Können Sie sich noch an die grosse Hühnerkopf-Impfaktion erinnern? In den 1980er-Jahren wurden grosse Anstrengungen zur oralen Impfung der besonders für die Verbreitung der Tollwut verantwortlichen Füchse unternommen (sie waren für fast drei Viertel aller Tollwutfälle dieser Jahre verantwortlich).
Spezialisierte Equipen legten ganze Barrieren aus impfstoffpräparierten Hühnerköpfen. In unwegsamem Gelände hat man diese Köder damals sogar aus dem Helikopter abgeworfen. Wegen der Restpathogenität des verwendeten Impfstoffs gegen das Rabiesvirus wurde die Bevölkerung zur Vorsicht gemahnt.
Ab 1991 weniger problematischer Impfstoff
Von späteren Impfaktionen mit einem wesentlich sichereren Impfstoff, die ab 1991 durchgeführt wurden, hat die Öffentlichkeit fast nichts mitbekommen.
Ab 1939 wanderten Füchse, die Träger des Rabiesvirus waren, von Polen her in Deutschland ein und verbreiteten sich immer weiter nach Westen und Süden. Nachdem man im März 1967 den ersten Fuchstollwutfall in Merishausen im Norden des Kantons Schaffhausen verzeichnen musste (vgl. Zanoni et al. 2000, S. 423) und es in den 1970ern in der Schweiz gar drei Tote zu beklagen gab, ging ein Ruck durch das Land. Nach rund dreissig Jahren konnte man dann endlich einen grossen Erfolg feiern. Seit 1999 gilt die Schweiz offiziell als tollwutfrei. Nach 2006 konnte Deutschland dasselbe von sich sagen.
Wildtiere nicht anfassen! Tollwutgefahr!
Ist die Tollwut also besiegt und ausgerottet? Nein, das ist sie nicht. Denn es gibt immer noch Wildtiere, die Träger des Virus sind, so z.B. Fledermäuse (wie gerade im Sommer 2022 im Kanton Bern). Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen schreibt auf seiner Themenseite über Tollwut dazu:
«Die Schweiz ist frei von Tollwut, sowohl bei Haus- wie auch bei Wildtieren. Einzelfälle bei Fledermäusen können dennoch vorkommen. Innerhalb der letzten 40 Jahren ist dies der fünfte Fall (zuvor 1992, 1993, 2002 und 2017).
Es ist wichtig, kranke und verhaltensauffällige Wildtiere nicht anzufassen und die Wildhut zu informieren. Bei einem Biss durch eine Fledermaus ist umgehend ein Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen.»
Wenn man diese Tiere anfassen muss, dann nur mit Wegwerfhandschuhen, denn:
«Das Virus ist im Speichel eines tollwütigen Tieres vorhanden und der Infektionsweg führt fast immer über einen Biss. Aber auch kleinste Verletzungen der Haut und Schleimhäute können das Eindringen des Virus per Schmierinfektion oder Kontaktinfektion ermöglichen.» (Wikipedia-Artikel Rabiesvirus)
Tollwütiger Hund verletzt Menschen in Glattfelden und Weiach
Vor 150 Jahren gerieten auch Menschen aus unserer Gegend in Lebensgefahr. Damals nicht durch einen Fuchs, sondern durch einen Haushund (heute noch für >95 % aller rund 59'000 Tollwuttodesfälle weltweit verantwortlich):
«Laut Bericht des Statthalteramtes Bülach (Zürich) ist in Glattfelden ein wuthkranker Hund abgefangen und getödtet worden, nachdem derselbe daselbst, sowie in der Gemeinde Weiach Personen angefallen und theilweise verlezt hatte.» (BBl 1875 IV 668)
Diese amtliche Verlautbarung aus dem Eidg. Departement des Innern über Tierseuchen in der ersten Hälfte des Novembers 1875 erschien am 20. November 1875 im Bundesblatt und betraf vor allem die Maul- und Klauenseuche (daher wurde im Original auch der Begriff «Viehseuchen» verwendet).
Schon damals haben die Journalisten solche Mitteilungen ausgewertet und in ihren Blättern eingerückt. Die Neue Zürcher Zeitung war da keine Ausnahme, wie der nachstehende Text zeigt:
«Laut Bericht des Statthalteramtes Bülach (Zürich) ist in Glattfelden ein wuthkranker Hund abgefangen und getödtet worden, nachdem derselbe daselbst, sowie in der Gemeinde Weiach Personen angefallen und theilweise verletzt hatte.» (NZZ, 23. November 1875, Erstes Blatt, S. 2)
Die redaktionelle Leistung besteht in der orthographischen Modernisierung des zweitletzten Wortes. Sonst ist das Copy&Paste. Keine neue Erfindung unserer Tage also.
Tollwut ist bis heute unheilbar
Damals gab es noch keine Impfungen gegen Tollwut. Sie wurden erst ab 1885 entwickelt. Ohne Schutzimpfung oder Postexpositionsprophylaxe (PEP) verläuft eine Tollwutinfektion innerhalb von 15 bis 90 Tagen – von sehr seltenen Einzelfällen abgesehen – tödlich.
Die Postexpositionsprophylaxe ist nur innerhalb von 24 Stunden nach der Infektion wirksam. Wenn Sie also nicht Wildhüter sind (mit Schutzimpfung) dann sollten Sie bei einem Wildtierbiss zum Arzt: je schneller, desto besser.
Quellen und weiterführende Artikel
- Uebersicht des Standes der Viehseuchen in der Schweiz auf 16. November 1875. Bundesblatt der Schweiz. Eidgenossenschaft (BBl) 1875, Bd. IV, S. 667-668.
- Neue Zürcher Zeitung, Nummer 594, 23. November 1875 (Erstes Blatt, S. 2).
- Zanoni, R.G. / Kappeler, A. / Müller, U.M.: Tollwutfreiheit der Schweiz nach 30 Jahren Fuchstollwut. In: Schweizer Archiv für Tierheilkunde SAT; Band 142, Heft 8, August 2000, S. 423-429.
- Themenseite über Tollwut des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV.
- Themenseite über Tollwut des Bundesamts für Gesundheit BAG.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen