Vor 400 Jahren tobte in Mitteleuropa, namentlich in teutschen Landen, ein mit militärischen Mitteln ausgetragener Konflikt, der da gerade im fünften Jahre war. Er sollte ganze Landstriche entvölkern und noch ein Vierteljahrhundert weiter wüten, bis man ihn mit dem Westfälischen Frieden beendete. Später gab man ihm dann den Namen Dreissigjähriger Krieg 1618-1648.
Mitverantwortlich für die damals seit rund einem Jahrhundert währenden krisenhaften Entwicklungen: die Kleine Eiszeit, die da gerade ihren Höhepunkt erlebte und bspw. in den Niederlanden regelmässig für zugefrorene Kanäle gesorgt hat. Als Beleg dafür gilt auch der Umstand, dass Kunstwerke, die diese zeigen, sich auf die Zeit von 1565 bis 1640 beschränken.
Diese ganzen Entwicklungen haben massgeblich dazu beigetragen, dass sich die im Hochmittelalter und der Frühen Neuzeit noch ziemlich liberale Handels- und Handwerkerstadt Zürich samt ihrem Herrschaftsgebiet zu einem mit theologischem Fundament versehenen Polizeistaat entwickelte. Die Obrigkeit sah es als ihre Aufgabe, den Untertanen jede Art von Verschwendungssucht und Ausschweifungen nach Möglichkeit auszutreiben und begründete dies mit dem Zorn Gottes, der durch solcherlei Fehltritte herausgefordert werde und sich über dem Gemeinwesen entladen könne (vgl. u.a. WeiachBlog Nr. 1885).
Ausschweifungen proaktiv verbieten! Vor allem am Sonntag!
Die geheiligten Tage der Bibel mussten da natürlich besonders geschützt werden, namentlich der Sonntag, an dem man keine Festmähler abhalten sollte. Die – das wusste man aus Erfahrung – hatten ja unweigerlich die Tendenz, in weinselig-fröhliche Ausgelassenheit abzugleiten.
Bereits im Juli 1620 hatte die Zürcher Regierung für die Landschaft ein Mandat betreffend Sonntagsheiligung erlassen, das Ausschnitte des regelmässig verkündeten sog. Grossen Mandats mit dem Verbot verband, an Sonntagen zu heiraten:
«Unserer Gnedigen Herren Burgermeister, Kleinn unnd Grossen Räthen der Statt Zürych, Mandat, unnd Vermanung zum christenlichen Kilchgang, auch Heiligung dess Sonntags nach dem Gebot Gottes und zu Abstellung allerley Unordnung, so an den Sonntagen fürgegangen, widerumb ernüweret, auch in alle Kilchen uff der Statt Zürych Landtschafft geschickt, und offentlich verkündt.»
Wie sich das dann in der Praxis ausgewirkt hat, beschreibt Max Spörri im Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1945:
«Bis 1620 war es üblich gewesen, am Sonntag Hochzeit zu halten. Durch das obrigkeitliche Mandat vom 20. Juli 1620 betreffend Kirchgang und Sonntags-Heiligung wurde dieser Sitte ein Ende gesetzt und angeordnet, daß inskünftig Trauungen in der Stadt und auf der Landschaft nur noch an Dienstagen oder andern Wochentagen, „nach jedes Orts Gelegenheit", stattfinden sollten. In den Eheregistern von Stäfa, Stammheim und Weiach wird auf diese Weisung ausdrücklich Bezug genommen; fortan sollte in diesen Gemeinden nur noch am Dienstag oder Donnerstag, bzw. am Montag oder Dienstag Hochzeit gehalten werden. Aber schon 1627 wurde durch ein neues Mandat verfügt, daß auf der Landschaft auch am Montag nicht mehr getraut werden dürfe, sondern nur noch am Dienstag und den übrigen Wochentagen, ausgenommen Samstags. Das Eheregister von Stammheim erwähnt auch dieses Mandat. Während Jahrzehnten erfolgten nun die meisten Trauungen an Dienstagen, und erst unter dem Einfluß der Aufklärung macht sich auch in dieser Beziehung eine freiere Auffassung geltend.» (Spörri 1944, S. 91)
In der von Campi & Wälchli herausgegebenen Sammlung Zürcher Kirchenordnungen (2 Bände, 1388 Seiten) ist das oben erwähnte Mandat von 1627 nicht enthalten. Wohl aber die (im StAZH-Katalog und der Edition auf den 22. Juli (st. v.) datierten) Weisung von 1620. Nach gregorianischem Kalender wurde sie also am 1. August 1620 (st. n.) erlassen.
