Montag, 6. März 2023

Dorflinde zum Freiheitsbaum umdeklariert?

Freiheitsbäume! Zu diesen Zeichen der (vermeintlich neu gewonnenen) Freiheit nach den Vorstellungen französischer Revolutionäre ist schon viel Druckerschwärze verbraucht worden. 

Ist es wirklich aus Frankreich stammende Symbolpolitik, solche Bäume aufzustellen? Oder haben die Franzosen das auch von anderswo übernommen? 

Der Titel dieses Beitrags könnte auch lauten: «Wann ist ein Freiheitsbaum ein Freiheitsbaum?» -- Muss man den erst fällen, weitgehend oder ganz entasten und ihn dann im Dorf aufstellen, so wie einen Maibaum? Wie kommt es zur Sitte, die eigene Dorflinde als Freiheitsbaum zu bezeichnen? Muss es zwingend ein Baum sein? Ist ein Baum der Eidgenossenschaft überhaupt angemessen? Nachstehend sei ein kleiner, anekdotischer Überblick zu diesen Fragen gegeben.

Danach gehen wir dann noch dem Thema nach, was die Süniker Franzosenlinde mit einer allfälligen Weiacher Freiheitslinde verbunden haben könnte.

Exported from British Colonial America

Bekanntlich sind die USA ein paar Jahre älter als die französische Revolution. Ihren eigenen Aufstand haben sie als anfangs noch britische Untertanen gegen königliche Beamte durchgezogen, u.a. mit dem Slogan «No taxation without representation». 

An einer Steuer hatte sich der ganze Unmut denn auch entzündet. Ab dem Frühling 1765 mussten die Kolonialbeamten ein neues Gesetz, den Stamp Act, durchsetzen. Darin war festgelegt, dass alle Gesetzesdokumente, Genehmigungen, Handelsverträge, Zeitungen, Pamphlete und sogar Spielkarten in den amerikanischen Kolonien neu mit einem Steuerstempel versehen werden mussten. Tönt harmlos, der König braucht halt Geld. Einige Kolonisten betrachteten das neue Gesetz aber als Zensur, als einen Angriff auf die Publikations- und Informationsfreiheit.

Am 14. August 1765 versammelte sich unter einer grossen Ulme bei Boston, Massachusetts, eine Gruppe, die sich Söhne der Freiheit nannte und demonstrierte dort gegen den Stempelerlass. Höhepunkt des Protestes war die symbolische Hängung von zwei Puppen, die Steuereintreiber darstellen sollten. Von da weg wurde dieser Baum als Liberty Tree bezeichnet, was der Kolonialverwaltung und den zur Krone loyalen Siedlern gar nicht gefiel. 

Der Konflikt schaukelte sich auf, in vielen weiteren Städten quer durch die 13 Kolonien wurden ebenfalls Bäume zu Liberty Trees ernannt. Diese dienten vermehrt als per-äxgüsi-Treffpunkte, weil die Polizeibehörden zwar Versammlungen der Protestler zu verhindern trachteten, aber gegen zufällig unter einem Baum abhängende Personen schlechter durchgreifen konnten. 1773 fand die berüchtigte Boston Tea Party statt, bei der als Indianer verkleidete Kolonisten Teeladungen ins Hafenbecken warfen. Der Bostoner Freiheitsbaum wurde 1775 schliesslich durch Loyalisten gefällt, was natürlich erst recht nicht zur Deeskalation führte. And the rest is history.

Parallelimport über unbekannte Wege

Bekannterweise gab es auch von der Schweiz aus vielfältige Verbindungen über den Atlantik in diese britischen Kolonien. Und auch wenn die Regierungen eidgenössischer Kantone ihren Untertanen das Auswandern dorthin im 18. Jahrhundert unter Strafe verboten hatten (so in den 1730ern die Zürcher), das Investieren in Unternehmungen, die von dort Waren bezogen und damit Handel betrieben, lag ihnen fern. Kurz: die Umstände und Protestformen dieser Kolonistenaufstände dürften über Nachrichtenkanäle auch hierzulande bekanntgeworden sein. 

Was die beiden Zürcher Paul Usteri (zeichnend als «Doktor Usteri»; Dr. der Naturwissenschaften) und Hans Conrad Escher (zeichnend als «Escher im Grabenhof»; der spätere «von der Linth») betrifft, so zeigt sich in der Ausgabe vom 6. März 1798 ihrer Zeitschrift Der schweizerische Republikaner, dass das Thema symbolpolitisch zwar primär von Frankreich ausgeht. Aber ihre Idee des Freiheitsbaumes scheint mir im Kern eine durchaus amerikanische zu sein, wenn auch auf schweizerische Gegebenheiten adaptiert:

Freyheitszeichen. 

«Freyheitsbäume und Cocarden sind in so fern ausserwesentliche Dinge, wenn sie nur bildliche Zeichen der Freyheit seyn sollen. — Wenn sie aber Parteyzeichen werden, so sind sie höchst gefährlich, weil Freyheit und Gleichheit keine Partey, sondern allgemein herrschender Wille seyn soll. Man muß das erstere so bald möglich verhüten; entweder sollte von höchster Instanz von der Landesversammlung, das Aufrichten der Freyheitsbäume und das Tragen der Cocarden verbotten oder aber authorisirt werden. Der größere Theil des Landes setzt einen Werth darauf, warum soll man es verbieten wenn es auch wirklich wegen der gespannten Stimmung geschehen könnte, warum nicht lieber es authorisiren um sonst so leicht entstehendes Unglück zu verhüten; Cocarden sowohl als Freyheitsbäume bewilligen, oder sogar befehlen, um, nicht dadurch wenn die Sache bloß frey gestellt würde, jn den Fall zu kommen, daß das tragen oder nicht tragen der Cocarden wieder zum Parteyzeichen werden konnte. 

Ich würde am liebsten in den Dörfern, wo die schönen alten Linden stehen, diese zu Freyheitsbäumen wählen; sie sind ehrwürdig durch Ihr Alter, sie haben auch Wurzeln, und unsere Voreltern machten sie schon zum Sitz traulicher Unterhaltung, ich würde sie auf keine Weise verstümmeln, es wäre schade, aber eine blecherne Tafel daran fest machen, mit folgender oder einer andern Aufschrift 

Freyheit und Gleichheit 
Die Rechte des Menschen sind wiedergegeben.
Den 5. Hornung 1798.

Die gesetzliche Ordnung allein wird sie erhalten. Nur Religion und Tugend kann uns dabey schützen. Wo noch keine Linden stehen, würde ich deren zwei pflanzen zwischen beyde eine einfache steinerne Säule mit obiger Inschrift. Die Wurzeln und Zweige der beyden Linden würden sich einst vereinigen und ein daurendes Symbol der Vereinigung der Stadt und des Landes bleiben.»

Das Bemühen um die Vermeidung der mit Händen zu greifenden politisch-weltanschaulichen Spaltung quer durch die Bevölkerungsschichten hindurch und der Kittungsversuch durch Verknüpfung mit traditional-lokalen Elementen der dörflichen Ordnung ist deutlich zu spüren. 

Die Dorflinden zu Freiheitsbäumen umzuwidmen ist Ausdruck dieses Bestrebens um Einigkeit. Denn damals war noch allgemein bekannt, dass unter solchen Lindenbäumen im Sommer oft auch Recht gesprochen wurde. Die Linde im Zentrum eines Dorfes hatte also durchaus eine ordnungspolitische Funktion. Und sei es primär in der Erinnerung an mittelalterliche Rechte der Landschaft, an die man dort durchaus anzuknüpfen gewillt gewesen wäre, wenn die Obrigkeit sie wieder uneingeschränkt gewährt hätte.

