Die 500ste Ausgabe des Mitteilungsblatts (ehemals Mitteilungen für die Gemeinde Weiach) widmet die Seite 7 dem Titelblatt der allerersten Ausgabe vom Juni 1982 (damals noch durchgehend in schwarz-weiss gehalten).
Über dem Bild der schreibmaschinengetippte Text: «Das Titelbild wurde freundlicherweise von unserem Dorfkünstler und Naturfreund Herrn Hans Rutschmann zur Verfügung gestellt. Eine kurze Beschreibung folgt auf der nächsten Seite.» (MGW, Juni 1982, S. 1)
Hans Rutschmann (1928-2022), Briefträger in Bülach und Präsident der Ortsmuseumskommission Weiach, sass gleich hinter dem Lieberthaus (Müliweg 1), als er am 3. April 1979 das Sujet für das Titelblatt einfing: die Hafnerhütte am Mülibach.
Auf einem Plan des kantonalen Meliorations- und Vermessungsamts, der auf 1991 datiert ist (StAZH PLAN B 2636), sieht man dieses laut Künstler baulich sichtlich angeschlagene kleine Gebäude unmittelbar südlich der Oberdorfstrasse, vis-à-vis der Stelle, wo die Trottenstrasse von Norden her in sie einmündet:
Da im Mitteilungsblatt Januar 2024 irrtümlich die zweite Umschlagseite mit der Ankündigung der «Volksolympiade» abgebildet ist, statt, wie auf S. 6 unten angekündigt, die Seite 2, wird hier ihr voller Wortlaut nachgereicht. Verfasst wurde das erste Editorial vom Gründer der MGW höchstpersönlich: Gemeindepräsident Mauro Lenisa.
«Zum Titelbild
Es zeigt eine schwarz-weiss Reproduktion des prächtigen Aquarells unseres Dorfkünstlers in Originalgrösse.
Sie haben es sicherlich längst gedeutet. Es ist die Hafnerhütte, heute im Besitze von Herrn Ernst Baltisser. Die Hafnerhütte steht im Oberdorf, oberhalb vom Dorfmuseum, dort wo der Bach für ein kurzes Stück noch offen fliesst. [Anmerkung: Hier war der Bach tatsächlich noch offen. Mittlerweile ist er auf weiteren rund 55 Metern bis auf ein kurzes Einlassbauwerk unterhalb der Liegenschaft Müliweg 3 unterirdisch verlegt]
Die Hütte ist ca. 200 jährig. Das Dach ist noch mit den ursprünglich gelegten Biberschwanz Ziegeln bedeckt, bei genauerem Hinsehen erkennt man auf den Ziegeln ein hübsches, gepresstes Motiv.
Der Bach diente dazu, ähnlich der Mühle, ein Wasserrad anzutreiben, dieses wiederum betätigte den Luftbalg. Damit konnte die nötige Einbrenntemperatur für die Töpferwaren erreicht werden.
Was wurde in der Hafnerhütte produziert? Genau weiss man es nicht mehr. Sicherlich war es einfach gebrannte Irdenware, möglicherweise mit gefärbten Bleiglasuren, wie zum Beispiel Milchhafen, Kafitassli, Nachtgeschirr und allerlei Gebrauchs- und Ziergeschirr, vielleicht auch Ofenkacheln.
Die Hafnerei wurde im Familienbetrieb geführt. Absatz fand die Hafnerware hauptsächlich im Hausiermarkt.
Vater und Grossvater hiessen Heinrich Baltisser. Dank Ihrem Gewerbe erhielten sie den Zunamen "Hafner Heiri". Dieser Zuname stiess bei der Familie nicht auf helle Begeisterung. Er war jedenfalls einer der Gründe, dass Ihr Nachkomme auf Ernst und nicht mehr auf Heinrich getauft wurde.
Wasserrad, Blasbalg oder sonstige Hafnerwerkzeuge sind heute leider nicht mehr vorhanden. Die Hafnerhütte dient noch als Wagenschopf.
Sie ist dringend renovationsbedürftig. Der Besitzer denkt eher an das Abreissen.
Hoffen wir, dass die Hafnerhütte als eines der ältesten Gebäude Weiachs uns noch viele Jahre bestehen bleibt!
Herzlichen Dank der Familie Ernst Baltisser, welche mir bereitwillig über die Hafnerei berichteten.» (MGW, Juni 1982, S. 2)
Zirka 200 Jahre alt oder doch wesentlich weniger?
