«Herr Pfarrer muss alle Sonntage in die Kirche gehen, da predigt er. Er hat Konfirmandenuntericht am Mittwoch und am Freitag. Er hat Unterricht im Gemeindehaus.» (Aus: Die Bewohner unseres Dorfes. Sammelheft 3./4. Klasse, 1933/34)
Der hier von Kinderhand im Lehrerauftrag kurz portraitierte Pfarrherr war Albert Kilchsperger-Meierhofer (1883-1947), Weiacher Pfarrer von 1908 bis 1940.
Er musste vor hundert Jahren einen ganzen Fragenkatalog seiner Vorgesetzten zur Periode 1912-1923 beantworten. Zu diesem Visitationsbericht hat WeiachBlog 2010 schon etliche Artikel gebracht, vgl. die Übersichtsseite auf der Website des Wiachiana-Verlags.
Leider sind im Kirchenpflegeprotokoll die Fragen nicht mitprotokolliert. Aber die Antworten zu Abschnitt III. «Sonn- u. Festtagsfeier. Gottesdienste.» lesen sich auch ohne sie recht aufschlussreich:
Männer? Gottesdienst ist nur etwas für hohe Feiertage
«Ad 25. Der Kirchenbesuch blieb seit Jahrzehnten ziemlich gleich, doch lässt er von Seiten der Jünglinge u. Männer zu wünschen übrig.»
Man beachte: Der Herr Pfarrer muss in die Kirche (s. oben), bei anderen Männern ist das nach der Konfirmation sehr fakultativ. Für die religiöse Grundversorgung reicht der Gottesdienstbesuch einer Frau aus dem eigenen Haushalt völlig aus.
Ordnung muss sein
«Ad 26. Die Kontrolle in der Kinderlehre wird allsonntäglich gemacht.»
Ob es sich hier nur um eine Anwesenheitskontrolle gehandelt hat, oder doch eher um Aufsicht aus dem Hintergrund (vgl. WeiachBlog Nr. 1576), ist hier ohne Kenntnis der dazugehörenden Frage nicht ganz klar.
Aus dem herkömmlichen Korsett zu neuen Gottesdienstformaten
«Ad 27. Infolge des schwachen Besuches der Nachmittags-Gottesdienste an Festtagen haben wir die Frage auch schon erwogen, sie durch einen Jugend-Gottesdienst zu ersetzen, u. wären froh, wenn eine Abänderung des Kirchengesetzes uns hiezu Erlaubnis geben würde.»
Auch heutzutage hat die Kirchenpflege mit Vorgaben von oben zu kämpfen, die es ihr nicht gerade erleichtern, nach Bedarf flexibel zu reagieren. Aktuell ist es gerade die Wohnsitzpflicht für die zu wählende Pfarrperson, die die Anstellung einer ebensolchen schon mehrmals verhindert hat. Deshalb hat Weiach seit Jahren nur noch sogenannte «Pfarrstellvertreter».
Von der Sonntagsschule zum Religionspädagogischen Gesamtkonzept
«Ad 28. Es besteht nur eine Sonntagsschule unter der Leitung des Ortspfarrers. Die Kirchenpflege gestattet die Benützung der Kirche u. des Harmoniums u. einer Hauskollekte für die Weihnachtsfeier. Die Eltern sind dankbar für die Mithülfe der Sonntagsschule in der religiö. Erziehung ihrer Kinder. 70 bis 80 Kinder werden von drei Sonntagsschullehrerinnen unterrichtet, die ihrerseits allwöchendlich im Pfarrhaus eine Vorbereitung empfangen.»
Ein Jahrhundert später wird diese kirchliche Aufgabe in Weiach durch eine (ebenfalls nicht in der Gemeinde wohnhafte) Katechetin wahrgenommen, die Unterricht je in der 2. bis 4. Klasse sowie für die Altersstufe der 5.-7. Klasse hält. Die Grundlage dazu bildet das Religionspädagogische Gesamtkonzept der Evang.-ref. Landeskirche des Kantons Zürich.
Predigt von der Kanzel
«Ad 29. Unsere Gottesdienste finden in der alten Form statt, nur die Silvester- u. Neujahrsfeier wird durch Schriftenlektionen, Gedichte u. Gesänge des Männerchores bereichert.»
Gerade an diesem Satz erkennt man die konservative Haltung auf Landschaft. Das Erfinden neuer Liturgien steht nicht zuoberst auf der Wunschliste.
Ohne Laien geht es nicht. Ohne Frauenstimmrecht schon.
«Ad 31. Laien werden heran gezogen zur Sammlung "für die Jugend" u. "für das Alter", für die Sonntagsschule und für die Baslermission. Laienarbeit ist das Nähen u. Stricken im Arbeitsverein, die Verteilung verschiedener christl. Kalender etc.
Das Frauenstimmrecht wird hier weder von den Männern noch von den Frauen begehrt.
Einziehend[e] Protestanten werden in der Regel vom Ortspfarrer besucht u. willkommen geheissen zu unsern kirchl. Veranstalltungen.»
Wir sehen hier Pro Juventute (Landesverband gegr. 1912) und Pro Senectute (gegr. 1917; mit bis heute aktiver Ortsvertretung) als bereits etablierte Institutionen. Die Baslermission (gegr. 1815; heute Mission 21) ist ein in der Entwicklungszusammenarbeit mit dem Globalen Süden tätiges evangelisches Missionswerk mit Sitz in Basel.
Mit dem «Arbeitsverein» ist der Frauenverein der Arbeitschule Weiach gemeint, die Vorläuferorganisation des Frauenvereins Weiach (unter diesem Namen 1929 konstituiert), vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 59. Für die Statuten 1908 vgl. WeiachBlog Nr. 1529.
Und: Bis zur Einführung des Frauenstimmrechts auf kirchlicher Ebene hat es dann noch exakt 40 Jahre gedauert, vgl. WeiachBlog Nr. 1154.
Quelle und Literatur
- Evang.-ref. Kirchgemeinde: Kirchenpflegeprotokoll Weiach, 1924 – S. 404ff. Signatur: ERKGA Weiach IV.B.6.3. [Stand Dezember 2007, vgl. StAZH GA 157.12]
- Die Bewohner unseres Dorfes. Sammelheft 3./4. Klasse, 1933/34 [Sammlung Ortsmuseum Weiach, ohne Signatur]
- Brandenberger, U.: 50 Jahre Frauenstimmrecht in kirchlichen Angelegenheiten. WeiachBlog Nr. 1154, 29. Januar 2014.
- Brandenberger, U.: Die Statuten des Frauenvereins der Arbeitschule Weiach, 1908. WeiachBlog Nr. 1529, 18. Juni 2020
- Brandenberger, U.: Wenn der Sigrist für Ruhe und Ordnung sorgen muss, 1839. WeiachBlog Nr. 1576, 11. September 2020.
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