Karl Müller-Friedberg: Freiheitsbäume unschweizerisch

Am 20. März 1798 brachte dieselbe Zeitschrift einen Text von Karl Müller v. Friedberg, einem katholischen Glarner aus gehobenem Hause, der als letzter Landvogt das Toggenburg regiert hat. Er gehörte zur Zeit der Helvetischen Republik zu den Befürwortern der neuen zentralstaatlichen Ordnung (sog. Unitarier; im Gegensatz zu den Föderalisten, die den Einheitsstaat ablehnten):

Unter der Rubrik «Flugschriften» druckten Usteri und Escher «Mein letztes Vermächtniß an das edle Volk im Toggenburg» ab. Darin kritisiert er die fremde Sitte des Freiheitsbaums und wünscht sich eine Art «Freiheitsfelsen»:

«An die Stelle euerer Freyheitsbäume, die nicht schweizerischen Ursprungs sind, möchte ich Felsensteine wünschen, mit der Zahl des Jahrs und der einfachen Aufschrift: «Eintracht erhaltet uns frey.» Denn diese Lehre vorzüglich muß in allen Herzen fortgepflanzt werden.»

Ode an einen wieder verschwundenen «Freiheitsstiel»

Bei einigen Zeitgenossen Usteris, Eschers und Müllers war die Begeisterung über diese Freiheitssymbolik nie vorhanden. Anderen, die anfangs etwas für revolutionäre Ideen übrig hatten, wurden im Verlauf des Jahres 1798 die Augen geöffnet. 

Jedenfalls empfanden etliche Stadtzürcher den Freiheitsbaum auf dem Münsterhof, der von einem sog. Tellenhut aus Blech gekrönt war, als entsetzlich sinnentleertes Symbol. Und als besagter Baum in einer Nacht anfangs November von unbekannter Hand gefällt worden war, da soll das folgende Gedicht entstanden sein (Pestalozzi Revolutionspoesie 1882):

«Adieu! mein kahler Freiheitsstiel!
Zur Zeit, da mancher Bürger fiel,
Da fielst auch du mit Pomp und Pracht
In einer dunklen Regennacht.

Spitaler waren's, die dich pflanzten,
Spitaler, die einst um dich tanzten,
Spitalern warst Du Schild und Stab
Spitaler trugen dich zu Grab.

Leb' wohl und fahr' in süßer Ruh
Mit deinem Stamm dem Feuer zu.
»

Fussnote-2: «Die Insassen des damaligen Spitals waren zum Theil unbemittelte blödsinnige Leute, die zu öffentlichen Dienstleistungen benutzt wurden und wahrscheinlich auch den gefallenen Baum entfernen mußten. Die Anspielung ist stark genug, um ohne weitern Commentar verstanden zu werden.»

1798 mag das so gewesen sein. Glücklicherweise war dies bereits 1882 nicht mehr der Fall, sonst würde sich uns Heutigen der schwarze Humor hinter diesen Spottverslein erst recht nicht erschliessen.

Rückschau nach 100 Jahren

Prof. Viktor Toblers Beitrag «Die Freiheitsbäume vor hundert Jahren» von 1899 urteilt neutraler, wenn auch nicht positiv über die bäumige Zeit:

«Die französische Revolution hatte als sichtbares Zeichen der «Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit» den Freiheitsbaum erklärt. Unter ihm sollte die Aera der Freiheit durch den Bruderkuß besiegelt werden. Ueberall, wohin die siegreichen französischen Heere drangen, wurden solche Freiheitszeichen errichtet. Diese sogenannten Befreier verlangten deren Aufstellung, als Beweis der Zustimmung des Volkes zu den Grundsätzen der Revolution. Letztere waren in der Schweiz schon weit verbreitet; im Waadtland, am Zürchersee, im Toggenburg und vielen andern Gegenden wurden sie als Freudenbotschaft aufgenommen, als Beginn der Erlösung aus unerträglichem Drucke. Der Ruf nach Freiheit und Gleichheit drang durch die Lande und fand begeisterten Wiederhall in den Unterthanenländern und bei den zahlreichen bisher Unterdrückten. Offen und im Geheimen wurden die Umsturzbestrebungen vom französischen Geschäftsträger Mengaud und den überaus rührigen Patrioten unterstützt. Schon vor dem Einmarsche der Franzosen wurden Freiheitsbäume errichtet, so am 4. Januar 1798 im Waadtland, am 14. Januar in Liestal, am 1. Februar in Aarau. Das stolze Bern fiel am 5. März. Schon am 9. März wurde dort, vor dem Rathause, im Beisein einer ungeheuern Menschenmenge, bei Glockengeläute und Kanonendonner und Entfaltung großen militärischen Pompes, ein riesiger Freiheitsbaum gepflanzt. Der französische General Brune und alt Seckelmeister Frisching hielten dabei Ansprachen an das Volk. In weniger als vierzehn Tagen nach dem Falle Berns wurden in der Schweiz über 7000 Freiheitsbäume gepflanzt, in Zürich der erste am 13. März. Einige Gemeinden pflanzten Tannen von ungeheurer Größe und Höhe, teils mit der Rinde, teils geschält und bemalt. An vielen Orten sah man natürlich gewachsene, schlanke, hohe Bäume an Straßen, zu Freiheitsbäumen geweiht. Diesen hatte man die überflüssigen Aeste abgeschnitten und nur die grüne Spitze übrig gelassen. Jeder Baum trug als Bekrönung die aus Wolle oder Blech verfertigte Jakobinermütze. Fahnen in den helvetischen Farben, rot-gelb-grün und zahlreiche farbige Bänder umflatterten ihn. Die Aufstellung der Bäume wurde meistens von den Obrigkeiten angeordnet und war von Feierlichkeiten und Reden begleitet. Militärmusik spielte am Platze und eine bunte Menge tanzte, die Marseillaise und «ça ira» singend. In Aarau tanzten vornehme Frauen, alle mit Nationalbändern geziert, mit fränkischen, schweizerischen und deutschen Patrioten um den Baum. Eine Dame machte sich besonders bemerkbar, sie trug weiße Kleider und hatte einen Säbel umgegürtet. 

