Sonntag, 15. März 2020

Der Hirsebreifahrer als «Vogt in Neuamt und zu Weiach»

Liechtenstein, das kleine souveräne Land, eingeklemmt zwischen dem Ostufer des Alpenrheins und dem österreichischen Bundesland Vorarlberg, ist einer der wenigen Staaten, die nach dem Namen der regierenden Fürstenfamilie benannt sind (neben Saudi-Arabien meines Wissens der einzige).

Vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahre 1938 residierte die fürstliche Familie weitab von diesem ihrem Territorium, u.a. in Wien. Erst mit der Machtübernahme durch Hitler zog sie nach Vaduz um. Und seither nennen sich ihre Angehörigen «von und zu Liechtenstein», jedenfalls wenn sie auch im Fürstentum wohnen, wie Fürst Hans Adam II., das Staatsoberhaupt.

Das «zu» bezeichnet also den Wohn- oder Geschäftssitz. Ist das bei Zürcher Patriziern auch so?

Weiach als Wohnsitz der Urkundsperson?

Auf diesen Gedanken kann man kommen, wenn man das Regest (eine Kurzbeschreibung) der am 25. November 1570 ausgestellten Bestätigung eines sogenannten Erblehenbriefs durch die damit begünstigten Bauernfamilien liest. Für diese Bestätigung (sog. Revers) wird die Urkundsperson genannt: «Es siegelt Meister Hans Ziegler, des Rats, Vogt in Neuamt und zu Weiach.» (StAZH C II 1, Nr. 983)

Nun muss man wissen, dass Weiach zwar Teil des Neuamts war, darin jedoch eine Sonderstellung einnahm. Der Fürstbischof von Konstanz war zusammen mit den Heggenzern von Wasserstelz (seinen Lehennehmern) Inhaber der Niedergerichtsbarkeit und setzte als solcher die Richter des Dorfgerichts Weiach ein. Vor diesem Dorfgericht wurden auch Notariatsgeschäfte gefertigt.

Die drei im Lehenbrief genannten Weiacher Landwirte gelangten also an den Obervogt des Neuamts, um ihre Bestätigung amtlich beglaubigen zu lassen. Und gingen nicht zum Dorfgericht. Warum? Wohl deshalb, weil es sich um eine Urkunde des Zürcher Almosenamts handelte, dem Eigentümer der landwirtschaftlichen Grundstücke, um die es da ging.

War die separate Nennung von Weiach (als Teil des Neuamts) eine Konzession an den Niedergerichtsherrn? Nötig wäre sie nicht zwingend gewesen. Bei diesem Rechtsgeschäft handelte es sich ja um eine interne zürcherische Angelegenheit.

Das «zu» lässt trotzdem aufhorchen. Wohnte der Obervogt etwa in Weiach? Und wenn ja, wo? Als standesgemässer Wohnsitz käme eigentlich nur das heutige Pfarrhaus infrage, das damals erst vor wenigen Jahren neu aufgerichtet worden war (Dachstuhl auf 1564d datiert).

Denn der damals als Neuamts-Obervogt tätige Hans Ziegler (1533-1609) war zur selben Zeit auch Zunftmeister der Saffran-Zunft (also von Beruf Kaufmann). Bekannt wurde er 1576 als Organisator der berühmten (zweiten) Hirsebreifahrt nach Strassburg, die die Verlässlichkeit der Zürcher als Bündnispartner aufzeigen sollte.

Auch in diesen Wappen: sechsstrahlige Sterne!

Dass es sich beim einzigen «herrschaftlichen» Haus auf Weiacher Boden um das Wohnhaus des Hans Ziegler gehandelt hat, ist reine Spekulation.

Sollte dieser Hans Ziegler ein Sohn von Watmann Itelhans (1500-1579) aus der ratsfähigen Zürcher Familie Ziegler sein, dann weisen deren Wappen jedoch eine Parallele zu Weiach auf, die mit derjenigen der Heggenzer (WeiachBlog Nr. 1481) bzw. Escher (WeiachBlog Nr. 1482) durchaus vergleichbar ist:


Diese Abbildungen finden sich im Werk Kurtze Beschreibung der uralt weit-berühmten Statt Zürich von Dietrich Meyer, gedruckt in Zürich Anno 1674. Links das Wappen der ministerialadligen Familie Ziegler (auf Tafel 4), rechts das der burgerlichen Familie Ziegler (auf Tafel 10). Und beide weisen das Element des Sterns auf.

War der Weiacher Stern etwa ein Ziegler-Stern? Und Hans Ziegler der Bauherr unseres heutigen Pfarrhauses?

Am «zu» allein kann man es nicht anknüpfen. Das sieht man auch am Beispiel des eingangs erwähnten Liechtensteiner Staatsoberhaupts. Hans Adam II. ist nämlich u.a. auch Graf zu Rietberg, einem Territorium, das bis 1807 in Westfalen bestand (nahe Bielefeld und Paderborn). Dort hat er aber nachweislich nie Wohnsitz haben können. Denn die Fürsten von Liechtenstein haben nur den Titel geerbt, nicht aber den Grundbesitz.

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