«In der Schweiz würde man eine schwere Strommangellage daran erkennen, dass Frauen und Männer mit zerknitterten Blusen und Hemden herumlaufen. Bereits in der zweiten Eskalationsstufe könnte der Bundesrat den Haushalten zwecks Stromsparen verbieten, ihre Kleider zu bügeln.» -- Christof Forster (NZZ Online vom 23.11.2022)
In alten Häusern findet man sie noch. Elektrische Installationen, bei denen ein ganzes Wohngeschoss samt Küche an gerade einmal einer einzigen 6 A-Sicherung hängt. Wer das nicht mehr im Kopf hat und Mikrowelle und Wasserkocher gleichzeitig betreiben will, dem haut es die Sicherung heraus. Nur eine einzige Steckdose in der Wohnung hat dann noch Strom: die für das Glettise (schweizerdeutsch für: Bügeleisen). Diese Steckdose verfügt über eine separate Absicherung. Und früher wurde auch der Strom für diese Dose anders abgerechnet. Weil halt so ein Glettise im Einsatz viel mehr Strom zupft als eine Glühbirne. Deren Anzahl vor hundert Jahren übrigens auch den Strompreis mitbestimmt hat.
Schlafwandler am Aufwachen
Für die meisten heute Lebenden sind solche Begrenzungen Erzählungen aus grauer Vorzeit. Gedanken macht sich darüber kaum eine(r). Der Strom kommt halt eben aus der Steckdose. Zuverlässig und auf Knopfdruck (solange man die Rechnung bezahlt). Nur deshalb ist die erratische Politik der letzten Jahre überhaupt denkbar geworden. Wären grössere Teile der Stimmberechtigten wacher gewesen und hätten sich zeitig für eine kohärente Stossrichtung eingesetzt, dann wäre der zum Scheitern verurteilten Energiestrategie 2050 schon längst der Stecker gezogen worden. Aber auch in der Schweiz woll(t)en allzu viele Zeitgenossen glauben, man könne grüne Stromträume mit explodierendem Bedarf locker in Einklang bringen.
Die letztlich bewusst herbeigeführte Instabilität der europäischen Stromversorgungsnetze hat nun – kombiniert mit ständig steigendem Verbrauch – dazu geführt, dass sich die Schweizer Elektrizitätswirtschaft (v.a. der VSE), das Bundesamt für Wirtschaftliche Landesversorgung (BWL), die OSTRAL (Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen) und letztlich der Bundesrat in den letzten Monaten sehr intensiv Gedanken machen. Die Herausforderung: wie kann man die inländischen Netze vor dem Zusammenbruch schützen, wenn die Netze europäischer Partner kollabieren und man selber nicht genug produzieren kann?
Wenn es in den Strassen regelmässig knattert
Wenn die heimische Produktionskapazität nicht mehr ausreicht und man die Differenz zur eigentlich nachgefragten Menge (selbst unter Einsatz von beträchtlichen Finanzmitteln) nicht importieren kann, dann sind turnusmässige Abschaltungen ganzer Städte und Regionen letztlich das einzige Mittel, um den Zusammenbruch abzuwenden. So praktiziert das der Kosovo aus Geldmangel schon seit über 20 Jahren. Wenn die heimische Braunkohle (wegen schwankendem Energiegehalt) nicht genügend Strom hergibt, dann muss kontingentiert werden. Die Kosovaren sind sich das gewohnt. Wer während den reihum gehenden Abschaltperioden Strom braucht, der hat ein Aggregat. Das hört man dann auch. Denn dann knattert vor oder hinter vielen Häusern ein privates Kleinstkraftwerk.
«Mikromanagement»? «Verbotsorgie»?
Um es nicht so weit kommen zu lassen, muss man an vielen Punkten den Hebel ansetzen. Auch und gerade beim Verbrauch: den Zwecken, für die elektrischer Strom eingesetzt wird, aber auch bezogen auf die Charakteristika der Strom verbrauchenden Applikationen (Einschaltstrom, etc.).
Wie breit die in Helvetien nun geplanten Massnahmen aufgegleist sind, zeigt die Medienmitteilung vom 23. November. Im Anhang findet man da verschiedene Verordnungen, die auf dem Landesversorgungsgesetz (LVG; SR 531) basieren sowie – besonders wichtig – die dazugehörenden Erläuterungen (im juristischen Fachjargon «Kommentar zu...» genannt)
Nun schnöden Schreiberlinge im Solde der Alten Tante von der Falkenstrasse (a.k.a. NZZ) selbst im Newsteil ihrer Zeitung in geradezu populistischer Manier über die ins Alltagsleben des Bürgers eingreifenden Massnahmen.
