Samstag, 14. Mai 2022

Griechensteuern. Kollekte für den griechischen Freiheitskampf

David gegen Goliath. Eidgenossen gegen Habsburger. Ukrainer gegen Putin. Die Sympathien liegen hierzulande eher bei den Kleinen, die sich mit asymmetrischen Mitteln zur Wehr setzen.

Wie David mit der Steinschleuder. Die Eidgenossen mit einem unkonventionellen Hinterhalt am Morgarten. Oder aktuell die Ukrainer mit allen möglichen Defensivtaktiken zu Lande, zu Wasser, im Luftraum und im sogenannten Informationsraum.

Vier Jahrhunderte osmanische Fremdherrschaft

Imperien haben es schwer. Das ging dem Osmanischen Reich mit den Griechen nicht anders. Die wurden nach dem Ende ihrer Stadtstaaten von Alexander dem Grossen zur Leitkulturnation einer hellenistischen Zivilisation, später von den Römern kulturell appropriiert und mit dem Byzantinischen Reich in eine weitere Phase griechischer Identität transformiert. Dann aber schwächelte Ostrom fatal (u.a. auch im Gefolge der westlichen Kreuzzüge). Diesmal hatten östliche Eroberer (anders als weiland die Perser) nachhaltigen Erfolg. Die Osmanen eroberten ab 1359 innert eines Jahrhunderts all diejenigen Gebiete, die heute zu Griechenland gehören. Einzige Ausnahme: die Ionischen Inseln, die seit 1215 unter der Kontrolle der Republik Venedig standen.

Die europäischen Mächte fördern den Freiheitskampf

Und trotzdem überlebte die griechische Identität. Ab dem 22. Februar 1821 entwickelte sich der Griechische Unabhängigkeitskampf – von Anfang weg logistisch, finanziell und ideell unterstützt durch Britannien, Frankreich und Russland – zu einem immer grösseren Problem für die Osmanen.

In Europa war, wie das heute mit den Ukrainern ist, die Solidarität mit den Griechen gross. Auch in der Schweiz. Da wurden Griechenvereine gegründet, Fundraising betrieben, ja einige Zürcher Unterländer zogen gar persönlich für die griechische Sache ins Feld. Unter ihnen war auch der Schöfflisdorfer Johann Jakob Meyer, ein Eidgenosse von etwas zweifelhaftem Ruf, der aber bei den heutigen Griechen wegen seiner Rolle bei der Verteidigung der Stadt Messolongi gegen die osmanische Belagerung 1825-1826 noch heute in hohem Ansehen steht.

Die Gemeinden des nördlichen Zürcher Unterlands spenden

Auch in Weyach wurden namhafte Summen Geldes gesammelt. Man nannte sie Griechensteuern, heute würde man sagen Kollekten, da sie freiwillig beigesteuert wurden. Den Beleg dazu findet man in der Zürcher Freitagszeitung (volkstümlich: Bürkli-Zeitung) vom 18. August 1826:


«An Griechensteuern», heisst es da, «sind dem hiesigen Hülfsverein eingegangen: Von der E.E. Gemeinde Neerach fl. 28 ß. 5. Von der E.E. Civilgemeinde Riedt, Gemeinde Obersteinmaur fl. 6 ß. 37. Von der E.E. Gemeinde Glattfelden fl. 60 ß. 12. Von der E.E. Gemeinde Zell fl. 50 ß. 15. Von der E.E. Gemeinde Weyach fl. 42 ß 20. Von dem Hülfsvereine in Chur fl. 92 kr. 45, welche sämmtlich öffentlich bescheint und verdankt werden.» – «E.E.» steht als Abkürzung für «ehrenwerte».

Die 42 Gulden und 20 Schillinge aus Weiach würden (umgerechnet mit dem Historischen Lohnindex HLI von swistoval.ch) heute ca. 7300 Franken entsprechen.

Innere Wirren bei den Osmanen geschickt genutzt

Diese Aktivität war kein Zufall, sondern letztlich auch propagandagesteuert. Denn 1825 bis 1827 waren entscheidende Jahre in diesem Konflikt. 1825 gelang es nämlich den Osmanen, ihre ägyptischen Truppen mit Landungsoperationen u.a. bei Pylos (italienisch: Navarino) auf dem Peloponnes festzusetzen. Diese Einheiten gingen zu einer Taktik der verbrannten Erde über, heute würde man sagen: Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung (s. den Text von Zschokke unten).

In der Folge drohte die griechische Revolution zu scheitern, was die europäischen Grossmächte nicht zulassen wollten. Die Koalition aus Briten, Franzosen und Russen griff schliesslich aktiv ein, wendete das Blatt und brachte den Osmanen schliesslich 1827 in der Seeschlacht von Navarino eine entscheidende Niederlage bei. 

Der russische Zar nutzte die Schwäche der Osmanen aus und ging ab 1828 militärisch derart erfolgreich gegen den Sultan vor, dass dieser im Herbst 1829 ohne diplomatische Unterstützung aus London und Paris, d.h. Druck auf den Zaren ein Friedensabkommen auszuhandeln, wohl untergegangen wäre. Die Russen standen nämlich bereits in Edirne, nur noch 60 km von Istanbul entfernt.

