Der «Leuenchopf», eine Felsnase östlich des Dorfes und auf Gemeindegebiet von Weiach gelegen, ist gestern Sonntagnachmittag unversehens in den Schlagzeilen der landesweiten Nachrichtenagenturen gelandet. Der Anlass? Unglücksfälle und Verbrechen - wie fast immer, wenn der Name einer kleinen Ortschaft über die Ticker geht und dort nicht per Zufall ein Servelat-Promi wohnt. Von den Online-Medien wurde diese Story jedenfalls begierig aufgesogen:
«Weiach: Pilzsucher abgestürzt
Am Sonntagmorgen (31.08.2008) ist in Weiach ein Mann beim Sammeln von Pilzen rund 20 Meter tief abgestürzt und schwer verletzt worden. Gegen 10 Uhr 30 suchte ein 41-jähriger Mann im Gebiet ‚Leuenchopf’ nach Pilzen. Dabei stürzte er einen rund 20 Meter tiefen und steilen Abhang hinunter. Aufgrund der schweren Verletzungen und der Lage, musste er mit dem Rettungshelikopter der REGA mit einer sog. Windenrettung mit Horizontalnetz aus dem waldigen Gebiet geborgen werden. Die Kantonspolizei Zürich wurde durch einen weiteren Pilzsammler orientiert, der die Hilfeschreie des Abgestürzten gehört hatte.»
Quelle: Oberlin, S.: Weiach - Pilzsucher abgestürzt. Medienmitteilung der KAPO Zürich (31. August 2008)
(Diese Meldung wurde um 14:22 Uhr von der Website Polizeinews.ch übernommen. Unverändert. Nur das einleitende «Weiach:» im Titel fiel weg.)
Alte Verteidigungsanlage - zum Pilzlen nicht geeignet
Man staunt, welche Risiken für ein paar feine Pilze eingegangen werden. Vielleicht hätte etwas mehr Ortskunde nicht geschadet. Denn in Weiach weiss jedes Schulkind, dass bei diesem Nagelfluhfelsen akute Absturzgefahr besteht, wenn man nicht höllisch gut aufpasst, wo man hintritt. Da geht es nämlich an einigen Stellen meterweit senkrecht und gar überhängend nach unten. Auch den Geocacher-Jägern dürfte dies wohl bekannt sein.
Der Fall hat wenigstens gezeigt, dass der steile nördliche Abhang des Wörndel (im unteren Teil auch bekannt als Fürstenhalde) sowie der Fels auf dem die alte Wallanlage auf dem Leuenchopf steht, auch heute noch gegen infanteristische Angriffe zu schützen vermöchte. In welcher Zeit diese Befestigung entstanden ist, darüber wurde schon viel spekuliert, die Kantonsarchäologie will sich jedenfalls nicht festlegen (vgl. die Weiacher Geschichte(n) Nr. 76 und Nr. 77 zur sogenannten «Helvetierhypothese»).
Pilzzucher und andere Medienunfälle
Dem Abgestürzten wünschen wir gute Besserung und wenden uns dafür einem amüsanteren und doch bedenklichen Thema zu - der Monokultur medialer Rezeption, welche ihre Ursache in der personellen Ausdünnung der Redaktionsstuben hat.
Denn diese kleine, oben wiedergegebene Medienmitteilung ist mit verwunderlicher Fehlerquote online-journalistisch verwurstet worden. Wir können unter anderem ablesen, welche Redaktion keine Qualitätskontrolle hat und wer von wem kopiert (von Abschreiben kann ja keine Rede sein, sonst hätten wohl einige auch den Ortsnamen «Weiach» noch zu «Weichach» verschrieben).
Wem das Verdienst zukommt den «Pilzzucher» erfunden zu haben? Könnte es sich um den SDA-Journi handeln, der die Polizeimeldung auf der KAPO-Website gefunden und zum eigenen Text umgebaut um 15:08 über die Leitung gejagt hat? Nein, wahrscheinlich nicht.
