Samstag, 29. Februar 2020

Wann entstand das Regensberger Dekanatsbuch?

Für die Geschichte des Weiacher Wappens (und die etlicher weiterer Gemeinden im Zürcher Unterland) ist das Regensberger Dekanatsbuch eine sehr wichtige Quelle.

In der Literatur über die Gemeindeheraldik im Kanton Zürich wird als Entstehungsjahr des aufwändig gestalteten Bandes implizit meist das Jahr 1719 genannt, so mehrfach im Standardwerk von Peter Ziegler «Die Gemeindewappen des Kantons Zürich» aus dem Jahre 1977 (vgl. WeiachBlog Nr. 1476 vom Montag dieser Woche, sowie Quellen und Literatur unten für einen Link auf Zieglers Werk).

Auch der für die regionale Geschichtsschreibung wichtige Heinrich Hedinger (1893-1978) schreibt in seinem Heimatbuch von 1971 über das Zürcher Unterland zu Weiach: «Seit 1719 ist ein Gemeindewappen bekannt, dessen Stern schon im Schild des alten Dorfwirtshauses stand».

Diese Datierung des Dekanatsbuches vermittelt nun aber einen falschen Eindruck, nämlich den von einem «Stand 1719», wie man es bei obigem Hedinger-Zitat exemplarisch beobachten kann.

1719 ist zwar ein Titelbestandteil...

Angelegt hat das Dekanatsbuch Johann Philibert Tobler, zu dieser Zeit Kammerer des Regensberger Kapitels (auch «Dekanat» genannt). Ein «Kammerer, camerarius, ist der zweite Beamte des Kapitels. Er ist Gehilfe und Stellvertreter des Dekans, hat die Verwaltung der Kasse und des gesamten Kapitelvermögens.» (Kocher 1966)

Tobler hat das Geschenk an sein Kollegium im Titel wie folgt charakterisiert: «In dissere Ordnung gebracht auf die Zeit des andren Jubilaci der Reformiert-Eidgenössischen Kirchen. MDCCXIX» (vgl. WeiachBlog Nr. 89 für eine Abbildung der Titelseite). Gemeint ist der Start der Zürcher Reformation mit dem Beginn des Wirkens von Zwingli am Grossmünster.

... aber die Arbeiten an diesem Werk begannen früher

Dass der Kammerer aber schon viel früher mit den Arbeiten an diesem Werk begonnen haben muss, zeigt sich unter anderem gerade daran, dass das Weiacher Wappen darin überhaupt enthalten ist.

Das Buch wurde im Hinblick auf das Jahr 1719 etliche Jahre früher konzipiert, angelegt und begonnen. Dafür spricht der Titel, dafür spricht aber vor allem das Vorhandensein der Wappen auch von Gemeinden im heutigen Bezirk Dielsdorf (nämlich Schöfflisdorf, Niederweningen, Stadel, Bachs und Weiach), die ab 1712 nicht mehr zum Kapitel Regensberg gehörten, sondern neu zum Kapitel Eglisau. Bei allen genannten Gemeinden fehlt der Text, der sonst überall unter dem Wappen beigegeben ist. Somit wurden die Wappen wohl schon vor 1711 gemalt, vgl. die nachstehende Liste mit Seitenangaben aus dem Katalog des Staatsarchivs:

«Höngg (42), Steinmaur (43, ohne Text), Weiningen (45), Schöfflisdorf (47, ohne Text), Regensdorf (49), Dällikon (53), Dänikon (53) Otelfingen (57), Buchs (61), Dielsdorf (65), Regensperg (69), Niederhasli (73), Oberglatt (77), Rümlang (81), Kloten (85), Niederweningen (86, ohne Text), Stadel (88, ohne Text), Bassersdorf (89), Bachs (92, ohne Text), Affoltern (93), Dietlikon (97), Weiach (98, ohne Text), Baden (99)»

Mit den Arbeiten an dem Buch (insbesondere mit den Wappenmalereien) hat man möglicherweise schon einige Zeit vor dem Jahre 1711 begonnen. Denn in dieses Jahr fällt der Entscheid der Obrigkeit, das Eglisauer Kapitel vom Regensberger Kapitel abzutrennen.

Oder ist es so, dass man die Wappen der ausgeschiedenen Gemeinden sozusagen zur Dokumentation der historischen Verhältnisse ins Buch aufgenommen hat? Dagegen spricht der Umstand, dass bei Steinmaur, Schöfflisdorf und Niederweningen (als ältere Pfarreien) zwei Seiten, bei Bachs und Weiach aber nur eine Seite vorgesehen sind.

Wäre die Konzeption also 1712 oder später erfolgt, dann müssten die Wappen der ausgeschiedenen Gemeinden fehlen.

An welchem Original hat sich der Buchmaler orientiert?