Ein Dekret vom Januar 1801 erklärte, daß in einer Gemeinde nur ein Freiheitsbaum nötig sei; es sollen daher schadhaft gewordene nicht wieder ersetzt, einer aber immer gut unterhalten werden. Von den fünf in Bern vorhandenen wurden dann alle entfernt bis auf einen, der beim Waisenhause stand. Mit dem Sturze der helvetischen Regierung verschwanden auch die letzten dieser Erinnerungen an eine für die Schweiz so traurige Zeit. 

Unser Bild führt uns nach St. Gallen und zeigt uns das vor 30 Jahren abgebrochene Marktthor, beim Rathaus. Dort wurde am 6. Mai 1798 der Freiheitsbaum aufgerichtet, wobei auch die vorher der Konstitution so abgeneigten Bürger und Landleute ihm, unter dem Drucke der französischen Besetzung, ihre Huldigung darbringen mußten.» (Tobler 1899)

Erster Freiheitsbaum in Stäfa

Zum 150-jährigen Jubiläum dieser helvetischen Freiheitsbaumeuphorie hat Hermann Schulthess in der Zeitschrift Am häuslichen Herd einen Beitrag veröffentlicht. Er erwähnt sowohl die Theorie, dass die Freiheitsbäume von den Maibäumen abzuleiten seien, wie die einleitend besprochene, dass die einen amerikanischen Ursprung hätten. 

Den ersten Freiheitsbaum auf Gebiet der heutigen Schweiz datiert Schulthess auf den Mai 1795. Er sei in Stäfa errichtet worden, samt Jakobinerhut, was mit eine Erklärung für die heftige Reaktion seitens der Zürcher Obrigkeit sein könnte. Denn klarer konnte man Umsturzpläne nicht zum Ausdruck bringen, als gerade mit einer phrygischen Mütze.

Die sogenannte Freiheitslinde von Sünikon

«Die markante Freiheitslinde von Sünikon (Gemeinde Steinmaur), die beim Einmarsch der Franzosen im Jahre 1798 gepflanzt wurde und heute noch erhalten ist, [...]». So beginnt ein kurzer Artikel mit Bild (s. unten) in der NZZ vom 23. August 1984. Diese Vorstellung war und ist denn auch weitherum im Zürcher Unterland in den Köpfen verankert. Das hier ist die Franzosenlinde. Punkt. Publizierte abweichende Ansichten habe ich bisher keine gefunden.

Dass dieser Umstand derart felsenfest feststeht, ist auch den historischen Aufzeichnungen geschuldet Laut Nadja Schneider, Präsidentin der Historischen Gesellschaft Steinmaur, sei dort die Rede von mehreren Linden und dass man am 29. April 1798 eine neue gesetzt habe.


