Montag, 12. Februar 2024

Bauernchroniken über einen Weiacher Dorfbrand 1559

Brandschutzvorschriften, feuerpolizeiliche Anordnungen, Feuerungskontrolleure. Das Leben als Hauseigentümer ist manchmal ziemlich mühsam. Und kostspielig kann es auch werden, wenn Mängel korrigiert werden müssen.

Aber wenn wir uns vergegenwärtigen, wie es in früheren Jahrhunderten um den Brandschutz und die Feuerwehr bestellt war, dann leben wir heute in fast schon paradiesischen Zeiten. Denn da gab es in unschöner statistischer Regelmässigkeit Fälle, wo ganze Dörfer und Kleinstädte abgebrannt sind. Wegen schlecht unterhaltener Feuerstellen, unvorsichtigem Umgang mit offenen Flammen, usw. usf.

Bisher waren nur Dorfbrände aus dem 17. Jahrhundert bekannt

Auch für Weiach sind Dorfbrände überliefert, bei denen ganze Quartiere abbrannten, besonders für das 17. Jahrhundert (vgl. WeiachBlog Nr. 267). Nach aktuellem Erkenntnisstand ereigneten sie sich in den Jahren 1647 und 1658.

Nun habe ich aber einen chronikalischen Hinweis auf einen früheren Dorfbrand im 16. Jahrhundert gefunden. Und zwar in einem Beitrag von Pfarrer Alfred Farner (1851-1908) und Rudolf Wegeli (1877-1956), der 1898 in der Reihe «Thurgauische Beiträge zur vaterländischen Geschichte» erschienen ist.

Dieser Brand ereignete sich im Jahre 1559, also Jahrzehnte vor der ersten Gemeindeordnung (GO 1596), welche die bisher älteste mir bekannte Vorschrift zur Feuerschau durch Gemeindefunktionäre enthält (vgl. WeiachBlog Nr. 314).

Bauernchroniken. Eine spezielle Textgattung

Die Textgattung, in der wir diese Nachricht über Wyach finden, ist eine mit ganz besonderer Überlieferungstradition. Sie ist, wie die Bearbeiter Farner und Wegeli in ihrer Einleitung darlegen, durch Abschreiben entstanden. Damit gleicht die Entstehung einem Verfahren, das vor den Zeiten des Buchdrucks in Klöstern praktiziert wurde, dem Kopieren einer Vorlage von Hand. Oft bei Nacht, wenn das Tagewerk erledigt war.

Die Bauernchroniken basieren auf Originalen, die ab der Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden sind, und in denen erst einmal die staatlich festgesetzten Weinpreise notiert wurden. Auch andere primär den Landwirt interessierende Angaben zu Witterung und Produktpreisen machen einen guten Teil des Textes aus, was ein weiterer Grund ist, sie mit diesem Gattungsnamen zu versehen. 

Im Raum Zürcher Weinland, Diessenhofen bis Frauenfeld sind auf diese Weise mehr als ein Dutzend voneinander abgeleitete Hefte entstanden, die zum Zeitpunkt der Arbeit von Farner & Wegeli mehrheitlich je im Privatbesitz lokal ansässiger Personen waren. 

Angeregt zu ihrer Arbeit wurden die Chronisten durch Johannes Stumpf, der 1548 sein berühmtes Werk «Gemeiner loblicher Eydgnoschafft Stetten, Landen und Völckeren Chronick wirdiger Thaaten Beschreybung» drucken liess. Aus diesem Buch kopierten sie die älteren Begebenheiten, reicherten sie mit den landwirtschaftlichen Daten an und führten diese handschriftliche Chronik dann in ihrer Gegenwart weiter, mutmasslich ab Ende der 1550er-Jahre.

Was im Jahre 1559 alles merkwürdig war

Lesen wir nun auf den Seiten 9 bis 11 des Separatdrucks, was dem anonymen bäuerlichen Chronisten des Vermerkens würdig erschien:

«1559. Am Kindlitag verbrann dem Hans Schenken zue Uowisen sein Hus samt allem Husrath, usgenomen den Wein im Keller beschach nüt. Es war durch ein 6järig Töchterli mit Namen Annnali mit einem Liecht angezündt worden.»

Mit dem Kindlitag dürfte der Tag der unschuldigen Kinder gemeint sein, mit dem die katholische Kirche am 28. Dezember des in der Bibel überlieferten Versuchs von Herodes gedenkt, durch Ermordung möglichst aller Neugeborenen die prophezeite Konkurrenz für seine Herrschaft aus dem Weg zu räumen.

