Samstag, 30. April 2011

Wie man nach dem Tode Bücher schreibt

«Weyach. Ein Pfarrdorf, nächst an dem Städtgen Kaiserstuhl und dem Rhein.» Diese dürre Notiz zu unserer Gemeinde findet man in der «Staats- und Erdbeschreibung» der «Helvetischen Eidgenossenschaft» aus dem Jahre 1765, verfasst vom Zürcher Pfarrer Johann Conrad Fäsi (1727-1790).

Pfr. Johann Conrad Fäsi publizierte dieses vierbändige Werk, weil er angeregt durch die Forschungsmethoden seines deutschen Zeitgenossen Anton Friedrich Büsching (vgl. WeiachBlog vom gestern), einen vollständigen Überblick über Geographie, Geschichte, Staats- und Ortskunde der Schweiz geben wollte.

Daten aus der Zukunft gechannelt?

Derselbe Johann Conrad Fäsi figuriert als Herausgeber der «Bibliothek der schweizerischen Staatskunde, Erdbeschreibung und Litteratur», einer Art wissenschaftlichen Zeitschrift, die Ende des 18. Jahrhunderts, genauer: 1795 und 1796 in Zürich im Selbstverlag publiziert wurde. Und auch dort wird die Gemeinde Weyach erwähnt. Wurden da einfach zu Lebzeiten geschriebene, im Nachlass gefundene Werke veröffentlicht? Nein. Da ging es zum Teil um höchst aktuelle statistische Daten. Nun kann sich ein Toter postum ja nicht auf Fakten beziehen, die nach seinem Ableben das Licht der Welt erblickt haben.

Berühmter Vater als Zugpferd

Des Rätsels Lösung: Johann Conrads Sohn, Johann Kaspar Fäsi sen. (1769-1849), war genauso von Geographie und Staatswissenschaften angetan wie er. Der Sohn war allerdings nicht Pfarrer, sondern verdiente seinen Lebensunterhält als Lehrer und später als Sekretär am Kantonsgericht. Der Enkel von Johann Conrad, Johann Kaspar Fäsi jun. (1795-1848), erlebte dann die Geographie ferner Länder, die noch heute kaum ein Schweizer kennt. Er trat nämlich 1816 in die Dienste der Armee des russischen Zaren, wurde schliesslich zum Generalleutnant ernannt (entspricht einem Korpskommandanten) und war 1842 u.a. Oberkommandierender in Dagestan (Nordkaukasus).

Doch zurück zu oben erwähnter «Bibliothek»: Da Johann Kaspar Fäsi sen. zum Zeitpunkt der Publikation noch keine 30 Jahre alt war, diente der berühmte Vater eben als Zugpferd, um mehr Leser zu finden. Erst 1797 wagte Johann Kaspar Fäsi sen. eine Publikation unter eigenem Namen: «Schweizerische Litteratur als Anhang zum ersten Band der Bibliothek der schweizerischen Staatskunde, Erdbeschreibung und Litteratur von Prof. J.C. Fäsi». Selbst hier wird Papa noch als Marketing-Lokomotive eingesetzt.

Mehr zur «Bibliothek der schweizerischen Staatskunde, Erdbeschreibung und Litteratur» im Artikel von morgen, 1. Mai.

Quellen
  • Fäsi, J. K.: Johann Conrad Fäsis [...] genaue und vollständige Staats- und Erd-Beschreibung der ganzen Helvetischen Eidgenossenschaft, derselben gemeinen Herrschaften und zugewandten Orten. 2. und verbesserte Aufl.; Band 1-4, Zürich 1765-1768 - Bd. 1, S. 311. (vgl. erste Zitierung in den «Mitteilungen für die Gemeinde Weiach», Juli 2009: «Die Collatur gehört dem kleinen Rath zu Zürich». Weiach in Standardwerken von 1742 bis 1820. Weiacher Geschichte(n), Nr. 116; Gesamtausgabe S. 482)

Freitag, 29. April 2011

Büschings «Neue Erdbeschreibung»

Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts wird Weyach vermehrt in geographischen Übersichtswerken erwähnt. Natürlich vor allem in solchen, welche den Zürcher Staat (Memorabilia Tigurina) oder die Schweizer Eidgenossenschaft zum Thema haben (z.B. Leu's Lexicon).

