 - S. 4.

Mittwoch, 21. März 2007

Erst der Rabe, dann die Katze

Das Weiach meiner Jugend war noch eine ländlichere Idylle als das heutige - mit etlichen Miststöcken und vielen Hochstammobstbäumen rund um die Häuser. Das ändert sich leider in den letzten Jahrzehnten zunehmend. Hier ein kleines Anekdötchen aus der Zeit vor 25 Jahren.

Unser Mini-Löwe

Das Leben auf dem Land brachte es mit sich, dass Haus- und Nutztiere für viele ältere Weiacher seit Kindesbeinen eine vertraute Lebenserfahrung sind.

Zu meinen besonderen Erlebnissen gehören die mit Katzen. In Erinnerung bleibt mir vor allem Joggi, ein sehr anhängliches, schwarzrötlich-weisses Energiebündel mit dichtem, flauschigen Angora-Fell. Woher er das hatte? Bei einer Strassenmischung unmöglich zu eruieren. Nicht von seiner Mutter, die hatte nämlich glattes, kurzes Fell. Vom Vater? Vielleicht. Gerade bei Hofkatzen gilt halt der alte Leitsatz römischer Juristen: Mater certa est, pater numquam. Deshalb: keine Ahnung, wer sein Vater gewesen ist.

Geboren wurde er im Sommer 1981 in meinem Zimmer - in der hintersten Ecke unter dem Büchergestell. Nach fast zwei Wochen war seine Mutter endlich gewillt, uns ihre Kleinen zu präsentieren. Eines der drei hatte eine veritable Löwenmähne und für meine Schwester und mich war es klar, dass das nur ein Männchen sein konnte. Deshalb tauften wir "ihn" auf den Namen Joggi.

Erst der Tierarzt belehrte uns anlässlich der Kastrierung eines Besseren: Joggi war ein Weibchen. Aber da war es schon zu spät für einen Namenswechsel. Und ausserdem war uns das herzlich egal. Für uns blieb Joggi ein ER. Alles in seinem Wesen unterstützte diese Meinung.

Don’t mess with Joggi

Sein Revierverhalten war nämlich legendär. Er zeigte absolut keinen Respekt vor grossen Tieren. Verglichen mit den meisten Katern war er zwar nur eine halbe Portion. Das kompensierte er aber mit seinem dichten Fell. Aufgeplustert, wild fauchend, den Buckel gestellt, wirkte er auf Eindringlinge schon wehrhaft genug.

Wer nach dieser Demonstration der Entschlossenheit nicht sehr bald gewillt war, Joggis Territorialansprüche mittels Rückzug zu respektieren, der lernte schnell seine kompromisslose Angriffstrategie kennen. Die ging direkt auf die empfindlichen Stellen. Nase, Augen, usw. Natürlich blieben auch ihm selber Blessuren wie Kratzer, ausgerissene Haarbüschel und zerschlitzte Ohren nicht erspart - besonders bei Streifzügen durch das Dorf. Auf eigenem Gebiet blieb er aber Sieger.

Schon in den ersten Lebensmonaten sah man ein kleines, schwarz-weisses Fellbündel den dreimal so grossen Nachbarskater quer über den Bungert jagen. Kaum einer der so vom Platz Vertriebenen traute sich ein zweites Mal, Joggis Hoheitsgebiet zu verletzen. Das galt übrigens auch für Hunde jeglicher Grösse und Kläffstärke.

Nächtliche Gesänge auf dem Autodach

Kurz: Joggi war der unumstrittene König seines Reviers. Das mussten auch die dazu gehörenden Menschen lernen. Joggi wollte aus dem geschlossenen Zimmer? Ein konzentrierter Krallenwetz-Angriff auf eine Truhe aus edlem Bündner Arvenholz wirkte innert Sekunden Wunder. Joggi wollte des nachts nach 2 Uhr ins Haus an sein warmes Plätzchen? No problem. Seine ausdauernde, in solchen Fällen eher einem langgezogenen Jaulgesang denn einem Miauen ähnelnde Stimme, weckte - vorgetragen vom Autodach seiner Menschen - locker die ganze Nachbarschaft. Schon deshalb dauerte es nie lange und sein Wunsch ging in Erfüllung.

Ein Rekonvaleszenter tritt auf den Plan

Eines Tages allerdings lernte Joggi seinen Meister kennen: Eine grosse Rabenkrähe (oder war es ein Kolkrabe?), die nach einem Flügelbruch vom ortsansässigen Tierarzt, einem habilitierten Ethologen, wieder gesundgepflegt worden war.

Dieser Rabenvogel war absolut zahm und hatte keine Scheu vor Menschen. Er landete eines schönen Tages hinter unserem Haus und bediente sich bald ganz ungeniert an Joggis Futternapf. Solche Kühnheit konnte nicht ohne Reaktion bleiben – selbst wenn er selber dasselbe Futter nur Minuten zuvor verschmäht hatte. Joggi verliess seinen sonnengewärmten Hochsitz, attackierte den Frechling und schlug ihn die Flucht. Sichtbar stolz kehrte er auf die Terrasse zurück und feierte dort seinen neuerlichen Sieg.

Dann aber passierte etwas völlig Unerwartetes, noch nie Dagewesenes. Der Rabenvogel, intelligent und neugierig wie er war, wollte sich das wehrhafte Kätzchen wohl genauer ansehen – und kehrte alsbald zurück. Er landete mit weit ausgebreiteten Schwingen direkt auf der Maschendrahtumzäunung, die Joggis Hochsitz umgab, hüpfte dann auf den Boden und ihm direkt entgegen.

Neue Machtverhältnisse

Schwarz, gross, fast lautlos. Und einen Meter Flügelspannweite. In der Offensive! Das war definitiv zuviel. Wie ein geölter Blitz raste Joggi ab der Terrasse und flüchtete in panischem Entsetzen auf die Spitze des höchsten Apfelbaums im Bungert. Dort miaute er dann kläglich und liess sich erst nach Stunden dazu bewegen, wieder auf den Boden seiner Niederlage zurückzukommen. Denn der pechschwarze Vogel fand dies alles höchst interessant. Und sass auf demselben Baum.

Von diesem Zeitpunkt an war die neue Hackordnung beim Fressen klar. Erst der Rabenvogel (so anwesend), dann in gebührendem räumlichen und zeitlichen Abstand Joggi, schliesslich seine Mutter und wenn die alle zufrieden waren vielleicht noch ein geduldeter Besucher.

Obwohl der Rabenvogel schon bald wieder von der Bildfläche verschwunden ist – Joggi dürfte ihn wohl bis zu seinem Tode im Jahre 1998 nicht vergessen haben.

Dienstag, 20. März 2007

Eine Generation, an öffentliche Unterstützung gewöhnt

«Macht nichts», lautete zweideutig der Titel eines Weltwoche-Artikels von Markus Schär. Auf den Punkt gebracht beschreibt er das Problem so: «Ein Sechstel der Schweizer Bevölkerung ist auf staatliche Unterstützung angewiesen – schlimmer noch: Die Menschen sehen nicht ein, warum sie ihre Situation verbessern sollten. Denn Sozialhilfe wird kaum noch als zweite Chance empfunden, sondern als Lebensstil.» (Weltwoche 03/2005)

Entsprechend ist in rechtskonservativen Kreisen die Rede von «Vollkaskomentalität zum Nulltarif» und «sozialen Hängematten», wenn heutzutage Missbräuche im Bereich der Sozialversicherungen und der öffentlichen Fürsorge an den Pranger gestellt werden. Ob zu Recht oder nicht bleibe dahingestellt.

Weiach: Anzahl der Fürsorgefälle nimmt zu

Es stimmt mich ganz einfach bedenklich, wenn in der Budgetgemeindeversammlung pro 2007 für die Sozialhilfe mit Mehrkosten (!) von 69'000 Franken gerechnet wird - Krankenkassenvergünstigungen und Sockelbeiträge für Spitalaufenthalte noch nicht eingerechnet. (vgl. WeiachBlog vom 18. Dezember 2006)

Als Begründung führte der Gemeinderat ins Feld, die Anzahl der Fälle habe zugenommen. Noch bedroht die Situation zwar nicht die Stabilität unserer Gemeindefinanzen. Gesamthaft gesehen muss man sich aber schon fragen, was schief läuft, wenn 1/6 der Bevölkerung ohne staatliche Unterstützung nicht mehr durchs Leben zu kommen scheinen. Ursachenforschung ist angebracht. WeiachBlog tut das mit einem Blick in die Vergangenheit - 150 Jahre zurück.

Natürlich waren die wirtschaftlichen und sozialen Umstände damals ganz andere als heute. Die Psychologie des Menschen hat sich aber kaum geändert und deshalb ist es interessant zu lesen, wie die damals Verantwortlichen die Situation schilderten und was sie für die Wurzel des Problems hielten.

«Moralische Erschlaffung und Verweichlichung»

Ulrich Zehnder, der Präsident der Zürcher Kantonal-Armenpflege, beschrieb 1849 in einem Gutachten die Situation im südöstlichen Zürcher Oberland, das durch den massiven Preiszerfall der einst lukrativen Wollweberei arg in Bedrängnis geraten war. Die Bevölkerungsdichte lag dort ebenso hoch wie im Kantonsdurchschnitt, obwohl der verfügbare Ackerboden wesentlich kleiner ist und die klimatischen Bedingungen schlechter. Das sei aber nicht alles, meinte Zehnder:

«Eine fernere, nicht minder wirksame Ursache der Verarmung liegt im physischen, insbesondere aber sittlichen Zustande der Bewohner selbst. Die Art der Beschäftigung, welcher sich der grösste Theil derselben widmet, das Sitzen am Webstuhl, meist in engen, dumpfen, oft feuchten und ungesunden Wohnungen, der Mangel an frischer Luft und freier Bewegung hat in Verbindung mit der übrigen Lebensart im allgemeinen die zahlreiche Klasse dieser Arbeiter geschwächt und verweichlicht, so dass viele nicht die Kraft haben, sich andern anstrengendern Beschäftigungen hinzugeben und sie lieber Mangel leiden, als andere Arbeit suchen.