Warum wurde das Weiacher Gemeindewappen so gemalt, wie es auf Blatt 98 zu finden ist, nämlich mit einem goldenen Stern, der teilweise auf silbernem Hintergrund liegt? Die Frage stellt sich, weil wir es dabei mit einer heraldischen Todsünde (nämlich «Metall auf Metall») zu tun haben.

War es das Wappen, das in der 1706 neu errichteten Kirche angebracht wurde? War dieses allenfalls Teil des Ehrenwappens, dessen Erstellung sich die Regierung ziemlich viel Geld kosten liess? Dieses Wappen ist nicht mehr vorhanden. Weil die Weiacher es wegen dem unterlegten Zürcherschild nicht als das ihre ansahen?

Wir kennen die Antwort nicht. Aber es spricht doch einiges dafür, dass sich Kammerer Tobler die Wappen der Gemeinden des Kapitels nicht aus den Fingern gesogen hat, sondern auf eine ihm bekannte Vorlage abstellen konnte. Denn schliesslich hätte er sich die Kritik der Kollegen zugezogen, wenn sie das Wappen ihrer Kirchgemeinde im Buch nicht so vorgefunden hätten, wie sie es (z.B. aus ihrer Kirche) kannten.

Interessant ist auch das Aussehen des Bachser Wappens im Dekanatsbuch. Es zeigt einen sechsstrahligen goldenen Stern auf silbernem Grund (ohne Schrägteilung durch den Zürcherschild, aber mit derselben heraldischen Sünde wie beim Weiacher Wappen). Dabei könnte es sich um das Wappen handeln, das noch in der alten Kapelle von Bachs angebracht war, die 1714 durch einen Neubau ersetzt wurde (die heutige Bachser Kirche).

Niederweningen ist heute wieder konstanzisch

Ebenfalls bemerkenswert ist der Umstand, dass das im Dekanatsbuch abgebildete Niederweninger Wappen lediglich einen silbernen Halbmond auf blauem Grund zeigt. Heute sieht das Wappen von Niederweningen anders aus: weisser achtstrahliger Stern vor einem ebenfalls gebildeten Halbmond auf rotem Grund.

Diese Farbgebung wurde von der Gemeindewappenkommission den Farben des Domstiftes Konstanz nachempfunden. Denn Niedergerichtsbarkeit und Kirchensatz von Niederweningen wurden 1310 von den Freiherren von Regensberg (also kurz nach dem hochgerichtlichen Übergang der Herrschaft Regensberg an Zürich im Jahre 1309) an das Fürstbistum Konstanz verkauft.

Wohl deshalb hat man bei der Kommission auch für Weiach (seit 1295 niedergerichtlich beim Fürstbistum) in Betracht gezogen, rot und weiss als Farben zu verwenden. Die Schrägteilung des Schildes bei Tobler und Krauer hat dann aber wohl doch den Ausschlag gegeben bei den Zürcher Farben zu bleiben.

Dazu passen die Einträge Hedingers auf einem A6-Kärtchen vom 31. März 1931: «1295 erwarb Domstift Konstanz niedere Gerichtsbarkeit v. Wyach, auch Kirchensatz». Letztere Angabe zum Kirchensatz wurde nachträglich gestrichen und die Änderung mit dem Vermerk «vergl. Nüscheler II 15 und Wirz, Etat» versehen (vgl. Ein roter Stern im Wappen? WeiachBlog Nr. 320, 20. November 2006).

Quellen und Literatur
  • Acten- und Decanats-Buch Eines Ehrwürd. Regensberger Capituls. In dißere Ordnung gebracht auf die Zeit des andren Jubilaei der Reformiert-Eidgnössischen Kirchen. MDCCXIX per Joh. Philibert Tobler t. temp. Cam. C.  Signatur: StAZH E IV 5.16
  • Krauer, J.: Wappen sämmtlicher Hauptgemeinden des Kantons Zürich [Wappentafel des Zürcher Lithographen Johannes Krauer; Zürich, um 1860]. Siehe E-rara.ch
  • Kocher, A.: Der Buchsgau. Dekanat und Kirchen. In: Jahrbuch für Solothurnische Geschichte, Bd. 39 (1966), Solothurn 1966 – S. 43. Siehe e-periodika.ch 
  • Hedinger, H.: Das Zürcher Unterland. (Schweizer Heimatbücher, Nr. 153). Bern 1971.
  • Ziegler, P.: Die Gemeindewappen des Kantons Zürich. Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. 49. 142. Neujahrsblatt. Zürich 1977 – Weiach: S. 106. Siehe e-periodica.ch
  • Pfarrkapitel: Von Regensberg nach Eglisau und zurück. WeiachBlog Nr. 89, 1. Februar 2006.
  • Im Wappen zwei Zacken zugelegt. WeiachBlog Nr. 1383, 26. Dezember 2018

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