Am heutigen Datum vor 500 Jahren reichten die Untertanen der Landvogtei Kyburg zusammen mit denen weiterer Obervogteien (darunter die des Neuamts, zu dem auch die Gemeinde Weiach gehörte) bei ihrer hohen Obrigkeit, dem Bürgermeister und Rat Zürich, eine Liste mit 17 Forderungen ein.
Damit lagen sie voll im Trend einer Zeit des revolutionären Umbruchs, in der die Regeln des Zusammenlebens unter die Lupe genommen wurden (vgl. die Einführung in WeiachBlog Nr. 2221).
Es verwundert wenig, dass es auch in unserer Bauernschaft gärte, zumal sie von den Predigern der neuen Ausrichtung reformatorischer Art gehört hatten, über viele Abgaben, Zölle, Rechtsverhältnissen und dergleichen stehe rein gar nichts in der Bibel. Umso deutlicher forderte das Volk, gestützt auf die Heilige Schrift, deren Abschaffung, die Beteiligung an den Gütern der aufzulösenden Klöster, sowie die Restitution der alten Rechte ihrer Dorfgemeinschaften.
Wenig bekannter Geschichtsschreiber
Der Weiacher Pfarrer Albert Kilchsperger (*1883 +1947), bei uns im Amt 1908 bis 1940, hat sich nicht nur als evangelischer Seelsorger betätigt. Wie schon seinem Vorgänger Ernst Wipf, so war auch ihm die Erforschung und Aufzeichnung der Geschichte seines Wirkungsortes ein Anliegen.
Von Kilchsperger ist ein über weite Strecken in Stenographie verfasstes Manuskript in zwei Teilen erhalten, von ihm selber (auf dem ersten Teil) mit dem Titel Geschichte der Gemeinde Weiach versehen. Zollinger hat die Stenoschrift transkribiert und in einem Schulheft mit Sigel K'sp. III notiert.
In Anerkennung der bisher nicht ansatzweise genügend gewürdigten historiographischen Arbeit Kilchspergers publiziert WeiachBlog erstmals denjenigen Ausschnitt seines Textes, wo es um die obgenannten 17 Artikel und die Reaktion der Zürcher Regierung darauf geht.
Wir bringen den vollen Wortlaut nachstehend weitgehend ohne Einschübe und verweisen auf die Anmerkungen am Schluss des Beitrags. Der nachfolgende Beitrag wird sowohl eine Erläuterung der nicht mehr allzu gebräuchlichen Begrifflichkeiten bringen, als auch einen Vergleich mit den Eingaben anderer Gemeinwesen aus dem Zürcher Herrschaftsgebiet und den berühmten Zwölf Memminger Artikeln aus Süddeutschland.
Pfarrer Kilchsperger zur Zeit vor 500 Jahren
Die Reformationszeit, die nun bald anhob, hat bekanntlich auch auf das polit. Leben ihre Wellen geworfen. Der Ruf nach Freiheit in Glaubenssachen, nach Befreiung vom Zwang der Papstkirche weckte ähnliche Stimmungen beim Bauernvolk. Sie wollten vor allem frei werden vom Druck der verschiedenen Steuern & Abgaben. In der Herrschaft Eglisau wollten sie 1525 keine «stür, tagwen & fastnachthühner» mehr leisten.
Im März wollten sich die Bauern unserer Gegend das Fischereirecht in der Glatt aneignen. Die «Nasen» schwammen zu jener Zeit massenweise glattaufwärts, um zu laichen. Als die Herren dort fischen wollten, sammelten sich 200 Mann aus Stadel, Neerach, Weiach, Schüpfheim & bewarfen den Junker Jörg Göldli [v. Zch.] & seine Knechte mit Steinen und schmähten die Herren «als ob sie uf die schiessent, & si syn nit ihr Herren». Dadurch wurde der Vogt von Eglisau & seine Fischer von ihrer Gerechtsame vertrieben. Es wurden deshalb 4 Mann beauftragt, «vor jede der 4 Gemeinden einzeln zu keren & [S. 14] ihnen den ungeschickten Handel vorzuhalten». (vgl. die ausführliche Besprechung des Vorfalls in WeiachBlog Nr. 2222)
Die 17 Artikel vom 2. Mai
Das Neuamt, also auch Weiach, waren mitbeteiligt an der Eingabe von 17 Artikeln*, welche im Mai 1525 die Herrschaft Eglisau gemeinsam mit der Grafschaft Kyburg & den Vogteien Bülach, Andelfingen & Rümlang dem «h. Rat» einreichten. Es geschah diese Eingabe, wie es heisst, «us keinem muotwillen» sondern mit der Bitte, ob diese Artikel in der «gschrift, im hl. evangelio & in dem waren & luteren wort Gottes gespürlich** & zimlich» erfunden werden.
In diesen 17 Artikeln also verlangten unsere Bauern:
1.) Abschaffung der Leibeigenschaft, (keinen Herrn, als Gott & als die weltl. Obrigkeit nur die Herren von Zürich)
2.) Abschaffung von «fal, gläss, ungnossami, lib- und roubstüren», aller andern Zehnden als [d.h. ausser] Korn, Wein, Haber.
3.) Freien Fischfang, jedoch bloss mit Hand, Angel, Storbären. [Storrbēr(eⁿ) Id. 4,1457: Netz, mit dem die Fische zugleich aufgestört und gefangen werden] [S. 15]
4.) Abschaffung von Zollerhöhung & jeglichem Zoll auf Eisen, «damit man das erdrich bouwt».
5.) Abschaffung des Schuldverhafftes, wo Pfänder vorhanden.
6.) Säkularisierte Kloster- & Pfandgüter sollen in ihrem Ort belassen & dafür für die Armen & für anderweitige Gemeindezwecke verwendet werden.
7.) Die Tiere im Wald & der Vogel in der Luft sollend frei sein.
8.) Kein Verbot fremden Weines, noch Umgeld.
9.) Kautionsgeld gestattet, ausser in «malefizisch sachen».
10.) Abschaffung des 3. Pfennigs auf vogtbaren Gütern.
11.) Gnade gegen Reisläufer. [S. 16]
12.) Recht der Gemeinde zur Abberufung & Neuwahl, wo ein «pfarherr inen nit das wort Gottes verkündte, wie sich gepürt».
13.) Aufgehobene Jahrzeiten & Stiftungen sollen ihren Gebern oder Erben zurück erstattet & wo solche nicht mehr vorhanden, den Armen in jeder Kilchhöri zugewendet werden.
14.) Kein Vogtheu, Holzgeld, Vogtkorn & Futterhaber, noch Auf- und Abgangskosten der Vögte.
15.) Uneinigkeit, die in den 4 Wänden gütlich abgemacht wird, soll nicht gebüsst werden.
16.) Ablösbarkeit der «ewigen Guldenzinse / Mütt-Kerne».
17.) Vergantungen v. Gütern wegen Zinsen nur am Ort der Liegenschaft.
Antwort der Regierung vom 25. Mai
Der «hohe Rat» nahm die Eingabe an, liess sie von einer geistl. & einer weltl. Kommission begutachten & antwortete schon am 25. Mai folgendermassen: [S. 17]
«In Ansehung, dass wir alle Kinder Gottes & gegeneinander Brüder sind, wird die Leibeigentschaft mit ihren Zeichen (Fäll & Gläss) fallen gelassen.
für die Libstüren, Zehnden, niedern Gerichte, Fischenzen Hand zur Ablösung geboten werden,
über roubstüren, Zinsen & Verwendung der geistl. Güter & der Jahrzeiten weitere Verhandlungen in Aussicht gestellt,
die Obsorge für gute Prädikanden versprochen, dagegen das Recht zur Abberufung derselben, die Begnadigung der Reisläufer, die Begehren betr. Zoll, die Schuldverhaft, Jagd, Umgeld & Fremdenwein, Mannlehen & 3. Pfändung, Vogtabgaben & Ganten abgeschlagen.
Man soll es bei Brief & Siegel und alter Übung lassen bliben.»
Zehntenmandat von August 1525
Mit Bezugnahme auf die Eingabe v. Kyburg, Eglisau etc. erliess der Rat im August 1525 ein Mandat über den Zehnden; darin stand:
«Im Gotteswort lasse sich nichts wider den [S. 18] Zehnden finden, auch gebühre es der Obrigkeit nicht, jahrhundertelang-bestandenen ruhigen Besitz zu «vernüten», so müsse ferner der gr. Zehnten (Korn, Roggen, Weizen, Gerste, Haber, Wein, an vielen Orten auch Heu) mit dem in jeglicher Gegend üblichen Zubehör an Geistliche & Weltliche entrichtet werden.»
Auch der kleine Zehnten wird beibehalten, jedoch nicht von der allfälligen 2. Anpflanzung eines Grundstückes im gleichen Jahre. Der Rat wird, wenn nötig, mit Strafen einschreiten.***
Insbesondere der «Kilchenzehenden»**** , zur Erhaltung der Pfarrer soll wieder in Aufnahme gebracht werden. Zur Ablösung des kl. Zehnten auf Gütchen wegen will der hohe Rat gern die Hand bieten. Doch legte sich in unsern Bauerngemeinden die Aufregung nicht sofort, etliche Gemeinden verweigerten einfach die Vogtsteuern, wie z.B. Wyl & Rafz & wurden deswegen verklagt.
Die soziale Bewegung unter dem Volk verband sich aber auch mit der kirchlichen; die sogen. Wiedertäufer, wenigstens die radikalen, nahmen die sozialen Bestrebungen des Bauernstandes in ihr Programm auf. Man ist aber sehr scharf gegen die strengen Täufer vorgegangen, hat Gefangennahme & Todesurteile nicht gescheut. Nach Zwinglis Tod bei Kappel, 1531, nahm aber die Ausbreitung der Täuferbewegung ab & auch die Bauernbewegung verlor an Wucht und Ausdehn[un]g.
Anmerkungen
Fn-*: Vgl. Egli, E.: Actensammlung zur Geschichte der Zürcher Reformation in den Jahren 1519-1533; Nr. 703 - S. 320. Die Eingabe vom 2. Mai 1525 war nur eine von fünf solchen Petitionen aus dem Zürcher Herrschaftsgebiet, die zwischen 24. April und 16. Mai eingereicht wurden; vgl. Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, Bd. 4, S. 338ff.
Fn-**: Steht auch im Originaltext von Kilchsperger so drin. Mutmasslich verschrieben aus «gepürlich».
Fn-***: Randnotiz: «Wild / Am Zchr. Rhein pag 101 / ff»
Fn-****: Randnotiz Zollinger: «(siehe «Wipf»!)»
Quelle
- Geschichte der Gemeinde Weiach (Transkript der stenographischen Aufzeichnungen Pfarrer Kilchspergers durch Zollinger, der sie als Vortrag bezeichnet hat). OM Weiach, ohne Signatur. Original: Fadengeheftete Blätter. Transkription: Schulheft mit Sigel K'sp. III, S. 13-18.
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