Auffallender aber noch ist die moralische Erschlaffung und Verweichlichung, die zu jeder Aufraffung und Anstrengung, um die eigene schlimme Lage zu verbessern, unfähig macht. Während Tausende von Fremden im Lande mit ihrer Hände Arbeit als Taglöhner, Dienstboten, Handlanger sc.
[d.h.: etc.] ihr Brod verdienen, können aller Aufmunterungen ungeachtet, nur sehr wenige aus dieser Gegend sich entschliessen, auf gleiche Weise ihr Auskommen zu suchen.

Jene moralische Erschlaffung und Verweichlichung, der ein früherer reichlicher Verdienst und der damit eingeschlichene Luxus noch besonders Vorschub leistete, führt dagegen viele von ihnen auf die Bahn des Leichtsinns, der Liederlichkeit, des Müssiggangs, des Bettels und Vagabundenlebens. Jener Leichtsinn offenbart sich namentlich auch in den zahlreichen ehelichen Verbindungen, die noch ganz junge, von allen Mitteln der Existenz entblösste Personen eingehen, ohne sich darum zu bekümmern, ob sie im Stande sein werden, sich und ihre Kinder zu erhalten und die letztern gehörig zu erziehen.

Leichtsinnig heiraten

Solche leichtsinnige Heirathen vermehren von Jahr zu Jahr die Zahl derer, die die Armengüter umlagern, und der Leichtsinn, der sie schliessen liess, führt leider nur zu oft auch zu jener Gewissenlosigkeit, welche die Eltern verleitet, sich, selbst wenn sie noch im Stande wären, mit Anstrengung aller ihrer Kräfte ihre Elternpflicht zu erfüllen, um diese wenig zu kümmern, weil sie es bequemer finden, die Sorge für die Kinder den Armenbehörden zu überlassen. Diese Leichtsinnigen und Liederlichen sind in sehr vielen Gemeinden wie anderswo, so namentlich auch derjenigen Gegend des Landes, die wir hier im Auge haben, eine grosse Last für die Gemeinden und eine Plage für die Armenbehörden.

Sie sind es, welche es diesen unmöglich machen, die wahrhaft und würdigen Armen, so wie es zu wünschen wäre, zu verpflegen, ohne die Mittel, welche den Gemeinden zu Gebote stehen, allzu sehr in Anspruch zu nehmen. Wenn in einzelnen Gemeinden, wie wir gerade von dort her berichtet sind, 20-30 und mehr solcher Individuen, zum Theil Hausväter und Hausmütter mit zahlreichen Familien sich befinden, so ist leicht einzusehen, welche Belästigung den Armengütern von daher erwächst. Sprechende Belege für jene moralische Ausartung sind auch die Kosten, welche einzelne Gemeinden für den polizeilichen Transport ihrer auf dem Bettel ergriffenen Angehörigen zu bezahlen hatten.
»

Entsprechend hatten denn auch Verwandte, Vormünder sowie die Heimatgemeinde schon nach dem Zürcher Ehegesetz von 1811 das Recht, vor Gericht Einsprache gegen eine Eheschliessung einzureichen, wenn sie nachweisen konnten, dass die Kinder der geplanten Familie der Öffentlichkeit (und damit über den Regress des Staates den Verwandten) zur Last fallen würden.

Obwohl im Kanton Zürich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur sehr selten Ehebegehren abgewiesen wurden, statuiert noch das Zürcher Privatrechtliche Gesetzbuch von 1853 in § 86 ein Einspracherecht im Sinne der schon 1811 geltenden Regelung. Doch lesen wir weiter in Zehnders Gutachten:

Abhängigkeit und Anspruchsmentalität sind erblich

«Die schlimmste Folge aber jener Verarmung aus Liederlichkeit ist die schlechte Erziehung der Kinder. Sie tritt hier um so sicherer und verderblicher ein, als die Gemeinden bei der Unzulänglichkeit ihrer Mittel noch zufrieden sind, wenn solche Eltern sich mit einer Unterstützung abfinden lassen und dann ihre Kinder bei sich behalten, statt dass diese Unglücklichen sofort von jenen entfernt und bei braven Familien untergebracht werden sollten.

