Am heutigen Datum, dem 9. Februar 1424, siegelte die Kanzlei des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation eine Urkunde, die weichenstellend war. Sie hat die staatsrechtliche Zugehörigkeit unserer Gemeinde zum Kanton Zürich vorgespurt. So sieht das Schriftstück aus:
Der Text liest sich wie eine Proklamation des Herrschers, König Sigismund (*1368 †1437; ab 1433 Kaiser) aus dem Hause Luxemburg. Der König spricht uns direkt an:
«Wir Sigmund von gotes gnaden Römischer Künig zu allent zeiten Merer des reichs und zu Ungern zu Behem Dalmatien Croatien etc. küng, bekennen und tun kunt offenbar mit disem brief allen den die in sehen oder horen lesen [...]».
Sigismund war nicht nur König des Deutschen Reiches, sondern auch König von Ungarn, Böhmen, Dalmatien und Kroatien. Weitere Titel werden dem Zuhörer gnädigerweise erspart. Denn eigentlich ging es ja in dieser Urkunde nicht um ihn, sondern um seine grössten Gegenspieler (und gleichzeitigen Allierten), die Habsburger. Beziehungsweise um eines ihrer Besitztümer: die Herrschaft Kyburg.
Die Grafschaft Kyburg wird zum Pfandobjekt
Die Habsburger hatten sich nach dem Aussterben der Kiburger im Jahre 1264 die Herzstücke von deren Machtbereich gesichert. Sie hatten also zum Zeitpunkt der Ausstellung dieser Urkunde seit über 150 Jahren die Landeshoheit über grosse Teile des heutigen nördlichen Kantons Zürich inne.
Diese konnten sie aber nur dank vielen kleineren Adeligen halten, die für sie vor Ort präsent waren, Steuern eintrieben, die Gerichtsbarkeit in ihrem Namen aufrechterhielten und für Ordnung sorgten. Das war umso nötiger, wenn man selber als König dauernd auf Reisen war. Ueli Müller beschreibt das Problem im Historischen Lexikon der Schweiz wie folgt:
«Das moderne, auf territorialen Ämtern, Beamten und Geldzahlungen basierende Verwaltungssystem der Habsburger geriet in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Schwierigkeiten; die Herrschaft Kyburg wurde ab 1364 zu einem Handelsobjekt. 1384 gelangte sie als habsburgisches Pfand an die finanzkräftigen Grafen Donat und Diethelm von Toggenburg, 1402 an Kunigunde von Montfort-Bregenz. Die Appenzeller Kriege führten 1407 zu einer Besetzung der Kyburg durch die Appenzeller und Schwyzer sowie zu einer Ausdehnung des Einflusses Zürichs im nahe gelegenen habsburgischen Herrschaftsbereich.» (Artikel Kyburg (Grafschaft, Burg) im e-HLS).
So war das übrigens querbeet durch Europa. Wer sich die Macht sichern wollte, der musste seine Helfer bei Laune halten und war oft auch gezwungen, sich von ihnen Geld zu leihen. Abgesichert wurde die Zahlung durch eine Pfandschaft, aus der sich der Geldgeber dann selber die Zinsen eintreiben konnte.
Habsburger-Herzog Friedrich im Strudel des Konzils von Konstanz
Hier kommt nun die ganz grosse Europapolitik ins Spiel: das Grosse abendländische Schisma. Bereits 1378 wurde ein Gegenpapst gewählt, der in Avignon in Südfrankreich residierte. In den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts wurde es noch bunter. Ab 1409 stritten sich schon drei Männer gleichzeitig, wer als rechtmässiger Inhaber des Stuhls Petri zu gelten habe.
