Reichte es vor Mitte März 2020 noch, etwa einmal im Monat die einschlägigen Webseiten von Bund und Kanton zu konsultieren, um aus der Amtlichen Sammlung des Bundesrechts bzw. den Medienmitteilungen des Kantons herauszudestillieren, was für einen relevant sein würde, so muss man dies in Zeiten von Corona nun täglich tun, will man noch einigermassen den Versuch wagen, zu antizipieren, was denn die nächsten Schachzüge in dieser von Panik getriebenen Entwicklung sein könnten.
Durchregieren 3.0: drei helvetische Republiken
Schliesslich leben wir seit dem 16. März 2020 sozusagen in der Dritten Helvetischen Republik. Die erste nach dieser meiner privaten Zählung dauerte etwa fünf Jahre, vom Zusammenbruch des Ancien Régime im Frühjahr 1798 bis zur Ausrufung der Mediationsverfassung im Jahre 1803.
Die zweite Republik war diejenige des Massnahmenstaates kriegswirtschaftlicher Prägung, der die Jahre des 2. Weltkriegs (samt Vor- und Nachlauf) beherrschte. Der Bundesrat hatte sich über die Jahre hinweg derart an dieses Regieren per Dekret gewöhnt, dass er 1949 mittels Volksabstimmung dazu gezwungen werden musste, die Direkte Demokratie wieder zum Tragen kommen zu lassen (vgl. WeiachBlog Nr. 1410, woraus hervorgeht, dass die Weiacher die Machtfülle des Bundesrates ganz in Ordnung fanden). Denn eigentlich war man in Bundesbern der Ansicht, ein Massnahmenstaat wäre quasi alternativlos, da die Zeiten ja unverändert gefährlich seien und man daher jederzeit durchregieren können müsse.
Und heute? Heute haben wir als Folge weltweiter Vorbilder die Dritte Republik. Eine Art Gesundheitsdiktatur, wo das Bundesamt für Justiz schon einmal versucht, unserem Kantonsrat (immerhin die vom Volk gewählte Legislative des Kantons Zürich) jegliche Art von Zusammenkünften zu verbieten. Und damit ist beispielhaft nur einer von vielen Aspekten der Beschneidung unserer Freiheitsrechte aufs Tapet gebracht.
Die zentrale Sumpfblüte dieser Republik ist aktuell die Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) vom 13. März 2020 (die seither nicht weniger als zehn Änderungen erfahren hat und mit der Nr. 818.101.24 in der Systematischen Sammlung des Bundesrechts nachgeführt wird). Dem hektischen Novellierungsrhythmus kommt die einmal pro Woche fortlaufend publizierte Amtliche Sammlung kaum mehr hinterher. Die als sogenannte Dringliche Veröffentlichung herausgegebenen Nummern sind mittlerweile weitaus zahlreicher als die regulären. Was früher vor allem für einzelne Berufsgruppen wie Veterinäre, Lebensmittelimporteure oder Finanzdienstleister von Belang war, betrifft heute jedermann unmittelbar und mit voller Wucht.
Wenn Zeitungen alle paar Wochen den Namen ändern
Doch zurück zur Lageverfolgung. Vor ca. 220 Jahren musste man diese ebenfalls hoch priorisieren. Nach der disruptiven Umwälzung von 1798 wurde die Entwicklung nämlich derart unvorhersehbar und nahm derart katastrophale Ausmasse an, dass tägliche Nachrichten aus der Politik und dem Geschehen im Lande ein Bedürfnis darstellten. Was Zeitungsverleger dazu bewog, teilweise zweimal täglich Ausgaben auf den Markt zu werfen. Noch wenige Jahre zuvor erschienen Zeitungen in Zürich bestenfalls zweimal wöchentlich und bestanden zu einem guten Teil aus Inseraten.
Nicht so bei Escher und Usteri, die ab 1798 bis 1799 die Zeitung «Der schweizerische Republikaner» herausgaben, sie 1799 in «Neues helvetisches Tagblatt» umbenannten, woraus per Jahreswechsel 1800 ein «Neues republikanisches Blatt» wurde. Und unter Rückkehr zur alten Benennung schliesslich «Der neue schweizerische Republikaner». Darin waren ausschliesslich Nachrichten zu finden. Was nicht verwundert. Denn die Lageentwicklung war noch wesentlich turbulenter, als es sich in dieser Umbenennung in schneller Abfolge spiegelt.