Einer solchen besseren Versorgung tritt aber nicht nur der Mangel an Mitteln und das Bedürfniss der Sparsamkeit entgegen, sondern auch die Schwierigkeit, solche Familien zu finden, denen man die Kinder mit Vertrauen überlassen könnte, und die auch bereit wären, sie aufzunehmen und zu erziehen. Diese Schwierigkeit ist in einzelnen Gemeinden sehr gross.

So wächst denn eine neue Generation heran, die an öffentliche Unterstützung gewohnt, sich berechtigt glaubt, auf Kosten anderer ihren Lüsten und ihrer Trägheit fröhnen zu dürfen.
»

Was für das Zürcher Oberland galt, das konnte man damals in etwas vermindertem Masse auch auf die noch wesentlich stärker von der Landwirtschaft abhängige Region Zürcher Unterland übertragen.

Quellen

Montag, 19. März 2007

Handschriften entziffern: Die passage obligé zu den Quellen

Auch wenn sich manche Netgeeks ein Leben ohne Tastatur und Bildschirm nicht mehr vorstellen können: Schreiben war über Jahrhunderte gleichbedeutend mit Federkiel, Tintenfass und dem obligaten Sand zum Trockenlegen. Mühsame Handarbeit.

Ich weiss nicht wie es Ihnen geht, aber das Entziffern von Handschriften ist für mich manchmal eine ziemlich grosse Hürde. Von der eigenen Handschrift rede ich hier nicht - auch wenn es mir selber schon passiert ist, dass ich von mir eigenhändig Hingekritzeltes nicht mehr lesen konnte. Peinlich, peinlich.

Bei Hieroglyphen hilft nur minutiöser Quervergleich

In der Regel geben einem die Schriften Dritter mehr Rätsel auf. Noch lebende Personen kann man notfalls fragen. Bei längst Verblichenen - und das ist bei der Arbeit mit alten Akten (wie zum Beispiel Kirchenbüchern) die Mehrheit der Schreibenden - ist dies natürlich nicht mehr möglich.

Das zwingt einen, die Individualität eines Schreibenden, seinen ganz persönlichen Stil kennenzulernen. Nur Geduld bringt da Rosen, und das bedeutet in diesem Fall: Training am und mit dem unbekannten Schriftbild.

Je mehr Text desto besser

Man liest also - und sobald man stolpert, bleibt nur noch das akribische Vergleichen des unbekannten Schlenkers mit bereits Entziffertem. So wie das jeder Profi und jedes OCR-Programm auch machen müsste. Je mehr Material von der gleichen Hand vorliegt, desto besser, dann hat man mehr Vergleichsmöglichkeiten.

Vorgehen beim Lesen:
• Wörter in einzelne Buchstaben zerlegen
• Alphabet erstellen
• Unbekannte Buchstaben mit bereits entzifferten vergleichen
• Versuchen, Wörter zu erkennen und fehlende Buchstaben zu ergänzen

Das braucht zwar sehr viel Zeit - ist aber die einzige wirklich zielführende Lösung, die ohne Hilfe von Profis (d.h. Historiker mit Training im Lesen alter Schriften, Lehrpersonen oder Apothekerinnen) auskommt. Und die einzige bei der man wirklich sicher sein kann. Man weiss dann nämlich genau, wo man eine Unsicherheit hatte - und kann bei der fraglichen Stelle in der Transkription entsprechende Vorsicht walten lassen. Das vermeidet Fehlinterpretationen.

Handschriften-Kurse on- und offline

Vormachen muss man sich da gar nichts. Probleme haben nämlich auch Profis ab und zu - das nennen sie dann Zweifelsfälle. Die sind gerade bei solchen "Schriftkünstlern" unvermeidlich, wie man sie in den Kirchenbüchern der Gemeinde Weiach antrifft.

Wer die in historischen Dokumenten angetroffenen Schriften selber lesen will, für den gibt es sowohl Literatur wie auch Kurse.

Online verfügbar ist z.B. die Website zur Sütterlinschrift (siehe Tipps und Tricks).

Sehr empfehlenswert ist Adfontes, ein Selbstlerntraining der Universität Zürich, das ebenfalls online abrufbar ist: http://www.adfontes.unizh.ch - Da muss man sich zwar anmelden. Aber es lohnt sich.

Für offline-Kurse empfehle ich eine Kontaktnahme mit dem regionalen historischen Verein, für den Kanton Zürich z.B. mit der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich oder mit einer genealogischen Vereinigung Ihrer Gegend.

Samstag, 3. März 2007

WeiachBlog macht Ferien

Nachdem ich sowieso um etliche Tage hintendrein bin mit dem täglichen Artikel, mache ich nun erst einmal Blogferien. So zwei bis drei Wochen. On verra.

Bis bald. Zu lesen habt ihr ja unten genug. Macht's gut!