Von der Flüchtlingshilfe... 

Der ebenfalls im obigen Ausschnitt aus der Bürkli-Zeitung erwähnte Griechenverein dürfte übrigens im Wesentlichen aus Schweizern bestanden haben. Und nicht aus ethnischen Griechen. Ihre Gründung verdankten diese Vereine – wie auch die Hülfsvereine – einerseits der Ankunft griechischer Flüchtlinge im Jahre 1822, andererseits den Nachrichten über die Kriegsverbrechen von 1826. 

Herausgegriffen sei an dieser Stelle eine Darstellung aus Aargauer Sicht, die Emil Zschokke im Jahre 1861 vorgelegt hat:

«Eine lebhafte Theilnahme erregte wie durch ganz Europa, so auch im Aargau, der Freiheitskampf der Griechen gegen die Oberherrschaft der Türken in den Jahren 1821 bis 1828. Im J. 1822 kamen 162 griechische Flüchtlinge nach der Schweiz, wo sie mehrere Monate liegen bleiben mußten, weil ihnen die französische Polizei den Durchpaß nach Frankreich anfänglich verweigerte. Zu ihrer Unterstützung bildeten sich bei uns allwärts Griechenvereine, an deren Spitze der Central-Hülfsverein in Zürich trat. Dreißig dieser Flüchtlinge erhielten Aufnahme im Aargau und wurden hier 6 bis 7 Monate lang beherbergt, gespeist und gekleidet. Die Culturgesellschaft [deren Geschichte Zschokke hier erzählt] nahm sich ihrer sehr thätig an und sammelte theils für ihren Unterhalt, theils für ihre Weiterreise nach Marseille, die ihnen erst nach kräftiger Verwendung des eidgenössischen Vororts [nach dem Bundesvertrag von 1815 der gerade den Vorsitz der Tagsatzung innehabende Kanton (
alternierend Zürich, Bern oder Luzern); 1821/22 war das Zürich] vom französischen Ministerium bewilligt wurde. Für die Griechenhülfe hatte namentlich bei der Versammlung in Schinznach im J. 1822 Pfarrer Schuler, Präsident der Bezirksgesellschaft Brugg, begeisternd gesprochen. Er schilderte das Freiheitsglück des Aargau's und beklagte dann tief das von allen europäischen Mächten verlassene Griechenland in seinem Blutkampfe gegen die Barbarei und Gewaltherrschaft der Osmanen. Er erinnerte, wie wir den Vorvätern dieser Nation einen großen Theil unserer Bildung und geistigen Freiheit zu danken haben, und zeigte, wie es der Schweiz heilige Pflicht sei, Hülfsopfer zu bringen, da wir sonst ohne Erröthen die Dankfeste auf den Schlachtfeldern von Sempach und Näfels nicht mehr begeben könnten. Die Summe der bei dieser ersten Sammlung im Aargau eingegangenen Griechensteuer betrug 3751 Fr. 49 Rp. [entsprechend ca. 440'000 heutigen Franken]»

... zu Waffenlieferungen

«Im Jahre 1826 erschütterte die Kunde von den Gräueln in Peloponnes, auf der Insel Cypern und dem weiland blühenden Chios, wo blutige Leichenfelder zwischen verbrannten Dörfern lagen, und ganz besonders die Nachricht vom Falle Missolunghi's, eines der stärksten Bollwerke des für seine Freiheit ringenden Volkes, ganz Europa. Von Neuem und noch in ausgedehnterm Maße als früher bildeten sich nun wieder in allen Schweizerstädten Griechenvereine und so auch durch die Culturgesellschaft in den Städten des Aargau's. Hier trat Oberamtmann Friedr. Frey von Aarau an die Spitze. Gegen das Jahresende betrugen die Einnahmen schon die Summe von über Fr. 9000 [heute: ca. 1 Mio CHF], die sich später noch durch einzelne Beiträge vermehrte. Ein edler, reicher Schweizer, Eynard von Genf, welcher schon 50,000 livres [heute wäre das ein mittlerer einstelliger Millionenbetrag] aus eigenem Gut für die heilige Sache geopfert hatte, erbot sich zum Empfange der Hülfsgelder aus dem ganzen Welttheile [d.h. Europa]. Nach Eynards veröffentlichter Rechenschaft lieferte ihm die Schweiz franz. Livres 108,158. 69 Cts. ab, die für Munition, Waffen und Lebensmittel verwendet, dem bedrängten Heldenvolke zugeführt wurden. – Die Geschichte lehrt uns, daß diese große und vordem nie in so weiter Ausdehnung in fast allen Ländern des Welttheils zusammengetragene Liebessteuer keineswegs nur eine That gewöhnlicher Barmherzigkeit war, sondern eine Huldigung, welche die Völker gegenüber den Fürsten und Regierungen der Freiheit brachten; und so galt sie auch im Aargau als ein Volksgericht über das scheue Rathsherrenthum, welches sich so unschweizerisch vor den ausländischen Grundsätzen der Legitimität duckte.»

Das Ziehen allfälliger Parallelen zur heutigen Situation ist nun der geneigten Leserschaft überlassen.

Quellen

Keine Kommentare: