Ja, wer die anhat, der hat das Sagen. Hosen tragen hat in unserem Kulturkreis viel mit Symbolpolitik zu tun. Man denke nur an die Frage, die in konservativen Kreisen bis heute verneint wird: ob Frauen sie tragen sollten.
Auch in der Spätantike hatte die Frage, ob Hosen getragen werden sollten, Symbolcharakter. Unter dem römischen Kaiser Honorius (* 384; im Amt von 395 bis zu seinem Tode im Jahre 423) wurde im Jahre 397 das Hosentragen in der Stadt Rom verboten (vgl. ohne Jahresangabe: Demandt, S. 406).
Römer trugen Toga (vor allem, wenn sie freie römische Bürger waren). Für die unteren Klassen waren andere Kleider vorgesehen: solche mit denen man eher arbeiten konnte. Denn eine Toga ist für körperliche Arbeit nicht ideal. Hosen wurden sowohl von Männern wie von Frauen getragen, galten aber als ursprünglich von ausserhalb des Reiches stammendes Kleidungsstück:
«Um 750 v. Chr. übernahmen die Germanen von anderen Völkern, möglicherweise von den Kelten, die knöchellange Hose. Für die Eisenzeit sind Hosen bei den Germanen belegt. Daneben wurden aber auch Beinwickel getragen. Die sehr weiten Hosen ohne Latz wurden in der Taille durch einen Gürtel gehalten. Römer und Griechen lehnten in der Antike die germanischen und gallischen Beinkleider als unzivilisiert und barbarisch ab. Ende des 4. Jahrhunderts, als sie [d.h. die Hose] sich, bei den Soldaten der römischen Legionen beginnend, allmählich durchsetzte, stellte eine Verfügung des Kaisers Flavius Honorius das Hosentragen innerhalb der Stadt Rom unter Strafe, um die ethnisch-kulturelle Abgrenzung zwischen Römer- und Germanentum aufrechtzuerhalten – eine Reaktion auf die steigende Bedrohung durch den Niedergang des Weströmischen Reiches durch germanische Invasionen und darauf, dass sich immer öfter Germanen in Italien, u. a. als Söldner im römischen Heer, aufhielten.» (aus dem Wikipedia-Artikel Hose)
Hosen waren im spätrömischen Reich eine durchaus häufige Erscheinung. Und sie wurden auch im Römischen Imperium selber hergestellt, wie man einer Höchstpreisverordnung aus der Zeit Kaiser Diocletians (284-305) entnehmen kann. Was also sollte dieses Hosenverbot?
Ziviles vom Militärischen trennen
Um das herauszufinden, muss man im Codex Theodosianus nachschauen, einer von Ost- und Westrom gemeinsam zwischen 430 und 438 erstellten Gesetzessammlung, wo dieses Verbot überliefert ist. Da heisst es (CTh. XIV 10,2.):
«Impp. Arcadius et Honorius aa. ad populum. Usum Tzangarum adque Bracarum intra urbem venerabilem nemini liceat usurpare. Si quis autem contra hanc sanctionem venire temptaverit, sententia viri illustris praefecti spoliatum eum omnibus facultatibus tradi in perpetuum exilium praecipimus.»
Der oströmische Kaiser Arcadius und sein weströmischer Kollege Honorius halten hier also fest, dass innerhalb der Hauptstadt (d.h. Rom bzw. Konstantinopel) niemandem das Tragen von Militärstiefeln (tzangi) und Hosen (bracae) zustehe. Wer dagegen verstösst, kann mit lebenslänglichem Exil bestraft werden.
Weitere Kleidervorschriften aus dem Jahre 382 (die im Codex unmittelbar davor stehen) zeigen, was hier vor allem verhindert werden sollte: Dass hochgestellte Personen sich in Militäruniform (mit den bei den barbarischen Söldnern beliebten Hosen und Stiefeln) in der Hauptstadt zeigten. Der zivile Charakter des traditionell für die Armee verbotenen Stadtbezirks sollte damit erhalten bleiben.
Undurchdringliche Glasdecke
In militarisierten Zeiten ist das ja eine durchaus verständliche Anordnung. Man kommt aber nicht umhin, ihr eben auch den Symbolcharakter zuzugestehen, wie er im oben zitierten Artikel aufscheint. Das Hosendekret lässt nämlich auch die Abneigung der obersten Führungsschicht gegen die zunehmende Einflussnahme durch Barbaren erkennen.
Der in WeiachBlog Nr. 1638 erwähnte Patricius Stilicho, der faktischer Regierungschef und Oberbefehlshaber aller Streitkräfte war, besass das römische Bürgerrecht. Erworben hatte es sein Vater, der ursprünglich Wandale (ein Germanenstamm) war und eine Römerin geheiratet hatte. Sein Sohn war also ein halber Secondo. Stilicho konnte eine Nichte des Kaisers Theodosius (dem letzten Herrscher vor der Reichsteilung 395) ehelichen und damit in die obersten Ränge einheiraten. Und: er war sozusagen eine Art lebende Brandmauer. Die hochrangigen Offiziere der weströmischen Armee waren nämlich überwiegend Franken, also rein germanischer Herkunft. Die brauchte Rom zwar dringend zur Verteidigung gegen andere Barbaren. Aber es waren halt eben letztlich nur Barbaren.
Unter den Germanen gab es denn auch bereits seit Jahrhunderten Diskussionen, ob man sich in die römische Kultur integrieren oder sie ablehnen und bekämpfen sollte. Das war schon in der Zeit von Arminius so. Er hatte seine militärische Ausbildung in römischen Legionen erhalten, wechselte dann die Seiten und schlug die Römer 9 n. Chr im Teutoburger Wald mit einer Guerrillataktik (sog. Varusschlacht, bei der mehrere Legionen – über 10 Prozent des Gesamtbestandes der römischen Streitkräfte – aufgerieben wurden).
Der Goten-König Alarich (gestorben 410) war einer derjenigen, die sich mit ihren Leuten im Reich nur insofern integrieren konnten, als sie dort in einer militärischen Rolle letztlich Versorgung suchten (sog. rent seeking), das ursprüngliche römische Erfolgskonzept aber nicht wirklich übernehmen wollten oder konnten. Sie verbrauchten also Ressourcen (annona militaris) und mussten immer wieder feststellen, dass sie eigentlich nicht so wirklich willkommen waren (was sich indirekt und exemplarisch am Hosendekret von 397 zeigte).
Inkompatible Krieger
Die Germanen waren nicht rom-kompatibel zu bekommen (am Beispiel der Alamannen erklärt in WeiachBlog Nr. 169). Wohl auch deshalb, weil sie einerseits eine inhärent rebellische Ader hatten und andererseits ihre eigene Kultur angesichts der als dekadent empfundenen spätrömischen als überlegen ansahen (vgl. auch die Kulturkritik Salvians von Marseille in WeiachBlog Nr. 1404):
«Eine Schlüsselszene für das Selbstverständnis der Germanen im Reich überliefert Orosius (VII 43). Athavulf, der Schwager und Nachfolger Alarichs, hatte 414 in Narbonne Galla Placidia geheiratet. Ein ungenannter vir illustris aus dieser Stadt, der mit Athavulf viel zusammengekommen war, lebte später in Bethlehem, und ihn hörte Orosius zu Hieronymus sagen, Athavulf habe, gemäß seinen eigenen Worten, ursprünglich aus dem Imperium Romanum ein Imperium Gothorum machen und den römischen Namen der Vergessenheit anheimgeben wollen. Er selbst habe für die Gothia das werden wollen, was Augustus einst für die Romania gewesen war. Aber dann habe er, Athavulf, feststellen müssen, daß die Goten in ihrer unbändigen Art nicht bereit seien, sich Gesetzen zu unterwerfen, daß ohne Gesetze jedoch kein Staat zu regieren sei. Darum habe Athavulf beschlossen, seine und der Goten Kräfte zur Erneuerung und Erweiterung des römischen Reiches einzusetzen, da er das Imperium nun einmal nicht umwandeln könne. Dieses Programm entspricht dem politischen Denken der großen germanischen Heermeister der Zeit.» (Demandt, S. 386)
Mit dem vir illustris ist ein hochgestellter römischer Bürger gemeint, der in diesem Fall aus der gallischen Provinz stammte. Leute seines Standes waren entsetzt über das Verhalten des Alarich und seines Nachfolgers, die sich 401 einem Heuschreckenschwarm gleich in Marsch gesetzt hatten (und zwar nach Westen, weil auf dem Balkan nichts mehr zu holen war), dann in Italien versuchten, die Erneuerung des Föderationsvertrags mit Westrom zu erzwingen und als dieses Vorhaben nach dem Tod Stilichos definitiv missglückt war, im Jahre 410 schliesslich Rom plünderten. Dort hatte Alarich, sozusagen als Kriegsbeute, die 22-jährige Enkelin des Kaisers Valentinian I., Galla Placidia, mitlaufen lassen. [Valentinian I. ist der Initiator des Donau-Iller-Rhein-Limes, zu dem die beiden Wachttürme auf Weiacher Gebiet gehörten].
Mit seinen wilden Westgoten, das war Athaulf offenbar klar, war schlicht kein Staat zu machen. Jedenfalls nicht einer von der Ausdehnung und Strahlkraft eines Imperium Romanum. Die Kraft der Reichsidee und ihre überragende ökonomische Potenz (und das damit verbundene Machtentfaltungspotential) wurde von den Germanenfürsten wohl erkannt, konnte von ihnen aber nicht auf eigene Faust reproduziert werden, weil sie von der Nomenklatura, sozusagen dem Tiefen Staat im römischen Herrschaftsbereich, letztlich nicht akzeptiert wurden.
Erst dem Frankenkönig Karl dem Grossen gelang es im Jahre 800 wieder, sich durch den Papst Leo III. die Kaiserwürde verleihen zu lassen. Passenderweise am Weihnachtstag. Und in der Stadt Rom.
Der Verwaltungsunterbau ist geblieben
Was das alles mit Weiach zu tun hat? Nun, der Verwaltungsapparat blieb in unserer Gegend auch nach dem Abzug der Grenztruppen durch Stilicho im Jahre 401 erhalten. Auf diese Strukturen mussten sich die neuen Machthaber stützen. Da es keinem von ihnen gelang, in Rom in die obersten Ränge aufzusteigen und dort dauerhaft die Kaiserwürde zu gewinnen, blieb ihnen nur die Errichtung von regionalen Herrschaftsbereichen, die je ihre eigene Sprache und Kultur entwickelten.
Von den Galloromanen im ehemaligen Helvetien ging kein eigentlicher Separatismus aus. Für diese Bevölkerung war nach so langer Zugehörigkeit zum Imperium die Reichsidee der Leitstern und sie blieb es letztlich noch weitere tausend Jahre. Nur die Überformung durch die neuen Machthaber – die mit den Hosen – führte zu einer schrittweisen Verwandlung in eine neue Kultur.
Dass die Idee dennoch nicht auszurotten war, zeigte der weitere Verlauf der Geschichte mit dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation als einer Jahrhunderte nach Karl dem Grossen entstandenen Nachfolgeorganisation, die bis zum Ende des Ancien Régime Bestand hatte. Und die heute in Form der Europäischen Union (und Anknüpfung an Karl den Grossen) Wiederauferstehung gefeiert hat.
Quellen und Literatur
- CTh.14.10. De habitu, quo uti oportet intra urbem. Imperatoris Theodosii Codex Liber Decimus Quartus. Rom/Konstantinopel 438.
- Demandt, A.: Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian, 284-565 n. Chr. Vollst. bearb. u. erw. Neuaufl. München 2007 – S. 386 (Athaulf); S. 406 (Hosendekret des Honorius).
- von Rummel, Ph.: Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert. Berlin/New York 2007 – S. 157-159.
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