Meldung der Schweizerischen Depeschenagentur als Basis
Beim Boten der Urschweiz liest sich die SDA-Meldung wie folgt:
«Pilzsucher verletzt sich in Weiach bei Absturz schwer
Im zürcherischen Weiach ist am Morgen ein 41-jähriger Pilzsammler einen steilen Abhang hinunter gestürzt. Dabei verletzte er sich schwer. Er wurde von der Rega per Helikopter und Seilwinde aus dem waldigen Gebiet gerettet.
Weiach. – Der Unfall passierte gegen 10.30 Uhr, als der Mann im Gebiet "Leuenchopf" nach Pilzen suchte. Dabei stürzte er rund 20 Meter einen steilen Abhang hinunter. Ein anderer Pilzsammler, der die Hilfeschreie des Abgestürzten hörte, alarmierte daraufhin die Polizei. Der schwer verletzte Pilzsucher wurde von der Rega aus seiner misslichen Lage befreit. (sda)»
Quelle: Bote der Urschweiz, Online-Ausgabe, 31. August 2008 – 15:08 – Vermischtes
Beim Blick und beim Bieler Tagblatt findet man den tupfgenau gleichen Text. Nur der Titel lautet anders: «Pilzzucher in Weiach schwer verletzt». Ob die wohl nur Cut&Paste machen und gar nichts mehr durchlesen? Nicht einmal den selbstgetippten neuen Titel?
Noch besser die SZ Online und die Mittellandzeitung Bern. Dort lautet der Titel der Meldung gar «Pilzzucher im Weiach schwer verletzt». Reife Leistung. Wirklich. Zumal im Titel der Webseite steht: «Pilzsucher verletzt sich in Weiach bei Absturz schwer».
Derselbe Titel wie beim Boten der Urschweiz. Den verwenden auch Punkt.ch sowie Nachrichten.ch und übernehmen den Artikel ansonsten unverändert. Man kann daraus schliessen, dass dies das Original ist. Und beim Blick und anderen die Schlagzeile auf redaktionssystemkonforme Länge gekürzt werden musste. Umso peinlicher sind die Fehler im Titel.
Associated Press-Meldung verwertet
Fragt sich noch, wieviel eigene Arbeit der Tages-Anzeiger Unterland investiert hat:
«Pilzsammler abgestürzt und schwer verletzt
Ein 41-jähriger Mann ist am Sonntagmorgen in Weiach beim Pilzsammeln einen rund 20 Meter tiefen Abhang hinuntergestürzt und dabei schwer verletzt worden. Der Mann musste von einem Rettungshelikopter der Rega mit der Winde aus dem waldigen Gebiet geborgen werden, wie die Kantonspolizei Zürich mitteilt. Die Rettungskräfte sind von einem anderen Pilzsammler alarmiert worden, der die Hilfeschreie des Abgestürzten gehört hatte. (bru/ap)»
Der Zeitstempel (Erstellt: 31.08.2008, 14:35 Uhr) zeigt, dass der Tagi nicht auf der SDA-Meldung basiert - sondern auf einer AP-Meldung. Wie sah das Original aus? Vielleicht so wie bei 20 Minuten?
