Die Weisungen der Hohen Obrigkeit zu Zürich waren eindeutig (vgl. den WeiachBlog-Beitrag von gestern Pfingstsonntag). Auch am Pfingstmontag durfte man nicht arbeiten!
Für unsere handwerklich und landwirtschaftlich tätigen Vorfahren grenzte das schon fast an Körperverletzung. Der reinste Horror. Wenigstens etwas feiern sollte man dann doch noch dürfen, oder? Das sahen die im Auftrag ihrer Regierung tätigen, gestrengen Pfarrherren dann allerdings erst recht nicht gern.
Ein Frauen misshandelnder Ritter?
Wie man auf der Website der altehrwürdigen Lesegesellschaft Bülach erfährt, gab es dort einen alten Brauch, das «Fest des Ritters Mangold», das jeweils am Pfingstmontag mit einer Art Theateraufführung stattfand:
«Das Pfingstspiel bildete eine Erinnerung an die Ermordung eines Frauen misshandelnden Ritters durch die Bürger von Bülach. Das heidnische und «schnöde Spiel», das jüngere Bewohner von Bülach jährlich dort vermutlich trieben, war den Kirchenherren aber ein Dorn im Auge und sie verlangten deshalb von der Zürcher Kirchensynode, diesem Treiben ein Ende zu bereiten.» (Website Lesegesellschaft)
Traktandum an der Synode
Nun war der Vorname Mangold im Mittelalter in Adelskreisen durchaus geläufig, auch in unserer Gegend. So hiessen mehrere Namensträger des ursprünglich aus dem Emmental stammenden Geschlechts der Brandis (mit Stammburg bei Lützelflüh, 1798 abgebrannt). Sie konnten sich dank Finanztransaktionen und geschickter Heiratspolitik u.a. 1377 die Herrschaft Küssaburg gleich ennet dem Rhein sichern. Der Familie gelang es auch, einzelne ihrer Leute in den Rang von Äbten und den des Bischof von Konstanz zu befördern. Ausserdem waren sie ab 1399 Vorgänger der heutigen Fürsten von Liechtenstein, indem sie die Herrschaften Vaduz und Schellenberg über ein Jahrhundert lang inne hielten. Auch bei den Grafen von Nellenburg war der Vorname Mangold in Gebrauch.
Zur Frage, weshalb der böse Ritter im Pfingstspiel ausgerechnet Mangold genannt wurde, gibt es jedoch bislang keinerlei Hinweise. Vgl. die Interpretation von Utzinger im weiteren Verlauf des Beitrags.
Trotzdem hat sich der Name «Mangoldsburg» gerade in Bülach und Umgebung eingebürgert: für eine Wall-Graben-Anlage, deren Reste heute zwischen der Bahnlinie Bülach-Eglisau und der Glatt zu finden sind, noch auf Bülacher Boden, aber nahe beim Bahnhof Glattfelden (der ebenfalls auf Bülacher Territorium liegt!).
Die «Alte Burg» über der Glatt zwischen Hochfelden und Glattfelden
Der Bülacher Ortshistoriker Joseph Utzinger (1821-1879) hat im Jahr der Eröffnung der Bahnlinie nach Koblenz im Anzeiger für Schweizerische Alterthumskunde einen Artikel über diese «Mangoldsburg» veröffentlicht, den wir hier mit Ausnahme des letzten Abschnitts im vollen Wortlaut wiedergeben [Zwischentitel durch Redaktion WeiachBlog]:
«Diese theils von der Natur, theils von menschlicher Hand interessant geformte Stelle hat durch die gegenwärtig im Bau begriffene Eisenbahnbaute Winterthur-Koblenz solche Veränderungen erlitten, dass ihre bis vor wenige Monate bestandene Anlage der Geschichte aufzuzeichnen am Platze sein wird. Gerade derjenige Theil, auf dem sie zugänglich, aber eben darum um so mehr verschanzt war, ist durch einen 14 Meter tiefen Einschnitt durchgraben und so auf diesem Punkte Wall und Graben weggeschnitten.
Wall-Graben-Anlagen häufig in dieser Gegend
Es ist diese Gegend, man darf wohl sagen, so reich an künstlichen Erdwerken, dass ihr in kriegerischer Hinsicht eine nicht zu unterschätzende Geschichte zugeschrieben werden darf. Nicht nur das linke Rheinufer trägt auf seinen Höhen, selbst die demselben entfernter in der grossen Ebene und auf Anhöhen, aber günstig gelegene Stellen, bieten eine erhebliche Anzahl von Verschanzungen aus keltischer Zeit, wie wir sie sowohl im Allgemeinen wie einzeln durch Herrn Dr. Ferd. Keller in Zürich in den Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft, Band XVI, Abtheilung II, Heft 3 ganz getreu beschrieben finden. Dort sind sie als Refugien, von Cäsar als Castelle bezeichnet und dienten als Zufluchtsstätten gegen kriegerische Ueberfälle. So finden wir ausser unserer näher zu beschreibenden Stelle auf dem Rheinsberge, auf dem Ebnet, dem Wörndel, bei Bachs, bei Niederhasle, bei Birchweil, Pfungen etc. zu gleichem Zwecke bestimmte Werke.»
Ebnet und Wörndel befinden sich auf dem Gemeindegebiet von Weiach, östlich des Dorfkerns, vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 76 und 77 (Internetlinks s. unten).
«Ueber die alte Burg nun wurde schon früher eine Skizze in den "Anzeiger" gewünscht, solche aber verschoben in der Hoffnung, der Bahnbau konnte irgend etwas zu Tage fördern, das der Aufzeichnung würdig gewesen wäre. Allein rein nichts zeigte sich, obschon die neue Böschung sich bis auf die Höhe der Burg erstreckt. Schon dieses, und dass die Geschichte gar nichts von der Burg aufzuweisen vermag, bürgen dafür, dass dieselbe spätestens keltisches Werk sei, zumal in nicht grosser Entfernung an der Strasse ein keltischer Grabhügel sich befand und weiter westlich durch den Bahnbau, im sog. Zelgli, in einem wohl an offenem Feuer gebrannten Topfe ein bronzener Schmuck, bestehend in Armringen und Haarnadeln, ausgehoben wurde.»
Zumindest für die beiden Weiacher Anlagen ist die Kantonsarchäologie etwas vorsichtiger mit der historischen Verortung. Sie verwendet den Begriff «unbekannte Zeitstellung».
Schlösslibuk, nennen sie die Glattfelder und Eglisauer
«Nehmen wir Blatt X der zürch. topopraphischen Karte [sog. Wildkarte 1850, in obiger Abbildung rechts der senkrechten roten Linie] zur Hand, so finden wir nördlich von Bülach "das Bülacher Hard", dessen nordwestliches Ende "in Buchen" heisst. Diese Fläche hat eine Höhe von circa 425 Meter aber Meer und streckt sich in zickzackartigen Vorsprüngen in das etwa 35 Meter tiefer liegende Gebiet der in vielen Krümmungen und bedeutendem Gefälle dem Rheine zufliessenden Glatt hinaus. Der grösste dieser Vorsprünge, der auf dem höchsten Punkte 435 Meter hat, also nicht nur vorspringt, sondern noch 10 Meter über seine höchste Umgebung oder von der Thalsohle aus 45 Meter oder 150 Fuss sich erhebt, finden wir als "Alte Burg" im Volksmunde, in Glattfelden und Eglisau "Schlösslibuk", im Kirchenurbar von Bülach als "Mangoldsburg" bezeichnet. Diese beiden Benennungen gaben der Vermuthung, man könnte hier mit einem alamannischen Werke zu thun haben, etwelchen Raum. Die Beschaffenheit desselben, sowie gänzlicher Mangel an Spuren von baulichen Einrichtungen lenkten aber wieder ganz davon ab. Der Name Mangoldsburg dürfte seine Entstehung einem andern blossen Zufall verdanken.»
Mangoldsfest auch in Glattfelden
«Es zeigte nämlich in dem Jahre 1562 und 1568 der Dekan des Regensberger Kapitels der Synode an, wie in Bülach, Oberglatt, Glattfelden, Embrach ein heidnisch Fest der Mangold, ein unflätig Spiel, getrieben wurde und verlangte beide Male von der Regierung Abhülfe. Was diese gethan hat, ist unbekannt; aber leicht möglich wäre es, dass das Spiel seines Charakters wegen sich auf diese abgelegene Stelle zurückgezogen und desshalb die Burg vorübergehend den Namen "Mangoldsburg" erhalten hatte, die ihr bei der bald (1599) erfolgten Anfertigung des neuen Kirchenurbars als nähere Bezeichnung gegeben worden wäre. Mit ihrem Ursprung hat dieser Name jedenfalls nichts zu schaffen.»
So weit weg von zuhause war dann das Glattfelder Mangoldsfest für die Weyacher auch nicht, sodass gewiss auch sie zu den Besuchern dieses bei der Obrigkeit verpönten Anlasses gehörten. Dass sich der Dekan eines benachbarten Pfarrkapitels namens seiner Prädikanten (darunter auch der von Weiach, der jeweils aus Zürich dorthin marschieren musste), über dieses Fest beschwert haben, ist indirekt der Beleg für diese unerwünschten Festbesuche.