Die Folgen der Kriegswirren von 1799
Im Jahre 1799 hatten die Zürcher erlebt, wie die militärische Front des Zweiten Koalitionskriegs zweimal über ihr Land hinwegzog. Die Franzosen mussten sich nach der Ersten Schlacht von Zürich (2.-6. Juni 1799) zurückziehen und kehrten nach der Zweiten Schlacht von Zürich (25./26. September 1799) wieder zurück (vgl. den HLS-Artikel).
Von da weg wurde der Rhein zur undurchdringlichen Frontlinie, mit den Kaiserlichen (Österreicher mit ihren Verbündeten, u.a. Russen) auf dem Nordufer, und den Franzosen (samt Hilfstruppen der Helvetischen Republik) auf dem Südufer. Die Gegend von Waldshut bis Hohentengen, das Rafzerfeld, das Städtchen Eglisau und der ganze heutige Kanton Schaffhausen waren also unter österreichischer Kontrolle, mithin ein Teil des Distrikts Bülach dem Einfluss der Helvetischen Republik entzogen. Das Städtchen Kaiserstuhl, die Gemeinde Weiach, sowie die Ortschaften Rheinsfelden, Seglingen und Tössriederen lagen hingegen auf der «fränkischen» Seite.
Eine funktionierende Logistik war damals schon ein kriegsentscheidendes Element militärischer Auseinandersetzungen. Beide Seiten verstanden darunter offensichtlich primär die Versorgung mit dem eigentlichen Kriegsmaterial, also Kanonen, Schiesspulver, etc. Die nötigen Betriebsstoffe für Mensch und Tier nahm man sich aus dem Naheliegenden. Per Requisition von Heu, Stroh, Lebensmitteln und Brennholz. So lange es davon gab. Und wenn erforderlich auch ohne Rücksicht auf die Überlebensfähigkeit der zu den Kontributionen Gezwungenen. Entsprechend kam es ausgelöst durch die Truppenmassierungen zu Hungersnot und Flüchtlingsbewegungen. Soweit die Ausgangslage Anfang Januar 1800.
Wir schauen nun in die Ausgabe Nr. 11 des Neuen Republikaners vom 14. Januar 1800, worin Weyach explizit erwähnt wird. Am selben Tag erschien übrigens auch Nr. 12 (eine Nummer umfasste jeweils nur gerade vier Seiten), am Vortag Nr. 10, am Folgetag die Nr. 13. Anmerkungen und Links auf Wikipedia und das Historische Lexikon der Schweiz in eckigen Klammern:
Inländische Nachrichten
Zürich 9. Jan. Lezten Samstag in der Nacht reiste General Moreau [Jean-Victor Moreau] wieder von hier ab, seitdem ist ein beträchtlicher Theil der zum Generalstaab gehörenden Comissars, Employes sc. [gemeint: etc.] ebenfalls von hier abgegangen, auch die in hiesiger Gegend einquartierten Sappeurs, so wie einige Infanterie-Bataillons und ein Theil des Artillerieparks, marschierten von hier weg, wahrscheinlich in die Gegend von Basel, oder ins Innere der Schweiz. [Wie man sieht war das Wissen des Korrespondenten beschränkt]. Die angefangenen Verschanzungen werden nicht fortgesezt, sondern gehen wieder ein. Da die Zufuhren für die Armee ausgeblieben, sind von unserer Stadt 600 Mütt Mehl gegen Bons in Requisition gesezt worden, heute sollen die noch fehlenden 300 Mütte abgeliefert werden. So viel man bemerkt, liegen in den ennetrheinischen Gegenden viele kaiserliche Truppen. Lezte Woche verspürte man sowohl an der Bündtnerischen Gränze, als auch in der Gegend von Kaiserstuhl Bewegungen unter denselben, allein wenn sie auch dermalen eine Unternehmung wagen wollten, so ist es doch wahrscheinlich tiefer am Rhein. [d.h. rheinabwärts]
11. Jan. Gestern Morgen kamen gegen 150 halbverhungerte und elend gekleidete Glarnerkinder hier an, die nach Bern bestimmt waren, allein man läßt sie nicht weiters, und heute wird für Versorgung derselben in hiesiger Stadt gesorgt; man hoft, alle unterzubringen. Auf morgen ist aber schon wieder ein neuer Transport angesagt; auch diesen wird man versuchen, hier zu versorgen. Kinder von 10 bis 15 Jahren finden ein leichtes Unterkommen, allein mit den kleinern hält es schon schwerer. [Grund: die können nicht als Arbeitskräfte eingesetzt werden]
Seit einigen Tagen kehrten wieder mehrere Halbbrigaden aus ihren Cantonnierungsquartieren jenseits der Aar zuruk, und nehmen ihren Weg in forcierten Märschen gegen St. Gallen; so hat also auch unser Kanton wenige Erleichterung über den Winter zu erwarten. Noch gehet alles im alten; das Militär wird immer exigeanter [fordernder] ; das erste Beispiel geben die Generale. Lecourbe [Claude-Jacques Lecourbe] forderte für seine Tafel 150 NLdors [Nouveau Louis d'Or?], und ließ auf 70 des Monats heruntermarkten; und so müssen auch die Gemeinden auf dem Land, die das Unglük haben, Generale in ihrer Mitte zu haben, ihnen ihre Tafel gratis fournieren.
