Der «Zürcher Unterländer» berichtet sozusagen aus der Vogelperspektive über die innerweiacherische Auseinandersetzung Nummer 1 der Gegenwart. Er titelte am Montag, 5. Juni 2023 (S. 4) mit «Das 30-Millionen-Projekt spaltet Weiach.»
Der Lead-Text zu diesem Artikel von Astrit Abazi ist ebenso knackig: «Die RPK hat empfohlen, ein teures Bauprojekt an der Urne abzulehnen. Allerdings ist noch nicht einmal klar, ob die Abstimmung überhaupt stattfinden kann.»
Besonders dieser letzte Satz dürfte einige Weycher aus der sonst recht angenehmen vorsommerlichen Idylle aufgeschreckt haben. Und der Cliffhanger ist natürlich gewollt. Sie sollen den Artikel hinter der Bezahlschranke lesen wollen und die Zeitung abonnieren.
Gemeinderat im Belagerungszustand
Abazi löst das Rätsel erst am Schluss seines Beitrags auf. Mit dem Titel «Stimmrechtsbeschwerde eingereicht». Damit war spätestens seit Samstag um 05:30 Uhr (als die Online-Version des Artikels erschienen ist) klar: die Kontrahenten bewegen sich weiter in Richtung Eskalation:
«Im Weiteren ist diese Woche noch eine Stimmrechtsbeschwerde beim Bezirksrat gegen die Urnenabstimmung vom 18. Juni eingereicht worden. «Deshalb will man sich nicht zu einem laufenden Verfahren äussern», sagt Gemeindeschreiber Thomas Diethelm auf Anfrage.»
Anders als bei der «Ebianum-Gemeindeversammlung» im Frühjahr 2021, wo es um die Frage ging, ob die Schulanschlussverträge mit Kaiserstuhl und Fisibach gekündigt werden sollen (das hatte eine Einzelinitiative verlangt), wurde diesmal innert der Frist von 5 Tagen nach Veröffentlichung des Beleuchtenden Berichts (online auf der Website zukunft8187.ch sowie als gedruckte Version durch Versand an alle Stimmberechtigten) Beschwerde geführt. Und zwar von derselben Seite, die bereits die Aufsichtsbeschwerde eingereicht hatte (vgl. WeiachBlog Nr. 1918).
Der Bezirksrat hat daraufhin mit Präsidialverfügung vom 26. Mai 2023 den Gemeinderat zur detaillierten Stellungnahme aufgefordert und ihm dafür ebenfalls eine Frist von lediglich 5 Tagen gesetzt. Nach dem verlängerten Pfingstwochenende hatten daher Gemeinderat und Verwaltung eine ziemlich anstrengende Woche. Auf diese Woche bezieht sich Abazi. Eingereicht wurde die auf den 24. Mai datierte Beschwerde aber natürlich bereits in der Vorwoche vor Pfingsten.
Forderung: Verschiebt die Abstimmung und korrigiert die Unterlagen!
Die Beschwerde stellt den Antrag, die Abstimmung sei «zu verschieben mit dem Auftrag an den Gemeinderat, den Beleuchtenden Bericht [...] zu korrigieren, oder das ganze Projekt zur Überarbeitung zurückzuziehen.»
Was kritisiert der Beschwerdeführer? Inhaltlich über weite Strecken die gleichen Punkte wie mit der Aufsichtsbeschwerde. Er moniert insbesondere, dass die Finanzierungsrisiken in dieser Abstimmungsunterlage nicht in genügend klaren Worten beschrieben sind. Oder anders formuliert: durch den Gemeinderat zu schönfärberisch oder gar falsch (!) dargestellt würden.
Besonders explosiv: der Vorwurf einer Falschaussage zu den Entschädigungszahlungen aus dem Kiesabbau auf Gemeindeland. Es stimme schlicht nicht, heisst es in der Stimmrechtsbeschwerde, dass diese Entschädigungen auf den für 2023 budgetierten Zahlen noch bis 2035 gesichert seien, wie im Beleuchtenden Bericht unter Verweis auf Berechnungen der Firma Swissplan behauptet wird.
