Das Jahr 1683 war kein gutes für Anna Balthassin von Weyach. Ihre Ehre war für immer beschädigt. Wie eine ledige Frau im 17. Jahrhundert ins Visier der Strafverfolgung geriet.
In der Alten Eidgenossenschaft wurde streng darauf geachtet, dass Beziehungen zwischen Mann und Frau im Rahmen des sozial Erwünschten blieben. Konkubinat, freie Liebe, ein uneheliches Kind? Vergiss es!! Solcher Unordnung wurde im Staate Zürich seit der Reformation nach Kräften und unter Androhung harter Strafen entgegengewirkt.
Da waren Erlasse in Kraft mit Titeln wie «Satzung Unnd Ordnungen der Statt Zürych / über die laster der Huorey und Eebruchs» von 1609. Und es erschienen anfangs Februar 1668 ausführliche Bestimmungen, die «Missbräuche bei der Eheschliessung und andere Unzucht» verhindern sollten. Zielgruppe dieses letzteren Erlasses waren vor allem junge Leute, insbesondere diejenigen weiblichen Geschlechts. Und niemand konnte sich herausreden, davon nichts gewusst zu haben. Dafür sorgte zwischen 1659 und 1693 der bei uns ansässige obrigkeitlich vereidigte Sittenwächter, Pfarrherr Hans Rudolf Seeholzer.
Den Frauen nachsteigen ist verboten!
Nachstehend im Originalton, was junge Leute damals beachten mussten, wenn sie als ehrbar gelten wollten. Nach der üblichen vorangestellten Erörterung der Beweggründe für den Erlass betont die Regierung, dass sie zuvor schon geltende Vorschriften erneuert habe und nun: «[...] bevorderst unser junges volk alles ernst vermahnen lassen / daß sie um ihres eigenen zeitlichen und ewigen heils und wolfahrt willen / sich des naechtlichen umhin schweiffens aussert den haeuseren / in doerfferen / und auf den strassen / alß dadurch vil leichtgfertigkeit und allerley ungutes veranlasset wird / insonderheit des hochaergerlichen / gantz ueppigen [übermütig, leichtfertig] und ehrvergessenen zusamen schlieffens und steigens in die schlafkammeren und gaeden [Kammer; Lager, Werkstatt] / ja gar in die betther / sich gaentzlich muessigen und enthalten thueen /»
Auch wenn er nur auf dem Bett sitzt: Um Hilfe schreien ist Pflicht.
Ledige Untertanen weiblichen Geschlechts wurden dabei ganz besonders in die Pflicht genommen: «dann wofehrn in das kuenftige ein lediges mensch / es were eine tochter / dienstmagd / oder wittfrau / eine mannsperson zu ihr [sich] in ihre kammer kommen oder steigen / auf das beth sitzen / oder gar zu ihro [sich] unter die decke ligen liesse / ob schon dasselbe ihr unbewußt beschehe / sie aber einem solchen leichtfertigen gesellen nicht alsobald die außweisung mit ernst geben / und zu solchem ende [Ziel, Zweck] ihren elteren / meister / und frauen [der Ehefrau des Dienstgebers]/ oder wer zunechst verhanden / um huelff anrueffen und schreyen thete / sollen ein solcher und solche nicht mehr fuer ehrliche menschen / knab und tochter / sonder fuer ein gesind [Gesindel] / so [das] die ehr vermuthwillet / gehalten / auch vor einem ehrsamen Ehegericht / so [wenn] sie deßwegen mit einanderen in Ehestreit kaemen / darum mit gefangenschaft / und in andere wege abgestraft.»
Bei Zuwiderhandlung droht eine Zweitklass-Heirat
Wenn dann dummerweise ein uneheliches Kind geboren wurde, und man übereinkam, eine Heirat sei geboten, dann hatten die Umstände allerdings Folgen: «Und wann je etwann einem Par dergleichen ueppigen leuthen auß sonderbaren ursachen Eheleuht zuseyn zugelassen werden mueßte / denselbigen nicht nur im kranz und schaeppelein [Kränzlein, (kleiner) Kopfputz = Zeichen der Jungfräulichkeit, getragen von der Braut] zu Kirchen zugehen abgeschlagen / sonder auch nach bey ihrer Einsegnung nicht die gegen ehrlichen und keuschen neuen Eheverlobten gewohnte / sonder eine andere dergleichen ueppigen leuthen gezimmende form gebraucht werden.» (Campi/Wälchli, S. 1267-1268)
Auch diese Drohungen hatten nicht bei allen die erwünschte Wirkung, wie man den Einträgen im den Weiacher Kirchenbüchern entnehmen kann, denn da ist immer wieder vermerkt, dass ohne Schäppeli geheiratet werden musste. Anna war das offensichtlich egal. Zumindest im Sommer 1682, vielleicht auch später noch, hat sie sich um die Vorschriften foutiert.