Wie man dem 2021 festgesetzten Inventar der Denkmalschutzobjekte von überkommunaler Bedeutung des Kantons Zürich entnimmt, existiert das Original leider nicht mehr: «Die Platzmitte [Verzweigung Regensbergerstrasse-Lindenstrasse; Anm. WeiachBlog] wird von der 1798 anlässlich des Einmarsches der Franzosen gepflanzten Freiheitslinde eingenommen. 1999 knickte die Linde während des Sturms "Lothar" ab und es musste ein neuer Baum gesetzt werden

Dem Süniker Fritz Müller (88), ehemaliger Landwirt und Förster von Steinmaur war dieser Baum viele Jahre treuer Begleiter. Er schwärmt im Gespräch mit dem WeiachBlog-Autor geradezu von ihm. So sei er vor ca. 70 Jahren noch so dicht belaubt gewesen, dass man darunter auch nach einer Stunde heftigen Regens nicht nass geworden sei. In seinen letzten Jahren habe er aber sehr stark gelitten. Müller erwähnt baumchirurgische Massnahmen, die auch im NZZ-Artikel von 1984 angesprochen werden.

Nach der durch Lothar erzwungenen Fällung, so Müller, habe man den Stamm nicht jahrringmässig ausgezählt, da man aufgrund der chronikalischen Überlieferung überzeugt war, es müsse sich bei ebendiesem Baum um die Süniker Freiheitslinde mit somit ca. 205 bis 210 Altersjahren handeln.

Man sieht hier die Macht der dörflichen Überlieferung. Sie war (und ist) in Sünikon sozusagen unhinterfragbar. Sicher ist das aber keineswegs, wenn man sich den weiter oben zitierten Vorschlag von Usteri und Escher aus dem Frühjahr 1798 vergegenwärtigt. Vielleicht war der Lothar zum Opfer gefallene Baum ja insgeheim viel älter.

Zollinger auf der Suche nach einer Weiacher Freiheitslinde

Und damit kommen wir nun zum Schluss auf die eingangs erwähnten Linden von Weiach. Walter Zollinger hat diese Geschichte von der 1798 gepflanzten Süniker Freiheitslinde selbstverständlich gekannt. Für ihn war deshalb implizit klar, dass eine solche Freiheitslinde nur eine neu gepflanzte sein könne. Nachstehend die Passage aus seinem blauen Chronik-Büchlein im vollen Wortlaut:

«Vielerorts wurden die auch im Bülacher Distrikt einmarschierenden französischen Soldaten anfänglich freudig begrüsst. Betrachtete man sie doch eben als Bringer längst ersehnter Freiheiten und als Befreier aus der lästigen obrigkeitlichen Abhängigkeit. Freiheitsbäume wurden da und dort errichtet und freudig umtanzt oder gar junge Linden gesetzt, als Erinnerungszeichen der «bessern, neuen Zeit». Ob dies auch bei uns der Fall war, kann nicht mit Gewissheit festgestellt werden. Auf keinen Fall kann dies etwa die heute noch stehende alte und recht brüchig gewordene Linde gegenüber dem «Sternen» sein; denn diese stammt nach Angaben verlässlicher Dorfbewohner erst aus den 1830er Jahren. Ebenfalls soll, nach Aussage ältester Gemeindebürger, einst eine Linde gegenüber der alten Post (an der alten Zürcherstrasse) gestanden haben. Dies macht den Namen der Gastwirtschaft «Zur Linde» verständlich. Und in zwei Urkunden (und zwar aus den Jahren 1565 und 1601) ist auch ein Heini Meyerhofer als Aussteller eines Zinsbriefes genannt, «wonnhafft zu Wyach... von seinem huss und hofstatt am Lindenplatz sampt dem spicher, krut- und bombgarten aneinander gelegen ... stosset anderhalb an Curat Meierhoffer. » Und bei einem, allerdings viel später erfolgten Brandfall, ist auch ein Konrad Meierhofer bei der Post (wohl ein Nachkomme des obigen Curat) erwähnt, so dass daraus geschlossen werden dürfte, dass der obgenannte Lindenplatz wirklich in der Nähe der alten Post gelegen haben muss. Da er aber schon 1565 bestand, kann auch diese Linde keinesfalls eine Freiheitslinde von 1798/99 sein.» (Zollinger, Chronik Weiach, 1. Aufl. 1972 - S. 43-44)

Auch in Weiach hat man es (soweit der WeiachBlog-Autor die Überlieferung kennt) versäumt, die Jahrringe des auf der Sternenkreuzung gefällten Lindenbaumes auszuzählen. Damit hätte man dessen Alter zweifelsfrei bestimmen und die Angabe, er stamme erst aus den 1830ern, überprüfen können.

