Sonntag, 10. August 2008

Betonierungsrate: ein Brienzersee pro Jahr und Schweiz

Sämtliche Versuche Hitlerdeutschlands, die Metropole an der Themse und andere englische Städte durch Luftangriffe zu zerstören, haben nicht das zustande gebracht, was die Architekten Britanniens seit dem Zweiten Weltkrieg mit London angestellt haben.

So äusserte sich der längst ergraute Thronfolger Prinz Charles in einer Ansprache und zog sich damit den Zorn der Kritisierten zu. Wenn man sich vor Augen führt, welche Bausünden in den letzten Jahrzehnten ganz Europa verunstaltet haben, dann muss man dem blaublütigen Biolandwirtschafts-Unternehmer allerdings Recht geben.

Urban sprawl made in Switzerland

Ausserhalb der Städte sieht es kaum besser aus: wir sind Zeuge der Zubetonierung ganzer Landstriche mit einem undefinierbaren Siedlungsbrei.

Dem «Beobachter» kommt das Verdienst zu, wieder einmal deutlich auf eins der grössten Probleme unseres Landes (und der Welt als Ganzes) aufmerksam zu machen: der friedlichen Zerstörung der Landschaft.

Jede Sekunde werde in der Schweiz ein Quadratmeter Boden verbaut, schreibt der Beobachter. In einem Jahr macht das 60x60x24x365 = 31'536'000 Quadratmeter. 10'000 Quadratmeter sind eine Hektare, hundert Hektaren ein Quadratkilometer. Das wären 31.5 qkm - der Brienzersee misst gerade einmal 29.8 qkm. Effektiv verbaut werden zwar nur 2700 Hektaren pro Jahr.

Trotzdem: das ist zu viel. Viel zu viel. In 40 Jahren macht das nämlich in etwa die Fläche des Kantons Zürich aus! Und meist werden ja nicht etwa unproduktive Berghänge mit Einfamilienhäuschen, Wohnsiedlungen und Strassen zugestellt. Sondern ausgerechnet die fruchtbaren Talebenen.

Ursache: Gemeindeegoismus, Steuerbegehrlichkeiten und zu grosse Bauzonen

Eigentlich hat die Schweiz ja eine Raumplanungsgesetzgebung. Und trotzdem hat man den Eindruck von planlosem Vorgehen. Die Ursache liegt auch bei den Gemeinden, die eifersüchtig ihre oft völlig überdimensionierten Bauzonen hegen. In Weiach ist das nicht anders als in anderen Gemeinden im Unterland.

Die Baulandreserven werden in der Hoffnung verteidigt, neue Steuerzahler und junge Familien anzuziehen, welche entweder mehr Steuergelder oder mehr Kinder für die aussterbenden Schulen bringen. Deshalb werden Flächen eingezont belassen, die man eigentlich nie hätte als Baugebiet bezeichnen dürfen.

Rückgängig machen lässt sich eine Einzonung von Bauland nicht ohne weiteres. Tut man dies, so stehen Schadenersatzforderungen seitens der Grundeigentümer ins Haus. Und man riskiert Aufschreie bei den Steuerverwaltungen. Bauland kostet nämlich locker das 100-fache derselben Fläche in der Landwirtschaftszone. Je nach Lage und Erschliessung oft noch mehr. Rückzonungen haben darum auch Steuerausfälle zur Folge.

Therapie: Bauzonen sofort radikal verkleinern

Letztlich führt aber kein Weg an einer radikalen Verkleinerung der Baulandreserven vorbei. Wir müssen in die Zukunft schauen, müssen wieder überlegen, womit wir die vielen Einwohner dieses Landes in der kommenden, postfossilen Ära ernähren wollen. Ohne möglichst viel gutes Ackerland geht das nicht. Und deshalb wäre auch die Durchsetzung per Notrecht am Platz. Sprich: grossflächige Umzonungen von Bauland in die Landwirtschaftszone.

Das sind wir auch den Gründervätern dieses Landes schuldig. Denn mit welchem Recht überbauen wir bestes Landwirtschaftsland, das unsere Vorfahren mühsam gerodet und jahrhundertelang gepflegt haben?

Quelle
  • Benz, D. & Grossrieder, B.: Verschandelte Schweiz. Ein Land wird zugebaut. In: Beobachter, 16/2008 - S. 22-28.

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