Eine der ersten ausländischen Publikationen (wenn nicht die erste überhaupt), die den Ortsnamen explizit erwähnt, ist die sogenannte «Neue Erdbeschreibung» von Anton Friedrich Büsching. Der Teil 4 seines 1767 bereits in 3. Auflage im Verlag J. C. Bohn publizierten Werks trägt den Titel «Die Vereinigten Niederlande, Helvetien, Schlesien und Glatz».

Das für diesen Artikel als Grundlage dienende Exemplar gehört der University of Michigan und wurde von Google Books am 23. März 2006 digitalisiert.

Weyach hat keinen eigenen Eintrag, sondern erscheint auf S. 278-279 unter ihrer zürcherischen Verwaltungseinheit:

«9) Die Obervogtey Neu-Amt, hat ehemals zu der Grafschaft Kyburg gehöret: als aber die Stadt Zürich 1442 dem Kaiser Friedrich III diese Grafschaft übergab, behielt sie sich von derselben die jenseits des Flusses Glatt belegenen Oerter vor, welche von der Zeit an das Neu-Amt genennet worden sind. Es gehören viele schöne Dörfer und Höfe dazu. Die Dörfer Ober- und Nieder-Glat, liegen jedes auf beyden Seiten des Flusses Glat; der Theil derselben, welcher auf der Westseite desselben belegen ist, gehöret zu dieser Obervogtey, der auf der Ostseite belegene aber zu der Grafschaft Kyburg. Das Schloss Hasle ist zerstöret, von demselben aber haben die Dörfer Nieder- Ober und Metten-Hasle den Namen. Es gehören auch die Pfarren Stadel und Weyach zu dieser Obervogtey.»

Vergleiche den entsprechenden, fast dreissig Jahre jüngeren Eintrag in Zedler's Universallexikon, der 1740 herauskam (WeiachBlog Nr. 9 vom 8. November 2005). Im Gegensatz zum Zedler führt Büsching Weyach auf. Wenn auch nur unter «ferner liefen».

Donnerstag, 28. April 2011

«Ziemlich heftiger Erdbebenstoss»

Heute vor 50 Jahren war in Weiach ein Erdbeben zu spüren. Den Hinweis darauf findet man - kurioserweise unter dem Titel «Witterung» - in der Jahreschronik von Walter Zollinger:

«In der Nacht vom 28./29. April, um 21.50 Uhr ca. verspürten wir einen ziemlich heftigen Erdbebenstoss. Das Radio meldete anderntags wirklich ein Erdbeben, das in der ganzen N.O.-Schweiz, sowie in S.W.-Deutschland spürbar war, Bebenherd vermutlich im nahen Schwarzwald.»

Im Erdbebenkatalog erfasst

Und wenn man in der Schweizer Erdbebendatenbank nachschaut, dann findet man auch einen Eintrag zu diesem «Erdbebenstoss». Das Epizentrum lag in 22 km Tiefe bei Schopfheim (kleine Stadt im Wiesental, nordöstlich von Lörrach und damit vor den Toren der Stadt Basel):

«Date: April 28,1961
Time: 20 h 48' 49"

(...)
Epicenter: SCHOPFHEIM, NE BASEL/CH
Swiss coordinates: 633 km East 285 km North

(...)
Moment magnitude (Mw): 4.4
(...)
Local magnitude (ML): 4.2»

Magnituden-Salat

Da im Bereich der Erdbeben-Intensität im Allgemeinen eine Sprachverwirrung babylonischen Ausmasses herrscht, seien hier zu diesen zwei Fachbegriffen der Seismologie folgende Erklärungen (aus der deutschsprachigen Wikipedia) gegeben:

«MW: Momenten-Magnituden-Skala (moment magnitude) Diese Skala benutzt das entfernungsunabhängige seismische Moment M0 zur Bestimmung der Magnitude. Sie erreicht keinerlei Sättigung.»

«ML: Richterskala oder Lokalbeben-Magnitude (local magnitude). Diese Skala verwendet Maximalamplituden von Nahbeben bis maximal 600–1000 km Epizentralentfernung.»