Glattfelden, im Distrikt Bülach, Kanton Zürich, 6. Jan. Die Lieferungen unsers Distrikts sind ungeheuer. 2037 Haushaltungen, die den dießseits des Rheins befindlichen Theil des Distrikts bewohnen, lieferten seit dem 27. September 1799 bis Ende des Jahrs, 4352 Mütt Fäsen [Korn noch in den Hülsen, wohl als Tierfutter], 14091 Centner Heu, 8818 Centner Stroh. Die Kosten der Requisitionsfuhren betrugen die ungeheure Summe von 190938 fl. Der Schaden der Verheerungen seit dem Junius bis zur Rükkehr der Franken [Franzosen] beläuft sich auf 3406 Mütt an Feldfrüchten, 14692 Centner Heu, 6982 Centner Stroh, 15478 Viertel Erdapfel, 506 Saum Wein. Rechnet man dazu, daß die Truppen sehr oft keine Lebensmittel hatten, folglich der Einwohner sie ganz allein ernähren mußte, so kann man sich einen Begriff von dem ungeheuren Verlust dieses kleinen Distrikts machen. Unermeßlich ist denn noch der Holzschaden. Der prächtige Bülacher Eichwald ist unkennbar [d.h. nicht wiederzuerkennen], der schöne Weyacher Wald verheert, das einst so blühende Wehnthal ausgezehrt! Ueber alle Beschreibung geht aber das Elend der beiden Gemeinden Tößriedern und Seglingen. Diese guten Leute, seit dem Anfang des Kriegs beständig mit Truppen beladen, sind nun der Hungersnoth nahe. Bei der Einnahme von Eglisau (den 16. Aprill) von den Franzosen geplündert, durch die Nähe mehrerer Lager ihrer Feldfrüchte und ihres Weins beraubt, wegen Sperrung des Rheins verdienstlos, sind sie nun ganz von allem entblößt. Dennoch logiert der allerärmste 2 Soldaten, und oft wenn am Morgen der Hausvater für die Wachten Holz fällen muß, geht die Hausmutter, um etwas Gemüse in den benachbarten Orten aufzusuchen. In Seglingen ist nicht einmal mehr eine Ziege, der Mangel hat dort den allerhöchsten Grad erreicht, wenn nicht thätiges Mitleiden ihrer Mitbürger durch schnelle Hilfe diese Unglüklichen rettet, wird nächster Tagen der größte Theil auswandern. Möchte diese wahre Schilderung wenigstens auch nur etwas zur Erleichterung dieser Gemeinden beitragen!
Wer die letztere Nachricht aus Glattfelden verfasst hat, ist leider nicht bekannt. Aber die genannten Zahlen sind (vor allem in Verbindung mit den Begleitumständen) wirklich beeindruckend. Ganz so schlecht wie den Seglingern und Tössriederern ging es den Menschen in der Gegend von Weiach, Kaiserstuhl und Fisibach nicht. Aber viel besser wohl auch nicht.
Insofern jammern wir als Untertanen der Dritten Republik noch auf sehr hohem Niveau.
Quelle und Literatur
- Neues republikanisches Blatt. Band I. N. XI. Bern, 14. Januar 1800 (24. Nivose VIII.) - S. 44
- Brandenberger, U.: Weiach war 1949 gegen die Rückkehr zur direkten Demokratie. WeiachBlog Nr. 1410 v. 11. September 2019
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