Sich in einen Ausländer zu verlieben, ihn zu heiraten und zu ihm zu ziehen, das kostete eine Frau in früheren Zeiten das Bürgerrecht ihrer Heimatgemeinde.
Wenn sie dann – aus welchen Gründen auch immer – wieder in die alte Heimat zurückwollte, dann standen diesem Ansinnen etliche Hürden entgegen. Zurücknehmen musste die Gemeinde ihre ehemalige Bürgerin nämlich nicht.
Die Bürgschaft eines hablichen Weiachers und/oder eigene finanzielle Sicherheiten konnten da Wunder wirken. Wie bei dieser Frau, über deren Schicksal der Regierungsrat (damals Kleiner Rath) am 14. Oktober 1820 zu befinden hatte und deren Vorname zu nennen sich die regierungsrätliche Kanzlei gleich ganz erspart hat. Doch lesen Sie selbst:
«Die L. Commißion des Innern erstattete der hohen Behörde des Kleinen Rathes mit Weisung d. d. 20sten passati [d.h. 20. September 1820] den Bericht, es halte sich in ihrem Geburtsorte Weyach die 62. jährige Wittwe des Adam Scheerli, Schmid von Oberdiggisheim im Würtembergischen bey einem Sohne erster Ehe, Schmid Bersinger auf, und die Bemühungen des Oberamtes, ihr einen Heimathschein zu verschaffen, seyen fruchtlos geblieben, weil ihre Ehe mit dem Scheerli seiner Zeit während der Revolution, ohne Bewilligung seiner Landesobrigkeit geschloßen worden.»
Dieser heute Oberdigisheim geschriebene Ort liegt in einem Hochtal der Schwäbischen Alb auf 773 m ü. NN. Die Ortschaft gehört zur Gemeinde Meßstetten im Zollernalbkreis, Baden-Württemberg.
Nur geduldet, aber immerhin
Die rechtliche Ausgangslage war also verzwickt. Denn ohne Heimatschein war auch zu damaligen Zeiten nichts zu machen. Da blieb man sans papiers. Welcher Zeitraum von den Württembergern als «Revolution» bezeichnet wurde, ist unklar. Am ehesten dürfte es sich um die Zeit des Zweiten Koalitionskriegs 1798-1802 gehandelt haben, als auch in unserer Gegend einiges drunter und drüber ging, funktionierende Behörden eher die Ausnahme waren und ordnungsgemässe Aktenführung daher dem Zufall überlassen blieb. Und doch hatte Witwe Scheerli Glück im Unglück:
«Uebrigens habe diese Person noch einiges Vermögen, und da ihr obbemeldter Sohn Bürgschaft für sie leiste so trage die Gemeinde Weyach kein Bedenken, selbige zu dulden. Unter solcher Bewandnuß haben UHHerren und Obern, in Betrachtung der bedauerlichen Lage, in welche die Wittwe Scheerli durch Wegweisung aus hiesigem Kanton gerathen müßte, erkennt, derselben den lebenslänglichen Aufenthalt in der Gemeinde Weyach zu gestatten.
Hievon wird dem Lobl. Oberamte Regensperg zu Handen der Gemeinde Weyach und der Wittwe Scheerli, unter Beylage des Bürgschaftsscheines für erstere und einer besondern Ausfertigung gegenwärtiger Erkanntnuß als Niederlaßungs-Urkunde für letztere Kenntniß gegeben, auch das Secretariat der L. Commißion des Innern beauftragt, diese Ansäßin auf dem Tableau zu verzeichnen.»
Heute vor 200 Jahren hatte also Witwe Scheerli die Gewissheit, ihren Lebensabend in Weiach bei ihrem Sohn verbringen zu dürfen. Vermögen und Bürgschaft sei Dank. Ihr altes Bürgerrecht aber, das erhielt sie nicht zurück. Rechtlich blieb sie in der eigenen Heimat eine Fremde.
Quelle
- Kleiner Rath des Cantons Zürich (Hrsg.): Niederlaßungsbewilligung für die Wittwe Scheerli von Oberdiggisheim im Würtembergischen. Beschluss vom 14. Oktober 1820. Signatur: StAZH MM 1.74 RRB 1820/0841.
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