Mittwoch, 14. Februar 2024

Römischer Wachtturm auf Leebern zu Kalk gebrannt?

Die in die nördlichste Sektion des Weiacher Dorfbachgrabens abgekippten Fundamentreste östlich des Baches werden in der Fachliteratur und den Inventaren der Kantonsarchäologie als römischer Wachtturm geführt. Der Grundriss wird aufgrund der einen erhaltenen, mehrfach zerbrochenen Mauerlinie auf 16x16 Meter mit 2.5 Meter Dicke geschätzt: fast das Fünffache der Grundfläche des Wachtturms im Weiacher Hardwald! 

Diese Ausmasse werfen die Frage auf, ob es sich hier wirklich um einen einfachen Wachtturm gehandelt hat. Trotzdem wird diese Fundstelle auf Leebern in der aktuellen Forschungsliteratur als Warte Nr. 35 geführt (bei Armbruster 1960 noch Nr. 29).

Die Diskussion dieses Rätsels sei einem späteren Beitrag vorbehalten. Hier geht es in der Folge um die Frage, wie das Bauwerk wieder verschwunden ist. 

Diskussionsbeitrag der Universität Basel

Gabriela Anliker hat im Jahre 2018 eine Proseminararbeit geschrieben, die für die Weiacher Ortsgeschichte von grossem Interesse ist. 

Sie führt in der Diskussion ihrer Arbeit offene Fragen und mögliche Deutungen auf:

«Ist die vollständige Zerstörung des Wachturms Leebern mit dem unbeständigen und unsicheren Terrain zu begründen, oder gibt es weitere menschliche Einflussfaktoren?

Auf demselben Terrain wurde südöstlich des Wachturms ein frühmittelalterlicher Friedhof ausgegraben. Den frühmittelalterlichen Menschen war der Wachturm daher wohl bekannt.

Dies spricht für die wahrscheinliche Annahme des Abbaus des Wachturms bis auf die Fundamentmauern für die frühmittelalterlichen Kalkbrennöfen.»

Eine interessante These, die eine mögliche Erklärung für das nahezu vollständige Verschwinden eines für die damalige Zeit in unserer Gegend doch sehr grossen und massiven Bauwerks liefert. 

Frühmittelalterliche Kalköfen?

Aus der Sicht der Weiacher Ortsgeschichte sind einige weitere Überlegungen anzustellen. Waren es wirklich bereits die frühmittelalterlichen Bewohner (von einem ist ein Skramasax  – d.h. ein Schwert  – als Grabbeigabe erhalten geblieben), die sich (aus heutiger Archäologensicht) als «Steinräuber» betätigt haben?

Zu berücksichtigen ist, dass die ab dem 7. Jahrhundert zahlenmässig dominierenden Alamannen eine ausgeprägte Holzbaukultur pflegten, wie man an vielen Pfostenlöchern erkennen kann, dem einzigen Relikt, das von diesen Bauten stammt. Die bis ins Hochmittelalter relativ tiefe Bevölkerungsdichte dürfte Holzressourcen nicht bereits derart limitiert haben, dass man gezwungen war, breitflächig auf Fachwerkbau umzusteigen, um mit den wenigen zur Verfügung stehenden Stämmen auszukommen. Und selbst dann sind meist nur die Fundamente gemauert worden. Die Ausfachungen hat man mittels Stecken ausgeführt, die abschliessend mit Lehm oder Tierdung verstrichen wurden, eine Bauweise, wie sie selbst im 19. Jahrhundert in unserem Dorf noch gang und gäbe war, zumindest in den oberen Stockwerken, bezeugt z.B. im abgebrochenen Kleinbauernhaus Chälenstrasse 23.

Abbau für den Bau von Kaiserstuhl?

Falls der Kalkhandel in Richtung städtischer Zentren nicht schon im Frühmittelalter (d.h. bis ca. ins Jahr 1050) zum Abbau der Ruine geführt hat, dann dürfte in der nächsten Umgebung der Turmruine auf Leebern der Stein- und Kalkhunger erst im Spätmittelalter (d.h. ab 1250) so richtig eingesetzt haben. 

Und zwar mit der Gründung des Städtchens Kaiserstuhl (nach aktuellem Forschungsstand auf ca. 1255 datiert). Eine in Weiach domizilierte Ziegelhütte musste neben Ziegeln v.a. auch Kalk für den Bedarf der Stadt sowie der Schlösser Rötteln und Schwarzwasserstelz zu einem Vorzugspreis liefern. 

Diese Ziegelhütte ist seit 1421 urkundlich nachgewiesen, dürfte aber bereits wesentlich früher existiert haben: Möglicherweise ist sie sogar eigens für den Bau der Stadt gegründet (oder zumindest ausgebaut) worden. Und was liegt näher, als an der Oberfläche verfügbare Steinhaufen für eigene Zwecke zu nutzen, anstatt Kalkrippen (die ja in unserer Gegend durchaus auch vorhanden sind, vgl. diejenige unmittelbar westlich des Rheinhofs im Griesgraben) in mühevollerer Arbeit bergmännisch abzubauen?

Nicht von den Römern und doch irgendwie römisch?

So könnte es also sein, dass Kaiserstuhl zwar nicht Solium Caesaris ist, wie früher behauptet  (vgl. u.a. Ebel 1810), aber eben irgendwie doch römischen Ursprungs. Und wenn es nur der dank spätantiker Fortifikationsbestrebungen leicht zu beschaffende Kalk wäre.

Trifft die im obigen Abschnitt entwickelte Annahme zu, dann wäre es möglich, dass noch weitere Steinbauten in Weiach (Ref. Kirche, heutiges Pfarrhaus, alte kath. Kapelle im Bedmen) oder ennet dem Rhein die Kirche St. Marien Hohentengen von 1520 zumindest teilweise ebenfalls dank römischem Baumaterial entstanden sein könnten.

Die Ironie der Geschichte wäre dann, dass laut Lutz 1822 der Weiacher Ziegler in Verfall gekommene Gebäude in der Stadt Kaiserstuhl angekauft und als Steinbruch genutzt habe, um Kalk zu brennen. Habent sua fata lapidi.

Quellen und Literatur

  • Ebel, J. G.: Anleitung, auf die nützlichste und genussvollste Art die Schweitz zu bereisen. Dritter Theil. Dritte sehr vermehrte Auflage. Zürich 1810 – S. 241.
  • Lutz, M.: Geographisch-statistisches Handlexikon der Schweiz für Reisende und Geschäftsmänner. Enthaltend vollständige Beschreibungen der XXII Kantone, deren Bezirke, Kreise und Aemter, so wie aller Städte, Flecken, Dörfer, Weiler, Schlösser und Klöster, auch aller Berge, Thäler, Wälder, Seen, Flüsse und Heilquellen, in alphabetischer Ordnung; nebst einem Wegweiser durch die Eidsgenossenschaft sammt Nachrichten für Reisende über Postenlauf, Geldeswerth und Gasthöfe. Aarau 1822  – S. 58.
  • Armbruster, L.: Die Lindauer Heidenmauer. Unsere verkannten Römertürme. Biene-Verlag, Lindau-Giebelbach 1960 – S. 15.
  • Anliker, G.: Fortsetzung der detaillierten Aufnahme der spätantiken Wachtürme am Hochrhein-Limes. Wachtürme der Gemeinde Weiach, Kt. Zürich. Proseminar Einführung in die Provinzialrömische Archäologie FS 2018. Departement Altertumswissenschaften. Universität Basel. Unpublizierte Proseminar-Arbeit, Heimenhausen 2018 – S. 16.

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