Der Historiker Markus Schär hat sich in seinen universitären Promotionsarbeiten auch mit Weiacher Themen befasst, so beispielsweise mit dem Eklat in unserer Dorfkirche, als Pfr. Johann Růdolf Wolf im Jahre 1734 einen hiesigen Bürger indirekt als Hund bezeichnete, ihn aus dem Gottesdienst verwies und damit faktisch exkommunizierte (vgl. WeiachBlog Nr. 728).
Mathis Meyerhofer beging unmittelbar danach Suizid und die Gemeinde stand damit vor der Frage, ob man seinen Leichnam auf dem Friedhof beerdigen dürfe (und ihn nicht irgendwo im Gestüd verscharren sollte, wie in solchen Fällen noch im 17. Jahrhundert üblich) und wenn ja, in welcher Ecke des ummauerten Kirchenbezirks und nach welchem Prozedere.
Gleiche Regeln für alle, keine Extrawürste! Oder jetzt doch nicht?
Heutzutage kann das nicht mehr passieren. Unabhängig von der Todesursache, dem Lebenswandel oder der Konfession: Wer als Einwohner der Gemeinde stirbt und für seinen Todesfall keine anderslautenden Anordnungen getroffen hat, der bekommt seinen Platz auf dem Weiacher Friedhof. Und dort gelten für alle die gleichen Regeln. Nicht jeder findet das angebracht.
Letzte Woche kam Schär zum Thema des Weinfelder Friedhofsstreits auf dem in der Ostschweiz ansässigen Online-Radio Kontrafunk zu Wort (vgl. zum Thema u.a. Dominik Feusi im Nebenspalter).
Nachdem auf diesem Blog auch schon Fragen der Friedhofsordnung besprochen wurden (s. Literatur unten), wird hier das Transkript der jüngsten Sendung Kontrafunk AKTUELL, Wochenrückblick eingerückt. Die Zwischentitel sind vom Redaktor des WeiachBlog.
Transkript Kontrafunk
Ansage Moderator: «Das Stadtparlament der Schweizer Kleinstadt Weinfelden wollte es ermöglichen, dass auch Muslime nach islamischen Riten bestattet werden können. Grund für diesen Vorschlag sei die Tatsache, dass immer mehr Muslime in der Schweiz sterben und nach eigenen religiösen Gepflogenheiten beerdigt werden möchten.
Deshalb sollte per Volksentscheid festgelegt werden, ob das Friedhofsreglement der Kleinstadt zugunsten der Muslime geändert werden soll. Die Gegner verhinderten mit 51,6 Prozent der Stimmen eine Anpassung des Friedhofsreglements. Die Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz [FIDS] erklärte daraufhin, dieser Entscheid verletze, grenze aus und widerspreche dem Geist einer offenen Schweiz.
Die Einzelheiten erläuterte der Journalist Dr. Markus Schär [https://x.com/SchaerWords]:»
O-Ton Schär: «Das Stadtparlament hat beschlossen, einen abgegrenzten Bereich für Bestattungen nach islamischer Tradition zu schaffen, also mit Gräbern, die nach Mekka ausgerichtet sind, sodass der Verstorbene Richtung Mekka schaut, korrekt, und die Gräber sind auch länger als normal, damit die Leute auf den Wegen nicht über die Leichen laufen, wie das bei allen anderen üblich ist.
Auf dem Friedhof sind alle gleich
Der entscheidende Punkt für uns war, dass das ein abgegrenztes Grabfeld nur für eine Religion werden sollte. Die Bestattungen sind aber seit 150 Jahren eine Sache des Staates, der Gemeinden konkret. 1874 gab es eine Totalrevision der Bundesverfassung, da wurde als Wichtigstes das Referendum eingeführt, also die direkte Demokratie auf Schweizer Art, wo eben die Bürger am Schluss das letzte Wort haben. Und andererseits [wurde] die Religion vom Staat getrennt, also das Zivilstandswesen, unter anderem eben auch Friedhöfe, wurden eine Sache der Gemeinden. Und das heisst: Wir liegen nicht als Gläubige auf dem Friedhof, sondern als Einwohner der Gemeinde, in der wir lebten. Also sind alle gleich und es liegen alle gleich nach Todeszeitpunkt in der Reihe. Das gab vor 150 Jahren schwere Kämpfe zum Beispiel im Thurgau, wo jahrhundertelang Reformierte und Katholiken zusammenlebten und das wollen wir nicht mehr. Also: organisierte Religion hat eigentlich auf dem Friedhof nichts mehr zu suchen. Das war der Punkt.
