Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein kunstsinniger Verein unsere Gemeinde zum Tagungsort seiner Generalversammlung erkürt und im Anschluss daran auch noch zu einem öffentlichen Vortrag einlädt.
Der Freundeskreis Ruth von Fischer hat am heutigen Sonntag einen dieser seltenen Momente organisiert (vgl. Mitteilungsblatt Weiach, August 2024, S. 15).
Wer um 14 Uhr den Weg in die Weiacher Pfarrscheune gefunden hat, wurde nicht enttäuscht. Die Künstlerin Ruth von Fischer (1911-2009) hat ihre gestaltende Handschrift gleich bei zwei Farbtupfern hinterlassen, die in der Weiacher Kirche Akzente setzen: dem Teppich um den Taufstein von 1970 und den Chorfenstern von 1981.
Zwei seltene Stücke in unserer Kirche
Beide Objekte sind seltene Stücke im Werkkaleidoskop ihrer Erschafferin. Denn Ruth von Fischer ist eher für Wandteppiche bekannt, die in verschiedenen Gemeinden von freiwilligen Helferinnen in tausenden von Arbeitsstunden nach ihren Entwürfen geschaffen wurden. Ihre Bodenteppiche muss man schon fast mit der Lupe suchen.
Auch Glasarbeiten gehören zu den Solitären in ihrem Schaffen, wie der Vortrag von Organisator und Vereinsmitglied Dominik Heeb eindrücklich aufgezeigt hat: Es gibt von ihr nur zwei Werke aus Glas. Den Erstling, eine Darstellung von Mutter mit Kind (selbstverständlich mit sakralem Anklang) hat sie für den Architekten Paul Hintermann geschaffen. Er ist im Privatbesitz seiner Nachkommen. Ihr zweites glasmalerisches Werk ist gleichzeitig das einzige öffentlich zugängliche. Und: es leuchtet in Weiach!
Wieso zwei Glasmaler?
Dass es überhaupt dazu gekommen ist, muss man wohl als seltsame Fügung des Schicksals bezeichnen. Wie kommt der WeiachBlog-Autor darauf? Nun, als ich vor bald fünf Jahren die Artikeltrilogie zur Entstehung der Chorfenster verfasst habe (erschienen vom 20. bis 22. Dezember 2019), da ging mein quellenkritischer Blick eindeutig zu wenig in die Tiefe. Die bei der Gostelistiftung aufbewahrten Unterlagen im Werkdossier Weiach erschienen derart umfangreich, dass die Personalie Willy Kaufmann völlig unter den Tisch gefallen ist.
Ich habe damals geschrieben: «Vorarbeiten für diese Fenster begannen allerdings bereits in den 70er-Jahren». Willy Kaufmann, wiewohl selber Glasmaler, wurde von mir faktisch als eine Art Sachverständiger interpretiert, den man im Vorfeld angefragt hat.
War ein Heimspiel geplant?
Auf die naheliegende Idee, dass dieser im nahen Rümikon (der ehemaligen westlichen Nachbargemeinde von Fisibach) wohnhafte Künstler der eigentliche, von der Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach ursprünglich Beauftragte gewesen sein könnte, bin ich nicht gekommen.
Wie gesagt: Quellenkritik! In WeiachBlog Nr. 1446 ist das Memorandum des Architekten Paul Hintermann, datiert 23.3.1978, betreffend eine Unterredung mit Willy Kaufmann am 16.3.1978 im vollen Wortlaut wiedergegeben.
Ich hätte die Frage stellen müssen, wieso man doch recht konkrete gestalterische Absprachen vornimmt und ihnen dann keine Taten folgen. Ich hätte weiter fragen müssen, wie diese seltsame Bruchlinie einer drei Jahre dauernden Lücke (März 1978 bis April 1981 = Beginn der Arbeiten Ruth von Fischers) zustande gekommen ist. Eine simple Recherche nach dem Künstler Willy Kaufmann hätte genügt für einen kompletten Sichtwechsel...
Gott hatte andere Pläne
Dominik Heeb hat den Job gemacht, den ich damals versäumt habe und hat den Weg gewiesen: Willy Kaufmann ist kurz nach diesem Arbeitstreffen mit Architekt Hintermann am 15. Juni 1978 im 58. Altersjahr verstorben!
Die Evang.-ref. Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach, die wohl nicht zuletzt dank seiner in der Rümiker St. Anna-Kapelle zu findenden Glasfenster auf ihn gestossen ist, wurde damit jäh gestoppt. Und hätte Architekt Hintermann nicht Ruth von Fischer sozusagen dazu überredet, den Auftrag anzunehmen, dann wäre womöglich aus dem Mäzenatenimpuls aus dem Aargau nichts mehr geworden.
Was wäre gewesen, wenn...
Wer sich den Stil Willy Kaufmanns ansieht – er hat (im Gegensatz zu Ruth von Fischer) über mehrere Jahrzehnte hinweg viele verschiedene Glasfenster in sakralen wie weltlichen Gebäuden geschaffen –, der kann sich leicht ausmalen, wie völlig anders die Weiacher Fenster heute daherkommen würden, wäre Gevatter Tod nicht auf den Plan getreten.
Jedenfalls besteht nun einiger Forschungsbedarf. Einerseits im Nachlass Willy Kaufmanns. Vielleicht sind dort ja noch Notizen und Entwürfe erhalten geblieben, die seine Seite der 1978 angestossenen Arbeiten reflektieren. Und andererseits in den Beschlussprotokollen der Evang.-ref. Kirchenpflege Weiach sowie des Vorstandes der Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach aus den Jahren 1977 bis 1981.
Wieder einmal heisst es: Affaire à suivre!
[Veröffentlicht am 22. Oktober 2024 um 00:15 MESZ]
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