Dass es im alten Dorfzentrum an der Strassenspange aus Alte Post-Strasse, Oberdorfstrasse und Winkelstrasse mindestens einen markanten Lindenbaum gegeben haben muss, wird durch kolorierte Plänchen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestätigt (vgl. ZBZ GS PAS 547). Dieser Baum dürfte also aus dem frühen 18. Jahrhundert stammen oder noch älter gewesen sein.

Und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Weiacher in Anlehnung an die Vorschläge aus dem schweizerischen Republikaner diesen Baum zum amtlich befohlenen Freiheitsbaum umgewidmet haben. Dann muss man auch nicht immer wieder einen Stamm aus dem Wald holen, ihn entasten, entrinden und aufstellen lassen. Plakette an der Dorflinde befestigen und fertig. Usteri und Escher als Absender dieser Idee waren ja nicht der Konterrevolution verdächtig.

Der Baum als grünes Symbol der Hoffnung

Eines ist aber klar: die Leute interessieren sich für das Wohl und Wehe eines solchen Baumes. Zumal dann, wenn er mit Symbolkraft aufgeladen ist, wie man einer Kurznotiz in der Züricherischen Freitagszeitung, Nummer 43 vom 22. Oktober 1875 (notabene unter der Rubrik «Frankreich») entnehmen kann:

«Die Freiheitslinde von 1830 vor dem königl. Palast in Brüssel ist im Absterben. Ganz Belgien (!) sehe darin eine böse Vorbedeutung. Wir sind doch noch nicht über das Buschnegerthum hinaus.»

Was für eine böse Bemerkung. Angesichts der Geschichte dieser Region kann man den Belgiern solche Befürchtungen nicht ankreiden. Ihr Land samt Königswürde ist ja eben erst 1830 aus der Taufe gehoben worden. Der Zusammenhalt von Flandern und Wallonien ist keineswegs unverbrüchlich und das Königshaus deshalb von ziemlicher emotionaler Bedeutung. Der Baum ist Ausdruck dieser Gefühle.

Quellen und Literatur

  • Freyheitszeichen. In: Der schweizerische Republikaner. Siebentes Stück. Zürich, Dienstags den 6. Merz 1798 - S. 27-28.
  • Müller-Friedberg, K.: Mein letztes Vermächtniß an das edle Volk im Toggenburg. In: Der schweizerische Republikaner. Zwölftes Stück. Zürich, Dienstag den 20. Merz 1798 - S. 48.
  • Pestalozzi, F.O.: Ein zürcherischer Beitrag zur schweizerischen Revolutionspoesie. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1882. Neue Folge, Bd. 5 (1882) - S. 251.
  • Tobler, V.: Die Freiheitsbäume vor hundert Jahren. In: Die Schweiz. Schweizerische illustrierte Zeitschrift. Band 3 (1899) - S. 559.
  • Schulthess, H.: Freiheitsbäume. In: Am häuslichen Herd. Schweizerische Illustrierte Halbmonatsschrift. 51. Jg. Zürich, 1. August 1948 - S. 407-409.
  • Neue «Infrastruktur» für die Freiheitslinde in Sünikon. In: Neue Zürcher Zeitung, Nummer 195, 23. August 1984 - S. 46.
  • Telefongespräche vom 3. März 2023 mit Nadja Schneider, Präsidentin Historische Gesellschaft Steinmaur, sowie Fritz Müller (88), Sünikon, ehemaliger Landwirt und Förster von Steinmaur.

[Veröffentlicht am 23. Juni 2023 um 10:24 MESZ]

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