Der WeiachBlog-Autor hat in den MGW Juli 2004 noch unter dem Serientitel Weiacher Geschichte(n) einen im Vormonat im Zürcher Unterländer publizierten Text über ebendieses Gebäude rezykliert, der wie folgt lautet:
«Anhand von Unterländer Ofeninschriften ist belegt, dass in Weyach seit mindestens 1806 Ofenkacheln produziert wurden. Zeitweise dürfte es mehrere Hafnereien gegeben haben. Bis zu ihrem Abbruch erinnerte aber nur noch die 1832 erbaute Hafnerhütte hinter dem Ortsmuseum an die alte Tradition. Sie verfügte über einen Brennofen und ab 1859 ein Wasserrecht am Dorfbach, das dem Besitzer Rudolf Baltisser den Betrieb einer Schleifmaschine, einer Glasermühle und einer Drechslerei erlaubte.
Sein Sohn Heinrich und ein Enkel gleichen Namens blieben dem Gewerbe zwar nicht treu. Trotzdem erhielt die Familie Baltisser zu ihrem Ärger den Zunamen «Hafner Heiris», weshalb sie den Stammhalter auf den Namen Ernst taufte. Beim Zweitgeborenen war dann die Tradition doch wieder stärker: Ernsts Bruder hiess wieder Heinrich.» (WG(n) Nr. 57, Gesamtausgabe S. 156)
Die Geschichte mit dem absichtlichen Abweichen von der Tradition schlägt sowohl bei Lenisa wie bei Brandenberger in die gleiche Kerbe.
Gleiches Baudatum wie die Einführung des Versicherungsobligatoriums?
Eine deutliche Abweichung hingegen gibt's beim Alter des Gebäudes. Stellt sich die Frage: Wurde es im 18. oder doch erst im 19. Jahrhundert gebaut?
Aus einem Regierungsbeschluss von 1814 geht hervor, dass Ludwig Meyerhofer, dem Weiacher Hafner mit der ältesten mit Datierung überlieferten Ofenkachel, die Werkstätte abgebrannt ist und diese nicht versichert war (vgl. WeiachBlog Nr. 1655). Wo sie gestanden hat, wissen wir bisher nicht, das könnte man nur ansatzweise eingrenzen, wenn man davon ausgeht, dass sie sich nahe seinem Wohnhaus befand.
Gebäude mit Brennöfen (wie eben die Hafnerhütte) waren also auch nach der Gründung der Kantonalen Brandassekuranz (heute: Gebäudeversicherung des Kantons Zürich) laut Gesetz vom 16. Dezember 1808, die grundsätzlich jedes Gebäude über einem Wert von 100 Gulden der Versicherungspflicht unterstellt hat, erst einmal von der Deckung komplett ausgeschlossen. Erst mit dem novellierten Gesetz vom 24. Januar 1832 waren sie neu nicht nur versicherbar, sondern wurden auch gleich dem Obligatorium unterstellt.
Es kann also durchaus sein, dass 1832 kein Neubau erstellt, sondern lediglich ein schon länger bestehendes Gebäude neu in die Versicherung aufgenommen wurde, wobei aus dem 1809 bis 1832 mit der Nr. 2 markierten Haus (heute: Müliweg 2, ab 1955 Assek-Nr. 301) die Nummer 2A wurde, aus der Hafnerhütte die Nr. 2B (ab 1955: Nr. 299).
Conrad Gut, erster nachgewiesener Eigentümer
Wenn wir uns das im Gemeindearchiv liegende ältere der beiden Lagerbücher (mutmasslich eine Art Backup, erstellt im Jahr 1834) ansehen, dann finden wir die Hafnerhütte gleich auf den ersten Seiten:
«Oberdorf. N°.2.b.» hatte ausweislich der Einträge einen Baukörper, der zu 3/4 gemauert war und zu 1/4 aus Riegelwerk bestand (wobei die Ausfachungen des letzteren aus einem mit Lehm verstrichenen Geflecht aus dazwischengesteckten Haselstangen und darum herum gewundenen Weidenruten konstruiert gewesen sein dürften).
1834 ist «Conrad Gut, Hafner» als Eigentümer von «1 Werkstätte & Brennofen» eingetragen. 1840 übernahm «Barb.[ara] Baumgartner geb. Meierhofer» die Liegenschaft («1 Haffnerwerkstätte mit Ofen»).
