Sonntag, 31. Dezember 2023

Wie der wütende Müller auf die Riegelfelder kam

Im jüngst erschienenen Kunstdenkmälerband (vgl. WeiachBlog Nr. 2021) hat natürlich auch eins der markantesten Gebäude im Oberdorf einen kurzen Eintrag erhalten. Nämlich das bereits im Band 3 der Reihe Die Bauernhäuser des Kantons Zürich ausführlich beschriebene Haus mit bemalter Fassade. Die Legende zu Abbildung 551 (s. Bild unten) lautet:

«Weiach. Oberdorfstrasse 25/27/29. Vielzweckbauernhaus. Die Fassadenmalerei des linken Hausteils stammt vom Maler Eugène Fauquex, der 1955–1969 Eigentümer von Oberdorfstrasse 25 war. Dieser war u.a. als Plakatmaler für den Circus Knie tätig. Von ihm stammt auch die Wandmalerei am 1957 erbauten Lagerhaus der Landwirtschaftlichen Genossenschaft Kaiserstuhlerstrasse 44. Foto Urs Siegenthaler, Zürich, 2019.»


Fauquex links, Stöckli rechts

Wie sich in den Kommentaren zu einem Beitrag vom 9. Oktober auf der Facebook-Gruppe «Du bisch vo Weiach, wenn...» gezeigt hat, wird dieses Gebäude im Volksmund als «Stöckli-Huus» benannt, zuweilen auch als das Haus, in dem die «Fouqués» gewohnt hätten. Beide Bezeichnungen haben ihre Berechtigung und reflektieren ein Stück Eigentümergeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Zum Hausteil mit der bemalten Fassade hat Walter Zollinger unter der Rubrik Bautaetigkeit/Handaenderungen die folgende Notiz in seine Chronik des Jahres 1955 getippt:

«Bereits am 8.3. wurde der alte, wie man wähnte, abbruchreife Hausteil des Wilhelm Meier geb. 1888, da derselbe sich teilweise gelähmt im Altersheim Stadel befindet, durch die Armenpflege versteigert. Der Ersteigerer, ein Güterhändler aus Zürich, verkaufte den alten Riegelbau bald weiter. Nun ist mit dem 1. Juli der neue Besitzer, eine Familie Eugen Fauquex-Berto, Kunstmaler beim Zirkus Knie, eingezogen. Bereits hat eine fürchterliche Putzete und Userumete eingesetzt. Sie wollen den alten Bau nach Möglichkeit in seiner ursprünglichen Gestalt restaurieren. Einem spätern Bericht wird es vorbehalten sein, hierüber zu schreiben.» (G-Ch Weiach 1955, S. 14)

Entstehungsjahr noch unbekannt

Über diese Restaurierung und die bemalte Fassade verliert Zollinger leider in den folgenden Jahresbänden bis und mit 1966 kein Wort. Bislang ist nicht geklärt, in welchem Jahr der Hofgrafiker des Zirkus-Imperiums auf den Riegelfeldern seines Hauses der Nachwelt eine Bildergeschichte hinterlassen hat. 

Bild: David Randall Wilson und Linette B. Wilson, Riverton, Utah, USA, 1. Mai 2023

Die Wandmalerei erstreckt sich über die gesamte Fläche der oberen zwei Drittel der strassenseitigen Fassade und setzt sich über die Begrenzung der tragenden Elemente der Hauswand hinweg. Man könnte auch sagen, die gemalte Szene verstecke sich hinter der Riegelstruktur. 

Was macht das Kind auf dem Obstbaum?

Wenn man sich auf diese Szenerie einlässt (vgl. Bild unten), dann fallen überraschende Details auf. So ein fruchttragender Obstbaum, der zwischen den Doppelfenstern des oberen Stockwerks bis ins Dach hinaufreicht, wo sich weitere reife Früchte nur erahnen lassen. Gleich neben den Früchten hängt ein Kind über einer Astgabel. Was es da wohl gerade gemacht hat, wird klarer, wenn man die Hauptfigur analysiert.

Man sieht einen Mann in einer weissen geknöpften Bluse mit zurückgekrempelten Ärmeln und knielangen Hosen. Es könnte sich um einen Müller handeln. Diese männliche Figur fixiert das Kind auf dem Baum mit einem Blick, der alles andere als erfreut wirkt, im Gegenteil. Auffällig ist: Das Kind trägt Schuhe, der erwachsene Mann mit Zornesblick hingegen ist barfuss unterwegs!
 

Im Hintergrund sind dörfliche Gebäude zu sehen, die durchaus auch in Weiach stehen könnten. Nur die Kirche mit freistehendem Turm und vier- statt achteckigem Spitzhelm verweist auf eine fiktive Landschaft.