Quellen
  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1961 - S. 4. [Original in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1961].
  • ECOS Erdbebenkatalog der Schweiz, Eintrag 20020863.
  • Wikipedia-Artikel Magnitude (Erdbeben): Abschnitt Magnitudenskalen

Mittwoch, 27. April 2011

Neuer «Cylinderofen» im Pfarrhaus

«1987 trat der Kanton die Liegenschaft an die reformierte Kirchgemeinde Weiach ab», liest man betreffend das Weiacher Pfarrhaus im 11. Bericht der Zürcher Denkmalpflege über die Jahre 1983-1986 (vgl. S. 196).

Vor 1987 gehörte das entsprechende Gebäude während Jahrhunderten (nämlich seit der Errichtung der Pfarrei Weiach im Jahre 1591) dem Zürcher Staat. Er war folglich für den baulichen Unterhalt zuständig. Und deshalb erscheint das Weiacher Pfarrhaus auch mit schöner Regelmässigkeit in der Staatsrechnung.

Der Rechenschaftsbericht als Quelle

Im «Rechenschaftsbericht des Regierungsrathes an den Großen Ratz des Kantons Zürich» über das Jahr 1864 (hrsg. 1865, vgl. S. 157) findet man unter dem Titel «Unterhalt der Staatsgebäude» beim Abschnitt «2. Pfarrhäuser» einen solchen Hinweis auf Unterhaltsarbeiten:

«Weiach Frk. 719. 05 Rp. (neuer Cylinderofen und Reparatur der Gartenmauer)».

Was ein Zylinderofen ist, darüber gibt ein Factsheet des Kulturgüterschutzes Auskunft: «Zylinderofen, Walzenofen: Zylinderförmiger Ofen aus Kacheln oder Eisen; letztere oft «Allesbrenner» (Kohle, Öl, Gas), welche im «Dauerbrand» betrieben werden und weder Speichermasse noch Rauchzüge haben.».

Regelmässige Renovationen

Das war übrigens nicht die einzige Renovation während der Amtszeit von Pfr. Johann Ludwig Schweizer in Weiach (1855-1865).

In den «Memorabilia Tigurina; oder, Chronik der Denkwürdigkeiten des Kantons Zürich 1850 bis 1860», welche Gustav von Escher im Jahre 1870 publizierte, sind weitere Ausgaben erwähnt (vgl. S. 340 u. 341):

1856: «Fernere Reparaturen an Pfarrgebäuden von einigem Belang kommen vor: (...) Weiach (320 Fr. 50 Rp.)»

1858: «Reparaturen von minderm Belang wurden ausgeführt: (...) Weiach (647 Fr. 84 Rp.)»

Leider wird nicht erwähnt, wofür diese Ausgaben getätigt wurden.

Obige Angaben hat von Escher übrigens - wie könnte es auch anders sein - aus derselben Quelle wie der Verfasser von WeiachBlog heute: den regierungsrätlichen Rechenschaftsberichten.

Samstag, 16. April 2011

Aprilwetter 1961: Alles blüht - zu früh?

In diesem viel zu warmen April 2011 schiessen die Pflanzen schon sehr früh aus. Drei Wochen Vorsprung auf den normalen Zeitplan habe die Vegetation, hört man von Bauern und Gartenbauunternehmern. Das mag durchaus mit dem Klimawandel zu tun haben. Dass es im April zu schön ist - und die Blüte daher gefährdet - ist allerdings auch früher schon vorgekommen, wie Walter Zollinger in der Jahreschronik 1961 berichtet:

«April. Er bringt endlich Frühlingswärme; ein einzigesmal, am 28.4., ist's bloss +2° des Morgens, sonst immer zwischen +7 und +12°, an den Nachmittagen sogar zwischen 11 und 20°; einzig der 24.4. behält den ganzen Tag über konstant seine +8°C. Die Kirschbäume beginnen zu blühen, desgleichen unsere Birnspaliere. Wenn's nur nicht zu früh ist, meint mein Tagebuch.