Denken im Natalstil

Hier zeigt sich auch, dass der bäuerliche Chronist noch im Natalstil gedacht hat. Das heisst: für ihn begann das neue Jahr an Weihnachten. Nach unserer Datierung hat sich der Brand in Uhwiesen somit am 28. Dezember 1558 ereignet, als Annali mit einem Kienspan das Haus ihrer Familie abgefackelt hat (ein Schadenshergang, den wir auch aus der Weiacher Geschichte kennen, vgl. WeiachBlog Nr. 1358).

Lesen wir weiter in der Chronik:

 «Diß Jars gab es etliche Erbidem [Erdbeben] und starke Sturmwind; darvon war Jakob Werli's Hus ingefallen.

Uf den 22 Tag Apperellen verbrunend zue Wyach under Eglisou 6 Fürst, 2 Wiber, 4 Kind und 6 Rinder in einer Schür.»

Von den Chronisten gesehen liegt Weiach (in der damals üblichen Schreibweise Wyach) am Rhein unterhalb von Eglisau. Und an diesem 22. April 1559 brannten bei uns 6 Häuser (Firste) ab, wobei zwei Frauen und vier Kinder ums Leben kamen sowie 6 Rinder in einer Scheune verbrannten (ob diese als separates Gebäude zu sehen ist oder Teil der abgebrannten Firste war, wird hieraus nicht klar).

«Den 27. Tag diß Monats verbrunn zue Husen bi Hohentwiel 1 Hus, 2 Fülli und 16 Schaf.»

Nur fünf Tage später der nächste Brandfall. Diesmal im Hegau. Betroffen war das Dorf Hausen an der Aach (heute Teil der Stadt Singen (Hohentwiel)), das nähe dem Hohenkrähen liegt, einem Millionen Jahre alten Phonolith-Kegel. Auch bei diesem Brandfall wird wieder Verlust an Nutztieren speziell erwähnt, was in Schadenmeldungen anderer Chronisten nicht der Fall ist.

Der Teufel treibt im katholischen Aargau sein Unwesen

«Uf den 30. Tg. Apperellen sach man, daß man vermeint einen Bären (verglicht sich aber einem Thüfel) zue Clyngou uf den Dächeren umbhar laufen, der sprang in die Aaren. Daruf kam ein grausamer Hagel über die Statt, zerschlug inen über die 1000 Guldin Dächer und Fenster.»

Hier war also der Teufel in Bärengestalt im fürstbischöflich-konstanzischen Städtchen Klingnau (am Unterlauf der Aare) zu Besuch. Anders wollte man sich den exorbitanten Hagelschaden nicht erklären.

«Es verbrunend 30 Fürst in einem Dorf ob Basel.

Auch verbrunend diß Monats 80 Fürst zue Herisou im Appenzällerland. Es verbrann inen die Kilchen und zerschmolzent inen die Gloggen, kam inen nützit darvon.»

Ein protestantischer Märtyrer, gerächt durch Gott

Nach diesen fünf Brandfällen folgt ein ausführlicher Bericht über einen konfessionell motivierten Justizmord an einem Steinmetz lutherischen Glaubens, der an einem Gebäude des Luzerner Schultheissen Fläckenstein (wohl dessen Stadtpalais) gearbeitet hatte und von ihm wegen Schmähung des katholischen Glaubens angezeigt worden war. 

Das Luzerner Stadtoberhaupt sei nach der Hinrichtung des Handwerkers innert drei Tagen tot umgefallen. Und der Bauernchronist schliesst mit der Moral von der Geschicht': «Da mag ein jeder fromer Crist wol gedenken, daß dem fromen Steinmetzen größlich Unrächt geschähen seie.»

Weiter geht es wieder mit Brandfällen:

«Den 4. Juni verbrann zue Hinderthüfen ein Hus.»

Gemeint ist eine nicht mehr genau lokalisierbare Abteilung von Teufen am Irchel, oberhalb der Tössegg.

«Uf den 24 Juli verbrunend zue Rechbärg im Klägköü 3 Hüser, 10 Roß, 29 Schwin und Schaaf und 3000 Garben Korn und allem Husrath.»

Gemeint ist das Dorf Rechberg nahe Erzingen im Klettgau, nahe dem schaffhausischen Trasadingen. Und auch hier dürfen die Schadenangaben an Nutztieren und landwirtschaftlichen Produkten nicht fehlen.

«Uf den 15 Tag Herbstmonat [15. September] verbrann das Schloß Goldenbärg bi Andelfingen allerdings; allein kam der hohe Thurn darvon.»

