Freitag, 30. August 2024

Das Pflugfest in Weiach, 2. August 1849

In der Bibliographie der schweizerischen Landeskunde findet man folgenden Eintrag: «Lokalverein, Landwirthschaftlicher, Weiach, Das Pflugfest in Weiach. Zürich, Meyer & Zeller, 1849.  4 1/2 S.  8.  (Schweiz. Zeitschrift für Landwirtschaft. IV. Bd., Nr. 8.)» Die «8» vor der Klammer steht für das Papierformat: Oktav

Die genannte Zeitschrift war eines der beiden Publikationsorgane des 1842 gegründeten Vereins für Landwirthschaft und Gartenbau im Kanton Zürich:


Als dritter Beitrag in der oben abgebildeten No. 8, August 1849 ist auf den Seiten 120 bis 124 der bibliographisch referenzierte Bericht aus der Feder eines Weiachers abgedruckt. WeiachBlog bringt ihn hier zum 175-jährigen Jubiläum des Ereignisses im vollen Wortlaut. 

Der im Bericht erwähnte Gemeindsverein ist die unabhängige, nach den Zielen des auf Kantonsebene bestehenden Vereins im Herbst 1846 gegründete Vereinigung, deren Exponenten auch die Ortsbeschreibung 1850/51 über Weiach verfasst haben. Vgl. dazu die Einleitung von Wiachiana Fontes Bd. 3, sowie zu unten erwähnten Personen: S. 3 (Oberst Heinrich Schinz, alt Regierungsrat) u. 33 (Altenberger, Schloss Rötteln); PDF, 8.9 MB.

Wir wollen das selber ausprobieren

Pflugfeste waren in diesen Jahren eine Gelegenheit zum Austausch über neue Errungenschaften der Bodenbearbeitungstechnik. Sie berücksichtigten, dass nichts besser wirkt als die direkte Anschauung. Denn Landwirte sind Praktiker. Die glauben und kaufen, was fassbar ist und gute Ergebnisse bringt. Nur wer vor Ort sieht, mit welchem Pflug welches Resultat erzielt wird, der kann überzeugt werden. 

Das Pflugfest in Weiach.

«Auf Veranstaltung des Gemeindsvereines hatte am 2. August in Weiach ein dreifaches Pflügen statt. Die Anregung dazu verdankte der Verein einem Vortrag über die verschiedenartige Konstruktion der Pflüge und darauf folgender Demonstration an einem hiesigen Landpfluge, wodurch Herr Oberst Schinz von Zürich das Interesse und die Aufmerksamkeit manches ältern und jüngern Landwirthes der Gemeinde in solchem Maße weckte, daß der Wunsch einmal in der Nähe zu sehen, was man an den bisher abgehaltenen größern Pflugfesten nur von ferne beobachten konnte, immer reger wurde. In der Versammlung des Vereins vom 8. Juli erhielt daher der Vorstand den Auftrag: "die nöthigen Einleitungen zu einem Probe- und Wettpflügen zu treffen, das nach eingesammelter Ernte stattfinden solle und Herrn Oberst Schinz zur Leitung desselben einzuladen." Demzufolge wurde obenerwähnter Tag zu diesem Zwecke angesetzt.»

Man stelle sich dieses Tempo vor: Damals gab es noch keine Telefone, nur die Briefpost!
 
Sechs Pflugmodelle im direkten Vergleich

«Am frühen Morgen vereinigte man die durch die Gefälligkeit der Herren Zeller-Zundel in Zürich, Ernst in Zollikon, Altenberger in Rötheln [Schloss Rötteln vis-à-vis Kaiserstuhl] und Baltensberger in Neerach beigebrachten Pflüge auf einem zwar nicht ganz steinfreien aber dennoch leicht abzupflügenden Stoppelfelde. Die Pflüge waren in folgender Ordnung aufgestellt:

Nro. 1 der in Weiach übliche zweiseitige Pflug mit gerader hölzerner Riester und auf dem Geschaller eingehängtem Gründel.»

Laut dem Deutschen Wörterbuch von Jakob & Wilhelm Grimm ist der Geschaller oder Beschaller das Schweizer Wort für das Vordergestell am Pflug (mit Verweis auf Franz Josef Stalder, den Pionier des Schweizerischen Idiotikons). Mit dem Gründel ist in der Regel der Pflugbaum gemeint, das heisst die hölzerne oder eiserne Tragstruktur. Gemäss den Grimms kann aber auch «der die erde aufschlitzende 'pflugnagel', das 'pflugeisen, pflugmesser'» gemeint sein. Riester oder Streichbrett nennt man die Einrichtung, die den von Schar und Sech abgeschnittenen Bodenstreifen anhebt und zur Seite wendet.

«Nro. 2 ein von Boller und Leemann in Hirslanden verfertigter zweiseitiger Pflug mit Vorsteckbrett und über die Griessäule vorgeschobener stark mit Blech beschlagener Riester und am Geschaller angehängten Gründel.» 

Die Griessäule ist die Verbindung zwischen der Sohle und dem Pflughaupt, beides Elemente, die die Regulation von Tiefe und Richtung ermöglichen.

«Nro. 3 ein Kehrwegetzenpflug von Studer mit breitem Schar und zwei auszuwechselnden gebogenen Blechriestern, mit Vorwagen geführt, in welchen der Regulator eingesteckt wird, (eine Vorrichtung denselben ohne Geschaller zu führen, wurde nicht benutzt.)

Nro. 4 ein Elsasserpflug einseitig mit gebogener fester Blechriester links wendend, mit Vorwagen. [S. 121]

Nro. 5 ein Schwerzischer oder Hohenheimer Pflug, einseitig mit gewundener Riester, mit Stelze.

Nro. 6 ein Dombasl'scher Pflug, einseitige Schar, feste Eisen gegossene Riester ohne Vorgestell (Schwingpflug).»

Viel Fachchinesisch. Um einen Gesamteindruck davon zu erhalten, wie diese Pflüge ausgesehen haben dürften, sei an dieser Stelle auf die Website pflugmuseum.ch von Erich Schwaninger, Guntmadingen SH, verwiesen. Dort findet man auch eine Erklärung für die Bestandteile der Pflüge, sowie zu Fachbegriffen, wie dem Unterschied zwischen Schwingpflug, Stelzpflug, etc.

«Das Gespann für sämmtliche 6 Pflüge wurde auf sehr zuvorkommende Weise von den Mitgliedern des Vereins unentgeldlich geliefert.

Nach dem Programm war für jeden Pflug ein Aufseher bestellt und nachdem diese in der Kehrordnung sämmtliche Pflüge verglichen, wurde auch allen anwesenden Landwirthen Gelegenheit geboten, jeden derselben zu probieren und ihr Urtheil darüber abzugeben. Man hieß daher diese erste Probe die Vergleichsprobe.»

Bitte keine störungsanfällige Technik

«Das allgemeine Urtheil anerkannte die Vorzüge der Pflüge 5 und 6 für das Durcharbeiten von tiefgründigem Boden und schloß auch Nro. 4 nicht von dieser Bemerkung aus, obgleich man dessen Riester für zu kurz hielt; dagegen aber schien die Ungewohnheit mit einseitigen Pflügen zu fahren, ein noch zu mächtiges Hinderniß für deren Einführung, "da alle kurzen Pflüge eine größere Aufmerksamkeit von Seite des Pflug-Halters erfordern." -- Man mißkannte sodann auch nicht die gute Arbeit, welche der Pflug Nro. 3 machte, allein die viele Mechanik und die Gebrechlichkeit seiner Theile (z. B. der Zäpfchen, mit welchen die Riestern in ihrer Lage erhalten werden), machen das Umwenden langwierig und beschwerlich und die Pflüger besorglich für den Aufenthalt in der Arbeit bei vorkommenden Reparaturen. 

Aber vor allen stellte der verbesserte Landpflug Nro. 2 jedermann zufrieden, wegen seiner einfachen soliden Mechanik, seinen gerade gestellten Sechen und hinterlassenden reinen Furchen. Nur wünschte man (für den vorliegenden Boden?) eine geradere senkrechtere Stellung der Riesterfläche. Ref. [d.h. der Verfasser dieser Zeilen, der Vereinsaktuar] kann nicht unterlassen, beizufügen, daß es ihm auffiel, wie ohne allen Anstand sämmtliche Pflüger mit diesem angehängten Pfluge arbeiteten, ohne eine Bemerkung darüber zu machen, daß um einem Widerstand im Boden zu begegnen die umgekehrte Anwendung des Druckes und des Leiters der Geizen (im Vergleich zu dem Landpflügen mit eingehängtem Gründel) statt finden mußte, ein Beweis daß man [S. 122] auch an das Pflughalten ohne Vorwagen und Geschaller sich bald gewöhnen würde.»

Man sieht hier sehr deutlich, was Gewohnheit bewirkt. Geräte, die man kennt, werden bevorzugt: Lieber eine Modifikation des althergebrachten Pflugsystems als eine völlige Neuerung. Die muss dann schon revolutionär sein, damit grössere Teile der Bauernschaft auf sie umsteigen. 

Es kommt auch auf den Boden an, welcher Pflug gut abschneidet

«Nach einer kurzen Pause verfügte man sich auf einen alten Luzerne-Acker, wo nach dem Programm durch dieselben 6 Pflüge, gleichzeitig ein Stück ausdauernd durch dafür ausgewählte Pflüger hätte abgepflügt werden sollen, um darnach den Werth der Pflüge für die vorliegende Arbeit und Bodenbeschaffenheit zu beurtheilen. Das Urtheil der Experten gab den Geschallerpflügen den Vorzug vor den andern. Einige wollten zwischen den Leistungen von Nro. 1 und 2 keinen Unterschied machen, andere aber fanden die Narbe durch letztern besser umgelegt. Der Kehrwegetzenpflug Nro. 3 zeigte sich nicht geeignet für diese Arbeit und hinterließ eine schlechte Arbeit. Dem Pflug Nr. 4 wurde allgemein in diesem Felde der geringste Werth beigelegt; zwischen Nro. 5 und 6 blieb die Wahl unentschieden, namentlich aber wurde bemerkt, daß Nro. 5 die Furchen nicht genug umlege. Offenbar ging 4 schlecht und 3 gar nicht ein und auffallend war wie 6, nachdem man 2 Ochsen abgespannt, und sonach nur mit 2 Zugochsen daher fuhr, weit egaler und besser umwendete, während Nro. 1 viele Böschen nur aufstieß statt umlegte und mit 2 Ochsen nicht durchgekommen wäre. Festere Resultate konnten bei der, wenn auch kurzen, doch ziemlich ermüdenden Arbeit nicht gewonnen werden.»

Dass der Dombasle-Pflug mit nur zwei Ochsen vorgespannt durch diesen Luzerne-Acker kam, der in Weiach übliche Pflug (Nro. 1) jedoch nur mit der doppelten Zugleistung, das dürfte einigen der anwesenden Landwirte schon zu denken gegeben haben.

Ein militärisches Intermezzo stört den Ablauf

«Nachmittags wurde das auf 3 Uhr festgesetzte Wettpflügen, für welches sich 20 meist jüngere Landwirthe eingezeichnet hatten, durch die Ankunft eidgenössischen in Weiach einzuquartirenden Militärs (St. Galler) verzögert.»

Diese Einquartierung steht in direktem Zusammenhang mit den Badischen Revolutionswirren. Wenige Tage zuvor waren aufständische Verbände der Badenser in die Schweiz übergetreten und ein Kampf in unmittelbarer Grenznähe oder gar ein erzwungener Kriegseintritt des gerade einmal wenige Monate alten Bundesstaats konnte abgewendet werden. Vgl. auch WeiachBlog Nr. 2130.

Als Gegengewicht zu den auf deutscher Seite der Grenze aufmarschierten Regierungstruppen und zwecks Kontrolle über die Badenser Aufständischen in der Schweiz, hatte der Bundesrat aus vielen Kantonen Kontingente einberufen. Aus St. Gallen kamen 2 Infanterie-Bataillone, sowie ein 12-Pfünder-Geschütz samt Artilleriepark-Einheit. Eines der Bataillone war am 1. August in Winterthur eingetroffen, wovon Teile am darauffolgenden Tag nach Weiach dislozierten.

Das Wettpflügen gestaltet sich schwierig

«Nach Anleitung des Programms waren auf einem Stoppelfelde (von leichtem steinlosem Boden) Abtheilungen von 7' Breite und 300' Länge abgesteckt und nummerirt, wovon 
die 6 ersten ungeraden Nummern der ersten Rotte, 
die 6 ersten geraden Nummern der zweiten Rotte, 
die 4 zweiten ungeraden Nummern (13. 15 sc.) der dritten Rotte und 
die 4 zweiten geraden Nummern (14. 16 sc.) der vierten Rotte der Wettpflüger zum Abpflügen angewiesen wurden; es zeigte sich aber, daß diese Abtheilungen zu schmal waren, [S. 123] daß die 2. und 4. Rotte gegen die erste und dritte im Vortheil oder Nachtheil war, je nach der Arbeit des vorhergegangenen Wettpflügers, weil ihre Feldabtheilungen zwischen eingeschoben waren, sonach ihnen die Gelegenheit entzogen wurde, sich im schönen Anfurchen zu zeigen und wenn eine ungerade Furche vorherging, sie genöthigt waren, dieser meistentheils zu folgen. 