Pflanzen mit menschlichen Zügen

In mindestens zwei weiteren Riegelfeldern findet man knorrige Bäume, die wie regelmässig gestückte Weiden aussehen. In einem davon, im oberen Stockwerk ganz links, erkennt man, ohne allzu viel Fantasie aufbringen zu müssen, eine menschlich anmutende Figur in Baumesgestalt mit markanter Nase und hintergründig lächelnder Miene:

Eugen Ludwig Fauquex (1905-1987), der seinen ersten Vornamen später in Anlehnung an den Familiennamen in die welsche Form brachte, hat sein Wohnhaus auf einem 1968 entstandenen Entwurf für ein sogenanntes Fassaden-Panneau, das am Eingang des Kinder-Zoos in Rapperswil platziert werden sollte, als «Sunnehus» bezeichnet. Ein Name, der angesichts des südländisch-warmen Grundtons der strassenseitigen Fassade durchaus passend ist. 

Ungewöhnliche Gestalten. Am und im Haus.

Dass die mit diesem Haus verbundenen Gestalten alles andere als gewöhnliche Zeitgenossen waren (bzw. für die gemalten Figuren: sind) kann als gesichert angenommen werden. Das beginnt spätestens beim Grümpel-Meier (vgl. WeiachBlog Nr. 2006), der seine handwerkliche Kreativität im Erdgeschoss des späteren Fauquex-Hauses zum Ausdruck gebracht hat. Und es hört beim Künstler und seinen Figuren nicht auf. 

Auch seine Nachbarn, die Eheleute Stöckli, haben es in Weiach zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Denn sie hätten, so sagen es Unterlagen, die den aktuellen Eigentümern des Fauquex-Hauses vorliegen, darauf bestanden, dass ihnen die Mauer zwischen den beiden Hausteilen 25 und 27 allein gehöre. Und hätten gar verlangt, auch die Fauquex-Seite müsse ihnen jederzeit zugänglich sein!

Ganz aus der Luft gegriffen war diese Ansicht nicht, denn bis zur Errichtung des linken Hausteils (Assek.-Nr. 285), der dendrochronologisch auf 1812 datiert werden kann, dürfte die heutige Zwischenwand tatsächlich die nordwestliche Aussenmauer des 1647 erstellten Kerns gewesen sein (Assek.-Nr. 287 u. 288).

Dass die Stöcklis von dieser Forderung nicht abgehen wollten, geht allein schon aus einer bis heute bestehenden baulichen Massnahme hervor. Im Fauquex-Haus findet sich nämlich eine separat eingebaute Wand, die rund 20 cm Abstand von der alten Aussenmauer des 1647 erstellten Bauernhauses nimmt! Was macht man nicht alles dem nachbarlichen «Frieden» zuliebe... Aber so ganz liess Fauquex diese Angelegenheit nicht auf sich beruhen. Womit wir nun wieder bei der bemalten Fassade wären.

Künstlerische Rache

Laut den schon erwähnten Unterlagen trägt die von Fauquex gemalte wütende Person nämlich das Antlitz der Nachbarin, Frau Martha Stöckli. Die habe diesen Umstand sofort erkannt und den Künstler zur Rede gestellt, worauf dieser darauf verwies, dass es sich bei dieser Figur eindeutig um einen Mann handle, das sehe man doch!

Ob dieser männlich gelesenen Identitätszuschreibung (wie man das in unseren heutigen hyperwoken Zeiten nennen könnte) blieb wohl selbst der überaus streitbaren Frau Stöckli letztlich keine andere Wahl, als jahrelang die Faust im Sack zu machen.

Die bemalte Fassade war also sozusagen die Rache des Kunstmalers Fauquex für die wenig pflegliche Behandlung, die ihm und seiner Familie seitens der Stöcklis zugekommen war. 

Quellen und Literatur

  • Zollinger, W.: Chronik des Jahres 1955, Weiach 1957. Signatur: ZBZ Handschriftenabteilung G-Ch Weiach 1955 – S. 14.
  • Hermann, I.: Die Bauernhauser des Kantons Zürich, Bd. 3: Zürcher Weinland, Unterland und Limmattal (= Die Bauernhäuser der Schweiz, Bd. 11). Basel 1997 – S.274-277.
  • Brandenberger, U.: Der «Grümpel-Meier». Löter, Schirm- und Pfannenflicker. WeiachBlog Nr. 2006, 9. November 2023.
  • Persönliches Gespräch mit Beatrixe Kilchenmann, 1. Dezember 2023.
  • Crottet, R; Kerstan, A.; Zwyssig, Ph.: Der Bezirk Dielsdorf. Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich, Neue Ausgabe VII (= Die Kunstdenkmäler der Schweiz, Bd. 146). Bern 2023 – S. 491 u. 530 (Anm-142).
  • Brandenberger, U.: «Der Bezirk Dielsdorf». Rezension eines Weihnachtsgeschenks. WeiachBlog Nr. 2021, 26. Dezember 2023.
  • Eugène (Eugen Ludwig) Fauquex. Eintrag in: SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz (Hrsg. Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA), Zürich/Lausanne; abgerufen am 27. Dezember 2023)

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