Ein Pavillon der Nordostbahn auf dem Burghügel
«Der Hügel selbst, dessen Höhe wir bereits angegeben haben, ist eine 450 Fuss lange Spitze und wird am Fusse ihres südlich sehr steilen, mit verkrüppeltem Laubholz überwachsenen Abhanges von einem hart neben der Glatt liegenden Bewässerungsgraben bespült. Süd- und Westseite sind abgerieselte Nagelfluh, aus welcher die ganze Umgebung besteht und in welche eine von der in der Thalsohle liegenden Wiesen (- Heeren wiesen, die zum Theil der Kirche zinspflichtig waren, Herrenwiesen, wie sie in Glattfelden, als am Schlösslibuk liegend, bezeichnet werden) um die Burg herum auf die Ebene führende Strasse sich zog, welche durch den Bahnbau eingeht. Von der abschüssigen Stelle im Westen, zog auf der Nordseite dem Hügel nach bis wieder zur unzugänglichen Stelle, im Osten ein 25 Fuss weiter und 350 Fuss langer Graben, dem nach Aussen ein 22 Fuss breiter und 10 Fuss hoher Wall und ferner ein zweiter etwa 6 Fuss tiefer liegender, 500 Fuss langer Graben folgte, von dessen Aushub ein zweiter, wenn auch nur unbedeutender Wall gebildet wurde. In halber Höhe des Hügels ist eine etwas verrutschte Terrasse. Ob dieselbe als ein Weg oder eher als Mittel, um von der Ebene aus die Ersteigung zu erschweren, angelegt war, ist nicht bestimmt zu erkennen. Der Hügel ist somit zur Hälfte unzugänglich, zur Hälfte verschanzt. Gegen Westen läuft derselbe in einen spitzen Grat aus, auf dem sich nur ein schmaler Fussweg in eine von der Glatt umflossene Wiesenfläche zieht. Diese Fläche "im grauen Stein" kann somit als Bestandtheil der Burg betrachtet werden. Das Plateau des Hügels erreicht eine Breite von circa 90 Fuss, senkt sich dann in einem Gefälle von 60 bis 70 % gegen den Burggraben ab und hält ungefähr in der Mitte einen 7 Fuss hohen und 40 Fuss breiten runden Hügel, auf welchem die Ingenieure der Nordostbahn ein einfaches Pavillon erstellt haben.
Wie im Eingange bemerkt, ist die Burg im Osten abgeschnitten und steht nun nicht mehr als Zunge, sondern als ganz isolirter, 14 Meter höher gewordener, also 24 Meter über die Bahnlinie sich erhebender Burghügel da, dem zwar zur Stunde ein passender Zugang mangelt. Von Bülach aus gelangt man auf angenehmem Wege, ungefähr in einer guten halben Stunde, an ihren Fuss und wenn die Ersteigung dann auch etwas mühevoll ist, so sind die Abwechslung im Spaziergange, das schöne Wiesenthal und auf der Burg die freundliche Aussicht sehr lohnend, auch andere Punkte in der Nähe interessant und die neue Bahnstation Glattfelden höchstens 10 Minuten entfernt. Der Besuch der Burg wird somit mit Eröffnung der Bahnlinie Bülach-Eglisau sehr erleichtert.»
Quellen und Literatur
- Acta Synodalia 1568, Frühlingssynode und Herbstsynode, Signatur: StAZH E I 2.2, Nr. 2
- Utzinger, J.: Nr. 278. Die "Alte Burg" bei Bülach. In: Anzeiger für Schweizerische Alterthumskunde. Bd. 3, Heft 9 N°3, Juli 1876 - S. 684-686.
- Brandenberger, U.: Die Helvetier-Hypothese. Wie alt sind die Wallanlagen im Ebnet und auf dem Wörndel? (Teil 1). Weiacher Geschichte(n) Nr. 76. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, März 2006.
- Brandenberger, U.: «Unbekannte Zeitstellung». Wie alt sind die Wallanlagen im Ebnet und auf dem Wörndel? (Teil 2). Weiacher Geschichte(n) Nr. 77. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, April 2006.
- Lesegesellschaft Bülach (Hrsg.): Kraft des Wasssers. Kulturhistorischer Weg Bülach. Tafel: Wasser schützte Zufluchtsort. Die «alte Burg», die vermutlich keine war. Ein Refugium aus der älteren Eisenzeit.
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