Es machten sich indeß die Experten zur Pflicht bei Beurtheilung der Arbeit, so viel es bei bloß 6 Furchen möglich war, auf die Regelmäßigkeit der ganzen Breite Rücksicht zu nehmen. Die Expertise wurde durch die Begleiter, welche jedem Wettpflüger beigegeben waren um die auf je 2 Furchen und ein Umwenden verwendete Zeit und die Breite und Tiefe der Furche zu beachten und dieselbe aufzuzeichnen, unterstützt. 

Die Experten selbst, welche die Beobachtung der Regeln und Vorschriften, die für das Wettpflügen aufgestellt waren, zu beurtheilen hatten, erhielten zu diesem Zwecke Karten, auf welchen die Feldabtheilungen (ohne Rücksicht auf die sich einstellenden Pflüger) nummerirt und rubrizirt unter folgende Titel neben einander gestellt waren: a) gerade Furche. b) gleichmäßige Tiefe und Breite. c) fester Gang. d) ohne Erde zusammenzustoßen und herauszustrecken. e) Ausdauer im Gange und fertiges Umwenden und f) Umfahren von Baumpfählen. Beste Arbeit erhielt: Note 1. Gute 2. Mittelmäßige 3. Unordentliche 4. Ganz schlechte 5. Dazu kam dann noch die Minutenzahl; und dies alles wurde bei jeder Nummer addirt zur Festsetzung der Rangordnung unter einander, wornach sich alsdann das Tableau für die Preisvertheilung ergab, dem sodann die Namen der betreffenden Wettpflüger beigesetzt wurden.» 

Prämien aus der Gemeindekasse

«Das Endergebniß war für die meisten Pflüger ein ziemlich günstiges, und man konnte den ansehnlichen Betrag der sowohl aus der Gemeinds- als der Vereins-Cassa für Prämien angewiesen war, so eintheilen, daß keiner der in Wettkampf getretenen Pflüger leer, d. h. ohne wenigstens eine kleine Vergütung für das Einspannen seines Zugviehs ausging. Es sind gewöhnliche Landpflüge von mehr oder weniger guter Construktion vorgeführt worden, mit Ausnahme von Feldabtheilung Nr. 1, auf welcher der verbesserte Pflug von Boller und Lee- [S. 123] mann geführt wurde, auf Nr. 9 und 13 der Dombas'lsche Schwingpflug, auf Nr. 10 der Schwerz'sche Stelzenpflug, auf Nr. 18 ein verbesserter Landpflug,  (demjenigen der Herren Boller und Leemann ähnlich, aber ohne Vorsteckbrettchen und mit einer durch verstellbare Hafte zu verschiedener Richtung geeigneter Riester versehen). Sämmtliche Wettpflüger hatten freie Wahl hinsichtlich der Pflüge, mit denen sie in den Wettkampf treten wollten und mußten selbst für den Zug besorgt sein.

Leider hatte die eingetretene Verzögerung ein etwelches Strütten zur Folge, das für die pünktliche und genaue Ordnung etwas störend war und auch dem bei Wettpflügen besonders wünschbaren ruhigen Ernste Eintrag that.»

Strütten (vgl. auch «es Gschtrütt») wird von den Gebrüdern Grimm u.a. wie folgt eingeordnet: «mundartlich nur im schweizerischen, elsässischen und (bayrisch)-österreichischen zu hause, grundbedeutung 'eilen' als bewegung und handlung, überwiegend mit dem nebensinn des übermaszes, so dasz sich das element des unbesonnenen, eilfertigen, auch oberflächlichen untermischt.» (Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 1 (1931), Bd. X,IV (1942), Sp. 151, Z. 36.)

«Indeß blieb auch noch hie und da manches zu wünschen übrig, so wurde doch manche gute Anregung dadurch gegeben und empfangen und somit der Zweck erreicht. 

Unsern Herrn Preisrichtern, den Herrn: Oberst Schinz, Kantonsr. Hauser v. Stadel [Heinrich Hauser, *1781] und Hauptmann Ernst v. Zollikon [der einen der Pflüge gestellt hatte, siehe oben] und den Begleitern unsrer Wettpflüger für ihre vielfache Bemühung unsern öffentlichen Dank!

Weiach, den 5. August 1849
Im Namen des Vorstands des Lokalvereins:
das Aktuariat»

Quellen
  • Landw. Gemeindsverein Weiach: Das Pflugfest in Weiach. In: Schweizerische Zeitschrift für Landwirthschaft.  Jg. IV (1849), Nr. 8, August 1849 – S. 120-124.
  • Anderegg, F. et al.: Bibliographie der schweizerischen Landeskunde. Heft Landwirthschaft, Teil 2. Bern 1894 – S. 307.
[Veröffentlicht am 31. August 2024 um 18:29 MESZ]

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