Nach Aussage des Beschwerdeführers, der auf Angaben der Weiacher Kies AG verweist, sei damit bereits Jahre vorher Schluss, jedenfalls bei den gegenwärtigen Entnahmeraten. Das gilt übrigens auch dann, wenn noch der Kiesabbau im Hasli hinzukommt.
Indirekte Irreführung der Stimmberechtigten
Brisant ist das deshalb, weil in diesem vom Beschwerdeführer mit Zahlen belegten Fall die rund 2 Millionen Franken pro Jahr, die der Gemeinderat den Stimmberechtigten als gesichert hinstellt, auf weniger als die Hälfte zusammenschrumpfen. Mit anderen Worten: Über diese Jahre (bis 2035) gerechnet wird ein zweistelliger Millionenbetrag nicht in der Gemeindekasse ankommen, dessen Eintreffen dem Stimmberechtigten aber im Bericht suggeriert wird.
Wenn man dann noch weiss, dass für 100'000 Franken rund 2.5 Steuerprozent nötig sind, dann kann man sich leicht ausrechnen, was eine an Entschädigungen ausfallende Million ausmacht, die Jahr für Jahr durch Steuergelder ausgeglichen werden muss: 25 Steuerprozente, womit Weiach in der Liga von Bachs und Eglisau ankommen würde.
Selbst wenn man (wie es der Gemeinderat tut) annimmt, dass die Hälfte letztlich (d.h. zwei Jahre später) durch den sogenannten Ressourcenausgleich gedeckt wird (eine Art Sozialhilfe des Kantons an bedürftige Gemeinden, die er vorher besser wirtschaftenden Gemeinwesen, wie z.B. Neerach, abgenommen hat), dann sind das immer noch mindestens 12 ½ Steuerprozente.
Fazit: Um diese mindestens 12 bis 13 (und mehr) Prozent wird der Weiacher Steuerfuss in weniger als fünf Jahren so oder so hochgehen müssen. Ganz unabhängig vom Abstimmungsprojekt. Und zwar zusätzlich zu den im Beleuchtenden Bericht verkauften 6 Steuerprozenten. Auf die ist der Scheinwerfer gerichtet. Die im Finanzplan 2022-2026 bei genauer Analyse ins Auge stechenden Gefahren für die finanzielle Handlungsfreiheit der Gemeinde werden im Bericht zum Bauprojekt «Zukunft 8187» hingegen schlicht unterschlagen.
Fliegen mit falsch anzeigendem Höhenmessgerät?
Exakt dieser Beleuchtende Bericht soll nun aber - so sagen es Baukommission und Gemeinderat selber - für die Stimmberechtigten die einzige Enscheidungsgrundlage darstellen (die bisherigen Informationen hat die Baukommission auf ihrer Website zwar noch drauf, aber gut versteckt). Wer ihn durchliest, muss also wahrheitsgemäss über die Risiken (Chancen+Gefahren) aufgeklärt werden.
Das heisst: nicht nur über Chancen (Neue tolle Gemeindeinfrastruktur!), sondern auch über Gefahren (Was kann schiefgehen? Welche Finanzherausforderungen stehen in Zukunft noch an? Wie steht es mit den Kiesentschädigungen wirklich? Wie hoch wird der Steuerfuss schlussendlich steigen, wenn das Kies ausgebeutet ist? usw.). Es geht schliesslich um einen Richtungsentscheid mit Auswirkungen auf Jahrzehnte hinaus. Die 30 Millionen, die nach einer Annahme der Vorlage vom Gemeinderat sozusagen nach Gutdünken verbaut werden können, sind auch kein Pappenstiel. Vor allem fehlen sie aber danach für anderes.
Die Stimmberechtigten müssen also erkennen können, ob der Gemeinderat eher optimistisch gerechnet hat, oder eben nicht. Und sie müssen das ohne weiteres tun können. Das sind schliesslich in der überwiegenden Mehrzahl weder Bauexperten noch Fachleute für Gemeindefinanzen. Entsprechend muss diese Unterlage auch so verfasst sein, dass ein mit durchschnittlicher Bildung und Lebenserfahrung ausgestatteter Stimmbürger daraus auch ableiten kann, was die Folgen dieses Entscheids sein könnten und ob er in Kenntnis dieser Folgen dazu Ja oder Nein sagen will, ganz nach dem Motto in der Präsentation der Informationsveranstaltung von Oktober 2022, wo mit Bezug auf die Bauplanung von «steinigen Wegen» die Rede war.
Weiss der Stimmberechtigte nach der Lektüre wirklich, wie viel (bzw. wie wenig!) Luft nach unten seine Gemeinde in finanzieller Hinsicht noch haben wird, wenn er zu den Vorlagen des Pakets «Zukunft 8187» Ja und Amen sagt?
Was sagen Aufsichtsbehörden und Gerichte dazu?
Im «Leitfaden Beleuchtender Bericht» der Direktion der Justiz und des Inneren des Kantons Zürich vom Oktober 2022 sind die Kriterien beschrieben, wie ein solcher Bericht aussehen muss. Ein Auszug (Kapitel B.2.1, S. 3):
«Der Beleuchtende Bericht soll den Stimmberechtigten ein umfassendes Bild über die Thematik verschaffen. Dazu sind die wesentlichen Vor- und Nachteile der Vorlage aufzuzeigen.
Gemäss Bundesgericht ist die Behörde zwar nicht zur Neutralität verpflichtet – und darf eine Abstimmungsempfehlung abgeben –, wohl aber zur Sachlichkeit. Sie verletzt ihre Pflicht zu objektiver Information, wenn sie über den Zweck und die Tragweite der Vorlage falsch orientiert (z.B. einseitige, tendenziöse Informationen). Dem Erfordernis der Objektivität genügen Abstimmungserläuterungen, wenn die Aussagen wohlabgewogen sind, beachtliche Gründe dafürsprechen und den Stimmberechtigten eine Beurteilung ermöglichen oder wenn sie trotz einer gewissen Überspitzung nicht unwahr oder unsachlich, sondern lediglich ungenau oder unvollständig sind. Die Behörde muss sich nicht mit jeder Einzelheit einer Vorlage befassen und nicht alle denkbaren Einwendungen, die gegen eine Vorlage erhoben werden könnten, erwähnen. Im Sinne einer gewissen Vollständigkeit verbietet das Gebot der Sachlichkeit indessen, in den Abstimmungserläuterungen für den Entscheid der Stimmberechtigten wichtige Elemente zu unterdrücken, für die Meinungsbildung bedeutende Ge-gebenheiten zu verschweigen oder Argumente von gegnerischen Referendums- oder Initiativkomitees falsch wiederzugeben. [Fussnote verweist auf: BGer 1C_641/2013 vom 24. März 2014, E. 4.2.]
Kurz zusammengefasst, müssen die Gebote der Sachlichkeit, der Transparenz und der Verhältnismässigkeit eingehalten werden. Und es gilt im Allgemeinen zu beachten, dass der Beleuchtende Bericht weder ein Marketinginstrument ist, noch der behördlichen Öffentlichkeitsarbeit dient.»
Die Frage, ob der Beleuchtende Bericht zum Projekt «Zukunft 8187» diese Anforderungen erfüllt, wird nun wohl unausweichlich für Monate oder gar Jahre zum Juristenfutter. Die Konsequenz daraus: Bis eine Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist, d.h. keine der beiden Streitparteien mehr ein Rechtsmittel ergreift oder ergreifen kann, wird auf dem Weiacher Schulareal nicht gebaut.
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