Bussen bzw. Zwangsarbeit für fehlbare Männer
Eine Gewaltenteilung gab es damals auf oberster Ebene noch nicht. Die hohe Obrigkeit war auch gleichzeitig die höchste gerichtliche Instanz. In den Protokollen der Zürcher Regierung, den sogenannten Ratsmanualen ist für Sambstags den 5.ten Maji auf S. 88 folgendes Urteil zu lesen:
«Heinrich Huber von Adorff, wie auch Hans Burkhart v. Baßerstorff der Karrenknecht im Ötenbach, seind beide wegen mit Anna Balthaßarin von Weyach, einem ledigen menschen, begangnen Ehebruchs deßgleichen Felix Wolffensperger der Wagner v. Ober-Uster, wegen mit der dißmal im wellenberg verhafften An̄a Bürklin, Jacob Krämers von Kilchuster, Eheweib, begangne dopplete Ehebruchs, nach der Sazung gebüeßt, in der meinung wan̄ sy die bestim̅te gelt-buß nicht zubezahlen hetten, sy selbige an dem Schellenwerck, die beid ersteren nam̅lich zwer, der letstere aber 4. Monath lang, mit Eisen, abverdienen sollind.»
Wir haben hier also zwei Männer, Heinrich Huber aus dem thurgauischen Aadorf und der in Zürich angestellte Hans Burkhart von Bassersdorf, die sich mit Anna eingelassen hatten und beide zu der in der Satzung über Hurerei und Ehebruch vorgesehenen Geldbusse verurteilt wurden.
Für den Fall, dass sie diese nicht bezahlen konnten, wurde die Strafe bei beiden in je zwei Monate Zwangsarbeit im Schellenwerk umgewandelt. Wenn Sie ein Bild einer sogenannten chain gang in einem US-Bundesstaat im Kopf haben, dann liegen Sie wohl nicht ganz falsch.
Schwangerschaft schob das Strafverfahren auf
Auf Seite 89 kann man die Anweisung an den oben schon erwähnten Pfarrherrn nachlesen:
«Hr: Pfr: Seeholzern zu Weyach [..], die verfüegung zethun, das obgedachte Balthaßarin, nach vollendeter Kind bethi als bald verwahrlich, zu erforderlichen Examine allhar gebracht werde.»
Für Anna war das Urteil noch nicht gesprochen. Sie war in Erwartung und wohl zu diesem Zeitpunkt hochschwanger. Ebendieser nicht zu verheimlichende Umstand könnte auch die Ursache für die Strafuntersuchung und das Urteil gegen Huber und Burkhart gewesen sein. Denn einer der beiden, das hatte Pfr. Seeholzer, ein von ihm beauftragter Kirchenpfleger oder gar die Hebamme im Verhör herausgefunden, musste der Vater dieses unehelichen Kindes sein.
In den Wellenberg gesteckt
Wenige Tage später war es dann soweit. Anna wurde verhaftet und nach Zürich ins Untersuchungsgefängnis mitten in der Limmat gebracht. Unter «Sambstags den 2.ten Junii. Prentb [Anwesend] Herren Burgermeister Escher und beyd Räth.» wird auf S. 112 der Auftrag an die Untersuchungsbehörde (die Herren Nachgänger) erteilt:
«Anna Balthaßin v: Weyach, so wegen begangner Ehebruch und unzuchten in dem Wellenberg verhafft, soll daselbst durch die HH. Nachgänger ernstlich examiniert und ihr außag wider an mein Gn. Hh. gebracht werden.»
Diese Nachgänger waren fleissig und haben übers Wochenende gearbeitet. Jedenfalls ist bereits Montags den 4.ten Junii auf S. 114 (siehe Bild unten) das Urteil gefällt worden:
«Anna Balthaßarin von Weÿach, so sich mit Heinrich Huber v. Adorff und Hanß Burkhardt von Baßerstorff in einfachen Ehebruch vergangen, soll umb solch ihres verbrechens willen 3. Monath lang mit dem Halß Kragen an das Schellenwerkh hinauß geführt, und folgendts nach ernstlichen zusprächen Hr. Pfr: Eßlingers wider ledig gelaßen werden.»
Der Begriff Schellenwerk war laut dem auf historisches Strafrecht spezialisierten St. Galler Professor Lukas Gschwend besonders in der Deutschschweiz und im Süddeutschen gebräuchlich:
«Im alemannischen Sprachraum des 16. bis 18. Jahrhunderts unter anderem in Bern, Basel, Zürich und Luzern übliche Bezeichnung für die öffentliche Zwangsarbeitsstrafe, [...]» (vgl. Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), 15. September 2023)
In diesem HLS-Artikel findet man auch den nachstehenden Kupferstich mit dem Titel Galère des femmes à Berne (Frauen bei der Zwangsarbeit in Bern). Darunter die Erläuterung: «Die abgebildeten Frauen wurden zur öffentlichen Strafe in der Strassenreinigung der Stadt Bern eingesetzt. Sie tragen um ihren Hals die in Schellenwerken als Schandgeräte verwendeten Eisenringe mit daran befestigtem Stiel (Gätzistil).»