Auf Betreiben von König Sigismund liess Gegenpapst Johannes XXIII. 1414 das Konzil von Konstanz einberufen, um den Streit in Richtung einer Lösung zu bringen. Johannes versuchte es schliesslich mit einem Vorschlag, dass alle drei Päpste miteinander zurücktreten sollten, setzte sich dann aber im Frühling 1415 heimlich aus Konstanz ab. Das gelang ihm nur dank der Hilfe seines Parteigängers, des habsburgisch-österreichischen Herzog Friedrich IV., der mit der Verwaltung der westlichen Besitztümer der Habsburger betraut war.
Von der Eroberung des Aargaus...
Diese Steilvorlage nutzte Sigismund virtuos aus, indem er die sogenannte Reichsacht über Herzog Friedrich IV. verhängte und unter anderem die Eidgenossen dazu aufforderte, dessen Herrschaftsgebiete zuhanden des Reiches zu erobern. [Anmerkung: Günter Katzler nennt den Vorgang eine Befehdung]. Da gab es nur ein Problem: ein 1412 auf 50 Jahre geschlossener Friedensvertrag mit den Habsburgern.
Die Berner hatten am wenigsten Skrupel, liessen ihre Truppen in habsburgisches Gebiet einmarschieren, zogen vor die Kleinstädte und schufen innert weniger Tage vollendete Tatsachen: den bernischen Aargau, der ihnen bis 1798 gehören sollte. Andere eidgenössische Stände sicherten sich Restbestände, so unter anderem die Grafschaft Baden, die zur Gemeinen Herrschaft wurde, wodurch die Eigenossen zwischen Koblenz und Kaiserstuhl an den Rhein vorstossen konnten.
Und es wäre wohl noch so weitergegangen, hätte Friedrich sich nicht umgehend reumütig zu Sigismund begeben und diesen seiner Loyalität versichert, sodass der König die sofortige Einstellung des Feldzuges verfügte. Da die Eidgenossen nun aber nicht im Traum daran dachten, diese Gebiete wieder zurückzugeben, blieb den Habsburgern im Gebiet der heutigen Schweiz südlich des Rheins nur noch Rheinfelden, Laufenburg und das Fricktal, ihre Stammburg war verloren.
... zur Verpfändung der Grafschaft Kyburg
Im weiteren Verlauf des Konzils von Konstanz war ein Mann namens Jan Hus zum Ketzer erklärt und daselbst am 6. Juli 1415 verbrannt worden. Seine Anhänger, die Hussiten, waren entsetzt. Innert weniger Wochen führte diese Exekution in seiner Heimat Böhmen zu einem allgemeinen Aufstand, dem sich auch grosse Teile des Adels anschlossen. Als der böhmische König Wenzel starb und sein Bruder Sigismund (der eingangs erwähnte römische König) auch die böhmische Krone erben sollte, wurde das nicht akzeptiert. Die Aufstände weiteten sich immer mehr aus, sodass Sigismund schliesslich nichts anderes übrigblieb, als mit den Habsburgern gemeinsame Sache zu machen, um die Hussiten niederzuringen.
Vor 600 Jahren waren diese Hussitenkriege bereits in ihrem fünften Jahr (und sollten noch weitere zehn Jahre dauern). Jedenfalls waren sowohl Sigismund als auch Friedrich bestrebt, die Verhältnisse im Einzugsgebiet der Eidgenossen zu stabilisieren, man braucht schliesslich nicht überall heisse Kriegsschauplätze.
Wieso eine Reichspfandschaft?
In der eingangs gezeigten Urkunde genehmigt jedoch der König Sigismund von Luxemburg höchstpersönlich die Übernahme der Herrschaft Kyburg als Reichspfandschaft.
