Heute vor 125 Jahren befasste sich der Regierungsrat des Kantons Zürich mit einer sozusagen innerweiacherischen Auseinandersetzung.
Die Ursache für diesen Streit lag in einem nicht ausreichend deutlich formulierten Gesetzesartikel.
Zum Sachverhalt sehen wir uns die Erwägungen an, die die Finanzdirektion ihrem Antrag vorangestellt hatte:
«A. Herr Gemeindratspräsident J. Nauer in Weiach, als vom Gemeindrat Weiach bestellter Bezüger für die Hundesteuer, hatte den Herrn Adolf Baltisser, Jäger, in Weiach, zur Versteuerung eines Jagdhundes angehalten und die Bezahlung der Taxe für das ganze Jahr 1899 von ihm erwirkt.
B. Unterm 28. November 1899 beschwerte sich Herr Alexander Baltisser, Vater des obgenannten Adolf Baltisser, beim Statthalteramt Dielsdorf gegen die Erhebung der vollen Taxe für den betreffenden Hund, weil derselbe erst im August 1899 gekauft worden und deshalb nur die halbe Abgabe zu entrichten sei.
Das Statthalteramt erklärte die Beschwerde als begründet und sprach dem Beschwerdeführer den Anspruch auf Rückvergütung der Hälfte der bezogenen Steuer zu.
C. Gegen diesen Entscheid erhob Herr Präsident Nauer Rekurs an den Regierungsrat unter Berufung auf § 4 des Gesetzes betreffend das Halten von Hunden und deren Besteuerung, und ein Kreisschreiben des Regierungsrates vom 16. September 1897. Im letztern werde ausdrücklich bestimmt, daß bei Hunden, welche zur Jagd verwendet werden, von einer Ermäßigung der Abgabe überhaupt keine Rede sein könne.»
Was wollte der Gesetzgeber hier?
Man sieht, dass sich Präsident Jakob Nauer aus der unteren Chälen von einer statthalteramtlichen Entscheidung nicht so einfach beeindrucken liess, vor allem wenn es darum ging, eine Grundsatzfrage klären zu lassen. Der oben angeführte § 4 lautete nämlich wie folgt:
Abs. 1: «Der Gemeindrath ist berechtigt, die Abgabe für einen Hund, welcher zum Schutze eines einsam gelegenen Hofes oder Hauses oder von einer unvermöglichen Haushaltung für den Erwerb gehalten und nicht für die Jagd verwendet wird, auf gestelltes Gesuch hin um die Hälfte zu ermässigen.»
Abs. 2: «Für Hunde, welche von Blinden als Führer gehalten werden, ist keine Abgabe zu bezahlen.»
Adolf Baltissers Hund war eindeutig ein Jagdhund. Er diente weder zur Bewachung eines abgelegenen Anwesens, noch war er als Arbeitshund einzustufen (z.B. zum Ziehen eines Milchwägelis einer Familie, die sich kein Pferd leisten konnte).
Ein Kreisschreiben kompliziert die Jagdhundfrage zusätzlich
Auch das von Nauer ins Feld geführte Kreisschreiben kann man für sich genommen als eindeutige Auslegung obigen Paragraphs 4 verstehen. Hier der volle Wortlaut in seiner ganzen amtlichen Herrlichkeit:
«Es hat sich seit Inkrafttreten des Gesetzes betreffend das Halten von Hunden und deren Besteuerung vom 20. August 1893 gezeigt, daß dessen § 4 Absatz 1 (betreffend Ermäßigung der Abgabe auf die Hälfte) von den Behörden, namentlich von den Gemeinderäten eine ganz ungleiche Auslegung und Anwendung gefunden hat. Auf die Anfrage eines Gemeindrates hin erließ der Regierungsrat schon 1894 interpretirende Bestimmungen zu diesem Paragraphen, durch welche der Begriff eines einsam gelegenen Hofes präzisirt und zugleich ausgesprochen wurde, daß nach diesem § 4 eine Ermäßigung der Abgabe für Hunde, welche zur Jagd verwendet werden, nicht eintreten dürfe.
In der Folgezeit haben sich jedoch die Beschwerden an die Statthalterämter gegen Verfügungen der Gemeindräte auf Grund dieses Paragraphen, Anfragen und Rekurse an die Finanzdirektion und an den Regierungsrat gemehrt.
Diese Reklamationen beziehen sich namentlich auf die Praxis einzelner Gemeindräte, überhaupt die in § 4 vorgesehene Ermäßigung nicht mehr eintreten zu lassen. Es wird dieses Vorgehen damit begründet, daß bei der unbestimmten Ausdrucksweise des Gesetzes es schwer halte, zu unterscheiden, in welchem Falle die Abgabenermäßigung einzutreten habe. Da das Gesetz die Gemeindräte zu dieser Ermäßigung nur berechtige, nicht aber verpflichte, so halten sich dieselben für befugt, die Reduktion in allen Fällen zu versagen und dadurch der stetigen Zunahme der Zahl der Hunde zu begegnen.
Ferner geht aus diesen Anfragen hervor, daß das Gesetz eine Bestimmung darüber vermissen lasse, an welche Instanz sich die Abgabepflichtigen mit einem Rekurse gegen Verfügungen der Gemeindräte auf Grund von § 4 zu wenden haben.
Nach Einsicht eines Antrages der Finanzdirektion beschließt der Regierungsrat:
[..] Es wird an die Gemeinderäte und Statthalterämter folgendes Kreisschreiben erlassen:
Das Vorgehen einzelner Gemeindräte, in allen Fällen die in § 4 Absatz 1 des Gesetzes betreffend das Halten von Hunden und deren Besteuerung vom 20. August 1893 vorgesehene Ermässigung zu verweigern, scheint nicht der Ansicht des Gesetzes zu entsprechen.
Wenn auch das Gesetz sagt, der Gemeindrat sei „berechtigt“, unter gewissen Voraussetzungen auf gestelltes Gesuch hin die Abgabe für einen Hund auf die Hälfte zu ermässigen, so kann dies nur die Meinung haben, der Gemeindrat dürfe die in § 2 Absatz 1 des zitirten Gesetzes festgesetzte Taxe reduziren, wenn ein Abgabenpflichtiger das Vorhandensein der in § 4 Absatz 1 bezeichneten tatsächlichen Verhältnisse nachweist; denn es hätte keinen Sinn, einem Hundebesitzer die Befugnis einzuräumen, ein Gesuch im Sinne des § 4 an den Gemeindrat zu stellen, wenn der Gemeindrat ohne nähere Untersuchung das Gesuch einfach abweisen könnte.
Eine allgemein verbindliche Vorschrift zu geben, wann die Voraussetzungen des § 4 Absatz 1 vorliegen, erscheint angesichts der Verschiedenartigkeit der Terrainverhältnisse und aller übrigen zu berücksichtigenden Faktoren nicht tunlich, da eine solche Vorschrift nicht für alle Fälle zutreffen könnte. Es muss deshalb den Gemeindräten überlassen bleiben, nach Prüfung der Sachlage auf gestelltes Gesuch hin nach Ermessen die Ermässigung eintreten zu lassen oder zu verweigern – unter Beachtung der vom Regierungsrate unterm 27. März 1894 aufgestellten Normen, welche folgenden Wortlaut haben:
„1. Dem § 4 ist zu entnehmen, dass, wenn Hunde zur Jagd verwendet werden, von einer Ermässigung der Abgabe überhaupt keine Rede sein kann.
2. Als „Hof“ ist nur ein vereinzelt stehendes Wohnhaus mit oder ohne zugehörige Gebäude anzusehen, allfällig ein // [p. 588] Oekonomiegebäude allein, und die Ermässigung der Abgabe ist blos statthaft, wenn der betreffende Hof nicht von mehreren Familien bewohnt ist.
3. Einsam gelegen ist ein solcher Hof nur, wenn infolge der Entfernung oder der Bodenverhältnisse das nächstgelegene Wohnhaus als ausser Rufweite befindlich anzusehen ist.“
Wir ergänzen dieselben dahin, dass die Reduktion der Abgabe nur dann gewährt werden soll, wenn solche Hunde unausgesetzt der Bewachung des Hauses, Hofes, Fabrikgebäudes u. s. w. dienen, also auch während des Tages nicht freien Lauf haben und nicht zur Begleitung von Personen oder als Zugtiere verwendet werden.
Als erste Rekursinstanz gegen Verfügungen der Gemeindräte betreffend Abgabe für Hunde werden die Statthalterämter bezeichnet; gegen ihren Entscheid kann innerhalb 14 Tagen an den Regierungsrat rekurrirt werden.»
Wenn Sie nun den eingangs aufgezeigten Streit zwischen Baltisser senior und Präsident Nauer beurteilen und dazu das obige Meisterwerk kanzleilicher Formulierungskunst verstanden haben, ohne es mehrmals durchgelesen zu haben, dann darf Ihnen gratuliert werden.
Jedenfalls ist es dem damaligen Weiacher Präsidenten nicht vorzuwerfen, wenn er nach sorgfältiger Lektüre zum Schluss kam, er habe überhaupt keine andere Wahl, als den vollen Betrag einzufordern, zumal der Entscheid von 1894 ja explizit festhielt, wenn Hunde zur Jagd verwendet würden, könne von einer Ermässigung der Abgabe überhaupt keine Rede sein.
Regierungsrat weist Rekurs Nauer ab
Und trotzdem blitzte Nauer auch bei der Regierung ab. Die Finanzdirektion wies nämlich darauf hin, dass das Gesetz über dem Kreisschreiben stehe, welches überdies lediglich den Paragraphen 4 präzisiere, andere Gesetzesbestimmungen jedoch nicht tangiere:
«Der vom Rekurrenten angezogene § 4 des Gesetzes betreffend das Halten von Hunden und deren Besteuerung und das hierauf bezügliche Kreisschreiben des Regierungsrates regeln Verhältnisse, welche mit der vorliegenden Streitfrage in keinem Zusammenhange stehen.
Maßgebend für die Beurteilung der Steuerpflicht ist lediglich § 9 Abs. 1 leg. cit., wonach für Hunde, welche nach dem 1. Juli neu angeschafft worden sind, wie dies hier unbestrittenermaßen der Fall ist, blos die halbe Jahresabgabe bezahlt werden muß.»
Dieser § 9 (Hundegesetz 1893) lautet:
Abs. 1: «Wer nach der ordentlichen Zeichenaustheilung einen noch nicht bezeichneten Hund neu anschafft, hat denselben gegen Entrichtung der vollen Abgabe binnen vier Wochen bei dem vom Gemeindrathe bezeichneten Einzüger und bei dem Zeichenaustheiler einschreiben und bezeichnen zu lassen.»
Abs. 2: «Von einem nach dem 1. Juli neu angeschafften oder von aussen her in den Kanton gebrachten Hund ist von der in § 3 bestimmten Abgabe nur die Hälfte zu entrichten.»
Abs. 3: «In gleicher Weise ist zu verfahren mit Bezug auf Hunde, welche erst nach der ordentlichen Zeichenaustheilung ein halbes Jahr alt werden.»
Es galt also § 9 Abs. 2 und demzufolge musste Nauer dem Baltisser junior die Hälfte seiner Hundeabgabe pro 1899 zurückzahlen.
Für einen Hund wurde damals über 50 % mehr Abgabe kassiert
Dass der Staat die Hundehalter zumindest für den ersten Hund kräftiger als heute zur Kasse gebeten hat, wird schnell klar, wenn man den § 3 (Hundegesetz 1893) liest...
«Die jährlich zu entrichtende Abgabe für einen Hund beträgt 16 Franken. Für jeden weiteren Hund, welcher in derselben Haushaltung gehalten wird, muss überdies ein Zuschlag von 4 Franken bezahlt werden.»
... und dann mittels Swistoval.ch eine Umrechnung in heutige Geldwerte vornimmt.
16 Franken von 1899 entsprechen im Jahr 2009 nach dem Konsumentenpreisindex (KPI) 197 CHF und nach dem Historischen Lohnindex (HLI) 713 CHF.
Umgerechnet auf den heutigen Stand würde sich die Hundeabgabe vor 125 Jahren damit auf jährlich mindestens 211 Franken belaufen.
Zum Vergleich: Weiach zieht aktuell für einen Hund lediglich 130 Franken ein. Für weitere Hunde gibt's dann allerdings keinen Rabatt.
Quellen
- Kantonsrat Zürich: Gesetz betreffend das Halten von Hunden und deren Besteuerung vom 20. August 1893. Signatur: OS 23 (S. 247-250).
- Regierungsrat des Kantons Zürich: Hunde. Kreisschreiben vom 16. September 1897. Signatur: StAZH MM 3.11 RRB 1897/1750.
- Regierungsrat des Kantons Zürich: Hunde. Regierungsratsbeschluss vom 10. Mai 1900. Signatur: StAZH MM 3.14 RRB 1900/0817.
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