«Pilzsammler abgestürzt und schwer verletzt
Ein 41-jähriger Mann ist in Weiach im Kanton Zürich beim Pilzsammeln einen rund 20 Meter tiefen Abhang hinuntergestürzt und dabei schwer verletzt worden. Er musste am Sonntagmorgen von einem Rettungshelikopter der Rega mit der Winde aus dem waldigen Gebiet geborgen werden, wie die Kantonspolizei Zürich mitteilte. Die Polizei war von einem anderen Pilzsammler alarmiert worden, der die Hilfeschreie des Abgestürzten gehört hatte. Quelle: AP» [Akt. 31.08.08; 14:51 Pub. 31.08.08; 14:51]
Keine Stunde später brachte 20 Minuten eine weitere Version - wohl von einem anderen Online-Journi erstellt. Sie basiert auf der SDA-Meldung:
«Pilzsucher 20 Meter abgestürzt
In Weiach ZH ist am Sonntagmorgen ein 41-jähriger Pilzsammler einen steilen Abhang hinunter gestürzt. Dabei verletzte er sich schwer. Er wurde von der Rega per Helikopter und Seilwinde aus dem waldigen Gebiet gerettet. Der Unfall passierte gegen 10.30 Uhr, als der Mann im Gebiet «Leuenchopf» nach Pilzen suchte. Dabei stürzte er rund 20 Meter einen steilen Abhang hinunter. Ein anderer Pilzsammler, der die Hilfeschreie des Abgestürzten hörte, alarmierte daraufhin die Polizei. Der schwer verletzte Pilzsucher wurde von der Rega aus seiner misslichen Lage befreit.
Quelle: SDA/ATS» [Akt. 31.08.08; 16:03 Pub. 31.08.08; 15:40]
Direkt von der Kapo
Wortgleiche Texte aus anderer Quelle sind auf Limmattalonline.ch sowie Affolternonline.ch zu finden:
«Weiach. Pilzsucher abgestürzt
Am Sonntagmorgen ist in Weiach ein Mann beim Sammeln von Pilzen rund 20 Meter tief abgestürzt und schwer verletzt worden.Gegen 10.30 Uhr suchte ein 41-jähriger Mann im Gebiet «Leuenchopf» nach Pilzen. Dabei stürzte er nach Angaben der Kantonspolizei Zürich einen rund 20 Meter tiefen und steilen Abhang hinunter. Aufgrund der schweren Verletzungen und der ungünstigen Lage musste er mit dem Rettungshelikopter der REGA mit einer sogenannten Windenrettung mit Horizontalnetz aus dem waldigen Gebiet geborgen werden. Die Kantonspolizei Zürich wurde durch einen weiteren Pilzsammler orientiert, der die Hilfeschreie des Abgestürzten gehört hatte. (pd/aen)»
Der Vermerk PD (für Public Domain) deutet darauf hin, dass hier die Medienmitteilung der Kantonspolizei direkt verarbeitet wurde. Und tatsächlich wurde diese Wort für Wort übernommen.
Nachtrag aus der «Fachpresse» (2.9.08)
Auf der Fach-Website Feuerwehr-Schweiz.ch ist bereits am Sonntag ein Artikel mit interessanten Details erschienen:
«Weiach: Rega birgt abgestürzten Pilzsammler»
Der Beginn der Pilzsaison macht sich auch bei der Rega bemerkbar: In dieser Jahreszeit sind die Rega-Helis immer wieder im Einsatz, um verunfallten Pilzsammlern Hilfe zu bringen.
Am Sonntagmittag hat die Crew der St. Galler Rega-Basis einen in Not geratenen Pilzsammler bei Weiach (ZH) geborgen. Der „Pilzler" war im Gebiet „Leuenchopf" oberhalb von Weiach ausgerutscht und 20 Meter tief einen steilen Abhang hinunter gefallen, wobei er sich erhebliche Verletzungen zugezogen hatte. Ein weiterer Pilzsammler hörte die Hilferufe des Abgestürzten und alarmierte per Handy die Polizei. Die ausgerückte Feuerwehr sowie der Rettungsdienst Bülach konnten den Patienten am Unfallort versorgen.
Da der Heli der Dübendorfer Rega-Basis über keine Rettungswinde verfügt, wurde die Crew der St. Galler Rega-Basis aufgeboten, um den Patienten mit der Rettungswinde aus dem abschüssigen Gelände zu bergen. Die Rega flog ihn darauf mit mittelschweren Verletzungen ins Universitätsspital Zürich.
Sonntag, 31. Aug 2008
Einsatzart: Hilfeleistung
Meldung von: REGA»
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