Ein innovativer Baltisser
1842 ist ein «Rudolf Baltiser» eingetragen, der dieses «Hafnerwerkstättegebäude» ins Eigentum übernahm. Dass Baltisser tatsächlich als Hafner tätig gewesen sein dürfte, zeigt die entsprechende Berufsbezeichnung in einem Regierungsbeschluss von 1859, wo es um die Konzession für ein Wasserrecht am Mülibach ging. Dagegen hatte sich der Eigentümer der Mühle (Müliweg 7) zuerst gewehrt und es nur unter Auflagen akzeptiert (vgl. RRB 1859/0752)
1864 übernahm «Jakob Meierhofer Dreher» das Gebäude samt Wasserrecht. Die Hütte war damals zu 900 Franken versichert. Erst jetzt neu in die Deckung aufgenommen wurden ein «Wasserrad, Wellbaum u. Kammrad von Holz», veranschlagt auf 200 Franken. 1875 übernahm ein «Johannes Hauser Drechsler», bereits im folgenden Jahr 1876 ging die Hafnerhütte an Johannes Rüdlinger.
Hafner Felix Meier mit Problemen
Dann kehrte 1880 mit Hafner Felix Meier wieder eine gewisse Kontinuität ein, wobei auch bei ihm der Brennofen bis 1894 weder Schätzwert hatte noch assekuriert war. 1895 führte die Gebäudeversicherung für alle Gebäude auf Weiacher Boden ein neues Nummernsystem ein. Die Hafnerhütte erhielt die Nr. 9. Bezeichnung: «1 Hafnereigebäude, 1 Brennofen», diesmal beide versichert.
Kurz darauf aber ging es mit der Hafnerei offensichtlich bergab. 1897 erfolgten laut Lagerbuch zwar «Bauten, unvollendet». Aber schon 1900 ist notiert: «unvollendet, vernachlässigter Unterhalt», gefolgt 1903 von «Außer Betrieb» (für das Gebäude) sowie «Ausgeschlossen» für den Brennofen. 1912 steht da gar: «Baufällig»!
Baltissers nutzen den Bau als Wagenschopf
1914 erwarb Heinrich Baltisser das Gebäude. 1919 ist als neuer Eigentümer eingetragen: Heinrich Baltisser-Bösiger (ein Sohn des Erwerbers v. 1914). Und 1924 ist die Nutzungsänderung offiziell: in «1 Wagenschopf».
Ob die Baltissers den Brennofen nach mindestens elf Jahren Stillstand wieder in Betrieb genommen haben? Wenn dem nicht so gewesen sein sollte, dann wäre die Verärgerung ob des ihnen im Dorf angehefteten antiquierten Übernamens «Hafner» zwar verständlich. Aber aufgrund des Vorfahren im 19. Jahrhundert dennoch angemessen. Die Amtsrichters im unteren Oberdorf werden schliesslich auch immer noch so genannt, selbst wenn seit dem Namensgebungsanlass nun mittlerweile rund 200 Jahre ins Land gezogen sind.
Erwähnung im Kunstdenkmälerband
Wann genau die Hafnerhütte abgerissen worden ist (nach 1991, aber vor Sommer 2002) harrt noch der Aufklärung. Anzumerken bleibt in diesem Zusammenhang nur der bemerkenswerte Umstand, dass aufgrund der historischen Bedeutung des Ofenbauergewerbes in der Gemeinde Weiach ein gar nicht mehr existierendes Gebäude im neuen Kunstdenkmälerband Erwähnung gefunden hat:
«Zwischen Mühle und heutigem Ortsmuseum (...) befand sich bei Müliweg 3 (..) bis 1914 eine Hafnerwerkstatt, die der Hafner Conrad Gut 1832 hatte erstellen lassen. Ab 1864 wurde diese von Jakob Meierhofer, ab 1880 von Felix Meier weitergeführt.» (KdS 146, S. 483)
Die Validität dieser Angaben möge die geneigte Leserschaft nun aufgrund des weiter oben Ausgeführten selber beurteilen.
Quellen und Literatur
- Lagerbücher der Gebäudeversicherung des Kantons Zürich im Weiacher Gemeindearchiv: Bd. 1: 1834-1894 (Signatur: PGA Weiach IV.B.06.01), Bd. 2: 1895-1954 (Signatur: PGA Weiach IV.B.06.02).
- Lenisa, M.: Zum Titelbild. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Juni 1982 – S. 2.
- Direktion der Volkswirtschaft, Meliorations- und Vermessungsamt (ed.): Weiach: Gemeinde; provisorischer Übersichtsplan. Signatur: StAZH PLAN B 2636
- Brandenberger, U.: Das doppelte Brandunglück eines Weyacher Hafners. WeiachBlog Nr. 1655, 19. Mai 2021.
- Crottet, R.; Kerstan, A.; Zwyssig, Ph.: Der Bezirk Dielsdorf. Reihe: Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich, Neue Ausgabe VII. (zugl.: Die Kunstdenkmäler der Schweiz (KdS), Band 146). Bern 2023 – S. 483.
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