Mannshoher Schneefall Mitte November

Als bei den meisten Chroniken letzten Eintrag findet man zum Jahr 1559 einen zu einem wirklich heftigen Wintereinbruch:

«Uf Sant Otmars Tag [16. November] fiel ein gar tiefer Schnee; der was an vilen Orten eines Mans tief. In solcher Zit war Glaris lutherisch. Die woltent die vier Ort überfallen; so ward inen der Schnee zu tief. Hierinnen war ein Friden in der Güetigkeit zwüschent inen gemacht. Also fin kan es der Allmechtig Gott schicken.»

Gemeint sind die Zentralschweizer Kantone (LU, UR, SZ, OW/NW und ZG), die bis heute traditionell katholisch geprägt sind. Auch hier schimmert wieder die protestantische Volksfrömmigkeit durch. Gott habe mit heftigem Schneefall die Gegner der reformierten Glarner zur Besinnung gebracht. 

Wenn der Papst Gott spielt

Der Eintrag beruht durchaus auf historischen Tatsachen, die Andreas Gäumann (* 1968), reformierter Pfarrer in Bad Ragaz-Pfäfers, wie folgt beschreibt:

«Im Herbst 1559 fassten die Fünf Orte den Plan zur gewaltsamen Rekatholisierung von Glarus. Ob Tschudi das Projekt ausgearbeitet hat, ist nicht sicher zu erweisen. Darnach sollte das Land Glarus während eines Monats militärisch besetzt werden; wer nicht wieder katholisch werden wollte, sollte unter Entrichtung einer Sondersteuer für die Wiederaufrichtung der katholischen Kirchenzierden das Land innert 14 Tagen verlassen und des Landrechtes verlustiggehen. Die Zurückbleibenden hätten in Einsiedeln die Beichte ablegen müssen. Weiter wurden Bestimmungen für die Landsgemeinde und den Rat vorgesehen. Als Geiseln sah man 26 angesehene Evangelische vor. Die Fünf Orte baten in einem Schreiben an Papst Pius IV. um die Unterstützung gegen die Evangelischen. Der Papst liess daraufhin 20'000 Kronen in Mailand deponieren, aber er beharrte darauf, dass dieses Geld aussschliesslich für die Verteidigung, auf keinen Fall für einen Angriffskrieg zu gebrauchen sei. Diese Bedingung trug wesentlich dazu bei, dass [der] Glarnerhandel nicht in einen Religionskrieg ausartete.»

Somit dürfte es also wohl eher der Papst gewesen sein, der hier Gott gespielt hat. Wobei noch die Frage zu klären wäre, ob es sich um Paul IV. (gest. im August 1559) oder doch Pius IV. (gewählt an Weihnachten 1559) gehandelt hat. Von dieser päpstlichen Bedingung hatte unser Bauernchronist wohl keine Ahnung. Also muss es der Wettergott gerichtet haben. Die weitere Entwicklung erläutert Gäumann auch:

«Im Oktober 1560 kündigten die Fünf Orte den evangelischen Glarnern die Bünde. Allerdings kam es nicht zu einem Angriff und zu einem dritten Religionskrieg. Je länger sich eine Entscheidung hinzog, je mehr entstand eine Unstimmigkeit unter den Fünf Orten. Zug, Uri und Luzern distanzierten sich zunehmend von gewaltsamen Massnahmen zur Rekatholisierung von Glarus. Auch das Ausland mahnte zur Einigung, denn der Papst wollte das Konzil von Trient ohne einen neuen Religionskrieg zu einem guten Abschluss bringen. Ausserdem brauchte der französische König dringend eidgenössische Söldner und war [an] einer zerstrittenen Eidgenossenschaft nicht interessiert. Darum griffen der Papst und Frankreich vermittelnd ein. Die Fünf Orte mussten darauf eingehen, dass ein eidgenössisches Schiedsgericht den Glarner Handel beilege

Quellen und Literatur
  • Farner, A.; Wegeli, R.: Bauernchroniken aus den thurgauischen Bezirken Diessenhofen und Frauenfeld, sowie den angrenzenden Gebieten des Kantons Zürich. Separatdruck [e-rara.ch] aus: Thurgauische Beiträge zur vaterländischen Geschichte, Achtunddreißigstes Heft [e-periodica.ch]. Frauenfeld 1898.
  • Gäumann, A.: Die Reformation im Glarnerland. Vortrag, gehalten in Glarus, 21. Februar 2002.
  • Brandenberger, U.: Wieviele Dorfbrände gab es wirklich? WeiachBlog Nr. 267, 30. August 2006.
  • Brandenberger, U.: Kommunale Feuerschau vor 400 Jahren. WeiachBlog Nr. 314, 14. November 2006.
  • Brandenberger, U.: Bukjogglis verlieren ihre irdischen Güter, November 1810. WeiachBlog Nr. 1358, 1. Januar 2018.

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