Er lässt sich also gut an, der April; wohl auch noch hie und da etwa kurze Regenschauer, daneben doch viel sonnige Zeiten und zwar sowohl morgens, wie nachmittags und abends; oft föhnig (23° am 6.4. nachm.). Am 9.4. heisst's in meinen Notizen: "Alles blüht, Kirsch- und Birnbäume, der Löwenzahn auf den Wiesen und in den Gärten die Tulpen". Die zweite Hälfte des Monats ist etwas stärker "aprilisch" gefärbt, d.h. sie bringt sehr wechselvolles Wetter, bald bewölkt, dann aufhellend, dann wieder Regenschauer, auch einige Morgennebel, anschliessend gewöhnlich sonnige Nachmittage. Erwähnenswert sind vielleicht noch der 10.4. und der 18.4.; an diesen beiden Tagen erlebten wir je spätnachmittags die ersten, allerdings kurzen Gewitter.
»

Quellen
  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1961 - S. 3-4. [Original in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1961].

Mittwoch, 13. April 2011

Heimatort oder Wohnort - Wer finanziert Sozialfälle?

Vor einer Woche war auf WeiachBlog die Aufforderung zur Rückführung eines Vaganten in seine Heimatgemeinde Thema. Heutzutage kommt so etwas nicht mehr vor. Denn das Abschieben an den Bürgerort ist seit bald einem Vierteljahrhundert verboten. Warum, erörtert dieser Beitrag.

Bettlerproblem lässt Bürgerort-Prinzip entstehen

Katharina Simon-Muscheid erklärt im Artikel Armut (Stand: 02/08/2010) im Historischen Lexikon der Schweiz, wie Finanzierungsprobleme unsere Vorfahren erfinderisch machten:

«Die Obrigkeiten suchten zur Entlastung des Armensäckels den Kreis der Unterstützungsberechtigten einzugrenzen. Um zu verhindern, dass arme Hintersassen das Bürgerrecht erwarben, das sie zum Bezug der Armenunterstützung berechtigte, machten Obrigkeiten und Dorfgemeinden den Erwerb von Bürgerrecht und Gerechtigkeiten (Nutzungsrechte) vom Nachweis eines Minimalvermögens bzw. einem Einzugsgeld abhängig. Durch Heiratsverbote für Paare, die nicht über die notwendigen materiellen Grundlagen verfügten, sollte die Reproduktion der A. verhindert werden. Fremde Bettlerinnen und Bettler wurden in "Bettelfuhren" an ihren Heimatort zurückgeschafft, der gemäss einem Tagsatzungsbeschluss von 1551 verpflichtet war, für sie aufzukommen.»

Ab dem 16. Jh. setzte sich daher in der Armenfürsorge zunehmend das Heimatprinzip durch. Nur wer Bürger einer Gemeinde war hatte Anteil an den Nutzungsrechten der Gemeinde, allen übrigen (ob aus dem Kanton, der übrigen Eidgenossenschaft oder sonstwoher) fehlte das Recht auf Armenunterstützung in ihrer Wohngemeinde völlig (vgl. auch den Artikel Heimatlose im Historischen Lexikon der Schweiz). Ausserdem galt, dass wer aus seiner Heimat wegzog Gefahr lief, diese Nutzungsrechte zu verlieren. Deshalb verliessen die Leute zwar ihren Heimatort um auswärts ihren Lebensunterhalt zu verdienen, kehrten aber immer wieder zurück. In den Bevölkerungsstatistiken nannten die Pfarrer diesen Zustand «aussert der Gmeind».

Wirtschaftlicher Aufschwung verlangt Mobilität

Nachdem die Mobilität im Zuge der von der Bundesverfassung garantierten Niederlassungsfreiheit (heute: Art. 24 BV) stark zugenommen hatte, wurde das Bürgerort-Prinzip je länger je weniger handhabbar. Vor allem Land-Gemeinden aus denen man mangels gewerblich-industrieller Alternativen abwandern musste, um ein Auskommen zu finden, wurden von in Not Geratenen mit Hilfsgesuchen eingedeckt.

Vor bald 25 Jahren regelte die Schweiz dieses zunehmend als anachronistisch empfundene Prinzip neu.

Das «Bundesgesetz vom 24. Juni 1977 über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger (Zuständigkeitsgesetz, ZUG)» bestimmt in Art. 1 Abs. 1, welcher Kanton für die Unterstützung eines Bedürftigen, der sich in der Schweiz aufhält, zuständig ist. Es gilt das Wohnsitzprinzip, der Bürgerort zählt nicht mehr. Art. 4 ZUG sagt auch klar was unter «Wohnsitz» zu verstehen ist:

«1 Der Bedürftige hat seinen Wohnsitz nach diesem Gesetz (Unterstützungswohnsitz) in dem Kanton, in dem er sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Dieser Kanton wird als Wohnkanton bezeichnet.