Umfassendes, engmaschiges Programm der öffentlichen Sicherheit
Nachstehend ausschnittweise der Originalwortlaut des Mandats, wo es sich zum Heiratsverbot an Sonntagen äussert (S. 613). Zunächst präambelartig die Erwägungen:
«Demnach ist unverborgen / und erfahrt man taeglich / wann an den Sonntagen es syge ze Statt, ald [oder] Land hochzyt gehalten werdent / daß uf soellich tag / die man (wie vor gemeldet) Gott zuo synen ehren fyren soll / alle üppigkeit [Übermut] / lychtfertigkeit / unnd fülleryg fürgadt / und uß der selben hader / zerwürffnuß / und etwan todtschleg erwachsend / daruß dann ferner entstohnd / schwere Rechtshaendel / grosser abgang [Mangel] / und verderben der hußhaltungen / und fygendtschafften [Feindschaft] gantzer vernachbarter Gmeinden. Wann dann die hoche nothurfft erforderet / das soellichem allem / gebürender massen fürkommen / und begegnet werde / wie dann die Eerbarkeit in Statt und Land ab soellichem ergerlichen waesen / und mißbruch deß heiligen Sabbaths (als wir berichtet werdent) ein sonderbar mißfallen tragen / und umb Oberkeitlichs insehen / ein Gottselig verlangen haben soll.»
Gefolgt vom eigentlichen Heiratsverbot an Sonntagen:
«Da so haben wir gantz Christenlicher guoter meinung angesehen / und wellend / Das nun fürohin in unserer Statt und Landschafft die hochzyt an Sontagen gar abgestelt syn soellind / und man allein an den Zinstagen [Dienstagen] so auch zum Baettag geordnet / oder anderen tagen / in der wuchen / noch [nach (Dialektform] jedes orts gelegenheit / die hochzyt halten /»
Abgerundet wird dies durch eine weitere Erwägung, die dem Adressaten (d.h. dem lokalen Pfarrherrn und seinen Kirchenpflegern) auch gleich indirekte Handlungsempfehlungen gibt:
«Doch das zuo verhuetung vil costens / sonderlich by diser jetzigen sondst schweren zyt / da einer deß synen in ander weg bedarff / uff unserer Landtschafft einer ein tag allein hochzyt halten / hiemit wirt mancher junge Gsell / und dienstknecht / von dem yngeryßnen wuohl [Gewimmel, etc.] abgezogen / und daheimb ob syner arbeit behalten / der sonst an Sonntagen erzeltem unwesen mehrmahl zuo synem unglück nochgezogen ist / und wirt dardurch auch ander unheil / wuohl / sünd / unnd laster / vermitten / und der Sonntag noch [nach] dem gebott Gotts / zuo dest mehrer erlangung synes Goettlichen saegens / rechtgschaffen geheiliget.»
Und jetzt stellen Sie sich vor, dass Sie das (wie in der Einleitung des Mandats, s. oben, erwähnt) in der Kirche von der Kanzel herab vorgelesen erhalten. Zum Einschlafen! Immerhin musste sich das nur ein Angehöriger jedes Haushalts anhören, so die Vorschrift für den Kirchenbesuch. Was im Fall von Weiach auch nicht anders ging, denn es hätten schlicht nicht alle aufs Mal in die alte Kirche im Oberdorf gepasst.
Wer hätte das gedacht: Wirtshäuser am Sonntag geschlossen
Konsequenterweise wird weiter oben im selben Mandat auch ein Verbot ausgesprochen, Gasthäuser und Weinschenken an einem Sonntag zu öffnen. Einzig für die im Gasthaus beherbergten auswärtigen Gäste darf eine Ausnahme gemacht werden.
Mit solchen Massnahmen sind praktischerweise auf einen Schlag Probleme der öffentlichen Sicherheit, des Gesundheitsmanagements und der Armutsprävention adressiert. Besonders letzteres. Denn die Dauer von Hochzeitsfeiern wurde – wie man oben sieht – auf einen Tag beschränkt. Mehr war nicht erlaubt, was den ruinösen Wettstreit um soziales Ansehen abgemildert hat.
Diese Wirtshausbeschränkung erinnert uns doch ziemlich an die Coronamassnahmen der letzten drei Jahre. Immerhin hat man damals noch offen darauf hingewiesen, dass – insbesondere junge – Männer gefälligst arbeiten und nicht feiern sollen. Diese Eier haben unsere Regierenden heute nicht mehr.
Quellen und Literatur
- Mandat der Stadt Zürich betreffend Sonntagsheiligung für die Landschaft (Wiederholung eines Ausschnitts des Grossen Mandats der Stadt Zürich), verbunden mit der Einführung des Dienstags anstelle des Sonntags als Hochzeitstag, 1620. Erlassdatum laut Katalogeintrag: 22. Juli 1620. Signatur: StAZH III AAb 1.2, Nr. 17.
- Spörri, M.: Die Pfarrbücher der Zürcher Landschaft als bevölkerungsgeschichtliche und chronikalische Quelle. In: Zürcher Taschenbuch 65 (1945), Zürich 1944 – S. 86-105; hier S. 91.
- Campi, E., Wälchli, Ph. (eds.): Zürcher Kirchenordnungen 1520–1675. Erster Teil. Theologischer Verlag Zürich, Zürich 2011 – S. 609-615, hier 613 [222. Wiederholung des Grossen Mandats (1620)]
- Brandenberger, U.: Turgäuer. Ein jahrhundertealter Weiacher Flurname? WeiachBlog Nr. 1682 v. 29. Juni 2021. [Jakob Näf, genannt «Turgeüwer», war der erste, der in Weiach an einem Dienstag geheiratet hat – und zugleich der letzte an einem Sonntag]
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