Grad so ganz rehabilitiert scheinen die Habsburger also nach dem Konzil-Eklat trotzdem nicht gewesen zu sein. Das lässt Max Sommer vermuten, der den Ablauf der für die Zürcher günstigen Ereignisse wie folgt beschreibt (MAGZ Bd. 34, H. 1, S. 16-17):
«Längst hatte Zürich Einfluß auf die Grafschaft zu gewinnen gesucht, doch immer ohne Erfolg. Die erste Gelegenheit hiezu zeigte sich nach einer Fehde zwischen den Zürchern und dem Grafen von Montfort: Da einige Ritter den mit Zürich verbündeten Hermann von Hinwil gefangen hatten, nahmen die Zürcher den gefährlichsten Städtehasser, Wilhelm von Montfort, ebenfalls gefangen und behielten ihn als Geisel. Im Vertrag über die Freilassung der beiden Gefangenen konnte die Stadt Zürich einigen Einfluß auf die Grafschaft gewinnen: Montfort mußte versprechen, nie mehr auf der Kyburg zu wohnen und in der Grafschaft keine herrschaftlichen Rechte mehr auszuüben, außer wenn seine Gattin [Kunigunde; eine Tochter der Grafen von Toggenburg] bedrängt werde und ihn zu Hilfe rufe, doch dürfe dies nie gegen den Willen der Zürcher geschehen.
Von der Erwerbung der Grafschaft war Zürich aber noch weit entfernt, denn hätte Montfort sie nicht mehr halten können, so hätten die reichen Toggenburger sie wieder erworben. Allein der Bruch zwischen König Sigismund und Herzog Friedrich von Österreich anläßlich des Konzils zu Konstanz brachte die Zürcher unerwartet rasch an ihr Ziel, da über Friedrich die Reichsacht verhängt worden war. Sein Besitz wurde teils reichsfrei, teils andern überlassen und am 12. März 1417 wurden schließlich alle Lehen und Pfandschaften Friedrichs ans Reich gezogen; Kyburg wurde daher Reichspfand. Im Frühjahr 1418 bot der König die Grafschaft der Stadt Zürich an, als nächstem geldkräftigen Orte; doch führten die Verhandlungen erst [...] 1424 zum Ziel. Der König erlaubte der Stadt, die Grafschaft von der Gräfin von Montfort, die sie nun als Reichspfand innehatte, zu lösen. Einzig dem König, seinen Nachfolgern oder dem Reich sollte das Recht der Lösung zustehen. Am 9. Februar 1424 ging die Grafschaft Kyburg für 8750 rheinische Gulden als Reichspfand an die Stadt Zürich über. Es war dies Zürichs bedeutendste Erwerbung.»
So konnte der Stadtstaat Zürich sich nach dem Erwerb der Herrschaften Regensberg und Bülach im Jahre 1409 auch die Gebiete direkt am Rhein bis an die östliche Stadtmauer von Kaiserstuhl sichern. Einer weiteren Expansion anderer eidgenössischer Stände war der Riegel geschoben.
Weiach wurde an diesem Tag vor 600 Jahren zum nordwestlichen Vorposten des Zürcher Staates.
Quelle und Literatur
- Ffye, H. (Schreiber): Verpfändung von Schloss und Herrschaft Kyburg an die Stadt Zürich, 9. Februar 1424. Pergament-Urkunde mit grossem Majestätssiegel. Signatur: StAZH C I, Nr. 1850.
- Sommer, M.: Die Landvogtei Kyburg im 18. Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung des Gerichtswesens. In: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich (MAGZ), Bd. 34, H. 1 – S. 16-17.
- Müller, U.: Kyburg (Grafschaft, Burg). Artikel im Historischen Lexikon der Schweiz (HLS-DHS-DSS), Version vom 6. November 2008.
- Katzler, G.: In Acht und Bann? Überlegungen zur Frage der Ächtung Herzog Friedrichs durch König Sigmund im Jahr 1415. In: Niederhäuser, P. (Hrsg.): Krise, Krieg und Koexistenz. 1415 und die Folgen für Habsburg und die Eidgenossenschaft. Hier+Jetzt-Verlag, Baden 2018 – S. 43-48.
- Niederhäuser, P.: Zürichs Sprung zum Stadtstaat. Schloss Kyburg bei Winterthur. In: Der Landbote (Winterthur), 9. Februar 2024.
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