Freitag, 15. Januar 2021

Die Weiacher Quarantäne-Baracke von 1720/21

Vor 300 Jahren fand sich die Zürcher Obrigkeit in einer ähnlichen Situation wie der heutigen. Eine Seuche war südwestlich des eigenen Gebiets ausgebrochen, die marsilianische Pest (vgl. WeiachBlog Nr. 3 mit Verweisen auf Weiacher Geschichte(n) Nr. 9 und 10). Rund um die Staaten der Eidgenossenschaft griffen die Regenten zu drastischen Handels- und Einreisebeschränkungen. In Zürich musste man befürchten, mit einem «bando» belegt zu werden, wenn man nicht mitzog.

Also erliess die Regierung 1720 in kurzer Abfolge mehrere Mandate (vgl. WeiachBlog Nr. 1510, 1599 und 1606). Und man liess auch konkrete Taten an den Grenzen des eigenen Herrschaftsgebiets folgen. So kam der Grenzort Weiach zu einem sogenannten «Erlufftungshaus». 

Der Weyacher Pfarrer Rudolf Wolf erhielt vom Sanitätsrat (der obrigkeitlichen Gesundheitsbehörde) den Auftrag, zwei ehrliche ortsansässige Männer für den Dienst im Quarantäne-Haus vorzuschlagen. Berücksichtigt wurden schliesslich «Hanns Meyer zugenant Ludj Hanns» und Rudolf Herzog, ein Bäcker, «denen vonhier auff zugegeben worden, ein Ballenbinder, der Melchior Ammann von Hirschlanden».

Beim Bau gab es etliche Probleme. Noch Anfang Dezember beschwerte sich der Verantwortliche, Wände seien undicht und es dringe Wasser ein. Ob und wie dieser Mangel behoben wurde, ist dem Verfasser dieser Zeilen nicht bekannt. Jedenfalls konnte der reguläre Quarantäne-Betrieb bald aufgenommen werden. 

Man hörte, dass der Pest-Ausbruch in Marseille irgendetwas mit dem Textil-Handel zu tun habe. Entsprechend wurden einzuführende Güter insbesondere dieser Warengruppe in Quarantäne gesetzt.

Am 13. Dezember 1720 trafen die ersten 100 Säcke Baumwolle zur «Erlufftung» ein. Sie mussten der Länge nach aufgeschnitten und während drei Wochen gelüftet werden. Darauf sollten die Säcke gekehrt und auf der anderen Seite geöffnet werden. Auch die folgende Lagerungsperiode musste drei Wochen dauern. Sechs Wochen entsprechen rund 40 Tagen, man hat also die Quarantäne (quarante) wörtlich genommen.

Vorsichtshalber erliess man gleich für weitere Warengruppen Vorschriften. Für Seife und Öl durfte die Quarantäne halbiert werden. Die galten offenbar als weniger gefährlich.

Bei der Umsetzung dieser gutgemeinten Vorschriften in die Praxis tauchten nun aber unerwartete Hindernisse auf. Am meisten zu reden gaben die Kosten. 

Pfarrer Wolf schrieb bereits am 15. Januar 1721 (also genau heute vor 300 Jahren) nach Zürich: «Ist wol gut, dass die erste Quarantaine solle vollendet seyn, darmit ein andere komme, und also die entsetzlichen Cösten, die hier und dorten darübergehen, endlichen ein End haben werden.»

Literatur 

  • Ruesch, H.: Das «Erlufftungshaus» in Weiach (1720/21). Eine Studie zur Geschichte der obrigkeitlichen Pestprophylaxe im alten Zürich. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1980, Zürich 1979 –  S. 123-136.
  • Brandenberger, U.: Mit Mörsern gegen die Pest. Das «Erlufftungshaus» von 1720/21 (Teil 1). Weiacher Geschichte(n) Nr. 9. Erschienen in: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach (MGW), August 2000 – S. 9.
  • Brandenberger, U.: Europäisches Handelshemmnis und lokale Einnahmequelle. Das «Erlufftungshaus» von 1720/21 (Teil 2). Weiacher Geschichte(n) Nr. 10. Erschienen in: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach (MGW), September 2000 – S. 13-14.
  • Brandenberger, U.: Die Politik in den Zeiten der Vogelgrippe. WeiachBlog Nr. 3 v.  2. November 2005.
  • Brandenberger, U.: COVID-19 und Marsilianische Pest. Ein kleiner Rechtsvergleich. WeiachBlog Nr. 1510 v. 18. Mai 2020.
  • Brandenberger, U.: Vom Leben mit dem zweiten Pest-Mandat, d.d. 9. September 1720. WeiachBlog Nr. 1599 v. 9. Oktober 2020.
  • Brandenberger, U.: Vor 300 Jahren: Zürich sperrt Handels- und Reiseverkehr mit Genf. WeiachBlog Nr. 1606 v. 31. Oktober 2020.

2 Kommentare:

x700 hat gesagt…

Gibt es die Quarantäne Baracke noch, wo stand sie?

Wiachiana-Verlag hat gesagt…

Nein, die Quarantäne-Baracke gibt es längst nicht mehr. Sie wurde 1721 abgebrochen und die Fenster wurden am damaligen Weiacher Schulhaus wiederverwendet. Vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 10 (Gesamtausgabe S. 15): «(D)as abgebrochene Holz, und andres wurd so gut müglich darvon verkauffet, die Fenster aber darvon dem Schullhauss zu Weyach sind verehrt worden, und biss ultimo Junii ward alles evacuiret und die verordnete Leuthe alle, unter gehaltener Erlufftungszeit, wider dimmitieret worden.»
Zum Standort vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 10 (Gesamtausgabe S. 14):
Ursprünglich wollte man die Quarantänestation in der Nähe von Zurzach bauen. Als die Berner dabei aber nicht mehr mitmachen wollten, verlegte man den Bauplatz «in dero Gericht und Gebiethen zwüschent Weyach und Kayserstuhl». Wohin genau, das ist anhand der Quellen nicht ganz einfach zu eruieren. Den Akten des Sanitäts-Direktoriums im Staatsarchiv kann man entnehmen, der Bauplatz habe sich «auf einer grossen Ebene, nechst an dem Rhyn, an einem darbyligenden Buech Wäldlin (...)» befunden. Das tönt logisch. Weniger klar ist, welchen Ort Bluntschli in seinem Lexikon «Memorabilia Tigurina» meint, wenn er vom «Weyacher-Hard» spricht – das heutige Hard liegt ja nicht gerade am Weg nach Kaiserstuhl. Und ob es sich beim Wäldchen in der Nähe um einen Eichen- oder einen Buchenwald gehandelt hat, darüber besteht auch keine Einigkeit. Nach Werdmüller stand die Anlage «nächst bey dem Eichwald vor dem Dorf».