Donnerstag, 8. Dezember 2022

Mehr als 97% Ja für die Bundesverfassung 1874

Die meisten von uns haben sie noch in voller Rechtskraft erlebt, die Bundesverfassung von 1874. Sie wurde über 125 Jahre hinweg immer wieder teilrevidiert und erreichte damit ein respektables Alter, bis sie dann 1999 durch die heute geltende Verfassung abgelöst wurde. Bei ihrer Annahme hätte wohl kaum einer auf ein so langes Leben gewettet. Denn unumstritten war sie keineswegs.

Schon die Verfassung von 1848 wurde von den im Sonderbundskrieg unterlegenen Kantonen fast durchgehend abgelehnt. Im Kanton Freiburg kam die Zustimmung nur durch Parlamentsentscheid und im Kanton Luzern gar dadurch zustande, dass man alle Stimmenthaltungen als Ja-Stimmen gezählt hatte. Auf ähnliche Weise hatte schon die Gemeinde Weiach der Helvetischen Verfassung von 1802 zugestimmt: 100% Ja durch Stimmenthaltung, vgl. WeiachBlog Nr. 663.

Nach Herumschrauben am Text angenommen

Schon in den 1860ern wurde über eine Revision der ersten Bundesverfassung nachgedacht und 1872 scheiterte ein erster Versuch einer Totalrevision an der Urne. 

Andreas Kley erklärt die Gründe für das Scheitern im Historischen Lexikon der Schweiz so: «Der Verfassungsentwurf vereinte insgesamt zu viele Postulate; seine Gegner rekrutierten sich aus dem katholisch-konservativen Lager und den welschen Föderalisten. In der Abstimmung vom 12. Mai 1872 wurde die totalrevidierte BV mit 260'859 gegen 255'609 Volks- und dreizehn zu neun Standesstimmen verworfen.» 

Dass bereits weniger als zwei Jahre später erneut abgestimmt wurde, mag man in den ehemaligen Sonderbundskantonen als Zwängerei empfunden haben. Zumal in der überarbeiteten Vorlage nun die antikatholische Stossrichtung noch deutlicher zutage trat. 

In den Worten von Kley: «Das knappe Ergebnis bewog die Befürworter zu einem zweiten Anlauf. Es gelang ihnen, die Gegnerschaft auf die Katholisch-Konservativen zu beschränken, indem sie im neuen Entwurf einerseits die Bundeskompetenzen in den Gebieten Armee, Recht und Schule sowie die demokratischen Rechte gegenüber der Vorlage von 1872 abbauten und andererseits die kulturkämpferischen Bestimmungen verschärften. Die reformierten Kantone Appenzell Ausserrhoden, Graubünden, Waadt, Neuenburg und Genf wechselten das Lager.»

In nackten Zahlen präsentierten sich die beiden Abstimmungen dann in der NZZ vom 21. April 1874 wie folgt:


Bemerkungen: In Graubünden stimmten auch 17- bis 19-Jährige ab, die aber offenbar bei obigen Zahlen herausgerechnet wurden. Und im Kanton Freiburg fehlt der Sensebezirk in den Resultaten. An der massiven Ablehnung der neuen Konstitution dürfte das nichts geändert haben.

Die Katholiken waren auch im Kanton Zürich dagegen

Im Kanton Zürich gab es keine einzige Gemeinde, in der kein Ja resultierte. Massgebliche Prozentzahlen an Nein-Stimmen waren lediglich in katholischen Gemeinden wie Rheinau oder Dietikon zu verzeichnen. Im Bezirk Dielsdorf mit seiner damals noch fast homogen reformierten bäuerlichen Bevölkerung war die Zustimmung im April 1874 noch ausgeprägter als 1872, wie man der untenstehenden Tabelle entnehmen kann. In den beiden Spalten links die Ja- und Nein-Stimmen von 1874, im Spaltenpaar rechts die Zahlen vom Mai 1872.


In Weiach stieg der Ja-Stimmenanteil von 83 Prozent am 12. Mai 1872 auf über 97 Prozent am 19. April 1874.

Quellen

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