Die eingangs zitierte Passage stammt aus einem Artikel, der nicht als Kommentar gekennzeichnet ist. Forster konnte sich den Begriff Mikromanagement dennoch nicht verkneifen. Im Kommentar selber setzt sein Kollege David Vonplon noch einen drauf:
«Erst jetzt, kurz vor Wintereinbruch, hat Wirtschaftsminister Guy Parmelin endlich sein Massnahmenpaket vorgelegt, das die Versorgung in einem solchen Extremszenario sicherstellen soll.»
«Extremszenario»?
Hätte Larmepain, wie er verwaltungsintern auch zuweilen genannt wird, die Massnahmen bereits vor Monaten kommuniziert, dann wäre dies mit Sicherheit auch kritisiert worden. Als verfrüht, überhastet, was auch immer. Denn die Lageentwicklung war und ist ja eine durchaus dynamische. Dafür sorgt schon die von skrupellosen Ideologen befeuerte Energiepolitik in unserem nördlichen Nachbarland. Hand in Hand mit den Folgen des Krieges um die Ukraine. Man wusste also noch im Sommer nicht, wie es herauskommen würde (das war erst nach dem Nordstream-Attentat klarer).
Was NZZ-Journi Vonplon offensichtlich nicht ganz verstanden hat: Das wirkliche Extremszenario wäre ein mehrere Tage oder gar Wochen dauernder landesweiter Blackout, ein totaler Stromausfall in allen 26 Kantonen. Und damit verbunden ein Zivilisationsbruch von potentiell apokalyptischen Ausmassen.
Aber selbst eine Strommangellage (vor der man unser Land mit diesen Massnahmen zu wappnen sucht) wäre gemäss Nationaler Risikoanalyse Katastrophen und Notlagen Schweiz 2020 ein Ereignis, das die Kosten der Corona-Massnahmen in den Schatten stellen könnte (vgl. das Gefährdungsdossier Strommangellage des Bundesamts für Bevölkerungsschutz BABS).
Schon beim oben dargestellten Szenario Gross (12 Wochen Strommangellage mit 30 % Unterdeckung des Bedarfs und zwei Wochen turnusmässigen Abschaltungen) gehen die Experten von aggregierten Schäden im Bereich von 300 Milliarden Schweizer Franken und mehr aus. Da gibt es aber auch noch ein Szenario Extrem. Und selbst dieses basiert lediglich auf einer viermonatigen Unterdeckung von 40 %, dafür aber Netzabschaltungen während 4 Monaten.
Es braucht einen Sinneswandel
Nur zur Erinnerung: die von der NZZ kritisierten Eskalationsstufen-Massnahmen (vgl. Bild unten) mögen vielleicht wie Tropfen auf heisse Steine aussehen. Aber diese Stufen sind auch nur vorbeugende Vorkehren, um das oben beschriebene Strommangel-Szenario à la Kosovo abzuwenden, das notabene auch in vielen anderen Ländern dieser Welt den Alltag prägt, bspw. in der durchaus industrialisierten Republik Südafrika.
Eines der wichtigsten Steuerungsinstrumente ist nun einmal das Verhalten der privaten Verbraucher, die jetzt im Schnellverfahren (wieder) lernen müssen, welche ihrer Strom fressenden Applikationen wie gravierende Auswirkung auf die Netzstabilität haben. Entweder indem sie sehr viele Kilowattstunden fressen oder einen hohen Einschaltstrom fordern, bspw. wenn der Kompressor anläuft.
Ohne ein ordentliches Krisenbewusstsein wird eine Kontingentierung umso unausweichlicher. Wie bei Allmenden, die nicht übernutzt werden dürfen, weil nur eine begrenzte Menge Grünfutter darauf wächst, so muss auch bei der Elektritzitätsversorgung ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass das System an die Grenze gekommen ist. Wenn nötig, mit dem Holzhammer! Die Regelungen, die dabei für den Durchschnittseinwohner herauskommen, mögen kleinlich wirken. Wichtig sind sie dennoch. Und wenn nicht materiell, so doch zumindest psychologisch.
Um den Kreis zum Eingangsstatement zu schliessen: Dieses Lamento über zerknitterte Blusen und Hemden kann auch nur von Angehörigen der komplett abgehobenen Krawatten- und Foulardträger-Kaste (oder einem ihrer Domestiken) herausgeblasen werden. Für die Büezer an der Basis wirken diese Zeitgenossen je länger je mehr wie die Perückenträger des Ancien Régime (vgl. WeiachBlog Nr. 828).
Quellen
- Forster, Ch.: Tempobeschränkung für Autos, kein Netflix mehr: So sieht der Notfallplan des Bundesrats bei einer Strommangellage aus. In: Neue Zürcher Zeitung Online, 23. November 2022, 20:28 MEZ.
- Vonplon, D.: Mikromanagement à la Corona: Die Massnahmen des Bundesrats für eine Mangellage sind Ausdruck seiner Hilflosigkeit. Kommentar. In: Neue Zürcher Zeitung Online, 23. November 2022, 20:06 MEZ.
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