Das Bundesgericht als alleinige Richtschnur?
Und jetzt kommen die islamischen Organisationen und Bundesrichter und Rechtsprofessuren, die sie in der Gesellschaft "Minderheiten in der Schweiz" unterstützen. Die sagen jetzt einfach: Ewige Grabesruhe, das geht nicht, das hat das Bundesgericht gesagt. Aber alles andere ist auch heilig, also aufgrund der Religion geboten. Und das ging so weit, dass in Weinfelden sogar geplant war, auf die Sargpflicht zu verzichten, die ja eigentlich implizit selbstverständlich ist, also steht in den meisten Reglementen gar nichts davon. In einem Zürcher Reglement, das ausdrücklich für muslimische Bestattungen geschaffen worden ist, steht es sogar explizit! Und da sollte das in Weinfelden auf einmal möglich sein, muslimische Verstorbene nur im Leichentuch zu begraben, "auf eigene Gefahr der Angehörigen", wie dann noch in den Ausführungsbestimmungen steht. Also eben: die wichtigste Forderung - ewige Grabesruhe - geht nicht, aber dann sagt man einfach: Alles andere MUSS dann sein, und das ist dann der Kompromiss.
Das säkulare Friedhofsverständnis der Schweiz
Die Schweiz ist ein offenes Land, aber sie ist halt ein säkulares Land. Die Befürworter dieser Muslimgräber sagten immer: Wir können den Leuten dabei helfen, sich echt zu integrieren. Das ist richtig, das sind Leute, die schon lange hier leben, arbeiten, Steuern zahlen, unsere Nachbarn sind. Aber wir sagen ihnen: Was ist das für eine Integration, wenn wir unsere Regeln anpassen müssen, damit sich diese Leute in unsere Ordnung eingliedern können? Der Friedhof ist säkular in der Schweiz, ist eine Sache der Gemeinde und wer das nicht akzeptieren kann, wie die Juden zum Beispiel, die ewige Grabesruhe wollen, der muss eine private Lösung suchen.»
Man wollte bewusst vom theokratischen Staatsverständnis weg
Zu Zeiten Pfr. Wolfs war Zürich für die Untertanen auf dem Land ein absolutistischer Staat mit zwinglianisch geprägter theokratischer Grundlage. Für den ab 1848 aufgebauten Schweizer Bundesstaat waren konfessionelle Spannungen ein potentiell lebensbedrohlicher Spaltpilz. Zu oft hatten sich die bis dahin noch selbstständigen Stände seit der Reformation aus religiösen Anlässen gegenseitig das Leben schwergemacht, ja sich gar mit Krieg überzogen.
Um dieses inhärent konfliktbeladene Feld einzuhegen, das im Gefolge des Kulturkampfs um 1870 herum erneut aufgeladen wurde (vgl. Unfehlbarkeitsanspruch des Papstes), ist die Bundesverfassung 1874 ganz bewusst mit säkularem Gepräge versehen worden: zum Schutze des Zusammenlebens im Gemeinwesen der modernen Schweiz.
Dazu gehören auch die noch lange in Kraft stehenden Artikel der Bundesverfassung, in denen es um das Jesuitenverbot sowie das Verbot der eigenständigen Errichtung von Bistümern durch die katholische Kirche auf Schweizer Gebiet ging. Auch die Unwählbarkeit von Geistlichen jeglicher Konfession als Mitglieder der eidgenössischen Räte beruhte auf dieser Grundlage.
Quelle und Literatur
- Kontrafunk AKTUELL, Wochenrückblick vom 31. Mai 2025 ab Zeitstempel 17:47.
- Feusi, D.: Weinfelder lehnen Sonderbehandlung für Muslime ab. Nebelspalter online, 18. Mai 2025.
- PaterMcFly et. al.: Konfessionelle Ausnahmeartikel in der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. In: Wikipedia (deutschsprachige Ausgabe), Stand: 13. Januar 2025.
- Brandenberger, U.: Ordnung muss sein. Auch bei Grabmälern. WeiachBlog Nr. 333, 4. Dezember 2006.
- Brandenberger, U.: Selbstmord nach Streit in der Kirche. WeiachBlog Nr. 728, 31. Dezember 2009.
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