2 Die polizeiliche Anmeldung, für Ausländer die Ausstellung einer Anwesenheitsbewilligung, gilt als Wohnsitzbegründung, wenn nicht nachgewiesen ist, dass der Aufenthalt schon früher oder erst später begonnen hat oder nur vorübergehender Natur ist.
»

Abschieben ist verboten

Nun könnten sparsame Gemeindebehörden auf die Idee kommen, ihre Sozialfälle mehr oder weniger aus der Gemeinde zu ekeln (im Thurgau wurde das offenbar auch tatsächlich versucht). Dem schiebt aber das Gesetz einen Riegel. Art. 10 Abs. 1 ZUG (Verbot der Abschiebung) lautet:

«1 Die Behörden dürfen einen Bedürftigen nicht veranlassen, aus dem Wohnkanton wegzuziehen, auch nicht durch Umzugsunterstützungen oder andere Begünstigungen, wenn dies nicht in seinem Interesse liegt.

2 Bei Widerhandlungen gegen dieses Verbot bleibt der Unterstützungswohnsitz des Bedürftigen am bisherigen Wohnort so lange bestehen, als er ihn ohne den behördlichen Einfluss voraussichtlich nicht verlassen hätte, längstens aber während fünf Jahren.
»

Es kann nun natürlich in kleineren Gemeinden mit leerer Kasse und nach wie vor vorhandener «sozialer Kontrolle» trotzdem vorkommen, dass ein Sozialfall sich dadurch und/oder wegen als herablassend empfundener Behandlung auf der Gemeindeverwaltung veranlasst sieht, in eine anonymere Umgebung (d.h. eine Stadt oder städtische Agglomeration) zu zügeln. Weshalb er dann auch mit gutem Grund sagen kann, dies liege in seinem Interesse. Diesem Trend wirkt entgegen, dass nun auch Städte auf der Suche nach finanzieller Entlastung vermehrt mit detektivischer Akribie daran gehen, ihre Sozialfälle zu durchleuchten.

Dienstag, 5. April 2011

Bitte den Vaganten in die Heimat spedieren

Die nachstehende Mitteilung Nr. 27 im Amtsblatt des Kantons Zürich, Jahrgang 1870, S. 394, illustriert in schonungsloser Deutlichkeit wie vor bald 150 Jahren mit nichtkonformen Mitbürgern umgegangen wurde:

«27. Schon seit einiger Zeit zieht der wegen Geistesschwäche bevormundete Jakob Rüdlinger, Abrahamen, von Weiach, ganz zwecklos umher, ohne sich einen bestimmten Aufenthaltsort, sei es von sich aus, oder auf Anordnung seines Vormundes, gefallen zu lassen.

Da nun für eine anständige Unterhaltung für denselben gesorgt, so werden nun hiemit sämmtliche Polizeiangestellten, Behörden und Privaten ersucht, denselben, sobald sie seiner habhaft werden, in seine Heimatgemeinde zu spediren.

Es gilt dieses nicht nur für diesen Moment, sondern für alle Zukunft, indem zum Voraus anzunehmen ist, es werde sich Rüdlinger nach seinem längern Umhervagiren nicht so leicht an eine bestimmte Regel halten.

Weiach, den 3. März 1870. Der Gemeindrath.
»

Fühlte sich die Gemeinde zum Handeln verpflichtet?

«Umhervagiren» allein ist heute kein Grund für behördliche Massnahmen mehr. Bis zum Mittel des fürsorgerischen Freiheitsentzug gegriffen wird, muss sich eine Person schon selber gefährden. Davon ist hier kein Wort zu lesen.

Man darf aber annehmen, dass vom Gemeinderath Weyach quasi erwartet wurde, anderen Gemeinden in denen Jakob Rüdlinger sich aufhielt, den Vaganten abzunehmen. Dazu war Weyach auch verpflichtet, denn Rüdlinger war Weiacher Bürger und das Gemeinwesen damit für die Unterstützung zuständig.