Stich nach einer Zeichnung von Jean Jacques François Le Barbier in Band 2 der in den 1780er Jahren publizierten Tableaux de la Suisse [...] von Beat Fidel Zurlauben (Staatsarchiv Bern, T.B. Personen 1122).
So oder ähnlich dürfte es also auch Anna ergangen sein. Die Strafe ging an die Ehre und tat nebenbei auch dem wirtschaftlichen Fortkommen nicht gerade gut.
Campi & Wälchli erläutern den Ansatz der Zürcher Regierung in ihrer Mandate-Edition wie folgt:
«Neben der Eheschliessung mit den daran hängenden Problemen der Gültigkeit bildete der Kampf gegen alle Formen der Unzucht und des Ehebruchs einen Schwerpunkt der Ehegesetzgebung, wobei die Strafen der Tendenz nach verschärft und im Lauf des 17. Jahrhunderts vermehrt auf Ehrenstrafen umgestellt wurden (Ausschluss von Ehrenämtern und von öffentlichen Zusammenkünften, öffentliche Entehrung durch Vorführen in der Stadt, in Gottesdiensten u.dgl.), um den sozialen Druck (den drohenden Gesichtsverlust) auf die möglichen Täter zu erhöhen.» (Campi/Wälchli: Zürcher Kirchenordnungen 1520–1675 – S. XXVIII)
Politikern, Beamten und Pfarrern drohte das Karriere-Aus
Für die drei im Weiacher Fall Verurteilten trat neben Busse und Schellenwerk auch die laut Satzung von 1609 für 5 Jahre geltende Einstellung in der Ehrenfähigkeit. Da keiner von ihnen ein öffentliches Amt bekleidet haben dürfte, war das für sie wohl nicht so wichtig.
Für Gemeindefunktionäre hingegen, und erst recht für einen Bürgermeister, für Ratsherren, Ober- und Landvögte sowie Pfarrer bedeutete eine Verurteilung wegen Ehebruchs die sofortige Amtsenthebung. Danach waren sie für 5 Jahre für jegliche Art von Staatsdienst gesperrt.
Auch ein Untervogt (= Gemeindepräsident) war nach einem Ehebruch für mindestens 5 Jahre weg vom Fenster: «Was dann unser Landtschafft belanget / wie in unser Statt einer / uff den der Eebruch erfunden wirt / nebent der straaff der gfangenschafft und gelts / sich Raths / Grichts und der ehrlichen Empteren unvehig macht. Also soll es sich deren halber uff unser Landtschafft glychergstalt auch verstahn / daß die Eebrecher in bestimpter zyt und maß / weder ze Gricht noch Empteren / Es sygen Undervoegt / Weibel / Eegoumer / Kilchenpfleger Dorffmeyer / Geschwornen unnd anderem nit gebrucht werden.» (Campi/Wälchli, Nr. 192)
Unter den Amtsträgern auf oberster Ebene griff die Regierung also radikal durch, was auch zwingend nötig ist, wenn man den Respekt der eigenen Untertanen nicht innert kürzester Zeit verspielen will.
Besonders hohe Anforderungen wurden laut der Satzung von 1609 verständlicherweise an die reformierten Pfarrer im Zürcher Staatsdienst gestellt. Sie verloren bei einer Verurteilung wegen Ehebruchs nicht nur per sofort ihre Pfarrstelle. Damit waren auch ihre gesamten Einkünfte weg. Erst nach fünf Jahren Bewährung (z.B. als Lehrer) konnten sie sich wieder auf eine Pfarrstelle bewerben. Rückfällige Pfarrer, die ihre Finger ein weiteres Mal nicht von anderen Frauen als ihrer Ehefrau lassen konnten, wurden auf Lebenszeit für den Pfarrdienst gesperrt.
Quellen und Literatur
- «Manual. I. unter Herren Heinrich Eschern Burgermeister. Underschreiber. 1683». Ratsmanuale des Natalrats des Unterschreibers, 1683/1. Signatur: StAZH B II 601 – S. 88-89, 112, 114 [Seiten des Originals].
- Die für diesen Beitrag noch nicht ausgewerteten Untersuchungsakten dürften unter StAZH A 27.112 Kundschaften und Nachgänge, 1682-1683 zu finden sein.
- Campi, E.; Wälchli, Ph. (eds.): Zürcher Kirchenordnungen 1520–1675. Theologischer Verlag Zürich, Zürich 2011 – S. XXVIII [Einleitung], S. 476-481 [192. Strafe von Unzucht und Ehebruch (1609)]; S. 1267-1271 [384. Missbräuche bei der Eheschliessung und andere Unzucht (1668)].
- Gschwend, L.: «Schellenwerk». In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 15.09.2023.
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